TPF 2005 145, p.145

38. Auszug aus dem Entscheid der Beschwerdekammer in Sachen A. gegen, Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt vom 5. Juli 2005 (BB.2005.27)

Kognition. Akteneinsicht.

Art. 116 BStP

Stehen keine Zwangsmassnahmen zur Diskussion, so beschränkt sich die Kognition der Beschwerdekammer auf Rechtsverletzungen und damit im Bereich des Ermessens auf Ermessensmissbrauch und -überschreitung (E. 2.1).
Die Frage, ob eine erste einlässliche Einvernahme erfolgt ist, kann nicht allein anhand einer isolierten Betrachtung der Voruntersuchung entschieden werden; vielmehr sind die im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren getätigten Erhebungen zu berücksichtigen (E. 3.3).

Cognition. Droit à la consultation du dossier.
Art. 116 PPF

Si la contestation ne porte pas sur une mesure de contrainte, le pouvoir de cognition de la Cour des plaintes se limite à la violation de la loi et ainsi, dans le domaine de l'exercice du pouvoir d'appréciation, à l'abus et à l'excès de ce dernier (consid. 2.1).

La question de savoir si une première audition complète a eu lieu ou non ne doit pas être résolue au seul vu du dossier de l'instruction préparatoire, mais en prenant encore en considération les éléments de l'enquête de police judiciaire (consid. 3.3).

Potere cognitivo. Consultazione degli atti.

Art. 116 PP

Se non entrano in linea di conto provvedimenti coercitivi, il potere cognitivo della Corte dei reclami penali si limita a violazioni del diritto e pertanto all'ambito dell'abuso e dell'eccesso del potere d'apprezzamento (consid. 2.1).
Sulla sola base di una considerazione isolata dell'istruzione preparatoria non è possibile decidere se abbia avuto luogo un primo interrogatorio esauriente; occorre piuttosto tener conto dei rilevamenti effettuati nell'ambito della procedura delle indagini preliminari della polizia giudiziaria (consid. 3.3).

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Zusammenfassung des Sachverhalts:

Im Verfahren gegen A. und Mitbeteiligte wegen Beteiligung an bzw. Unterstützung einer kriminellen Organisation wies der Untersuchungsrichter ein Gesuch des A. um Akteneinsicht ,,einstweilen" ab. Der Untersuchungsrichter hielt dabei fest, die Akteneinsicht könne erst nach einer ersten einlässlichen Einvernahme erfolgen.

Die Beschwerdekammer hiess die Beschwerde gut.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Die Art. 214 ff . BStP haben nicht den Sinn, der Beschwerdekammer die Möglichkeit zu geben, auf Beschwerde gegen eine im Ermessen des Untersuchungsrichters liegende Amtshandlung hin nach eigenem freiem Ermessen zu prüfen, ob sich diese Handlung rechtfertige oder nicht. Es ist nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, ihr Ermessen an die Stelle desjenigen des Untersuchungsrichters zu setzen und ihm damit die Verantwortung für die Führung der Untersuchung abzunehmen. Bei Beschwerden gegen dessen Amtshandlungen hat die Beschwerdekammer deshalb nur zu entscheiden, ob der Untersuchungsrichter die Grenze zulässigen Ermessens überschritten habe (BGE 96 IV 139, 142 E. 2; 95 IV 45, 47 E. 2; 90 IV 239, 240 E. 2; 83 IV 179, 182 E. 4b; 77 IV 56; vgl. auch Urteile der Anklagekammer des Bundesgerichts 8G.7/2000 vom 20. April 2000 E. 1 sowie 8G.41/1998 vom 9. Juli 1998 E. 2a und [sinngemäss] die Entscheide der Beschwerdekammer BK_B 190/04 vom 15. Dezember 2004 E. 2.2, BK_B 191/04 vom 24. November 2004 E. 2.2 und BB.2005.4 vom 27. April 2005 E. 2). Zu beachten ist freilich, dass diese Einschränkung der Kognition nach der Praxis der Beschwerdekammer nur insoweit zur Anwendung gelangt, als nicht Zwangsmassnahmen zur Diskussion stehen (vgl. unter anderem die Entscheide der Beschwerdekammer BK_B 009/04 vom 18. Mai 2004, E. 1.3 sowie kürzlich BB.2005.4 vom 27. April 2005 E. 2; anders demgegenüber BB.2004.36 vom 20. Januar 2005 E. 1.3). Das Bundesgericht bejaht die volle Kognition der Beschwerdekammer denn auch explizit in Bezug auf Haftsachen (BGE 120 IV 342, 344 f. E. 2) und jüngst implizit für Beschwerden gegen Beschlagnahmungen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1S.13/2005 vom 22. April 2005 E. 4; darin anerkannte das Bundesgericht die Möglichkeit der Heilung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im

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Verfahren vor der Beschwerdekammer, was nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung die freie Kognition der Beschwerdeinstanz in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht voraussetzt).
(...)

