S. 279 / Nr. 38 Interkantonale Auslieferung (d)

BGE 54 I 279

38. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juni 1928 i.S. Zürich gegen Bern.

Regeste:
Bundesgesetz betr. die Auslieferung unter den Kantonen vom 24. Juli 1852.
Verhältnis von Art. 1 Abs. 2 zu Art. 4 Abs. 2. Auslegung der letzteren
Vorschrift. Begriff der Mitschuld im S. derselben. Anwendbarkeit auch, wenn
die ganze verbrecherische Tätigkeit, neben der «Haupthandlung» auch die
Nebenhandlungen der übrigen Teilnehmer im ersuchenden Kanton vor sich gegangen
sind. «Mitschuld» Verhältnis speziell bei den Vergehen des leichtsinnigen oder
betrüglichen Bankerotts, wenn der in Konkurs geratene Schuldner eine
juristische Person ist, inbezug auf die verfolgten Gesellschaftsorgane.
Einwendung des Niederlassungskantons, der selbst die Strafverfolgung gegen
einzelne Teilnehmer übernehmen will, dass der ersuchende Kanton zur Verfolgung
dieser Vergehen nicht zuständig sei, weil die Strafhoheit inbezug darauf nach
Bundesrecht und dem eigenen Strafrecht des ersuchenden Kantons ausschliesslich
dem Kanton der Konkurseröffnung und nicht demjenigen des Ortes, wo die
Bankerotthandlungen vorgenommen worden sind, zustehe.


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Nach § 200 des zürcherischen StGB «ist, wer zahlungsunfähig geworden ist oder
sich fälschlich für zahlungsunfähig ausgibt, des betrüglichen Bankerotts
schuldig, wenn er: a) und b) ..., c) seine Rechnungs- und Handlungsbücher
verheimlicht, beiseite geschafft, gefälscht oder wahrheitswidrig geführt hat.»
Der in Konkurs geratene Schuldner wird nach § 202 wegen leichtsinnigen
Bankerotts bestraft, wenn er: «a)-c) ... d) im Bewusstsein der Insolvenz den
Ausbruch des Konkurses dadurch hinauszuschieben versucht hat, dass er neue
erhebliche Schulden einging und die auf diesem Wege erhobenen Gelder oder
Waren verschwendete oder verschleuderte.» Wenn im Konkurse von eingetragenen
juristischen Personen, Aktiengesellschaften und Genossenschaften inbegriffen,
die Voraussetzungen der §§ 200 und 202 zutreffen, so finden diese Vorschriften
Anwendung auf «die schuldigen Einzelpersonen der Verwaltungs- und
Aufsichtsorgane» (§ 205).
Am 28. Oktober 1926 wurde über die Aktiengesellschaft «Schweiz. Vereinsbank»
mit Sitz in Zürich dort der Konkurs eröffnet. Im Zusammenhang damit leiteten
die zürcherischen Behörden gegen die Gesellschaftsorgane (Verwaltungsräte,
Direktoren und Mitglieder der Kontrollstelle) eine Strafuntersuchung ein, die
im weiteren Verlaufe auch auf die Verhältnisse bei der Genossenschaft
«Hypothekenkreditverein Zürich» einer Gründung der Vereinsbank, und die
Verwaltungsorgane dieser Genossenschaft ausgedehnt wurde. Nach der Auffassung
der zürcherischen Untersuchungsbehörden war die Vereinsbank schon seit einer
Reihe von Jahren, der Hypothekenkreditverein schon seit Schluss des ersten
Geschäftsjahres 1919 in stets steigendem Masse überschuldet. Die Bücher und
die mit ihnen übereinstimmenden, vom Verwaltungsrat genehmigten Bilanzen
wiesen statt dessen regelmässig Aktiven- und Rechnungsüberschüsse aus. Den
Direktoren und Verwaltungsräten beider Unternehmungen und den Mitgliedern der

