BGE 58 II 249
43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Mai 1932 i. S.
Vereinigte Bern-Worb-Bahnen gegen Remund und Brunschwig.
Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht. Art. 1 ff . EHG.
1. Begegnung zwischen Strassenbahn, Automobil und Reiter; pflichtwidriges
Verhalten des Automobilisten. Erw. 1.
2. Das Linksfahren der Strassenbahn als besondere Betriebsgefahr. Erw. 2.
3. Der Schadenersatzanspruch für vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im
Verhältnis:
a) zur Lohnzahlung durch den Arbeitgeber des Geschädigten;
c) zu der für die Arbeitsunfähigkeit empfangenen Versicherungsleistung. Erw.
4.
Am 23. März 1929 abends etwas nach 8 Uhr ritt R. Remund, Pferdeknecht bei der
Pferdehandlung
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Lob & Brunschwig, auf der Papiermühlestrasse gegen Bern zu. Ungefähr auf der
Höhe des israelitischen Friedhofes kam ihm von der Stadt her ein Zug der
Vereinigten Bern-Worb-Bahnen entgegen, deren Geleise an jener Stelle in der
Richtung Worb auf der linken Strassenseite, von Remund aus gesehen also rechts
verläuft. Gleichzeitig und in gleicher Richtung wie die Bahn fuhr auf der
rechten Strassenseite, von Remund aus gesehen also links, ein Automobil heran.
Kurz vor der Begegnung des Reiters mit der Bahn befand sich das Automobil auf
der Höhe des hinteren Bahnwagens. Der Reiter schickte sich daraufhin an,
zwischen Bahn und Automobil durchzureiten. Im letzten Augenblick brach sein
Pferd nach rechts aus und sprang direkt vor den Zug. Pferd und Reiter wurden
von diesem niedergeworfen. Das Pferd verendete sogleich; der Reiter erlitt
schwere Verletzungen.
Mit der vorliegenden Klage belangten Remund und Brunschwig, letzterer als
Rechtsnachfolger der Firma Lob & Brunschwig und teilweise als Zessionar
Remunds, die Bern-Worb-Bahnen auf Schadenersatz nach Art. 1 ff . EHG. Der
Appellationshof des Kantons hiess die Klage grundsätzlich gut, und das
Bundesgericht bestätigte das Urteil, im wesentlichen auf Grund folgender
Erwägungen:
1.- Der Automobilführer erklärte in der Zeugeneinvernahme, die - sehr starken,
- Scheinwerfer mit Rücksicht auf den Reiter schon etwa 100 m vor der
Unfallstelle abgeblendet zu haben. Damit anerkennt er, dass der Reiter für ihn
zum mindesten auf diese Entfernung sichtbar war. Seiner Darstellung über das
Abblenden schenkt jedoch die Vorinstanz keinen Glauben. Sie scheint
anzunehmen, dass er in Wirklichkeit erst unmittelbar vor dem Zusammenstoss
abblendete, d. h. als er ungefähr noch um die Länge des aus zwei Wagen
bestehenden Zuges vom Reiter entfernt war. Trifft das
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zu, so war sein Verhalten unverantwortlich. Werden schon Menschen, welche in
den Lichtkegel eines Automobilscheinwerfers geraten, unruhig und unsicher, so
muss die Schreckwirkung auf das unvernünftige Tier noch eine viel grössere
sein. Und dass mit einem erschreckten Pferd leicht ein Unfall passieren kann,
zumal in einer solchen Situation, wo das Tier gleichzeitig noch eine Bahn zu
kreuzen hat, liegt auf der Hand. Es wäre daher elementare Pflicht des
Automobilführers gewesen, sofort abzublenden, als er des Reiters ansichtig
wurde. Keine unmittelbare Bedeutung hatte daneben der Umstand, dass zwischen
Bahn und Automobil nur ein Raum von etwas über 2 m blieb; denn der Unfall hat
sich ja nicht beim Durchreiten zwischen den Fahrzeugen ereignet. Dagegen
konnte dem Pferde die Notwendigkeit, diesen engen Raum passieren zu müssen,
zum vorneherein als bedrohlich erschienen sein und das Ausbrechen noch
begünstigt haben. Sodann steigerte sich die Schreckwirkung der Scheinwerfer
ohne Zweifel umsomehr, je näher, das Automobil heranfuhr und je intensiver das
Licht damit wurde. In diesem Zusammenhang ist daher dem Automobilführer als
weiteres Verschulden anzurechnen, dass er nicht wenigstens den Wagen anhielt,
sondern mit dem Zuge weiter auf den Reiter zufuhr.
