113 Ia 26
5. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1987 i.S. S. gegen X. AG und Mitbeteiligte, Handelsgericht und Kassationsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Zuständigkeit des Kassationsgerichts, Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde bei Verzicht auf die eidgenössische Berufung (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 1. Ist die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde nur zulässig, soweit keine eidgenössische Berufung möglich ist, so kann ihre Zulässigkeit willkürfrei auch bei vertraglichem Verzicht auf die Berufung verneint werden (E. 1).
- 2. Bei gültigem Verzicht auf das ordentliche Rechtsmittel der eidgenössischen Berufung kann nicht ersatzweise staatsrechtliche Beschwerde wegen verfassungswidriger Anwendung von Bundeszivilrecht erhoben werden (E. 3a).
- 3. Schranken des Verzichts (E. 3b).
Regeste (fr):
- Compétence du tribunal de cassation, recevabilité du recours de droit public en cas de renonciation au recours en réforme fédéral (art. 4 Cst., art. 426 al. 2 LPC/SG).
- 1. Lorsque le recours en nullité cantonal n'est recevable que s'il n'est pas possible de recourir en réforme au Tribunal fédéral, on peut sans arbitraire nier la recevabilité dudit recours également en cas de renonciation contractuelle à la voie du recours en réforme (consid. 1).
- 2. En cas de renonciation valable à la voie ordinaire du recours en réforme fédéral, on ne peut pas former, en lieu et place de ce recours, un recours de droit public fondé sur une application contraire à la constitution du droit fédéral (consid. 3a).
- 3. Limites de la renonciation (consid. 3b).
Regesto (it):
- Competenza del tribunale di cassazione, ammissibilità del ricorso di diritto pubblico in caso di rinunzia al ricorso per riforma federale (art. 4 Cost., art. 426 cpv. 2 CPC/SG).
- 1. Ove il ricorso per cassazione cantonale sia ammissibile soltanto se non sia possibile ricorrere per riforma al Tribunale federale, può negarsi senza arbitrio l'ammissibilità di detto ricorso anche nel caso di rinunzia convenzionale al ricorso per riforma (consid. 1).
- 2. In caso di valida rinunzia al rimedio giuridico ordinario costituito dal ricorso per riforma federale, non può proporsi, in luogo e vece di tale gravame, un ricorso di diritto pubblico fondato su di un'applicazione contraria alla Costituzione del diritto civile federale (consid. 3a).
- 3. Limiti della rinunzia (consid. 3b).
Sachverhalt ab Seite 27
BGE 113 Ia 26 S. 27
A.- Mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Mai 1979 schlossen sich S., die X. AG und zwei weitere Firmen zu einer einfachen Gesellschaft zusammen, deren Zweck einerseits in der Aufteilung des Marktes eines bestimmten Vertragsgebiets in feste Marktanteile (Kontingente) und anderseits in der Durchsetzung einheitlicher Preise und Konditionen gegenüber den Abnehmern bestand. Die Parteien sahen für Kontingentsüberschreitungen eine Ausgleichsabgabe und für jede Vertragsverletzung überdies eine Konventionalstrafe von Fr. 10'000.-- vor. Ein durch Dr. D. geführtes Sekretariat hatte unter anderem als Inkassostelle zu amten und die Einhaltung der Kontingente zu überwachen. Gemäss Ziffer 22 des Vertrags sollten sämtliche damit zusammenhängenden Streitigkeiten vorbehältlich der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde durch das Handelsgericht des Kantons St. Gallen "als einzige und letzte Instanz" beurteilt werden. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern hielt das Sekretariat für S. eingegangene Zahlungen über insgesamt Fr. 262'895.30 mit der Begründung zurück, der Betrag werde mit von S. verwirkten Konventionalstrafen verrechnet.
B.- Die Klage von S. gegen die übrigen Gesellschafter auf Auszahlung der zurückbehaltenen Summe hiess das Handelsgericht des Kantons St. Gallen am 19. Dezember 1985 vollumfänglich, die von den Beklagten erhobene Widerklage auf Zahlung von 3 Millionen Franken Konventionalstrafe und Fr. 3'790.-- Ausgleichsabgaben im Umfang von Fr. 702'145.-- gut und verpflichtete den Kläger zur Zahlung des Saldos von Fr. 439'249.70 nebst Zins. Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers wies das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 22. August 1986 ab, soweit es darauf eintrat.
