2024 VII/1

Auszug aus dem Urteil der Abteilung VI
i.S. A., B., C und D. gegen Staatssekretariat für Migration
F-1451/2022 vom 27. März 2024

Nationales humanitäres Visumverfahren. Keine Übertragbarkeit der Asylpraxis des SEM betreffend weibliche Personen aus Afghanistan.

Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
AsylG. Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
VEV.

1. Für die Erteilung eines humanitären Visums genügt das Vorliegen einer abstrakten Gefährdung nicht (E. 7.3-7.6 und 8.4).

2. Die Praxis des SEM für asylsuchende Frauen und Mädchen aus Afghanistan gelangt im humanitären Visumverfahren nicht zur Anwendung (E. 7.1 f.).

3. Das blosse Merkmal des weiblichen Geschlechts reicht auch unter Berücksichtigung der aktuellen Machtverhältnisse in Afghanistan nicht aus, um im konkreten Einzelfall offensichtlich eine unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
VEV zu begründen (E. 8.4).

Procédure d'octroi du visa humanitaire national. Pas d'application de la pratique du SEM en matière d'asile pour les personnes de sexe féminin venant d'Afghanistan.

Art. 3 LAsi. Art. 4 al. 2 OEV.

1. La présence d'une menace abstraite ne suffit pas pour l'octroi d'un visa humanitaire (consid. 7.3-7.6 et 8.4).

2. La pratique du SEM à l'endroit des jeunes filles et des femmes afghanes ayant requérant l'asile ne trouve pas application dans le contexte de la procédure de visa humanitaire (consid. 7.1 s.).

3. Dans le cas particulier, même en tenant compte des rapports de force actuels en Afghanistan, la seule appartenance au sexe féminin ne permet pas de retenir l'existence manifeste d'une menace directe, sérieuse et concrète au sens de l'art. 4 al. 2 OEV (consid. 8.4).

Procedura di rilascio di un visto umanitario nazionale. La prassi della SEM in materia d'asilo inerente alle persone di sesso femminile provenienti dall'Afghanistan non si applica.

Art. 3 LAsi. Art. 4 cpv. 2 OEV.

1. L'esistenza di una minaccia astratta non è sufficiente per il rilascio di un visto umanitario (consid. 7.3-7.6 e 8.4).

2. La prassi della SEM inerente alle richiedenti d'asilo non si applica alle procedure di visto umanitario (consid. 7.1 segg.).

3. Nella fattispecie, pur tenendo conto degli attuali rapporti di forza in Afghanistan, la sola appartenenza al sesso femminile non permette di ritenere manifestamente l'esistenza di una minaccia diretta, seria e concreta ai sensi dell'art. 4 cpv. 2 OEV (consid. 8.4).

Am 25. November 2021 ersuchten die Beschwerdeführenden (allesamt afghanische Staatsangehörige) bei der Schweizer Botschaft in Pakistan um die Erteilung humanitärer Visa.

Mit Verfügung vom 29. November 2021 verweigerte die Schweizer Botschaft die Ausstellung der Visa.

Die dagegen erhobene Einsprache der Beschwerdeführenden wies das Staatssekretariat für Migration (SEM) am 24. Februar 2022 ab.

Gegen diese Verfügung erhoben die Beschwerdeführenden am 28. März 2022 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

7.

7.1 Die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in vielen Lebensbereichen kontinuierlich verschlechtert (s. Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, Situation des femmes et des filles en Afghanistan - Rapport du Rapporteur spécial sur la situation des droits de l'homme en Afghanistan et du Groupe de travail sur la discrimination à l'égard des femmes et des filles vom 15. Juni 2023, A/HRC/53/21). Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz im Asylbereich für asylsuchende afghanische Frauen und Mädchen eine neue Praxis entwickelt, die per 17. Juli 2023 in Kraft getreten ist: " Neukönnen weibliche Asylsuchende aus Afghanistan sowohl als Opfer diskriminierender Gesetzgebung als auch einer religiös motivier-
ten Verfolgung betrachtet werden - wenn nicht ohnehin andere flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmotive zum Tragen kommen. Ihnen ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. " Dies geschieht nicht automatisch, sondern wird bei jedem Gesuch einzeln geprüft und entschieden (SEM, Faktenblatt " Praxisänderung weibliche afghanische Asylsuchende " vom 26. September 2023, < www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/
asyl/afghanistan/230926-fakten-afg-praxisaenderung.pdf.download.pdf/2
30926-fakten-afg-praxisaenderung-d.pdf >, abgerufen am 27.03.2024).

