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durch die natürliche Beschaffenheit des Gutes, oder durchhöhere Gewalt
herbeigeführt werden ist. Die Einrede nun, dass der Schaden durch
ein Verschulden des Klägers selbst verursacht worden sei, ist aus den
bereits von der Vorinstanz angeführten Gründen abzuweisen ; denn nach
der durchgeführten Expertise kann das Verhalten des Klägers in der Tat
nicht als ein sorgloses bezeichnet werden

Was die Einre de der höheren Gewalt anbetriii't, so ist zunächst
festzuhalten, dass die Beklagte selber behauptet,. die Gepäekstiicke seien
an ihrem Bestimmungsort Laon angekommen ; die Vorinstanz stellt fest,
dass dies in den ersten Tagen des August 1914 der Fall gewesen sei. Der
Schaden ist sonach, laut der eigenen Behauptung der Beklagten, auf der
ausländischen Bahn entstanden, und die schweizerische Bahnverwaltung
hat daher nach Art. 30 Abs. 3 ETrG für denjenigen Schaden zu haften,
für welchen die französische Bahn nach den für sie massgebenden Gesetzen
einzustehen hätte, unter Vorbehalt der Leistung des zweifachen Beweises:

a) dass der Fehler erst nach der Uebergabe an die ausländische Eisenbahn
entstanden ist (was nach dem Gesagten hier zutriil't), und

b) dass nach den Gesetzen und verbindlichen Reglements, unter weichen
die ausländische Eisenbahn steht, von dieser keine Schadloshaltung oder
nur eine geringere verlangt werden kann, als diejenige, welche nach dem
RTrG zu bezahlen wäre;

Es fragt sich daher, ob die Beklagte den Beweis geleistet habe, dass die
französische Bahn sich zu ihrer Entlastung auf höhere Gewalt berufen
könnte. Für diese Frage aber ist das französische Recht massgebend,
und die Vorinstanz hat sie auch unter-,Anwendung dieses Rechtes
beurteilt. Daraus folgt, dass sich ihre Entscheidung in diesem Punkte
der Ueberprüfung durch das Bundesgericht entzieht, weil ja nach Art. 57
OG die Berufung nur darauf gestützt werden kann, dass die Entscheidung
des kanto-Eisenbahnhattpriicht. N° 51. 289

nalen Gerichts auf einer Verletzung des Bundesrechts beruhe. Die
Entscheidung der Vorinstanz, dass der in Laon erfolgte Verlust n i
c ht unter Umständen erfolgt sei, die nach dem hiefür massgebenden
französischen Recht die Befreiung der französischen Bahn wegen nis major
rechtfertigen Würden, ist also für das Bundesgericht verbindlich, und es
hat deshalb ohne weiteres davon auszugehen, es sei nicht bewiesen, dass
von jener Bahn nach den sie beherrschenden Gesetzen und verbindlichen
Reglements keine Schadloshaltung, oder nur eine geringere, verlangt
werden könnte...

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des
Kantons Bern vom 23. November 1917 bestätigt.

VI. EISENBAHNHA F'I'PFLICHT

RESPONSABILITÉ CIVILE DES ENTERPRISES DE (ZHEMINS DFI PER

-51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Juni 1918
i. S. Schweiz. Bundesbahnen, Kreis 3, gegen Hübscher.

Auslegung von Art. l:; Abs. I EHG. Liegt Beteiligung duhaftpflichtigen
Eisenhalmunternehmung an der Prämienzahlung vor ? '

A. Der Kläger Arthur Hübscher, von Beruf Dachdecker, arbeitete als
Geselle bei Daehdeckenneister Bolliger in Aarau. Obwohl dieser der
Fabrikhaftpilichigesetzgebung F wie heute nicht mehr bestritten ist -nicht
unterstand, hatte er doch freiwillig seine Arbeiter bis zum Betrage von
6000 Fr. gegen Unfall versichert

290: Eisehbahnhaftpflicht. N° 51.

und zwar in der Weise, dass er die eine, der versicherte Arbeiter die
andere Hälfte der Prämie trug. ' _Im Frühjahr 1915 betrauten die SBB
Kreis 3 den Bolliger mit der Hauptreparatur des Güterschuppe'n(dachesvder
Station Brugg. Bei dieserArbeit-stürzte der Kläger vom. Dacher Boden und
erlitt eine schwere Verletzung der Wirbelsäule, welche gänzliche Arbeits-

unfähigkeit z-ur'Folge' hatte. Er erhielt deshalb vonder

Versicherungsgesellschait gestützt si auf den von seinem" Arbeitgeber
abgeschlossenen Versicherungsvertrag die ganze Versicherungssumme (6000
Fr.) ausbezahlt.

