112 Ia 5
2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. April 1986 i.S. Gemeinde Samedan gegen X. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Lädt ein Gericht eine Partei erst am Morgen des Vortags zu einem Augenschein ein mit der Folge, dass sich diese nicht ordnungsgemäss vertreten lassen kann, so verweigert es ihr das rechtliche Gehör (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; refus du droit d'être entendu en raison d'une citation tardive à une inspection locale.
- La citation d'une partie à une inspection locale parvenue à son destinataire la veille au matin constitue un refus du droit d'être entendu de la part du tribunal, si le caractère tardif de l'invitation a pour conséquence que la partie ne peut pas se faire dûment représenter (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 4 Cost.; diniego del diritto di essere sentito, avvenuto mediante una convocazione tardiva a un sopralluogo.
- La convocazione di una parte a un sopralluogo, pervenuta al suo destinatario il mattino del giorno precedente, costituisce un diniego da parte del tribunale del diritto di essere sentito, se la tardività della convocazione ha per effetto che la parte non è in grado di farsi debitamente rappresentare (consid. 2).
Erwägungen ab Seite 5
BGE 112 Ia 5 S. 5
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführerin sieht sich dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, dass sie zu spät zum Augenschein eingeladen worden sei und sich deshalb nicht durch einen Rechtsanwalt daran habe vertreten lassen können. a) ...
b) Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst von den kantonalen Verfahrensbestimmungen umschrieben; erst wo sich dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 112 Ia 5 S. 6
sie das in den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Formen zu tun und die Grundsätze des rechtlichen Gehörs zu beachten (BGE 104 Ib 122 E. 2c mit Hinweisen). Die an einem Verfahren Beteiligten, zu denen hier auch die Gemeinde Samedan gehört, haben Anspruch darauf, zu einem Augenschein gehörig beigezogen zu werden. Eine Ausnahme würde nur gelten, wenn schützenswerte Interessen Dritter oder des Staates oder eine besondere Dringlichkeit etwas anderes gebieten oder wenn der Augenschein seinen Zweck nur erfüllen kann, wenn er unangemeldet durchgeführt wird. In einem solchen Fall genügt es, wenn die betreffende Partei nachträglich zum Beweisergebnis Stellung nehmen kann (BGE 105 Ia 49 /50 E. 2a; BGE 104 Ia 71 E. 3b; BGE 104 Ib 121 E. 2a). Der erwähnte Anspruch auf gehörigen Beizug zu einem Augenschein umfasst auch das Anrecht auf eine rechtzeitige Vorladung. Danach sind die Adressaten so früh vorzuladen, dass sie rechtzeitig erscheinen können. Diese unmittelbar aus dem Gehörsanspruch von Art. 4
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BGE 112 Ia 5 S. 7
und die zu erwartende Lärmbelastung wurden auch Rechtsfragen erörtert. So geht etwa unmittelbar aus dem angefochtenen Entscheid hervor, dass der Vertreter der Bauherrin ausgeführt habe, Starts und Landungen von der Bauparzelle aus seien von Bundesrechts wegen verboten. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, von deren Beantwortung durch den Vertreter der Bauherrin das Verwaltungsgericht ausgegangen ist. Sodann führten verschiedene Aussagen des Vertreters der Bauherrin über die Art der Nutzung der projektierten Baute und die zu erwartenden Lärmimmissionen zu einer entsprechenden Behaftung. Dabei handelt es sich nicht um die Feststellung objektiv gegebener Tatsachen, sondern um die einseitige Darstellung des künftigen Zustandes durch eine Prozesspartei. Diese Ausführungen wurden von deren Anwalt in Kenntnis der massgebenden Vorschriften über den Immissionsschutz vorgetragen und waren für den Ausgang des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht entscheidend. Auch dieser Umstand hätte eine rechtskundige Vertretung der Beschwerdeführerin geboten. Verhält es sich so, hätte die Beschwerdeführerin Gelegenheit haben müssen, sich am Augenschein durch eine rechtskundige Person vertreten zu lassen. Das war ihr angesichts der ausserordentlich kurzen Vorladungsfrist kaum mehr möglich und deshalb nicht zuzumuten. Sie durfte sich unter diesen Umständen darauf verlassen, dass ihr zumindest nachträglich die Möglichkeit eingeräumt werde, zum Beweisergebnis und zu den Vorbringen des Vertreters der Bauherrin Stellung zu nehmen. Mangels gehöriger Möglichkeit einer nachträglichen Stellungnahme wurde ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Aussicht besteht, dass nach erneuter Prüfung des Falls in einem korrekten Verfahren anders entschieden würde (BGE 105 Ia 51 E. 2c mit Hinweisen).