BGE 75 III 19
7. Entscheid vom 11. April 1949 i.S. Konkursamt Neutoggenburg.
Regeste:
1. Rekurslegitimation der Konkursverwaltung. E. 1.
2. über das Bestehen einer Masseschuld ist nicht im Kollokationsverfahren zu
befinden. E. 2.
3. Ist eine als Masseschuld geltend gemachte Forderung nur als
Konkursforderung anerkannt, so bedarf es eines gegen die Masse ergehenden
Urteils der Zivilgerichte bezw. Verwaltungsbehörden oder -gerichte. (Änderung
der Rechtsprechung). Was kann der Kläger tun, wenn das Urteil gerade die
Qualifikation der Forderung als Konkursforderung oder Masseschuld offen lässt?
E. 3.
1. Qualité pour recourir de l'administration de la faillite (consid. 1).
2. La question de savoir si la masse est débitrice ou non ne peut être
tranchée dans la procédure do collocation (consid. 2).
3. Lorsqu'une dette présentée comme dette de la masse n'est admise par
l'administration qu'à titre do dette du failli, il est nécessaire d'obtenir
contre la masse un jugement émanant soit d'un tribunal civil soit d'un
tribunal ou d'une autorité administratifs. (Modification de la jurisprudence.)
Que doit faire le demandeur lorsque le jugement laisse indécise la question de
savoir si la dette est une dette du failli ou de la masse? (consid. 3)
1. Veste per ricorrere dell'amministrazione del fallimento (consid. 1).
2. La questione se la massa sia debitrice o no non può essere risolta nella
procedura di graduatoria (consid. 2).
3. Se un debito insinuato come debito della massa è ammesso soltanto come
debito del fallito occorre ottenere contro la
Seite: 20
massa una sentenza che emani o da un tribunale civile o da una giurisdizione
amministrativa (cambiamento di giurisprudenza). Che deve fare l'attore quando
la sentenza lascia indecisa la questione se il debito sia un debito del
fallito o della massa? (consid. 3).
A. Am 9. November 1947 starb Walter Grubenmann, Zentralheizungen, Wattwil.
Seine Ehefrau führte nach seinem Tode das Geschäft insofern weiter, als sie
die laufenden Werkverträge noch ausführte und zu diesem Zwecke gewisse
Lieferungen, welche der Ehemann noch bestellt hatte, entgegennahm und zum Teil
bezahlte. In der Zeit vom 7. Januar bis 5. Februar 1948 lieferte die Fa. Huber
& Co. A.-G. auf Grund von Bestellungen, welche zum weitaus grössten Teil noch
der verstorbene Ehemann aufgegeben hatte, im Fakturawert von Fr. 1392.70.
Bevor diese Faktura bezahlt worden war, wurde am 18. Mai/23. Juni 1948 über
die Verlassenschaft des Walter Grubenmann die konkursrechtliche Liquidation
eröffnet, da die Erbschaft als ausgeschlagen zu gelten habe. Im Konkurse
meldete die Fa. Huber & Co. A.-G. die erwähnte Forderung in dem Sinne an, dass
dieselbe «nicht unter die Konkursmasse falle», sondern Frau Grubenmann, auf
deren Bestellung hin geliefert worden sei, dafür haftbar sei.
B. Das Konkursamt kollozierte die Forderung in 5. Klasse, wovon die Fa.
Huber & Co. A.-G. am 14. September 1948 Kenntnis erhielt. Mit der
Kollokationsanzeige teilte das Konkursamt mit, dass das Begehren um
Vollzahlung Veranlassung gebe, der Gläubigerin eine Frist von 10 Tagen zur
Vindikationsklage im Sinne von Art. 242
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 242 - 1 Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden. |
|
1 | Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe von Sachen, welche von einem Dritten beansprucht werden. |
2 | Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch verwirkt. |
3 | Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen. |
Verfügung reichte die Gläubigerin vorsorglich am 22. September 1948 Klage auf
Aussonderung von Fr. 1392.70 ein. In einem Schreiben an das Konkursamt vom 1.
