.16 A. Oberste. Zivilgerichtsiustanz I. Materiellrechfliche
Entscheidungen.

Kapitals, von welchem der Abzug zu machen ist einen sehr wesentlichen
Faktor-, weshalb denn auch bei höheren Kapitalbetragen ein, nicht nur
absolut, sondern auch relativ grösserer Abzug als bei niedrigen, bei
ganz kleinen Kapitalbeträgen aber überhaupt kein Abzug gemacht zu werden
pflegt. Betrug also im vorliegenden Falle auf Grund der neuen Expertise
das Kapital, von welchem der Abzug zu'machen war, 9607 Fr. statt 6405 Fr.,
so liess sich auch ein prozentual höherer Abzug rechtfertigen Dass aber
die übrig en Umstände des konkreten Falles einen Abzug von 1()°/o als zu
hoch erscheinen lassen, kann gewiss nicht gesagt werden; denn die Experten
sind in ihrem zweiten Gutachten hauptsächlich deshalb dazu gelangt, die
Erwerbseinbnsse des Klägers auf (LO 50% zu schätzen, weil sie annehmen,
der Kläger werde genötigt sein, seinen bisherigen Beruf aufzugeben und
als Hausierer, Krämer-, Handler ze. sein Brot zu verdienen-c Bei einer
solchen, in bescheidenenMasse kapitalistischen Tätigkeit aber bietet
selbstverständlich der Besitz eines Kapitals von mehreren Tausend Franken;
im Vergleich zu demjenigen einer Rente, sehr erhebliche Vorteile-

Auch die Anschlussberufung ist somit abzuweisen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Hauptberufung sowohl als auch die Anschlnssberufung werden abgewiesen
und damit das Urteil der I. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons
Bern vom 10. Dezember 1912 bestätigt.6. Haftpflicht ans Betrieb der
Eisenbahnen, etc. N° 55. 317

55. guten der II. Divitabteitnng vom 16. eJuli 1913 in Sachen
EmuteuialbahnsGesellskhasi, Veil. n. Ver.-KL, gegen Docle Kl. u. Ver.-BM.

Eisenbahnhaftpflicht. Das Verschulden nach Art. 8 EHG branche kein grobes
zu sein. Die Nichtbewaeh-ung eines ursprünglich privaten Bahnüberganges,
der aber mit Wissen und Dateien der Bahn wie ein ò'ffentlicker begangen
wird, ist der Unter/tenutaria zum Verschulden anzm'ecànen. Das
Verschulden Dritter schliesst die Haftpflicht der Balm nedann aus,
wenn es im Recétssimee die all-einige Ursache des Unfezlles ist. ,Die
infolge des Unfalles für den Verietztensientstandene Möglichkeit früher
oder später eintretender Epilepsie ist als ein besonderer Umstand gemäss
Art. 8 EHG aufzufasse-n.

A. Am 14. August 1911, morgens, begab sich Gottfried Loosli mit seinem
am 2. August 1906 geborenen Kind Maria Lan auf sein Pflanzland im
sog. Schachen bei Nieder-Gerlafingen, wobei er den zirka 400 m nördlich
von der Bahnstation NiederGerlafingen, bei km 5,6 gelegenen Übergang
über die der Beklagten gehörende Bahnlinie Nieder-Gerlafingen Biberist
benutzen musste. Dieser Bahnübergang wurde seinerzeit von der Beklagten

:im privaten Interesse der sich in der Nähe befindenden von Roll-

schen Eisenwerke errichtet. Im Laufe der Jahre gestaltete er sich jedoch
zu einem öffentlichen Wege aus, der von jedermann begangen und befahren
wird. Zur Absperrung der Geleise sind beim Übergang zwei aus einfachen
Querstangen bestehende Barrieren angebracht, die nicht vom Bahnpersonal
bedient, sondern von den Passanten nach Belieben geöffnet und geschlossen
werden. Gegen 11 Uhr mittags begab sich Vater Lobin mit dem Mädchen
wieder auf den Heimweg. Als das Kind, das vorausging, den Bahnübergang
beirut, wurde es vom eben herannahenden eZug, der in Gerlafingen um 10'5
Uhr abgefahren war, erfasst und ungefähr 12 m weit mitgeschleift Dabei
erlitt es zwei Schädelbrüche, nebst mehreren Verletzungen am Gesicht,
an den Gliedmassen und am Rumpfe Nach dem Gutachten des Prof. Howald vom
8. August 1912 ist ein dauernder Nachteil jedoch nur insofern geblieben,
als infolge der Schädelverletzungen das Gehirn und seine Häute künftig
auf geringfügige Schädigungen hin empfindlicher reagieren werden,

318 A, Oberste Zivügerichlsinstanz. ]. Materiellrechtlicbe Entscheidungen.

als es beim normalen Menschen der Fall ist. Die dadurch bewirkte
innbusse der Erwerbsfähigkeit schätzt das Gutachten aus 10 %. î Mit
dieser Schätzung ist nach Auffassung des Experten allen in Betracht
kommenden Umständen, mit Ausnahme der Möglichkeit des spätern Eintretens
von Epilepsie, Rechnung getragen.

