Bundesstrafgericht
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer: BG.2008.13
Entscheid vom 2. Juli 2008 I. Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz Barbara Ott und Alex Staub, Gerichtsschreiberin Tanja Inniger
Parteien
Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Gesuchsteller
gegen
1. Kanton Thurgau, Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau,
2. Kanton Schaffhausen, Staatsanwaltschaft,
3. Kanton St. Gallen, Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten,
Gesuchsgegner
Gegenstand
Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
Sachverhalt:
A. Am 26. Juli 2007 erstattete der Vertreter der A. AG, einem Leasingunternehmen in Z., bei der Stadtpolizei Zürich Anzeige gegen B. und C. wegen Veruntreuung zweier Sattelschlepper. Die beiden Beschuldigten hatten als Gesellschafter der D. GmbH in deren Namen und an deren Sitz in Y. / SG mit vorgenannter Leasinggesellschaft am 10. Oktober und am 20. November 2006 zwei Leasingverträge über die beiden Sattelschlepper abgeschlossen. Da sie seit Januar 2007 die Leasingraten nicht mehr bezahlt hatten, leitete die Leasinggesellschaft die Betreibung ein und forderte die beiden Sattelschlepper zurück. Gemäss Schreiben von B. im Juli 2007 konnte die Rückgabe jedoch nicht erfolgen, da die Sattelschlepper in der Gegend um X. und W. sowie in Kasachstan im Einsatz standen.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat ergaben indessen, dass B. bezüglich des einen Sattelschleppers am 14. Juni 2007 beim Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau einen Halterwechsel vorgenommen hatte, indem er das Fahrzeug auf seinen Sohn einlöste, obwohl aufgrund der allgemeinen Leasingbedingungen ein Halterwechsel untersagt war. Am 13. August 2007 wurde dieses Fahrzeug stillgelegt. Der zweite Sattelschlepper war am 22. Juni 2007 ebenfalls beim Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau stillgelegt und am 28. Juni 2007 in Schaffhausen für den Export auf einen Dritten befristet eingelöst worden, wobei Hinweise bestehen, dass dieses Fahrzeug nach Litauen überführt wurde.
B. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2007 erfolgte seitens der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat die Gerichtsstandsanfrage an das Kantonale Untersuchungsrichteramt des Kantons Thurgau (act. 1.6). Das zuständige Bezirksamt Frauenfeld lehnte das Ersuchen mit Antwortschreiben vom 20. Dezember 2007 ab (act. 1.7).
C. In der Folge ersuchte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat am 8. Januar 2008 das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen um Übernahme des Verfahrens (Akten C-5/2007/5014, act. 13/4). Jenes verneinte den Gerichtsstand mit Schreiben vom 21. Januar 2008 ebenfalls (act. 1.8).
D. Letztlich bat die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat am 10. April 2008 noch den Kanton St. Gallen bzw. das Untersuchungsamt Altstätten um Übernahme des Verfahrens (Akten C-5/2007/5014, act. 13/7), doch auch diese Behörde verneinte ihre örtliche Zuständigkeit am 21. Mai 2008 (act. 1.12).
E. Mit dem Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstandes vom 18. Juni 2008 gelangt nun der Kanton Zürich bzw. dessen Oberstaatsanwaltschaft an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts mit dem Antrag, es sei der Kanton Thurgau zur Verfolgung und Beurteilung des B. und des C. für berechtigt und verpflichtet zu erklären. Eventualiter sei der Kanton Schaffhausen und subeventualiter der Kanton St. Gallen zur Verfolgung und Beurteilung der erwähnten Beschuldigten für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).
Auf die Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Akten wird soweit erforderlich in den rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
Im Falle von Anständen zwischen Kantonen betreffend die Zuständigkeit unterbreitet die Strafverfolgungsbehörde, die zuerst mit dem Fall befasst war, die Angelegenheit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (Art. 279 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
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Vorliegend hat der Gesuchsteller bzw. dessen Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat als erstbefasste Strafverfolgungsbehörde sich mit der Gerichtsstandsanfrage zuerst an das kantonale Untersuchungsrichteramt des Kantons Thurgau gewandt (act. 1.6), wobei dieses die Anfrage zuständigkeitshalber an das Bezirksamt Frauenfeld weiterleitete (Akten C-5/2007/5014, act. 13/2). Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat hat in einem zweiten Schritt das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen (Akten C-5/2007/5014, act. 13/4) und drittens das Untersuchungsamt Altstätten / SG (Akten C-5/2007/5014, act. 13/7) bezüglich des Gerichtsstandes angefragt. Alle drei angefragten Behörden haben wie erwähnt den Gerichtsstand verneint und die Übernahme des Verfahrens abgelehnt (act. 1.7; act. 1.8; act. 1.12). Anschliessend hat die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bei der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts das vorliegende Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstandes gestellt (act. 1).