Oktober 1948 vertrat die Gläubigerin den Standpunkt, dass es sich nicht um
einen Aussonderungsanspruch handle, und verlangte, dass ihre Forderung als
Masseschuld anerkannt werde, welches Begehren das Konkursamt mit Schreiben vom
9. Oktober 1948 ablehnte.
Seite: 21
C. Am 19. Oktober 1948 führte die Gläubigerin gegen diese Ablehnung
Beschwerde und verlangte die Behandlung des Betrages von Fr. 1392.70 als
Masseschuld. Das Konkursamt - beantragte Nichteintreten zufolge Verspätung,
eventuell Abweisung. «... auch halten wir diesen vorliegenden Fall mit seinen
tatsächlichen Besonderheiten, deren Existenz nur der Sachrichter in einem
umständlichen Beweisverfahren ermitteln kann, als nicht geeignet, auf dem
Beschwerdeweg zur Erledigung zu bringen».
D. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat am 16. Februar 1949 die Beschwerde
gutgeheissen und das Konkursamt angewiesen, die in Frage stehende Forderung
als Masseschuld zu behandeln.
E. Hiegegen richtet sich der vorliegende Rekurs des Konkursamtes, das
wiederum zuerst die Einrede der Verspätung der Beschwerde erhebt, jedoch nicht
mehr Nichteintreten auf dieselbe, sondern nur mehr deren Abweisung beantragt.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
1. Als Konkursverwaltung ist das Konkursamt zur Wahrung der Interessen der
Gläubigergesamtheit berufen und daher auch zum vorliegenden Rekurse
legitimiert (BGE 54 III 101, 55 III 64).
2. Dass die Beschwerde verspätet gewesen sei (woran das Konkursamt in der
Rekursbegründung festhält), hat die kantonale Aufsichtsbehörde mit Recht
verneint. Durch die Kollokation in 5. Klasse hatte zwar das Konkursamt die von
der Beschwerdeführerin verlangte Vollzahlung eindeutig abgelehnt. Über das
Vorliegen einer Masseschuld war aber gar nicht im Kollokationsplane zu
befinden, weshalb sich die Frage erhebt, ob es nicht unter allen Umständen
einer besondern Verfügung hierüber bedürfe, die irgendwann während des
Konkursverfahrens, jedenfalls spätestens bei der Verteilung zu treffen sei
(wie denn die Masseschulden sich als Massekosten i.w.S. darstellen, vgl.
Seite: 22
Art. 262
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 262 - 1 Sämtliche Kosten für Eröffnung und Durchführung des Konkurses sowie für die Aufnahme eines Güterverzeichnisses werden vorab gedeckt. |
|
1 | Sämtliche Kosten für Eröffnung und Durchführung des Konkurses sowie für die Aufnahme eines Güterverzeichnisses werden vorab gedeckt. |
2 | Aus dem Erlös von Pfandgegenständen werden nur die Kosten ihrer Inventur, Verwaltung und Verwertung gedeckt. |
Beschwerdeführerin zunächst nach der vom Konkursamt am 14. September 1948
getroffenen Verfügung richten, wonach sie binnen zehn Tagen auf Aussonderung
einer ihrer Forderung entsprechenden Geldsumme zu klagen habe. Damit hatte das
Konkursamt das Begehren um Vollzahlung als Aussonderungsanspruch
gekennzeichnet. Wenn die Beschwerdeführerin sich später dazu entschloss, statt
dessen eine Masseschuld geltend zu machen, so war ihr dies vorbehalten. Sie
konnte es mit ihrer Eingabe vom 1. Oktober 1948 tun, und indem sie sich über
die ablehnende Verfügung des Konkursamtes vom 9. am 19. gl. M. beschwerte,
hatte sie ihren Standpunkt wirksam gewahrt.