Gestützt aus diesen Tatbestand hat Gottfried Loosli als Vater der Maria
Lina Loosli am 20. März 1912 Klage gegen die Beklagte erhoben, mit dem
Rechtsbegehreu, die Beklagte sei gehalten, an den Kläger für sein Kind
Maria Lan eine Aversalentschädigung von 8000 Fr. nebst Zins zu 5 % seit
15. August 1911 zu bezahlen; eventuell habe die Beklagte an Maria Lan
Loosli jährlich eine gerichtlich festzusetzende lebenslängliche Rente
zu entrichtenÜberdies habe sie sämtliche Heilungss und Pflegekosten für
das Kind zu übernehmen

B. Durch Urteil vom 16. September 1912 hat das Amtsgericht von
Solothurn-Lebert! die Beklagte zur Entrichtung einer lebenslänglichen
Rente von 100 Fr. an Maria Lina Loosli, beginnend mit dem 16. Alters-jahr,
sowie zur Vergütung der sämtlichen Heiluqu und Pflegekosten ver-urteilt
Durch Urteil vom 26. April 1913 hat das Obergericht des Kantons Solothurn,
an das nur der Kläger rechtzeitig appelliert hatte, dem Kiäger neben
der bereits erstinstanzlich zuerkansnten Mente und Veng noch 2000
Fr. gestützt auf Art. 8 EHG zugesprochen Ausserdem wurde gemäss Art. 10
EHG die Abänderung des Urteils zu Gunsten der Maria Lan Loosli vorbehalten
und die Beklagte zur Tragung sämtlicher Kosten ver-urteilt '

C. Gegen dieses den Parteien am 29. Mai 1913 zugestellte Urteil hat die
Beklagte am 18. Juni 1918 die Berufung an das Bundesgericht ergriffen,
mit dem Antrage, es sei die der Beklagten auferlegte Genugtuungssumme
von 2000 Fr. zu streichen.

D. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten diesen
Antrag erneuert. Der Vertreter des Klägers hat aus Abweisung der Berufung
und Bestätigung des angefochtenen Urteils geschlossen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Streitig ist nur noch die Genugtuungssumme aus am. 8 EHG. Gemäss
dieser Bestimmung kann der Richter-, wenn die

6. Haftpflicht aus Betrieb der Eisenbahnen, etc. M Tis. 319

Eisenbahimnternehmung ein Verschulden trifft, unter Würdigung der
besonderen Umstände, namentlich in Fällen von Arglist oder grober
Fahrlässigkeit, dem Verletzten auch abgesehen von dem Ersatz
uachweislichen Schadens, eine angemessene Geldsumme zuerkennen.
Voraussetzung der Haftung ist daher in erster Linie, dass die
Eisenbahnunternehmung ein Verschulden treffe, Nach der neueren Praxis
des Bundesgerichtes (vergl. AS 35 II S. 553 f. und den in der Praxis des
Bundesgerichts Bd. I S. 553 f. abgedruckten Entscheid "L. S. Brandli
gegen Schweiz. Bundesbahnen), wie übrigens auch nach dem Wortlaut des
Gesetzes, braucht dieses Verschulden kein grobes zu sein, wenn nur daneben
die besondern Umstände des Falles den Zuspruch einer Genugtuungssumme
rechtfertigen. Da die Beklagte durch den nicht rechtzeitigen Weiterng des
ersiinstauzlichen Urteils ans Obergericht ihre Verpsciehtnng zur Zahlung
einer Rente und zur Vergütung der Heilungsund Pflegekosten prozessualisch
anerkannt hat, könnte es sich fragen, ob darin nicht

' eine Anerkennung auch des ihr Vom Kläger zur Last gelegten

Verschuldens zu erblicken sei. Dies ist zu verneinen, da nach Art. 1
EHG die Eisenbahnunternehmung grundsätzlich auch dann haftbar ist
wenn sie kein Verschuiden trifft. sos dass: die Anerkennung eines die
Vahnunternehmnng zur Gunnachuug des entstandenen Schadens verurteilenden
Eutscheides nicht ohne weiteres auch die Anerkennng eines Verschuldens in
sich schliesst. Jst somit zu untersuchen, ob die Beklagte ein Verschulden
treffe, so fällt zunächst in Betracht, dass der Bahnübergang ursprünglich
Piraten Natur war und als solcher gemäss Art. 3 des: BG betr. die
Handhabung der Bahnpolizei vom 18. Februar 1878 von der Beklagten nicht
zu bewachen gewesen ware... Aus den für das Bundesgericht verbindiichen
Feststellungen der Vorinstanz geht indeser hervor, dass der Übergang
seinen privaten Charakter tatsächlich schon seit längerer Zeit verloren
hat und wie ein öffentlicher begangen und befahren wird. Ebenso steht
fest, dass dessen allgemeine Benutzung mit Wissen und Dulden der Beklagten
stattfand. Unter diesen Umständen ist mit der Vorinstanz zu sagen, dass
sichdie" Beklagte nicht mehr auf die anfänglich bloss private Natur des
Überganges berufenkann, sondern ihn wie einen öffentlichm gemäss am. 16
Abs. 2 des BG über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der