C.- Der Kläger hat die Urteile des Handels- und des Kassationsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 113 Ia 26 S. 28
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Das Kassationsgericht ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten, soweit der Beschwerdeführer mit ihr eine Verletzung eidgenössischen Rechts durch unrichtige Auslegung des Gesellschaftsvertrags und unzutreffende Anwendung von Art. 163 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
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1 | Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
2 | Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist. |
3 | Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen. |
Der Beschwerdeführer wirft dem Kassationsgericht vor, es habe damit seine Kognition willkürlich eingeschränkt und ihm das rechtliche Gehör verweigert. Der vertragliche Ausschluss der Berufung könne nicht zu einer grösseren Beschränkung der Kognition des Kassationsgerichts führen, als wenn die Berufung aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift ausgeschlossen sei. Überdies setze sich das Kassationsgericht in Widerspruch zu Art. 427 Ziff. 1 ZP/SG und zu seiner bisherigen Praxis. Schliesslich wäre es willkürlich, wenn der Beschwerdeführer wegen des im Jahr 1979 erklärten Verzichts auf die Berufung jeder Möglichkeit beraubt würde, eine Vertragsauslegung zu rügen. a) Da nicht ein unmittelbar aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 113 Ia 26 S. 29
vertretbar oder gar zutreffender erschiene. Das Bundesgericht greift erst dann ein, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist (BGE 112 Ia 27 E. 1c mit Hinweisen). b) Es ist offensichtlich haltbar, aufgrund von Art. 426 Abs. 2 ZP/SG die Überprüfung der Anwendung von Bundeszivilrecht durch das Kassationsgericht auf die Fälle zu beschränken, in denen eine Überprüfung durch das Bundesgericht von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Weder Gründe der Gleichbehandlung noch Art. 427 Ziff. 1 ZP/SG gebieten es, auch derjenigen Partei eine Kontrollmöglichkeit durch das Kassationsgericht zu eröffnen, die freiwillig auf die Kontrolle durch das Bundesgericht verzichtet hat und sich deshalb nicht darüber beklagen kann, sie sei jeder Möglichkeit beraubt worden, eine Vertragsauslegung zu rügen. Art. 427 Ziff. 1 ZP/SG nennt zwar als Nichtigkeitsgrund unter anderem die Verletzung einer Bestimmung des Bundesrechts, die auf die Beurteilung der Streitsache von wesentlichem Einfluss ist. Dadurch wird jedoch die auf Fälle von Streitsachen unter Fr. 8'000.-- beschränkte Zulässigkeit der mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbaren Verletzungen von Bundeszivilrecht (LUTZ, Kommentar, N. 6 zu Art. 426 ZP/SG) nicht erweitert. Unbehelflich ist auch der Hinweis auf ein früheres Urteil des Kassationsgerichts, räumt doch der Beschwerdeführer selbst ein, dass in jenem Entscheid die Berufung von Gesetzes wegen, also nicht zufolge eines vertraglichen Verzichts ausgeschlossen war. Der vorliegende Verzicht ist im übrigen nicht dem Vorausverzicht auf die Nichtigkeitsbeschwerde gleichzusetzen, den das Kassationsgericht im angefochtenen Urteil ausdrücklich als unzulässig erachtet. Der zu beurteilende Sachverhalt weist vielmehr eine Parallele zum in BGE 98 Ia 647 beurteilten auf, wo das Bundesgericht beim Verzicht auf die Anrufung einer oberen kantonalen Instanz aus ähnlichen Erwägungen wie das Kassationsgericht nicht auf eine staatsrechtliche Beschwerde eingetreten ist (S. 648 f. E. 2).
3. Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, das Handelsgericht habe es in willkürlicher Anwendung von Art. 163 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
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1 | Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
2 | Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist. |
3 | Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen. |
BGE 113 Ia 26 S. 30
1,4 Millionen Franken und nicht in Beziehung zu den tatsächlich gewährten Rabatten von lediglich Fr. 11'729.50 oder zum Umsatz von rund Fr. 280'000.-- gesetzt zu haben, den der Beschwerdeführer mit den Rabattlieferungen erzielt haben will. Gleich wie bei der auf Fr. 50'000.-- herabgesetzten Konventionalstrafe für überhöhte Preise hätte berücksichtigt werden müssen, dass viele Baustellen mit einer Menge unter 5 m3 Beton beliefert worden seien. Der Verdacht liege nahe, dass es den Beschwerdegegnerinnen mit der Konventionalstrafe darum gegangen sei, einen missliebigen Konkurrenten aus dem Weg zu schaffen.
a) Die Mitanfechtung des handelsgerichtlichen Urteils hält zwar vor dem Fristerfordernis von Art. 89 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
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1 | Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden. |
2 | Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist. |
3 | Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen. |
BGE 113 Ia 26 S. 31
Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 502; zur Schranke der Verzichtsmöglichkeit BGE 79 II 236 ff. E. 3). Demgegenüber sind die höchstpersönlichen und unveräusserlichen subjektiven Rechte der Parteidisposition entzogen und damit als Prozessgegenstand einem Rechtsmittelverzicht nicht zugänglich. Dazu zählen etwa persönliche Status- und Familienrechte (BGE 79 II 237), gewisse Persönlichkeitsrechte (im wirtschaftlichen Bereich namentlich die Schutzrechte aus Art. 27
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 27 - 1 Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
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1 | Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
2 | Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken. |