118 Ia 488
64. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. November 1992 i.S. B. gegen Anwaltsprüfungskommission des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 88 OG sowie Art. 40 OG i.V.m. Art. 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes.
- 1. Hat ein Examenskandidat die Prüfung im zweiten Versuch bestanden, verfügt er nicht mehr über ein aktuelles praktisches Interesse an einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen den ersten negativen Prüfungsentscheid. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Frage der Widerrechtlichkeit Bestandteil eines selbständigen Haftungsprozesses sein kann, selbst im Hinblick auf die allfällige Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen (E. 1).
- 2. Auch wenn die fehlende Legitimation in der Sache die Rüge der formellen Rechtsverweigerung nicht ausschliesst, befreit dies nicht davon, dass wenigstens ein aktuelles praktisches Interesse an der formellen Rüge bestehen muss (E. 2).
- 3. Kostenregelung, wenn die staatsrechtliche Beschwerde infolge nachträglichen Wegfalls des Interesses abzuschreiben ist (E. 4).
Regeste (fr):
- Art. 88 OJ, ainsi qu'art. 40 OJ en relation avec l'art. 72 PCF; exigence d'un intérêt actuel et pratique pour attaquer un résultat d'examen par la voie du recours de droit public.
- 1. Un candidat qui a réussi l'examen lorsqu'il s'est présenté pour la deuxième fois n'a plus un intérêt actuel et pratique à déposer un recours de droit public contre le résultat négatif du premier examen. Ce principe ne vaut toutefois que si la question de l'illicéité peut être l'un des éléments d'un procès en responsabilité indépendant, même si une demande de dommages-intérêts n'a pas encore été introduite (consid. 1).
- 2. Même si la qualité pour agir sur le fond fait défaut, il est possible de soulever le grief de déni de justice formel, mais cela ne dispense pas de respecter l'exigence d'un intérêt actuel et pratique pour faire valoir ce grief (consid. 2).
- 3. Suite de frais lorsque le recours de droit public doit être rayé du rôle en raison de la disparition, après coup, de l'intérêt pour recourir (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 88 OG come anche art. 40 OG in relazione con l'art. 72 PC; esigenza di un interesse pratico attuale per impugnare con ricorso di diritto pubblico il risultato di un esame.
- 1. Un candidato che ha superato un esame al secondo tentativo non ha più un interesse pratico attuale a contestare con ricorso di diritto pubblico il risultato negativo del primo esame. Ciò vale soltanto se la questione dell'illiceità può essere fatta valere in un processo indipendente relativo alla responsabilità, anche quando si tratta dell'esercizio eventuale di un diritto d'indennizzo (consid. 1).
- 2. Anche in mancanza di legittimazione nel merito si può far valere un diniego di giustizia formale; ciò non esclude però che vi debba almeno essere un interesse pratico attuale a sollevare detta censura formale (consid. 2).
- 3. Ripartizione delle spese allorché il ricorso di diritto pubblico è stralciato dai ruoli quando, a posteriori, viene a mancare l'interesse a ricorrere (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 489
BGE 118 Ia 488 S. 489
Im Oktober 1991 absolvierte B. den schriftlichen Teil der Anwaltsprüfung des Kantons Luzern. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1991 teilte ihm die Anwaltsprüfungskommission des Kantons Luzern mit, dass der schriftliche Teil der Prüfung nicht bestanden und in allen vier Fächern (ZGB/OR, StGB/StPO, SchKG, Verwaltungsrecht) zu wiederholen sei. Am 28. November 1991 erhob B. staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Im wesentlichen beantragt er, die ungenügenden Bewertungen in den Fächern ZGB/OR und Verwaltungsrecht sowie die Auflage der Prüfungskommission, die schriftlichen Prüfungen in allen Fächern zu wiederholen, seien aufzuheben.