Mit der vorliegenden Klage belangt er nunmehr die SBB auf Grund des
Eisenbahnhaftptlichtgesetzes auf Bezahlung einer Entschädigung von 40 000
Fr. ev. einer jährlichen Rente von 2100 Fr. ., beginnend am U.nfalltage
Die Beklagte anerkannte grundsätzlich die Haftpflicht für die Folgen des
Unfalles und anerbot dem Kläger eine monatlich praenumerando zahlbare
Rente von 150 Fr., bestritt aber die weitergehenden Begehren der Klage,
indem sie für sich das Recht beanspruchte, den dem Kläger durch die
Unfallversicherung ausgerichteten Betrag an der Haitpflichtentschädigung
ahzuziehen.

B. Durch Urteil vom 13. Oktober 191? hat die I. Appellationskammer des
Obergerichts des Kantons ,Zürich erkannt : Die Beklagte ist verpflichtet,
an den 'Kläger eine jährliche Rente von 1850 Fr. zu bezahlen, zahlbar
in vierteljährlichen Raten, beginnend mit 1. Juni 1915 und endigend mit
dem Tode des Klägers.

G. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende, rechtzeitig und
lormrichtig eingelegte Berufung der ,Beklagten mit dem Antrage : Es sei
das ohergerichtliche Urteil aufzuheben und gerichtlich zu erkennen, es sei

die Beklagte berechtigt, die von der Unfallversicherungs-T gesellschaft
Helvetia für Erwerhsausfall bezahlte Summe von 6000 Fr. an der von der
Bahnverwaltung zu bezah "si Ienden Hattpflichtentschädigung dem Kläger
in Anrechnung zu bringen und daher erst vom 1. Juni 1918 an.Eisenhahnhai
tpilicht. N° 51. 29.1

verpflichtet, an ihn eine lebenslängliche Rente von 1850 Fr. und zwar
zahlbar in monatlichen Raten von 154' F1. 20 (Its, je am Ende emesMonats,
zu v'erssabfolgen. !

D.. In der heutigen mündlichen Verhandlung hat der Vertreter. der
Beklagten die schriftlich gestellten Bemkungsanträge wiederholt; der
Kläger hat auf Abweisung der Berufung antragen lassen.

Das BundeSgericht zieht in Erwägung :

, I. Streitig ist in der Hauptsache nurnoch, ob die Beklagte berechtigt
sei, die vom Kläger bezogene Unfallversicherungssumme auf die von ihr
zu leistende Eisenbahnhaftpflichtentschädigung anzurechnen. Dies Wäre zu
bejahen,' wenn der Arbeitgeber des Klägers, Dachdeckermeister Bolliger,
der Fabrikhaftpflichtgeset'zgebung 'unterstünde; denn dann läge Konkurrenz
zwischen einem Anspruch ,aus .Fabrikhaftpflicht und einem solchen aus
Eisenbahnhait'pflicht vor-(AS 33 II S.. 508) und es stünde der Anrechnung
auch die Tatsache nicht entgegen, dass der Kläger selbst-die Hälfte der
Versicherungsprämie bezahlt hat (vergl. Art. 9v FHG). Allein die Parteien
sind heute darüber einig, dass Bolliger der Haftpflichtgesetzgehung nicht
unterworfen war, und es ist demnachdie 'Rechtslage die, dass der Kläger
die Versicherungssumn'ie gestützt auf einen von Bolliger zu ,seinen
Gunsten abgesehlossenen Personenversieherungsv'ertrag erhalten hat,
wobei: er dieeine, Bolliger die andere Hälfte der Prämie trug. Es kann
sich daher bloss fragen, ob nicht Zwischen dem Anspruch aus

dieser Versicherung und demjenigen gegen ,die Beklagte

aus Eisenbahnhaftpilichtrecht ein Konkurrenzverhältnis bestehe, kraft
dessen die Beklagte in dem Umfange, in

Edeln-der Kläger für seinen Schaden bereits durch die _
Versichemngs'summeDeckung,erhalten hat oder wenigstens für einen
Bruchteil die'serSumme von der Zahlungspflicht befreit sei. Eine solche
Anspruchskonkurrenz ist

nun-allerdings in Art. 13 Abs. l'El-IG für den Fall vor-

Èîèz Eisenbahnhaftpllicht. N° 51.