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Kontrollstelle der Vereinsbank wird deshalb das Vergehen des betrüglichen
Bankerotts nach § 200 litt. c, beim Hypothekenkreditverein ferner des
leichtsinnigen Bankerotts nach § 202 litt. d des zürch. StGB vorgeworfen. Je
gegen mehrere gewesene Direktoren und Verwaltungsräte gemeinsam erstreckt sich
die Untersuchung ausserdem noch auf weitere als Betrug und Unterschlagung
qualifizierte Tatbestände. Der Sitz des Hypothekenkreditvereins war im Oktober
1926 nach dem Zusammenbruch der Vereinsbank von Zürich nach Lausanne verlegt
worden. Im Januar 1928 wurde auch über ihn hier der Konkurs eröffnet.
Von den Angeschuldigten sind drei: der frühere Delegierte des Verwaltungsrats
und Direktor des Berner Sitzes der Vereinsbank und Verwaltungsrat des
Hypothekenkreditvereins A., der Verwaltungsrat bei beiden Gesellschaften B.
und ein Mitglied der Kontrollstelle der Vereinsbank C. in Bern niedergelassen.
Der Kanton Zürich verlangte von Bern die Auslieferung dieser Personen, des C.
wegen betrüglichen Bankerotts im Falle der Vereinsbank (durch die von ihm
abgegebenen Revisionsberichte), des A. und B. ausserdem wegen der übrigen oben
erwähnten Anschuldigungen, für das in Art. 2 des Bundesgesetzes vom 24. Juli
1852 (AuslG) nicht erwähnte Vergehen des leichtsinnigen Bankerotts gestützt
auf eine im Jahre 1910 zwischen den beiden Kantonen ausgetauschte
Gegenrechtserklärung. Bern weigerte sich dem Gesuche zu entsprechen und
erklärte, dass es die Auszuliefernden wegen der in Betracht kommenden Vergehen
durch seine Gerichte beurteilen lassen werde (Art. 1 Abs. 2 AuslG). Es
anerkannte, dass Zürich trotz dieser Erklärung die Auslieferung verlangen
könnte, wenn ein Fall des Art. 4 Abs. 2 AuslG vorläge, bestritt aber, dass
dies zutreffe, und sprach ferner dem Kanton Zürich für die Konkursvergehen im
Falle des Hypothekenkreditvereins die Zuständigkeit zur Strafverfolgung ab,
nachdem die Konkurseröffnung über

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diese Genossenschaft in Lausanne stattgefunden habe. Auf Klage des Kantons
Zürich hat das Bundesgericht den Kanton Bern verpflichtet dem
Auslieferungsbegehren Folge zu geben:
Aus den Gründen:
«Durch die Gegenrechtserklärung von 1910 ist das Vergehen des leichtsinnigen
Bankerotts für den Verkehr zwischen den beiden Kantonen einem
Auslieferungsvergehen i.S. von Art. 2 AuslG gleichgestellt worden. Der Kanton
Bern kann demnach auch inbezug darauf wie für die anderen Vergehen, die
Gegenstand des Auslieferungsbegehrens bilden, wenn im übrigen die
Voraussetzungen der Auslieferungspflicht gegeben sind, die Auslieferung nur
insofern durch Übernahme der Strafverfolgung abwenden, als es sich nicht um
Tatbestände handelt, die nach den konkreten Umständen der Begehung unter Art.
4 Abs. 2 AuslG fallen. Trifft letzteres zu, so geht das im Interesse der
Konzentration des Strafverfahrens hier dem Kanton des Orts der Haupthandlung
eingeräumte Recht die Auslieferung «aller Mitschuldigen in anderen Kantonen»
zu verlangen, nach feststehender und von Bern nicht angefochtener Auslegung
der Befugnis des Heimat- oder Niederlassungskantone aus Art. 1 Abs. 2, selbst
die Strafverfolgung zu übernehmen, vor und schliesst diese aus (BGE 3 S. 666
Erw. 2, 34 I 292 Erw. 3, 44 I 179, 52 I 170).
Da nicht bestritten wird, dass die den drei Auszuliefernden vorgeworfenen
Handlungen an sich geeignet wären, die Tatbestandsmerkmale der behaupteten
Vergehen (betrüglicher und leichtsinniger Bankerott, Betrug und
Unterschlagung) im Sinne des AuslG Art. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
, der Gegenrechtserklärung zwischen
den beiden Kantonen von 1910 und des zürcherischen StGB zu erfüllen, noch
eingewendet wird, dass sie nach dem Rechte des ersuchten Kantons, Bern nicht
strafbar wären (BGE 27 I 748 /49, 41 I 508 Erw. 2), bleibt somit einzig zu
prüfen,