3. Masseverbindlichkeiten (Masseschulden) sind solche Schulden, die (wie die
Konkurskosten nach Art. 262 Abs. 1
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 262 - 1 Sämtliche Kosten für Eröffnung und Durchführung des Konkurses sowie für die Aufnahme eines Güterverzeichnisses werden vorab gedeckt. |
|
1 | Sämtliche Kosten für Eröffnung und Durchführung des Konkurses sowie für die Aufnahme eines Güterverzeichnisses werden vorab gedeckt. |
2 | Aus dem Erlös von Pfandgegenständen werden nur die Kosten ihrer Inventur, Verwaltung und Verwertung gedeckt. |
Brutto-Konkursvermögen zu begleichen, nicht wie die Konkursforderungen auf ein
Betreffnis (Dividende) aus dem Netto-Konkursvermögen angewiesen sind. Solche
Schulden entstehen namentlich aus von der Masse selbst eingegangenen
Verpflichtungen, seien es von ihr übernommene (Art. 211 Abs. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 211 - 1 Forderungen, welche nicht eine Geldzahlung zum Gegenstande haben, werden in Geldforderungen von entsprechendem Werte umgewandelt. |
|
1 | Forderungen, welche nicht eine Geldzahlung zum Gegenstande haben, werden in Geldforderungen von entsprechendem Werte umgewandelt. |
2 | Die Konkursverwaltung hat indessen das Recht, zweiseitige Verträge, die zur Zeit der Konkurseröffnung nicht oder nur teilweise erfüllt sind, anstelle des Schuldners zu erfüllen. Der Vertragspartner kann verlangen, dass ihm die Erfüllung sichergestellt werde.376 |
2bis | Das Recht der Konkursverwaltung nach Absatz 2 ist jedoch ausgeschlossen bei Fixgeschäften (Art. 108 Ziff. 3 OR377) sowie bei Finanztermin-, Swap- und Optionsgeschäften, wenn der Wert der vertraglichen Leistungen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung aufgrund von Markt- oder Börsenpreisen bestimmbar ist. Konkursverwaltung und Vertragspartner haben je das Recht, die Differenz zwischen dem vereinbarten Wert der vertraglichen Leistungen und deren Marktwert im Zeitpunkt der Konkurseröffnung geltend zu machen.378 |
3 | Vorbehalten bleiben die Bestimmungen anderer Bundesgesetze über die Auflösung von Vertragsverhältnissen im Konkurs sowie die Bestimmungen über den Eigentumsvorbehalt (Art. 715 und 716 ZGB379).380 |
solche aus eigener Betätigung, wie namentlich bei Fortführung eines
Geschäftsbetriebes des Schuldners; doch kommen auch öffentlichrechtliche
Verpflichtungen in Betracht, so etwa seit der Konkurseröffnung entstehende
Gebühren- und Beitragsverpflichtungen, mitunter auch Steuern (vgl. BGE 51 III
210 und 62 III 128 betreffend sog. Objektsteuern; dagegen BGE 52 I 211, 63 I
295 E. 4 betreffend andere Steuern). Hier geht die Frage dahin, ob die
Vergütung für die (grösstenteils noch vom Erblasser bestellten, aber erst von
der Witwe abgerufenen) Materiallieferungen im Verlassenschaftskonkurse zu
berücksichtigen sei, und zwar nicht bloss als Konkursforderung (was das
Konkursamt anerkennen will), sondern als Masseschuld, weil diese Verpflichtung
(nach Ansicht der Rekursgegnerin) nicht einer dem Erblasser erwachsenen,
sondern
Seite: 23
einer von der Konkursmasse eingegangenen gleichzuachten sei.