gesehen, dass sich die haftpflichtige Eisenbahnunternehmnng an
der Bezahlung der Beiträge oder Prämien für die Unfallversicherung
des Verletzten beteiligt hat, indem ihr dann das Recht zusteht, die
Versicherungssumme, welche dieser erhalten hat, zu dem Teile, die ihrer
Beitragsleistung entspricht, von der Schadenersatzsumme in Abzug zu
bringen. Lage hier ein Fall dieser Art vor, so erschiene das Begehren der
Beklagten prinzipiell als begründet, wobei immerhin die Anrechnung, da
der Kläger für die Hälfte der Prämie selbst aufgekommen ist, sich nur auf
diesen Teil der Versicherungssumme erstrecken könnte. Mit der Vorinstanz
ist jedoch davon auszugehen, dass die erwähnte Bestimmung des EHG im
vorliegenden Falle nicht anwendbar ist. Freilich kann die Zulässigkeit
der Anrechnung nicht schon, wie es im angefochtenen Urteil geschieht, mit
der Begründung abgelehnt werden, dass die Auffassung der Beklagten. ihr
Prämienanteil sei in dem an Bolliger bezahlten Werklohn inbegriffen,
nicht Stich halte. Denn die Beklagte hat sich nicht auf jenes Argument
beschränkt, sondern auch noch den weiteren Standpunkt eingenommen, sie
habe den Arbeitgeber des Klägers in dem mit ihm eingegangenen Werkvertrage
verpflichtet, seine Arbeiter, also auch den Kläger, gegen Unfall zu
versichern, und es sei die Sache rechtlich so zu betrachten, wie wenn
sie den Personenversicherungsvertrag abgeschlossen hätte, weshalb sie
auch berechtigt sein müsse, ihn als schuldbefreiende Tatsache i. S. von
Art. 13 Abs. 1 EHG anzurufen. Hätte Bolliger die Versicherung erst im
Anschluss an den Vertrag mit der Beklagten abgeschlossen, so könnte sich
Hagern-ob diese Argumentation zutreffend sei. Hier liegen indessen die
Verhältnisse anders ; denn es steht fest, dass der Versicherungsvertrag,
gestützt auf den der Klägerdie 6000 Fr. erhalten hat, schon zu Recht
bestand, als die Beklagte mit Bolliger kontrahierte. Somit sind aber
durch die im Werkver-trage dem Arbeitgeber des Klägers auferlegte Ver-
Eisenbahnhaftpflicht. N° 51. 293

pflichtung zu Gunsten des letztern keine Rechte begründet werden, die
ihm nicht schon vorher zugestanden hätten. Durch den Abzug der Hälfte der
Prämie vom Lohn hatte Bolliger bereits kraft Dienstvertrages dem Kläger
gegenüber die Pflicht übernommen, ihn gegen Unfall zu versichern, und
es war dem Kläger, da eine Haftpflichtversicherung nicht in Frage stand,
aus dem Versicherungsvertrageeineigener, selbständiger Anspruch auf die
Versicherungssumme entstanden, schon bevor die Beklagte mit Bolliger in
vertragliche Beziehungen trat. Ist dem aber so, so kann die Tatsache,
dass die Beklagte dem Bolliger noch besonders die tatsächlich bereits
vorgenommene Versicherung seiner Arbeiter auf-

erlegte, nicht als Beteiligung an dieser Versicherung im

Sinne von Art. 13 EHG aufgefasst werden, sondern es müssen die vom Kläger
bezogenen 6000 Fr. als ein schon vor dem Unfall von ihm aus eigenen
Mitteln erworbener Vermögenswert bezeichnet werden, der ihm durch einen
von seinem Arbeitgeber mit der Beklagten geschlossenen Werkvertrag nicht
genommen werden kann.

2. Das Begehren der Beklagten, es habe die Bezahlung der Rente in
monatlichen, statt, wie der Kläger beantragt, in vierteljährlichen
Raten zu erfolgen, ist zu schützen mit Rücksicht darauf, dass dieser
Zahlungsmodus den in der Verwaltung der SBB für die Ausbe .zahlung
der Löhne geltenden Grundsätzen entspricht und dem Kläger hiedurch ein
wesentlicher Rechtsnachteil nicht erwächst.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird in dem beschränkten Sinne gutgeheissen, dass die Rente
je am Ende eines Monats zu bezahlen ist; im übrigen wird das Urteil der
I. Appellationslcammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Oktober
1917 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 44 II 289
Datum : 17. Juni 1918
Publiziert : 31. Dezember 1919
Quelle : Bundesgericht
Status : 44 II 289
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 288 Eisenbahntransportreeht. N° 50. durch die natürliche Beschaffenheit des Gutes,


Gesetzesregister
EHG: 13
FHG: 9v
OG: 57
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • arbeitgeber • vorinstanz • schaden • ehg • monat • sbb • frage • beginn • versicherer • bezogener • höhere gewalt • versicherungsvertrag • kreis • werkvertrag • bruchteil • entscheid • kantonsgericht • begründung des entscheids
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