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ob auch die besonderen Voraussetzungen zutreffen, deren es nach dem AuslG
bedarf, um die Übernahme der Strafverfolgung durch den Niederlassungskanton
auszuschliessen, ferner ob nicht selbst dann Bern allenfalls die Auslieferung
inbezug auf einzelne dieser Vergehen deshalb ablehnen könne, weil dem Kanton
Zürich aus anderen Gründen die örtliche Zuständigkeit (Strafhoheit) für deren
Verfolgung fehle.
Wenn Art. 4 Abs. 2 AuslG von «einem in mehreren Kantonen begangenen Vergehen»
spricht, so will dies nicht bedeuten, dass dieselbe Person in verschiedenen
Kantonen gehandelt haben müsse. Vielmehr ist dabei, wie die Fortsetzung «aller
Mitschuldigen in anderen Kantonen» zeigt, in erster Linie an den Fall gedacht,
wo ein Vergehen von mehreren Personen gemeinsam verübt worden ist und die
verschiedenen Mitschuldigen nicht im gleichen Kanton gehandelt haben. Unter
«Mitschuldigen» aber sind zunächst jedenfalls alle Teilnehmer am Vergehen im
weitesten Sinne, neben den Gehilfen auch der Anstifter oder Mittäter zu
verstehen (BGE 34 I 291 Erw. 2, 44 I 178). Es genügt m. a.W., dass ein
strafbarer Erfolg durch das strafrechtlich zurechenbare Zusammenwirken
verschiedener Personen herbeigeführt worden und die dafür hauptsächlich in
Betracht kommende Handlung im Gebiet des ersuchenden Kantons vor sich gegangen
ist. Schon im Urteil BGE 6 212 ff. insbesondere 217 Erw. 2 ist das
Bundesgericht noch einen Schritt weitergegangen, indem es unter den Begriff
auch den Begünstiger einbezog, mit der Begründung: obwohl die Begünstigung
keine blosse Teilnahmehandlung, sondern ein selbständiges Delikt darstelle,
bestehe doch zwischen dem Handeln des Begünstigers und demjenigen des Täters
der Haupthandlung ein so naher Zusammenhang, dass der erstere in einem
weiteren Sinne noch als Mitschuldiger des letzteren bezeichnet werden könne
und tatsächlich auch bezeichnet werde: dem Wesen des bundesstaatlichen
Verhältnisses

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entspreche es aber die Pflicht der Gliedstaaten zur Rechtshilfe in Strafsachen
in ausdehnendem Sinne zu fassen: es liege dies für die hier zu lösende
spezielle Frage auch im Interesse der Rechtspflege, das regelmässig die
gleichzeitige Untersuchung und Aburteilung konnexer Straftaten erfordern werde
(bestätigt in BGE 52 I 168 Erw. 2).
Aus dem eben angedeuteten Grunde ergibt sich auch, dass die Anwendung der
Vorschrift trotz des Wortlauts nicht auf den Fall beschränkt bleiben kann, wo
die Teilhandlungen der verschiedenen Teilnehmer auf verschiedene
Kantonsgebiete entfallen. Wenn das AuslG sogar für diesen Fall die sämtlichen
Teilnehmer am Vergehen ohne Rücksicht auf ihren Wohnort vor den Richter des
Ortes der Haupthandlung verweist, so war dafür die Erwägung massgebend, dass
nur so eine möglichst vollständige Ermittlung der Wahrheit auch bei solchen
komplexen Vergehen und die gleichmässige Behandlung und Beurteilung aller
Tatmomente und Täter gewährleistet werden kann. Dass beides erreicht werde,
liegt nicht nur im Interesse der Gerechtigkeit, sondern auch der wirksamen
Bekämpfung des Verbrechertums, einem Bestreben, das allen Gliedern des
Bundesstaates gemeinsam sein muss. Jener Zweckgedanke des Gesetzes aber trifft
in ganz gleicher Weise bei jedem von mehreren Personen gemeinsam verübten
Vergehen zu, mögen nun die einzelnen Teilnahmehandlungen sich auf das Gebiet
verschiedener Kantone verteilen oder neben der Haupt- auch die
Nebenhandlungen, also die ganze verbrecherische Tätigkeit, sich im Gebiet des
ersuchenden Kantons abgespielt haben. Ein sachlicher Grund, der den
Gesetzgeber hätte bewegen können, im ersten Falle die Trennung des
Strafverfahrens gegen die einzelnen Teilnehmer durch Übernahme der
Strafverfolgung seitens der Niederlassungskantone für ihre Niedergelassenen
auszuschliessen, im zweiten Falle dagegen eine solche Spaltung zuzulassen, ist