Zunächst ist festzuhalten, dass die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gemäss § 6 lit. m der Verordnung über die Organisation der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaften vom 27. Oktober 2004 (ZH-LS 213.21) zur Vertretung ihres Kantons vor dem Bundesstrafgericht berechtigt ist.
Aus § 24 Abs. 2 des Gesetzes über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung) vom 30. Juni 1970 / 5. November 1991 (RB 312.1) des Kantons Thurgau geht hervor, dass Anstände über die örtliche Zuständigkeit im Untersuchungsverfahren kantonal endgültig von der Staatsanwaltschaft entschieden werden. Eine ausdrückliche Regelung betreffend interkantonale Anstände über die örtliche Zuständigkeit lässt sich dieser Strafprozessordnung jedoch nicht entnehmen. Praxisgemäss sind die Bezirksämter – wie das hier zur Frage stehende Bezirksamt Frauenfeld – legitimiert, sich für den Kanton Thurgau gegenüber anderen Kantonen zur Gerichtsstandsfrage zu äussern (Schweri/Bänziger, a.a.O., Anhang II, S. 214). Gegenüber der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts ist jedoch lediglich die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau zur Vertretung ihres Kantons bei interkantonalen Gerichtsstandsanständen berechtigt. Eine auf den vorliegenden Fall bezogene Stellungnahme seitens der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau im Rahmen des Meinungsaustausches liegt der Beschwerdekammer jedoch nicht vor.
Die Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 (SHR 320.100) bestimmt in Art. 4 Abs. 1, dass bei Gerichtsstandskonflikten mit anderen Kantonen die Staatsanwaltschaft die Verhandlungen mit den ausserkantonalen Behörden führt und gegebenenfalls den Kanton Schaffhausen vor der Anklagekammer des Bundesgerichtes (heute I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes) vertritt. In casu liegt jedoch seitens des Kantons Schaffhausen lediglich die Stellungnahme des Untersuchungsrichteramtes zur Gerichtsstandsanfrage (act. 1.8) vor.
Gemäss Art. 31 Abs. 2 des Strafprozessgesetzes vom 1. Juli 1999 (sGS 962.1) des Kantons St. Gallen vertritt der Staatsanwalt den Kanton St. Gallen im Verfahren vor der Anklagekammer des Bundesgerichtes (heute I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes). Das Untersuchungsamt Altstätten ist ein Teil der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und wird daher auch von einer Staatsanwältin geleitet (Art. 7 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 des Strafprozessgesetzes). Die Gerichtsstandanfrage der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat ist an die entsprechende Staatsanwältin adressiert (Akten C-5/2007/5014, act. 13/7) und mit einem vom stellvertretenden Staatsanwalt unterschriebenen Antwortschreiben abgewiesen worden (act. 1.12).
Solange jene Behörde, die vom kantonalen Recht (bzw. von der Praxis) für die Behandlung der interkantonalen Gerichtsstandskonflikte als zuständig bezeichnet wird, nicht angegangen worden ist und sich nicht ausgesprochen hat, liegt kein endgültiger Gerichtsstandskonflikt im Sinne eines negativen Kompetenzkonfliktes vor und kann die Beschwerdekammer nicht angerufen werden, um den interkantonalen Gerichtsstand zu bestimmen (Schweri/Bänziger, a.a.O., S. 185/186 N. 564). Da der erforderliche Meinungsaustausch mit den zuständigen Staatsanwaltschaften der Kantone Thurgau und Schaffhausen noch nicht durchgeführt worden ist, liegt insofern kein endgültiger Gerichtsstandskonflikt vor, was dem Eintreten auf das Gesuch entgegensteht. Gemäss Art. 219 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
Entsprechend den vorangehenden Ausführungen hat durch den Gesuchsteller somit zuerst ein vollständiger Meinungsaustausch mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau sowie mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen zu erfolgen. Sollte sich nach diesem Meinungsaustausch ein Anstand im Sinne von Art. 279 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
2. Es werden keine Kosten erhoben (Art. 245 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 279 - Wer eine durch Verfassung oder Gesetz vorgeschriebene Versammlung, Wahl oder Abstimmung durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile hindert oder stört, |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
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1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.
2. Es werden keine Kosten erhoben.
Bellinzona, 2. Juli 2008
Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
i.V. Alex Staub,
Bundesstrafrichter
Zustellung an
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
- Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
- Bezirksamt Frauenfeld
- Staatsanwaltschaft Schaffhausen
- Untersuchungsrichteramt Schaffhausen
- Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.