2.- Allein nach der Feststellung der 'Vorinstanz war das schuldhafte Verhalten
des Automobilführers nicht die einzige Ursache des Unfalls. Sie erklärt, die
für den Reiter gefährliche Lage sei erst dadurch möglich geworden, dass die
Bahn nur ein Geleise habe und die von der Stadt herkommenden Züge daher
entgegen der allgemeinen Verkehrsregel am linken Strassenrande fahren. Was sie
damit sagen will, ist nicht zu verkennen: nähme die Bahn in der Richtung Worb,
wie umgekehrt, gemäss der allgemeinen Verkehrsregel die rechte Strassenseite
ein, so hätte das Automobil, wie das Verkehrsrecht es ebenfalls vorschreibt,
unmittelbar links von ihr vorfahren können: dann wäre das Pferd beim
Ausbrecher.
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von den Scheinwerfern weg nach rechts nicht vor die Bahn, sondern auf das
Trottoir und vielleicht auf das freie Feld gekommen. In der Tat erklärt der
Experte das Rechtsausbrechen des Pferdes damit, dass die von links kommende,
vom Automobil verursachte Schreckwirkung grösser gewesen sei als die von
rechts, von der Bahn ausgehende. Ob diese These begründet ist, kann hier nicht
mehr untersucht werden; indem die Vorinstanz sie zu der ihrigen gemacht hat,
ist sie für das Bundesgericht verbindlich geworden (Art. 81 OG). Dann
unterliegt aber keinem Zweifel, dass das Pferd noch umso eher nach rechts
abgedrängt worden sein müsste, wenn sich beide Schreckquellen, Automobil und
Bahn, links von ihm befunden hätten, was bei Rechtsfahren der Bahn der Fall
gewesen wäre (dass sich der Reiter bis zum Herannahen des Zuges am rechten
Strassenrande hielt, ist unbestritten). Selbstverständlich fällt der Beklagten
das Fehlen eines zweiten, in der Richtung Worb auf der rechten Strassenseite
laufenden Geleises nicht als Verschulden zur Last. Das Bundesgericht hat
bereits unter dem Gesichtspunkte der Haftung des Strasseneigentümers (Art. 58
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 58 - 1 Le propriétaire d'un bâtiment ou de tout autre ouvrage répond du dommage causé par des vices de construction ou par le défaut d'entretien. |
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1 | Le propriétaire d'un bâtiment ou de tout autre ouvrage répond du dommage causé par des vices de construction ou par le défaut d'entretien. |
2 | Est réservé son recours contre les personnes responsables envers lui de ce chef. |
OR) ausgesprochen, dass nicht jede an sich gefährliche Anlage als fehlerhaft
anzusehen ist, sondern nur eine solche, die ohne verhältnismässig grosse
Aufwendungen, z. B. bei der Kombination von Strasse und Bahngeleise ohne
Erstellen einer kostspieligen Doppelspur, hätte anders gemacht werden können
(BGE 56 II 92 f). Das Gleiche muss ohne weiteres auch gelten bei der Frage des
Verschuldens der Bahn im Sinne des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes. Sodann ist
die Pflicht, im Strassenverkehr rechts auszuweichen, nicht etwas ein für alle
Mal Gegebenes, sondern beruht auf einer positiven Rechtsvorschrift, von
welcher der Staat, der sie aufgestellt hat, auch Ausnahmen zulassen kann. Das
ist hier geschehen, indem die einspurige Anlage anlässlich der Erteilung der
Bahnkonzession genehmigt wurde, was
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die Beklagte von der Pflicht des Rechtsausweichens entbunden hat.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Linksfahren der Bahn einen
den Strassenverkehr gefährdenden Zustand bedeutet, der den vorliegenden Unfall
mitverursacht hat. Aus der Mitwirkung dieser besonderen Betriebsgefahr haftet
die Beklagte gemäss Art. 1 EHG und zwar hat sie, so schwer man auch das
Verschulden des Automobilführers beurteilen mag, unter Vorbehalt eines eigenen
Verschuldens der Kläger den ganzen Schaden zu ersetzen; denn auf das
Verschulden eines Dritten kann sich die Bahn gegenüber der Klage des
Geschädigten gemäss ständiger Rechtsprechung nur berufen, wenn dasselbe die
einzige Ursache des Unfalles war (vgl. BGE 38 II 226; 39 II 320 Erw. 1 i. f.).
Von dieser Rechtsprechung abzugehen, besteht jedenfalls hier keine
Veranlassung. Der Beklagten bleibt gemäss Art. 18
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 58 - 1 Le propriétaire d'un bâtiment ou de tout autre ouvrage répond du dommage causé par des vices de construction ou par le défaut d'entretien. |
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1 | Le propriétaire d'un bâtiment ou de tout autre ouvrage répond du dommage causé par des vices de construction ou par le défaut d'entretien. |
2 | Est réservé son recours contre les personnes responsables envers lui de ce chef. |
Automobilführer Regress zu nehmen. Freilich kann keine Rede davon sein, ihr
den Regressanspruch förmlich vorzubehalten, wie sie mit der Berufung verlangt,
sind ja Gegenstand dieses Prozesses doch nur die Ansprüche der Geschädigten
gegenüber der Bahn und nicht auch das Verhältnis zwischen Bahn und
Automobilführer.