2320 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. [. Materiellrechtliche
Entscheidungen

Schweiz. Eidgenossenschast vom 23. Dezember 1872 zu behandeln, d. h. zu
bewachen hatte. Da die Beklagte dieser Verpflichtung im vorliegenden
Falle nicht nachgekommen ist und dadurch den Unfall verursacht hat, ist
ihr daher diese Unterlassung zum Verschulden anzurechnen Ob auch den
Vater des Kindes ein Verschulden am Unsall treffe, kann dahingesiellt
bleiben, da das Verschulden Dritter die Haftpflicht der Bahn nur dann
ausschliesst, wenn es im Rechtssinne die alleinige Ursache des Unfalles
ist, m. a. W. wenn ausschliessliches Verschulden eines Dritten vorliegt
(vergl. das bereits angeführte Urteil des Bundesgerichtes i. S. Brändli
gegen Schweiz. Bundesbahnen, sowie den dort zitierten Entscheid AS 33
II S. 501 ff.).

2. Hiervon ausgegangen fragt es sich, oh auch die besondern Umstände, die
für die Zusprechung einer Genugtuungssumme erforderlich sind, vorhanden
seien. Aus den von der Vorinstanz geltend gemachten Gründen ist diese
Frage ohne weiteres zu beLahm. Von Bedeutung ist dabei insbesondere,
dass Maria Lan Loosli nach dem Gutachten von Prof. Howald infolge der am
Gehirn erlittenen ' Verletzungen mit der Möglichkeit früher oder später
eintretender Epilepsie rechnen muss, welche Möglichkeit nicht verfehlen
wird, für sie zu einem Grunde beständiger Befürchtungen und zur Ursache
verminderten Lebensgenusses zu werden Mit der Porinstanz ist die der
Verunglückten deshalb zuzusprechende Geldsumme auf 2000 Fr. festzusetzen

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Qbergerichts des Kantons
Solothurn vom 26. April 1918 bestätigt.

?. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 55. 321

7. Haftpflicht für den Fabrikund Gewerbebetrieb. Responsabilité civile
des fabricants.

56. An'èt de 1a, II° section civile du 22 mai 1913 dans la came Pd:,
dem. et rec., contre Reichenbach frères, s. A., déf. et int.

Besponsabflité civile des fabricants. En principe le fahricant n'est pas
responsable des accidents survenus aux ouvriers de son sous-truitant;
cette responsabilité ne 'lui incombe que s'i} exerce une des industries
énumérées el'art. i de la Ioi sur l'extension de la resp. civ.

Francois Reille, entrepreneur de charriage, à Sion, a été chargé par
la Société anonyme Reichenbach frères, fabrique de meubles, à Sion,
de transporter du bois, à raison de tant la tenne, de le gare de Sion
à la fabrique. Au cours du déchargement du bois à la. gare, un billon
est tombe sur JosephAntoine Fux, domestique an service de Reille, lui
causant des lésions qui ont. amené la. mort.

Daniel Fux, pere de la victime de 1'accident, a intente action à Reille,
puis & renoncé à cette action, Reine n'étant pas soumis à. la. loisur
la responsabilité civile des fabricants.

Daus le present procès, il a conclu contre Reichenbach freres
au paiement. d'une indemnité de 2730 fr. Ces conclusions ont été
admises jusqu'à concurrence de 1000 fr. parle Tribunal de première
instance. Sur appel des défendeurs, le Tribunal cantonal a. réformé
ce jugement et. débouté le demandeur de toutes ses conclusions par ce
motif que, lors de l'accident, Fux n'était pas au service de Reichenbach
frères, et. que ceux-oi ne sauraient donc ètre reudus responsables des
conséquences de cet accident, l'art. 2 de la. loi de 1887 snr l'extension
de la responsabilité civile ne leur étant d'ailleurs pas applicable.

Fox a. forme, en temps utile, auprès du Tribunal fédéral un recente en
reforme contre cei, arrét.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 39 II 317
Datum : 16. Januar 1913
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 39 II 317
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : .16 A. Oberste. Zivilgerichtsiustanz I. Materiellrechfliche Entscheidungen. Kapitals,


Gesetzesregister
EHG: 1  8  10
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • ehg • schaden • epilepsie • treffen • vater • vorinstanz • wissen • frage • uhr • benutzung • sachverständiger • vorteil • entscheid • kantonsgericht • solothurn • dauer • richterliche behörde • berechnung
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