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schlechterdings nicht ersichtlich. Hat der Niederlassungskanton den Teilnehmer
selbst dann an den Kanton des Ortes der Haupthandlung herauszugeben, wenn die
Teilnahmehandlung auf seinem eigenen Gebiet oder demjenigen eines dritten
Kantons begangen worden war, so muss diese Pflicht noch vielmehr bestehen,
wenn auch für den Teilnehmer der Tatort (im Sinne des körperlichen Handelns)
sich am Orte der Haupthandlung befindet, und in der noch weitergehenden
Verpflichtung, wie sie das Gesetz ausdrücklich ausspricht, als das Mindere
eingeschlossen sein. Wenn das Bundesgericht in den Urteilen BGE 3 S. 666 Erw.
2, 34 I 291 Erw. 2 und 44 I 179 jeweilen festgestellt hat, dass in der Tat
Haupthandlung und Nebenhandlung des auszuliefernden Teilnehmers in
verschiedenen Kantonen vor sich gegangen seien, so ist damit nur ausgesprochen
worden, dass der vom ersuchenden Kanton erhobene Anspruch infolgedessen schon
nach dem Wortlaut des Gesetzes begründet sei. Die Frage, ob nicht die Lösung
auch dann die nämliche sein müsste, wenn Haupt- und Nebenhandlung auf das
gleiche Kantonsgebiet fielen, ist dadurch nicht präjudiziert worden und
brauchte nach den Umständen des Falles nicht entschieden zu werden.
Der Kanton Bern glaubt demnach zu Unrecht dem Auslieferungsbegehren für die
Vergehen des betrüglichen und leichtsinnigen Bankerotts schon mit der
Begründung entgegentreten zu können, dass sich bei diesen der Begehungsort
rechtlich, gleichgültig wo körperlich gehandelt worden sei, immer nur an einem
Orte, demjenigen der Konkurseröffnung befinden und deshalb von einem in
mehreren Kantonen begangenen Vergehen überhaupt nie gesprochen werden könne.
Selbst wenn dem so wäre, was einstweilen unerörtert bleiben kann, würde sich
daraus nicht die angenommene Folge, nämlich der grundsätzliche Ausschluss der
Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 2 AuslG ergeben, sondern sich höchstens fragen,
ob, wenn die Konkurseröffnung ausserhalb des Kantons