3.- (Kein Selbstverschulden der Kläger).
4.- Gegenüber der Schadensberechnung der Kläger machte die Beklagte schon im
kantonalen Verfahren geltend, dass Remund während seiner vorübergehenden
Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber, der seinerseits hiefür versichert gewesen
sei, den vollen Lohn bezogen und dass ihm die genannte, vom Arbeitgeber
eingegangene und bezahlte Versicherung die Heilungskosten ersetzt habe; er sei
also in diesem Umfange gar nicht geschädigt und könne darum insoweit auch
keinen Schadenersatz verlangen. In der heutigen Verhandlung fügt sie sodann
noch mit besonderem Nachdruck bei, Remund habe
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auf die Lohnzahlung gemäss Art. 335
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 335 - 1 Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
|
1 | Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
2 | La partie qui donne le congé doit motiver sa décision par écrit si l'autre partie le demande. |
gehe nach Art. 51 Absatz 2
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 51 - 1 Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
|
1 | Lorsque plusieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes (acte illicite, contrat, loi), les dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé ensemble un dommage s'appliquent par analogie. |
2 | Le dommage est, dans la règle, supporté en première ligne par celle des personnes responsables dont l'acte illicite l'a déterminé et, en dernier lieu, par celle qui, sans qu'il y ait faute de sa part ni obligation contractuelle, en est tenue aux termes de la loi. |
Dass der Arbeitgeber für die Folgen von Unfällen seiner Angestellten
versichert war, wie die Beklagte annimmt, ist nicht richtig. Er war nur
Versicherungsnehmer; die Versicherung lautete zu Gunsten der Angestellten.
Dagegen hat tatsächlich er die Versicherungsleistung zum grösseren Teil
bezogen. Ob und wie das mit den Leistungen zusammenhing, welche er an Remund
während dessen vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit gemacht hatte und welche die
Beklagte als Lohn bezeichnet, mag dahingestellt bleiben. Ebensogut wie Lohn
können diese Leistungen an sich Vorschuss, Darlehen oder Schenkung gewesen
sein. Hatten sie Schenkungscharakter, so lag es in ihrer Bestimmung, dem
beschenkten Remund und nicht der schadenersatzpflichtigen Bahn zugute zu
kommen (vgl. BGE 52 II 392). Handelte es sich um Vorschüsse oder Darlehen, so
wurde Remund Schuldner für diese Beträge, so dass sein Lohnausfall ungedeckt
blieb. Die letztere Auffassung war offenbar diejenige der Parteien, da ja
Remund seine Forderung an die Beklagte dem Arbeitgeber im entsprechenden
Umfange abtrat. Auf Art. 335
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 335 - 1 Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
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1 | Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
2 | La partie qui donne le congé doit motiver sa décision par écrit si l'autre partie le demande. |
der Schadenersatzpflicht schon deshalb nicht berufen, weil diese Bestimmung
zum Schutze des Arbeitnehmers aufgestellt ist und nicht die Entlastung der
schadenersatzpflichtigen Dritten bezweckt.
Es frägt sich darnach nur noch, ob nicht die Versicherung der Inanspruchnahme
der Beklagten entgegenstehe. Aber auch das ist zu verneinen. Gemäss der von
der Vorinstanz zitierten konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 10
139; 34 II 654; 36 II 192; 44 II 291; 49 II 370) sind Versicherungsleistungen
auf den Schadenersatzanspruch des Geschädigten nur anrechenbar, wenn es sich
um Schadens-, nicht aber wenn es sich um Personenversicherung handelt. Bei der
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Unfallversicherung ergibt sich die Nichtanrechenbarkeit übrigens e contrario
schon aus Art. 13
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 335 - 1 Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
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1 | Le contrat de durée indéterminée peut être résilié par chacune des parties. |
2 | La partie qui donne le congé doit motiver sa décision par écrit si l'autre partie le demande. |
Eisenbahnunternehmung an der Bezahlung der Prämien oder Beiträge beteiligt
war, eine Ausnahme statuiert ist. Ob die Prämien vom Arbeitgeber oder vom
Arbeiter bezahlt worden sind, ist gleichgültig; auch wenn sie der Arbeitgeber
für den versicherten Arbeiter bezahlt hat, so war das ebensowenig eine
Leistung an die fremde Schadenersatzpflicht, wie wenn der Lohn während der
Arbeitsunfähigkeit schenkungsweise weiter ausgerichtet wird. Davon ist das
Bundesgericht entgegen der Annahme der Beklagten stillschweigend schon in BGE
49 II 370 ausgegangen. Erst recht keine Rolle spielt unter diesen Umständen,
dass effektiv der Arbeitsgeber die Versicherungsleistung für die
vorübergehende Arbeitsunfähigkeit Remunds bezogen und wie er sich mit diesem
darüber auseinandergesetzt hat .