7.2 Die Praxis der Vorinstanz im Bereich des Asyls lässt sich allerdings nicht auf das humanitäre Visumverfahren übertragen. Mit der dringlichen Änderung des Asylgesetzes vom 28. September 2012 (AS 2012 5359) per 29. September 2012 wurde die Möglichkeit aufgehoben, bei einer Schweizer Auslandsvertretung ein Asylgesuch einzureichen. Der Bundesrat hielt in diesem Zusammenhang in seiner Botschaft vom 26. Mai 2010 zur Änderung des Asylgesetzes (BBl 2010 4455, 4490) unter Hinweis auf die Wahrung der humanitären Tradition der Schweiz ausdrücklich fest, dass auch in Zukunft unmittelbar, ernsthaft und konkret gefährdete Personen den Schutz der Schweiz durch die Erteilung eines humanitären Visums erhalten sollen. Im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung humanitärer Visa wurden die Einreisevoraussetzungen indes noch restriktiver ausgestaltet, als dies beim früheren sogenannten " Botschaftsasyl " der Fall war (BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3; 2015/5 E. 4.1.2 f.; BBl 2010 4455, 4490).

7.3 Das humanitäre Visum ist ein auf besonders gefährdete Einzelfälle ausgerichtetes Rechtsinstitut. Die entsprechenden Gesuche sind nach Massgabe der spezifischen Gegebenheiten unter Berücksichtigung der aktuellen Gefährdungssituation einzelfallweise zu beurteilen (vgl. Urteile des BVGer F-4361/2022 vom 16. Oktober 2023 E. 5.5; F-4138/2022 vom 10. August 2023 E. 3.3.5; F-3986/2019 vom 22. Oktober 2020 E. 6). Im Gegensatz zu den ehemals bis 2012 zulässigen Asylgesuchen aus dem Ausland richten sie sich an eine enger definierte Personengruppe. Ein humanitäres Visumgesuch wird im Rahmen eines Individualverfahrens beurteilt, welches nicht auf die Prüfung einer grossen Anzahl von Gesuchen in regionalen Krisensituationen ausgerichtet ist (SEM, Faktenblatt " Humanitäre Visa " vom 28. Januar 2022, S. 2, home/suche.html#faktenblatt%20humanit%C3%A4re%20visa>, abgerufen am 27.03.2024).

7.4 Die Erteilung eines Visums aus humanitären Gründen setzt unter anderem voraus, dass eine Person im Heimat- oder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist ([...]). Mit anderen Worten muss die Gefährdung gegenwärtig und von hinreichender Intensität sein. So bejahte die Rechtsprechung ein effektiv erhöhtes Risikoprofil im Fall exponierter Persönlichkeiten wie beispielsweise einem ehemaligen in Afghanistan tätigen Staatsanwalt, der im Bereich terroristischer Straftaten der Taliban ermittelt hatte (Urteil des BVGer F-3406/2022 vom 24. August 2023 E. 5.1 f.), einer afghanischen Frauenrechtsaktivistin, deren vier ehemalige Mitstreiterinnen allesamt von den Taliban gezielt getötet wurden (Urteil F-4361/2022 E. 5.1 ff.), oder einer Fernsehmoderatorin, die bis zur Machtübernahme im Land durch die Taliban unter anderem während neun Jahren bei einem afghanischen Fernsehsender öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten war (Urteil des BVGer F-3559/2022 vom 20. April 2023 E. 3.5.1). Hingegen genügt eine rein hypothetische Gefahr aufgrund eines lediglich abstrakten Risikoprofils nicht, um ein humanitäres Visum zu erhalten (vgl. Urteile des BVGer F-4179/2022 vom 2. Oktober 2023 E. 6.3 f.;
F-4139/2022 vom 19. Juni 2023 E. 5.1 f.). Die betroffene Person muss der Gefährdung stärker als jede andere Person, mithin mehr als der Rest der Bevölkerung im Heimat- oder Herkunftsstaat, ausgesetzt sein (vgl. Urteile des BVGer F-4615/2022 vom 4. Oktober 2023 E. 4.1; F-5646/2018 vom 1. November 2018 E. 5.3.2 [nicht publ. in: BVGE 2018 VII/5]; Félix/Sieber/Chatton, Le " nouveau " visa humanitaire national: précision de cette notion à la lumière de la jurisprudence du Tribunal administratif fédéral, ASYL 3/2019 S. 12).