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Zürich stattgefunden hat, Bern nicht die Auslieferung deshalb ablehnen könne,
weil Zürich für diese Vergehen nicht der Ort der «Haupthandlung» und zu deren
Verfolgung nicht zuständig sei.
Verfehlt ist auch der weitere auf § 205 des zürcherischen StGB gestützte
Versuch, für das eine oder andere Vergehen, wenn der in Konkurs geratene
Schuldner eine juristische Person ist, die Möglichkeit eines
Teilnahme-«Mitschuld»-verhältnisses inbezug auf die Begehung überhaupt
auszuschliessen. Wenn dort bestimmt wird, dass beim Konkurse juristischer
Personen die Vorschriften der §§ 200 und 202 auf «die schuldigen
Einzelpersonen der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane Anwendung finden», so
heisst dies nur, dass die blosse Stellung als Organ des in Konkurs geratenen
Verbandes noch keine strafrechtliche Haftung der betr. Person für
vorgekommene, unter § 200 oder 202 fallende Handlungen begründet, sondern der
Einzelne dafür nur insoweit einzustehen hat, als er selbst bei der Handlung in
einer Weise schuldhaft mitgewirkt hat, die ihn nach allgemeinen
strafrechtlichen Grundsätzen als Täter oder doch Teilnehmer erscheinen lässt.
Nur dahin gehen denn auch die Ausführungen des bei ZELLER, Kommentar zum StGB
§ 205 Nr. 3 zitierten obergerichtlichen Urteils. Keineswegs folgt daraus, dass
das Handeln jeder den Verwaltungs- und Aufsichtsorganen angehörenden Person
auch abgesehen davon getrennt für sich, als ein Sondertatbestand zu behandeln
und zu beurteilen sei und, selbst wenn unter § 200 oder 202 fallende
Tatbestände von mehreren solchen Personen gemeinsam verwirklicht worden sind,
darauf gleichwohl die Regeln über die Teilnahme an Vergehen keine Anwendung
finden. Umsoweniger besteht für eine solche Sonderbehandlung
auslieferungsrechtlich, vom Standpunkte des Art. 4 Abs. 2 AuslG ein Anlass.
Gerade die Eigenart beider Deliktsarten muss vielmehr richtiger Weise das
Gegenteil, nämlich eine Erweiterung des

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Geltungsgebietes der letzterwähnten Vorschrift noch über den eben gezogenen
Rahmen hinaus bewirken. Indem der Gesetzgeber gewisse Handlungen des
Schuldners aus dem Gesichtspunkte des betrüglichen oder leichtsinnigen
Bankerotts als strafbar erklärt, wenn der Schuldner (nachher oder vorher)
zahlungsunfähig geworden, in Konkurs geraten ist, fasst er durch diese
tatsächliche Bedingung der Strafbarkeit die Gesamtheit der betr. Handlungen zu
einem einheitlichen Vergehen zusammen. Der Schuldner, der eine jener Arten von
Handlungen zu verschiedenen Malen vorgenommen (z. B. wiederholt
wahrheitswidrige Bucheinträge gemacht) oder mehrere davon nebeneinander verübt
(z.B. die Bücher wahrheitswidrig geführt u n d Aktiven beseitigt) hat, macht
sich gleichwohl nur ein Mal des betrüglichen oder leichtsinnigen Bankerotts
schuldig. Er begeht nicht das Vergehen mehrfach in Realkonkurrenz (vgl. in
diesem Sinne speziell auch für das zürcher. StGB, ZURCHER, Kommentar zu § 200
Nr. 2; ZELLER, Kommentar § 200 Nr. 9). Bei dieser Sachlage kann aber auch, um
Art. 4 Abs. 2 AuslG auf ein Auslieferungsbegehren wegen betrüglichen oder
leichtsinnigen Bankerotts beim Konkurse einer juristischen Person als
anwendbar erscheinen zu lassen, nicht gefordert werden, dass gerade bei dem
einzelnen dem Auszuliefernden vorgeworfenen Tatbestand eine Mitwirkung noch
anderer Personen stattgefunden habe und auch für ihn getrennt betrachtet der
Ort der «Haupthandlung» im ersuchenden Kanton liege. Nach dem ganzen
Zweckgedanken der Vorschrift und der weiten Auslegung, die mit Rücksicht
darauf dem Begriff der «Mitschuld» auch nach anderer Richtung, so z.B. durch
die oben erwähnte Unterstellung der Begünstigung darunter, in der
bundesgerichtlichen Praxis schon gegeben worden ist, muss es vielmehr genügen,
dass solche Bankerotthandlungen ausser vom Auszuliefernden noch von andern
Organen der juristischen Person, wenn schon vielleicht unabhängig von ihm und
zu verschiedenen Zeiten

