S. 357 / Nr. 67 Erbrecht (d)

BGE 54 II 357

67. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. November 1928 i.S.
Roth gegen Ineichen & Gen.

Regeste:
Ungültigkeit des eigenhändigen Testamentes, dessen Errichtungsdatum in der
Urkunde selbst nicht wahrheitsgemäss angegeben ist (Erw. 1).
Der Beweis für die Unrichtigkeit des Datums braucht nicht notwendig aus der
Urkunde selbst gezogen zu werden (Erw. 2). Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB.

1.- Der Gesetzgeber hat das Institut des eigenhändigen Testamentes, das einem
Teil der kantonalen Rechte fremd war, nicht ohne Bedenken eingeführt, weil die
damit ermöglichte Freiheit in der Testamentserrichtung erhebliche Gefahren in
sich birgt: Erleichterung einer Fälschung oder Beseitigung des Testamentes
durch einen interessierten Erben, sowie einer Beeinflussung des Erblassers bei
der Errichtung u.s.w. Diese Gründe haben zur Aufstellung der Formvorschriften
in Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB geführt und rechtfertigen es auch, dass die Einhaltung dieser
Formen strikte gefordert wird. Hievon ausgehend hat das Bundesgericht u.a.
entschieden, dass die Unterschrift, die der Testator auf dem Briefumschlag,
der das eigenhändige Testament enthielt, angebracht hatte, die auf dem
Testament fehlende Unterschrift nicht ersetzen

Seite: 358
könne, wenn der Umschlag nicht offensichtlich als Fortsetzung des Testamentes
erscheine (BGE 40 II 193), dass eine auf dem Briefbogen vorgedruckte
Ortsangabe nicht gültig sei (BGE 49 II 10), dass die Angabe des
Errichtungsortes nicht fehlen dürfe und die Angabe des Wohnortes zur Zeit der
Errichtung nicht genüge (BGE 50 II 6), dass ein Datum «Porrentruy le 10 avril
191» ungenügend sei (BGE 45 II 151).
Insbesondere hat das Bundesgericht verlangt, dass die Angabe sowohl über den
Errichtungsort als auch über den Errichtungstag wahr sein müsse (BGE 45 II 354
und 50 II 6), und zwar wurde entgegen der freieren Auffassung von ESCHER,
Komm. ZGB Art. 505 S. 91, in Übereinstimmung mit TUOR, Komm. ZGB Art. 505 S.
327, und in Anlehnung an die französische Doktrin und Praxis (vgl.
BAUDRY-LACANTINERIE et COLIN, Traité des Donations entre vifs et des
Testaments, II p.51, PLANIOL, Traité de droit civil, VIIe ed., III p.666,
ferner COLIN et CAPITANT, Cour élémentaire de droit civil, II, p. 848)
festgestellt, dass die absichtlich unrichtige Datierung das Testament ungültig
mache und dass auch ein infolge eines blossen Versehens unrichtig datiertes
Testament ebenfalls ungültig sei, wenn der Mangel nicht an Hand der
Testamentsurkunde selbst behoben werden könne. Die Rechtfertigung dieser
strengen Praxis ergibt sich aus der Wichtigkeit, die dem Errichtungsdatum
zukommt: Es ist massgebend für die Rangordnung unter mehreren Testamenten
(Art. 511
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 511 - 1 Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt.
1    Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt.
2    Ebenso wird eine letztwillige Verfügung über eine bestimmte Sache dadurch aufgehoben, dass der Erblasser über die Sache nachher eine Verfügung trifft, die mit jener nicht vereinbar ist.
ZGB) und nach ihm hat sich die Feststellung zu richten, ob der
Testator zur Zeit der Errichtung testierfähig war. Dabei ist noch darauf
hinzuweisen, dass die französische Praxis und Literatur zu diesem Resultat
gelangt ist, obwohl Art. 970
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 970 - 1 Wer ein Interesse glaubhaft macht, hat Anspruch darauf, dass ihm Einsicht in das Grundbuch gewährt oder dass ihm daraus ein Auszug erstellt wird.
1    Wer ein Interesse glaubhaft macht, hat Anspruch darauf, dass ihm Einsicht in das Grundbuch gewährt oder dass ihm daraus ein Auszug erstellt wird.
2    Ohne ein solches Interesse ist jede Person berechtigt, Auskunft über folgende Daten des Hauptbuches zu erhalten:
1  die Bezeichnung des Grundstücks und die Grundstücksbeschreibung;
2  den Namen und die Identifikation des Eigentümers;
3  die Eigentumsform und das Erwerbsdatum.
3    Der Bundesrat bezeichnet weitere Angaben betreffend Dienstbarkeiten, Grundlasten und Anmerkungen, die ohne das Glaubhaftmachen eines Interesses öffentlich gemacht werden dürfen. Er beachtet dabei den Schutz der Persönlichkeit.
4    Die Einwendung, dass jemand eine Grundbucheintragung nicht gekannt habe, ist ausgeschlossen.
des Code civil im Gegensatz zum Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB
nicht ausdrücklich die Angabe des Tages «der Errichtung» vorschreibt. Um so
weniger besteht angesichts der präzisen Vorschrift des Art. 505
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
ZGB ein Grund,
von diesem Standpunkt abzugehen.