Indessen sind die Konkursbehörden, auch die Aufsichtsbehörden, nicht dazu
berufen, über Bestand und Höhe einer Masseschuld zu entscheiden. Ist eine
solche Schuld bestritten, so ist sie vielmehr, je nach ihrem zivil- oder
verwaltungsrechtlichen Grunde, vor den Zivilgerichten oder den
Verwaltungsbehörden (gegebenenfalls Verwaltungsgerichten) einzuklagen (BGE 56
III 116). Freilich haben sich die Aufsichtsbehörden bisweilen als zuständig
befunden, über die Qualifikation einer Forderung als Konkursforderung oder als
Masseschuld selber zu entscheiden, wenn die Forderung «an sich» unbestritten
und nur eben noch über deren Qualifikation zu entscheiden war (BGE 48 III 224,
59 III 19). Davon ist die Vorinstanz im vorliegenden Falle ausgegangen. Daran
kann jedoch nicht festgehalten werden. Ist der Bestand einer Masseschuld
bestritten, so bedarf es in jedem Falle der Entscheidung durch die zuständigen
Zivilgerichte bzw. Verwaltungsbehörden (oder -gerichte) in einem gegen die
Masse anzuhebenden Verfahren. Von der erstern der soeben erwähnten
Entscheidungen wurde denn auch bereits in BGE 56 III 116 und noch mehr in BGE
57 III 183 abgewichen. Dort wurde den Steuerbehörden überlassen, zu
entscheiden, dass eine nicht schon vor der Konkurseröffnung entstandene
Steuerschuld auch Masseschuld sei, und hier wurde hervorgehoben, dass man von
einer unbestrittenen, nur noch konkursrechtlich zu qualifizierenden Schuld
nicht sprechen könne, bevor ein rechtskräftiges Urteil gegen die Masse selbst
ergangen, also diese als solche rechtskräftig zur Zahlung verurteilt sei (wie
dies in BGE 56 III 186 der Fall war). Erst dann habe man es mit einer
unbestrittenen Forderung zu tun, «und erst dann können nötigenfalls die
Aufsichtsbehörden angerufen werden zum Entscheid darüber, ob eine Masseschuld
vorliegt oder nicht». Letzteres kommt natürlich nur dann in Frage, wenn die
Zivilgerichte bzw. Verwaltungsbehörden (oder -gerichte) bei der Beurteilung
der gegen die Masse
Seite: 24
gerichteten Klage gerade diese Qualifikation der Forderung im ungewissen
gelassen haben. Solchenfalls ist übrigens der Gläubiger in erster Linie auf
ein bei der Behörde, die das Urteil ausgefällt hat, zu stellendes
Erläuterungsbegehren, unter Umständen auf den Weg einer Nachklage zu
verweisen. Die Aufsichtsbehörden können im Sinne des zuletzt erwähnten
Präjudizes in der Regel nur angegangen werden, um das Urteil dahin
nachzuprüfen, ob sich der Charakter des Anspruches (Masseschuld oder aber
Konkursforderung) unzweifelhaft aus den Urteilsgründen ermitteln lasse.
Ausserdem kommt aber auch in Frage, den Gläubiger auf den Weg der Betreibung
gegen die Masse zu verweisen, wodurch sich die Frage, ob das Urteil die Masse
unzweifelhaft im Sinne einer Masseschuld verpflichte, vor dem
Rechtsöffnungsrichter austragen lässt; wird die Rechtsöffnung erteilt, so ist
damit für das Betreibungsverfahren massgebend festgestellt, dass sich die
Forderung als Masseschuld in das Brutto-Konkursvermögen vollstrecken lässt,
und bei dieser Sachlage kann die Einrede, es bestehe keine Masseschuld, nicht
mehr mit einer Beschwerde gegen die Pfändung geltend gemacht werden (BGE 50
III 172).
Die Aufsichtsbehörden sind somit keinesfalls zur Beurteilung der Frage, ob man
es mit einer Masseschuld zu tun habe, zuständig, solange kein rechtskräftiges
Urteil gegen die Masse ergangen ist. (Vorbehalten ist ihnen freilich in allen
Fällen die Entscheidung über die Konkurskosten, insbesondere auch darüber, wer
sie zu tragen hat, wie ihnen ja allgemein die Anwendung des Gebührentarifs zum
SchKG zusteht; vgl. Art. 16 des geltenden Tarifs vom 13. April 1948).
Infolgedessen ist hier zu den materiellrechtlichen Fragen (betreffend die
allfälligen Ansprüche des vorläufigen Erben gegen die Verlassenschaftsmasse,
etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag, und betreffend ein entsprechendes
Forderungsrecht des Gläubigers, der ihm Kredit gewährt hat, gegen die Masse,
speziell was die Qualifikation einer solchen Forderung anbelangt) in keiner
Weise Stellung zu nehmen. Vielmehr ist die Rekursgegnerin
Seite: 25
nach dem Gesagten auf den Weg einer gerichtlichen Klage gegen die Masse
angewiesen, wofür ihr gemäss BGE 56 III 116 (119) eine angemessene Frist
anzusetzen ist.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
angefochtene Entscheid aufgehoben und die Gläubigerin H. Huber & Co.
eingeladen wird, ihre Forderung gegen die Masse durch Klage geltend zu machen,
die binnen 20 Tagen nach Zustellung des begründeten Entscheides anzuheben ist.