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begangen worden sind und der hauptsächliche, wichtigste Teil derselben in
ihrer Gesamtheit betrachtet im Gebiet des ersuchenden Kantons vor sich
gegangen ist... (folgen Ausführungen darüber, dass beides für die
Konkursvergehen sowohl im Falle der Vereinsbank als des
Hypothekenkreditvereins zutreffe und auch bei den weiteren Vergehen, die
Gegenstand des Auslieferungsbegehrens bilden, nicht behauptet werde, dass die
Haupthandlung nicht im Kanton Zürich vor sich gegangen sei, sondern bloss dass
der einzelne Teilnehmer oder die verschiedenen Teilnehmer zusammen nicht in
mehreren Kantonen gehandelt hätten).
«Wenn Bern weiter einwendet, dass Zürich trotz der tatsächlichen, körperlichen
Verknüpfung der Bankerotthandlungen mit seinem Gebiete zur Verfolgung der
Konkursvergehen (leichtsinniger und betrüglicher Bankerott) im Falle des
Hypothekenkreditvereins deshalb nicht befugt sei, weil die Konkurseröffnung,
die dafür rechtlich den Begehungsort bestimme, nicht in Zürich sondern im
Kanton Waadt erfolgt sei, so wird damit dem Art. 4 Abs. 2 AuslG ein Sinn
unterstellt, der ihm nicht zukommt.
«Die Abgrenzung des örtlichen Geltungsbereichs der kantonalen Strafnormen und
damit der Gerichtsbarkeit der kantonalen Strafgerichte, soweit sie hievon
abhängig ist, wo sich nicht dafür ausnahmsweise wie bei den Pressvergehen aus
dem Bundesrecht gewisse Beschränkungen ergeben, Sache der kantonalen
Gesetzgebung. Die bundesgerichtliche Praxis hat denn auch, von der Beurteilung
von Rekursen aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV wegen willkürlicher Missachtung von Vorschriften
dieser Gesetzgebung selbst abgesehen, darein nur insoweit eingegriffen, als es
zur Hebung effektiver positiver oder negativer Kompetenzkonflikte zwischen den
Behörden verschiedener Kantone nötig war. Um einen solchen negativen
Kompetenzkonflikt handelte es sich in dem Falle Rosasco (BGE 11 S. 107), wo
die Strafverfolgung

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wegen leichtsinnigen Bankerotts dem Kanton der Konkurseröffnung und nicht
demjenigen, in dem die inkriminierten Akte schlechter Vermögensverwaltung
stattgefunden hatten, überbunden wurde. Dass damit nicht etwa eine
bundesrechtliche Gerichtsstandsnorm für solche Vergehen überhaupt aufgestellt
werden sollte, erhellt klar aus dem Urteile BGE 52 I 27, wo ein Entscheid der
waadtländischen Anklagekammer als nicht bundesrechtswidrig bezeichnet wurde,
wodurch sie die waadtländischen Gerichte als zuständig für die Verfolgung im
Kanton verübter, unter den Begriff des betrüglichen Bankerotts fallender
Handlungen betrachtet hatte, obwohl der Konkurs über den Schuldner in einem
anderen Kanton (Wallis) eröffnet worden war. Insbesondere hat das
Bundesgericht es auch stets abgelehnt, in den Vorschriften des
Auslieferungsgesetzes (Art. 4 Abs. 2) mittelbar zugleich eine Ordnung des
Gerichtsstands in Strafsachen zu sehen, wonach die Strafverfolgung
interkantonalrechtlich bei innert der Schweiz begangenen Vergehen nur von den
Behörden des Ortes der Begehung betrieben werden dürfte und andere
Gerichtsstände daneben regelmässig ausgeschlossen wären (BGE 35 I 6 mit
Zitaten). Wenn in der angeführten Vorschrift von einem in mehreren Kantonen
begangenen Vergehen und von dem Orte der Verübung der Haupthandlung die Rede
ist, so ist dabei, wie die ganze Ausdrucksweise zeigt, zweifellos nicht an den
nach bestimmten juristischen Kriterien zu bestimmenden Begehungsort im
rechtlichen Sinne, sondern an den Ort des körperlichen Handelns gedacht.
Wollte man daraus gleichzeitig eine Gerichtsstandsregel ableiten, so könnte
sie also nur in der Anerkennung des Forums der Haupttat für alle Teilnehmer am
Vergehen und ferner im Vorrang des Ortes, wo die zur Verwirklichung des
Vergehens dienenden körperlichen Handlungen in der Hauptsache vorgenommen
sind, vor dem Orte blosser, zur Vollendung des Vergehens noch nötiger
Zwischenwirkungen oder des Eintritts des