Seite: 359
2.- Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz auf Grund eines Beweisverfahrens
festgestellt, dass die Erblasserin das Testament nicht am 16. Juli 1924,
sondern erst an einem nicht näher bestimmbaren Tag im September 1924 errichtet
hat. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur und, da sie sich nicht als
aktenwidrig erweist und vom Beklagten auch nicht als aktenwidrig angefochten
worden ist, für das Bundesgericht verbindlich.
Abzulehnen ist die Ansicht des Beklagten, dass der Beweis für die
Unrichtigkeit des Datums nur durch die Testamentsurkunde selbst geführt werden
dürfe. Der Hinweis auf den Entscheid BGE 51 II S. 370 in Sachen Rebmann geht
deswegen fehl, weil es sich dort nicht um den Nachweis eines Mangels, sondern
darüber hinaus um die Frage handelte, ob ein der Urkunde fehlendes Requisit
durch ausserhalb der Urkunde liegende Umstände ersetzt werden könne. Das
musste verneint werden, weil die Verfügung selbst trotz dem Nachweis dessen,
was der Erblasser geschrieben hätte, wenn er sich der Folgen der Unterlassung
bewusst wäre, weiterhin mit dem Formmangel behaftet bleibt. Im vorliegenden
Fall ist dagegen nur zu untersuchen, ob die Angaben des Testamentes dem Gesetz
insofern nicht genügen, als sie nicht den Tatsachen entsprechen, und dieser
Beweis ist an keinerlei Vorschriften gebunden; er kann daher durch jede Art
von Beweismitteln erbracht werden, vorausgesetzt nur, dass diese geeignet
sind, dem Richter die Überzeugung von der Unrichtigkeit des Datums zu
verschaffen (vgl. BGE 51 II S. 7 unten).
3.- Das angefochtene Testament enthält keinerlei Anhaltspunkte, an Hand
welcher das wahre Errichtungsdatum ermittelt werden könnte. Nach den in
Erwägung I gemachten Ausführungen ist das Testament daher ungültig unbekümmert
darum, ob es sich um eine von der Erblasserin gewollte, bewusst unrichtige
Datierung oder um ein blosses Versehen handelt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 357
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 01. November 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 357
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ungültigkeit des eigenhändigen Testamentes, dessen Errichtungsdatum in der Urkunde selbst nicht...


Gesetzesregister
ZGB: 505 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 505 - 1 Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
1    Die eigenhändige letztwillige Verfügung ist vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit seiner Unterschrift zu versehen.512
2    Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass solche Verfügungen offen oder verschlossen einer Amtsstelle zur Aufbewahrung übergeben werden können.
511 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 511 - 1 Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt.
1    Errichtet der Erblasser eine letztwillige Verfügung, ohne eine früher errichtete ausdrücklich aufzuheben, so tritt sie an die Stelle der früheren Verfügung, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung darstellt.
2    Ebenso wird eine letztwillige Verfügung über eine bestimmte Sache dadurch aufgehoben, dass der Erblasser über die Sache nachher eine Verfügung trifft, die mit jener nicht vereinbar ist.
970
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 970 - 1 Wer ein Interesse glaubhaft macht, hat Anspruch darauf, dass ihm Einsicht in das Grundbuch gewährt oder dass ihm daraus ein Auszug erstellt wird.
1    Wer ein Interesse glaubhaft macht, hat Anspruch darauf, dass ihm Einsicht in das Grundbuch gewährt oder dass ihm daraus ein Auszug erstellt wird.
2    Ohne ein solches Interesse ist jede Person berechtigt, Auskunft über folgende Daten des Hauptbuches zu erhalten:
1  die Bezeichnung des Grundstücks und die Grundstücksbeschreibung;
2  den Namen und die Identifikation des Eigentümers;
3  die Eigentumsform und das Erwerbsdatum.
3    Der Bundesrat bezeichnet weitere Angaben betreffend Dienstbarkeiten, Grundlasten und Anmerkungen, die ohne das Glaubhaftmachen eines Interesses öffentlich gemacht werden dürfen. Er beachtet dabei den Schutz der Persönlichkeit.
4    Die Einwendung, dass jemand eine Grundbucheintragung nicht gekannt habe, ist ausgeschlossen.
BGE Register
40-II-190 • 45-II-150 • 45-II-351 • 49-II-9 • 50-II-6 • 51-II-370 • 51-II-6 • 54-II-357
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
testament • weiler • bundesgericht • erblasser • beklagter • tag • unterschrift • entscheid • formmangel • form und inhalt • wirkung • nichtigkeit • beweis • ersetzung • erbe • doktrin • bestimmbarkeit • frage • vorinstanz • erbrecht
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