S. 125 / Nr. 32 Prozessrecht (d)

BGE 62 II 125

32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juni 1936 i. S.
Konkursmasse der Hatz-Dieselmotoren A.-G. gegen Hatz Motorenfabrik G.m.b.H.


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Regeste:
Örtliche Rechtsanwendung. Massgebend ist der Parteiwille beim
Geschäftsabschluss; die Verweisung im Prozess bildet lediglieh ein Indiz
dafür, was die Parteien beim Geschäftsabschluss gewollt haben. Bedeutung des
Erfüllungsortes für die Ermittlung des Parteiwillens.

Die Berufung an das Bundesgericht kann gemäss Art. 57 OG ergriffen werden in
Zivilrechtsstreitigkeiten, welche von den kantonalen Gerichten unter Anwendung
eidgenössischer Gesetze entschieden worden oder nach solchen Gesetzen zu
entscheiden sind. Sie ist daher im vorliegenden Falle nur gegeben, wenn statt
des von der Vorinstanz angewendeten deutschen Rechtes richtigerweise
schweizerisches Recht zur Anwendung gebracht werden müsste (was zugleich den
Berufungsgrund nach Art. 58 OG bilden würde).
Für die Wirkungen obligatorischer Rechtsgeschäfte ist nach der Praxis des
Bundesgerichtes das Recht massgebend, das dem ausdrücklichen oder
mutmasslichen Parteiwillen beim Geschäftsabschlusse entspricht (vgl. u. a. BGE
11 S. 364, 16 S. 795, 27 II 215, 36 II 293, 43 II 228, 47 II 550, 48 II 392
ff., 53 II 90, 58 II 435, 60 II 300 f. u. 323, 61 II 182 f. u. 245). Die
Vorinstanz hat daher die Auffassung des Amtsgerichtes, dass nach dem Recht zu
urteilen sei, welches von den Parteien im Prozess angerufen werde, mit Recht
abgelehnt. Wenn das Bundesgericht selber zwischenhinein schlechthin auf die
Parteiverweisung im Prozess abgestellt hat (z. B. BGE 27 II 392, 35 II 231,

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43 II 668, teilweise auch noch 49 II 225), so ist es auf jeden Fall längst
wieder davon abgekommen und zum Grundsatze zurückgekehrt, dass der Parteiwille
zur Zeit des Geschäftsabschlusses entscheidet und die Verweisung im Prozess
lediglich ein Indiz dafür bildet, welches Recht die Parteien damals, beim
Geschäftsabschluss, als das massgebende gewollt haben; vgl. die oben
angeführten jüngern Entscheide, insbesondere BGE 48 II 392, 53 II 90, 58 II
43560 II 323 . Die Bemerkung bei OSER/SCHÖNENBERGER, Einleitung Nr. 84 S.
LXXI, die neuere bundesgerichtliche Praxis anerkenne noch, dass die Parteien
sich «novationsweise» einem andern als dem ursprünglich vereinbarten Rechte
unterwerfen können, ist unrichtig. Es wird auch keine Entscheidung zitiert, wo
das ausgesprochen sein soll. Das anwendbare Recht muss in der Tat unwandelbar
sein. Ein Rechtsverhältnis besteht kraft des Rechtes, auf Grund dessen es
zustandegekommen ist, oder es besteht überhaupt nicht; die Existenzgrundlage
kann nicht nachträglich durch eine andere ersetzt werden. Eine Wandelbarkeit
des anwendbaren Rechtes käme höchstens da in Betracht, wo sie durch die
Parteien von Anfang an vorgesehen gewesen wäre (BGE 42 II 183). Vgl. zu diesen
Ausführungen auch HOMBERGER, Die obligatorischen Verträge im internationalen
Privatrecht nach der Praxis des schweizerischen Bundesgerichtes, S. 17 ff., 20
ff., u. 35 f.; übereinstimmend für das deutsche Recht: LEWALD, Das deutsche
internationale Privatrecht, S. 212 oben.
Eine ausdrückliche Vereinbarung über das anwendbare Recht haben die Parteien
nicht abgeschlossen. Es gilt daher das Recht, das sie mutmasslich in Aussicht
genommen haben oder in Aussicht genommen haben würden, wenn sie an die
Regelung der Frage gedacht hätten. Das ist nach der Praxis, wenn nicht
überwiegende Gründe dagegen sprechen, das Recht des Erfüllungsortes. Dabei
genügt als Indiz, welches diese Vermutung entkräften würde, nicht schon der
Umstand, dass sich die Parteien im Prozess veranlasst gesehen haben, ein
anderes

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Recht anzurufen (BGE 47 II 551, 48 II 293, 60 II 323). Weitere gegenteilige
Indizien als die Parteiverweisung im Prozess liegen aber hier nicht vor. Somit
bleibt es beim Recht des Erfüllungsortes. Welches der Erfüllungsort ist,
bestimmt sich dabei nach der lex fori (s. statt vieler BGE 44 II 417).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 125
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 09. Juni 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 125
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Örtliche Rechtsanwendung. Massgebend ist der Parteiwille beim Geschäftsabschluss; die Verweisung im...


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