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Erfolges bestehen. Auch wenn man davon absieht und annimmt, dass um den
Auslieferungsanspruch des Kantons der «Haupthandlung» nach Art. 4 Abs. 2 AuslG
zu begründen, zu dieser Eigenschaft noch das weitere Erfordernis der
rechtlichen Zuständigkeit des betr. Kantons zur Strafverfolgung nach den dafür
massgebenden besonderen, ausserhalb der zitierten Vorschrift stehenden
Grundsätzen gegeben sein müsse, so wird damit die Frage des Bestehens dieser
Zuständigkeit nicht zu einer bundesrechtlichen, die nach vom Bundesgericht
aufzustellenden selbständigen Kollisionsregeln zu beurteilen wäre. Es wird
vielmehr regelmässig genügen müssen, dass dem ersuchenden Kanton nach seiner
eigenen Gesetzgebung die beanspruchte Strafhoheit zusteht. Die Bestimmung
derselben nach bundesrechtlichen Kollisionsregeln können höchstens dann in
Betracht kommen, wenn neben dem Kanton Zürich noch ein dritter Kanton das
Verfolgungsrecht für sich in Anspruch nähme und mit einem Auslieferungsgesuch
an den Kanton Bern herangetreten wäre oder wenn der Kanton Bern selbst als
Begehungsort des Vergehens im rechtlichen Sinne für sich die bessere
Strafberechtigung beanspruchte. Weder das eine noch das andere ist aber der
Fall. Der Kanton Waadt, in dem der Konkurs über den Hypothekenkreditverein
eröffnet worden ist, hat bisher ein Strafverfahren gegen dessen Organe wegen
betrüglichen oder leichtsinnigen Bankerotts nicht eingeleitet und Bern
behauptet nicht, seinerseits gegen die Auszuliefernden wegen dieser Vergehen
aus eigenem Rechte einen Strafanspruch zu besitzen. Es möchte lediglich von
der Möglichkeit Gebrauch machen, als Heimat- oder Niederlassungskanton der
Auszuliefernden die Auslieferung dadurch abzuwenden, dass es die
Strafverfolgung an Stelle des sonst zur Bestrafung berechtigten Kantons
übernimmt, eine Möglichkeit, die aber eben versagt, wenn die besonderen
Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 AuslG vorliegen. Die

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Auslegung der internen Gerichtsstands- und Kollisionsregeln des ersuchenden
Kantons aber muss grundsätzlich den Behörden überlassen bleiben, die zu deren
Anwendung in erster Linie berufen sind, den kantonalen Strafgerichten. Die
Auslieferung könnte daher aus diesem Grunde höchstens verweigert werden, wenn
zum vorneherein klar wäre, dass jene sich zur Beurteilung des Falles nach
ihrer eigenen Gesetzgebung und Praxis schliesslich unzuständig erklären
müssten. Hievon kann im vorliegenden Falle nicht die Rede sein. Nach Art. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland ganz oder teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht die vollzogene Strafe auf die auszusprechende Strafe an.
3    Ist ein Täter auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden, so wird er, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der Konvention vom 4. November 19505 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  das ausländische Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Hat der auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgte Täter die Strafe im Ausland nicht oder nur teilweise verbüsst, so wird in der Schweiz die Strafe oder deren Rest vollzogen. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland nicht oder nur teilweise vollzogene Massnahme in der Schweiz durchzuführen oder fortzusetzen ist.