3.3 (...) Wie die Beschwerdekammer kürzlich festgehalten hat, ist mit der Erweiterung der Bundeszuständigkeit aufgrund der so genannten ,,Effizienzvorlage" vom 22. Dezember 1999 (AS 2001 S. 3308 ff.) das ursprünglich klare, sich am französischen Strafverfolgungsmodell orientierende Konzept der Bundesstrafrechtspflege verwischt worden (vgl. zum Ganzen den Entscheid der Beschwerdekammer BB.2005.4 vom 27. April 2005 E. 3.2). Eindeutige Abgrenzungskriterien dafür, was im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren (Art. 100 ff . BStP) und was in der Voruntersuchung (Art. 108 ff . BStP) zu erheben ist, bestehen nicht mehr. Das der Bundesanwaltschaft bei der zeitlichen Ausgestaltung des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens zustehende, weite Ermessen erlaubt es ihr grundsätzlich, das Ermittlungsverfahren bis in die Nähe der Anklagereife voranzutreiben. Nach dem erwähnten Entscheid trägt sie allerdings als Korrelat dazu sowohl die Verantwortung für das richtige und beförderliche Vorgehen, als auch dafür, dass die Ermittlungsergebnisse in einer Form und unter Gewährung von Parteirechten erhoben werden, damit diese in der Hauptverhandlung verwertet werden können. Nach dem Gesagten beurteilen sich die Verteidigungsrechte mangels klarer Abgrenzung zwischen dem gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren und der Voruntersuchung nicht mehr in erster Linie nach dem formellen, sondern nach dem materiellen Stand des Strafverfahrens. Nichts anderes kann in Bezug auf die Frage nach einer allfälligen Gefährdung des Untersuchungszwecks im Sinne von Art. 116 BStP gelten. Ob und inwieweit eine solche Gefährdung vorliegt bzw. ob eine erste einlässliche Einvernahme zur Sache erfolgt ist, darf nicht anhand einer isolierten Betrachtung der Voruntersuchung entschieden werden; vielmehr muss die entsprechende Beurteilung unter Berücksichtigung der im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren getätigten Erhebungen erfolgen. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer im Rahmen des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens unbestrittenermassen dreimal zur Sache einvernommen, nämlich am 10. und 26. Mai 2004 sowie am 18. März 2005. Im Rahmen dieser mehrstündigen Einvernahmen, welche sich in insgesamt 42 Seiten Protokoll niederschlugen, wurde der Beschwerdeführer unter Vorlage von belastenden Beweismitteln befragt und mit Aussagen anderer Beschuldigter konfrontiert. Eine erste einlässliche Einvernahme des Beschwerdeführers ist damit erfolgt. Es ist nicht ersichtlich

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und von der Vorinstanz über pauschale Behauptungen hinaus auch nicht dargetan, inwiefern der Untersuchungszweck zum heutigen Zeitpunkt durch die Gewährung der Akteneinsicht noch gefährdet sein könnte. Obschon die Vorinstanz nicht gehalten ist, die objektiven Gründe für die Verweigerung der Akteneinsicht ,,vollumfänglich" offen zu legen (HAUSER/SCHWERI/ HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 55 N. 18), so kann es doch nicht angehen, dass sie die Akteneinsicht trotz einlässlicher Einvernahme des Beschuldigten durch die Beschwerdegegnerin nur wegen der fehlenden eigenen Einvernahme und ohne eine konkret ersichtliche Gefährdung des Untersuchungszwecks verweigert. Das gilt umso mehr, als die Beschwerdegegnerin im Ermittlungsverfahren unbestrittenermassen sämtlichen Verteidigern die Möglichkeit der vollumfänglichen Akteneinsicht eröffnete und hiervon erwiesenermassen zwei Verteidiger von Mitbeschuldigten Gebrauch gemacht haben (wobei einer der beiden 1226 Kopien erstellen liess). Diese Akteneinsicht durch die Mitbeschuldigten kann von der Vorinstanz, wenngleich sie im Rahmen der Voruntersuchung von der Beschwerdegegnerin unabhängig ist (vgl. hierzu BGE 131 I 66, 67 ff. E. 4), nicht rückgängig gemacht werden und lässt die Kollusionsgefahr bzw. eine Gefährdung des Untersuchungszweckes aufgrund der Einsicht des Beschwerdeführers in die Akten ebenfalls als äusserst unwahrscheinlich erscheinen. Insgesamt hat die Vorinstanz, indem sie dem Beschwerdeführer trotz der vorerwähnten Umstände die Akteneinsicht verweigerte, den ihr zustehenden Ermessensspielraum verletzt. Die Beschwerde ist demgemäss gutzuheissen.