7.5 Einzig das Vorliegen eines möglichen asylrelevanten Fluchtgrundes reicht für die Erteilung eines humanitären Visums nicht aus (vgl. BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3). Die Frage, ob die betroffene Person die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
AsylG erfüllt, ist erst im Rahmen eines asylrechtlichen Verfahrens nach Einreichung eines Asylgesuchs in der Schweiz zu entscheiden. Dabei kann allein aus dem Umstand der Erteilung eines humanitären Visums im Sinne von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
der Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV, SR 142.204) nicht bereits auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung gemäss Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
AsylG geschlossen werden (s. Urteile des BVGer D-295/2021 vom 16. März 2022 E. 6.1 m.w.H.; ferner E-5472/2020 vom 7. September 2021 E. 5.3; E-550/2021 vom 18. März 2021 E. 5.2.3).

7.6 Hinzu kommt, dass für die Erteilung eines humanitären Visums im Gegensatz zum Asylrecht ein erhöhtes Beweismass gilt. Praxisgemäss muss die Gefährdung im Sinne von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
VEV offensichtlich sein; eine blosse Glaubhaftmachung genügt nicht (BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3; 2015/5 E. 4.1.3; ferner Urteile des BVGer F-1077/2022 vom 21. Februar 2024 E. 5.4.1 [zur Publikation vorgesehen]; F-4626/2021 vom 13. April 2023 E. 3.3; F-4827/2021 vom 13. März 2023 E. 3.4). Im humanitären Visumverfahren sind die Verfahrensabläufe einfacher als im Asylverfahren. Eine asylrechtliche Befragung hat im ausländerrechtlichen Visumverfahren nicht zu erfolgen (vgl. BVGE 2015/5 E. 4.1.2; Urteil des BVGer D-68/2015 vom 24. März 2015 E. 5.1; BBl 2010 4455, 4490). Die Voraussetzungen der Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
VEV sind somit anders gelagert als diejenigen von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
AsylG (vgl. Urteile D-295/2021 E. 6.1; E-5472/2020 E. 5.3; E-550/2021 E. 5.2.3). Dies entspricht nicht zuletzt dem klaren Willen des Gesetzgebers, als er die Möglichkeit der Stellung eines Asylgesuchs im Ausland per 2012 aufhob (s. E. 7.2 hiervor).

8.
8.1-8.3(...)

8.4 Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 kontinuierlich verschlechtert hat. Davon sind jedoch alle Frauen und Mädchen in Afghanistan - und nicht einzig die Beschwerdeführenden individuell - in ähnlicher Weise betroffen. Das blosse Merkmal des weiblichen Geschlechts reicht auch unter Berücksichtigung der aktuellen Machtverhältnisse in Afghanistan nicht aus, um im konkreten Einzelfall offensichtlich eine unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
VEV zu begründen. Eine besonders gelagerte Gefährdungssituation im Vergleich zu anderen in Afghanistan lebenden Personen, namentlich auch anderen Frauen und Mädchen, vermochten die Beschwerdeführenden nicht aufzuzeigen. Dass sie infolge Nichtbefolgens der frauenfeindlichen Regeln Drohbriefe erhalten haben oder verbalen Drohungen ausgesetzt waren, mithin von den Taliban gezielt verfolgt wurden, ist nicht rechtsgenüglich dargetan ([...]). Auch die in der Beschwerde zitierten Berichte zur allgemeinen Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan lassen keine Rückschlüsse auf eine personenspezifische Gefährdung der Beschwerdeführenden an
Leib und Leben zu. Folglich sind die Beschwerdeführenden nicht einer akuten Gefährdung ausgesetzt, die sie mehr als andere Frauen und Mädchen in Afghanistan betrifft. Sie sind mit den gleichen Schwierigkeiten wie zahlreiche verwitwete Frauen und deren Kinder in Afghanistan konfrontiert. Sie weisen kein nennenswertes Risikoprofil auf (s. E. 7.4 f. hiervor).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 2024/VII/1
Datum : 27. März 2024
Publiziert : 09. Dezember 2024
Quelle : Bundesverwaltungsgericht
Status : 2024/VII/1
Sachgebiet : VII (Ausländerrecht, Bürgerrecht)
Gegenstand : Nationales Visum


Gesetzesregister
AsylG: 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
VEV: 4
SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)
VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
1    Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen:
a  Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen.
b  Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen.
2    Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist.
Stichwortregister
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afghanistan • asylrecht • bundesverwaltungsgericht • asylgesetz • vorinstanz • geschlecht • leben • betroffene person • entscheid • visum • begründung des entscheids • gerichts- und verwaltungspraxis • schweizer bürgerrecht • beurteilung • bericht • frage • wiese • opfer • einreise • beweismass
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AS
AS 2012/5359
BBl
2010/4455
ASYL
3/19 S.12 S.12