des zürcherischen StGB findet dieses Gesetz Anwendung auf alle im Gebiet des
Kantons von Inländern oder Ausländern verübten Verbrechen. Eine
Begriffsbestimmung des Begehungsortes enthält das Gesetz selbst nicht, weshalb
denn auch die kantonale Praxis darin bei den einzelnen Vergehen früher
mehrfach geschwankt hat. Die Lücke ist aber seither ausgefüllt worden durch §
1 der StPO vom 4. Mai 1919, wonach als Ort der Begehung sowohl der Ort, wo der
Täter gehandelt hat, als derjenige gilt, wo der Erfolg eingetreten ist. Wenn
das zürcherische Kassationsgericht in dem vom Kanton Bern angerufenen Urteile,
Blätter für zürcherische Rechtsprechung Bd. 24 Nr. 26, die zürcherischen
Gerichte als zuständig für die Beurteilung auch im Auslande verübter
betrüglicher Bankerotthandlungen betrachtet hat, wenn der Ort der
Konkurseröffnung über den Schuldner im Kanton Zürich liegt, so folgt daraus
noch nicht, dass es nicht die gleiche Zuständigkeit auch für den Fall
angenommen hätte, wo zwar der Konkurs ausserhalb des Kantons eröffnet worden
ist, die unter § 200 oder 202 StGB fallenden Handlungen selbst aber im Kanton
vor sich gegangen sind. Massgebend ist, dass jedenfalls das zürcherische
Obergericht in einem späteren Entscheide a.a.O. Nr. 68 im Hinblick auf §1 Abs.
2 StPO sich auf diesen Boden gestellt hat und ein nachfolgendes Urteil des
Kassationsgerichts, wodurch es diese Praxis desavouiert hätte, nicht namhaft
gemacht werden kann.

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Es muss deshalb den Auszuliefernden anheimgestellt bleiben, die
Unzuständigkeitseinrede, nach Bewilligung der Auslieferung, im Strafverfahren
vor den zürcherischen Gerichten selbst geltend zu machen. Der
Auslieferungsanspruch des Kantons Zürich kann bei dieser Sachlage mit dieser
Begründung nicht bestritten werden. Das umsoweniger, als die Sitzverlegung des
Hypothekenkreditvereins von Zürich nach Lausanne erst im Oktober 1926
vorgenommen worden ist, als dessen Zahlungsunfähigkeit schon auf der Hand lag,
und infolgedessen den zürcherischen Gerichten auch dann kaum verwehrt werden
könnte, den Ort der Konkurseröffnung als für die Kompetenzfrage nicht
massgebend zu betrachten, wenn die kantonale Praxis sonst eine andere wäre.»
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 I 279
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 09. Juni 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 I 279
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Bundesgesetz betr. die Auslieferung unter den Kantonen vom 24. Juli 1852. Verhältnis von Art. 1...


Gesetzesregister
AuslG: 1  2  4
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
StGB: 2 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland ganz oder teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht die vollzogene Strafe auf die auszusprechende Strafe an.
3    Ist ein Täter auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden, so wird er, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der Konvention vom 4. November 19505 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  das ausländische Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Hat der auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgte Täter die Strafe im Ausland nicht oder nur teilweise verbüsst, so wird in der Schweiz die Strafe oder deren Rest vollzogen. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland nicht oder nur teilweise vollzogene Massnahme in der Schweiz durchzuführen oder fortzusetzen ist.
BGE Register
34-I-288 • 35-I-1 • 41-I-505 • 44-I-174 • 52-I-165 • 52-I-170 • 52-I-27 • 54-I-279
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
strafverfolgung • schuldner • bundesgericht • juristische person • begehungsort • frage • weiler • genossenschaft • verwaltungsrat • lausanne • ausserhalb • maler • wille • aktiengesellschaft • waadt • zelle • 1919 • betrug • autonomie • strafuntersuchung
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