BGE 118 Ia 488 S. 490
In ihrer Vernehmlassung vom 21. Januar 1992 schliesst die Anwaltsprüfungskommission auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Auf Begehren von B. ordnete der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts am 5. Februar 1992 einen zweiten Schriftwechsel an. In Replik vom 27. März 1992 und Duplik vom 15. Mai 1992 halten die Parteien im wesentlichen an ihren Standpunkten fest. Die Anwaltsprüfungskommission wies zudem darauf hin, dass B. in der Zwischenzeit die Anwaltsprüfung des Kantons Luzern bestanden habe und ihm vom Obergericht das Anwaltspatent erteilt worden sei. Auf schriftliche Anfrage des Instruktionsrichters vom 15. Juli 1992 hin teilte B. dem Bundesgericht am 27. August 1992 mit, dass er vollumfänglich an seiner Beschwerde festhalte. Dabei nahm er eingehend zur Frage Stellung, ob er überhaupt noch über ein aktuelles Interesse an der Beschwerde verfüge.
Erwägungen
Erwägungen:
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 88 OG muss der Beschwerdeführer ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids beziehungsweise an der Überprüfung der von ihm erhobenen Rügen haben, damit auf die Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 116 Ia 150 E. 2a; BGE 116 II 729 E. 6; BGE 114 Ia 90 E. 1b). Ein aktuelles praktisches Interesse fehlt insbesondere dann, wenn der Nachteil auch bei Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden kann (BGE 116 II 729 E. 6). Liegt das praktische Interesse im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor, fällt es aber nachträglich weg, ist die Beschwerde als erledigt abzuschreiben (Art. 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. |
BGE 118 Ia 488 S. 491
kommt es heute noch darauf an, ob bei einer erneuten Prüfung die schriftlichen Examen in allen Fächern oder nur teilweise zu wiederholen wären. Gemessen an der unmittelbaren Auswirkung der staatsrechtlichen Beschwerde auf die Prüfungssituation des Beschwerdeführers ist damit sein Interesse an der Beschwerde grundsätzlich weggefallen. c) Der Beschwerdeführer wendet allerdings ein, er habe wegen des angefochtenen Entscheids seine Tätigkeit als Anwalt erst fünf Monate später aufnehmen können. Während dieser Zeit habe er wegen Verdienstausfalls einen Schaden erlitten; zudem habe er die Prüfungsgebühr erneut bezahlen müssen. Er habe ein aktuelles Interesse daran, dass für ein allfällig anderes Verfahren die Widerrechtlichkeit des Prüfungsentscheides festgestellt würde. Im Interesse der Prozessökonomie kann es jedoch nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, eine Rechtsfrage mit einem Feststellungsurteil rein theoretisch zu entscheiden, wenn dieselbe Frage Bestandteil eines selbständigen Haftungsprozesses zu bilden vermag (vgl. BGE 110 Ia 141 ff. E. 2). Dafür könnte höchstens insoweit ein praktisches Interesse bestehen, als die Frage der Widerrechtlichkeit im Haftungsprozess selbst nicht mehr gestellt werden dürfte, beziehungsweise als ein solches Verfahren voraussetzen würde, dass alle Möglichkeiten zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aktes, der die Haftung begründen soll, vorweg ergriffen worden sind. Da sich die nach Haftungsrecht massgebliche Widerrechtlichkeit indes nicht mit der im staatsrechtlichen Verfahren ausschliesslich rügbaren Verfassungswidrigkeit deckt, kann das Ergebnis eines staatsrechtlichen Verfahrens schon von vorneherein nicht den gänzlichen Ausschluss der Widerrechtlichkeitsfrage im Schadenersatzprozess bewirken. Es erscheint weiter als zweifelhaft, ob eine allfällig vorgesehene Einschränkung der Überprüfbarkeit im Haftungsprozess auch dann gelten kann, wenn die ursprüngliche Verfügung rechtskräftig wurde, weil sie aus prozessualen Gründen gar nicht mehr angefochten werden konnte (vgl. BGE 110 Ia 142 f.).
Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, kann jedoch offenbleiben, denn der Beschwerdeführer behauptet gar nicht und legt dementsprechend auch nicht dar, dass die Widerrechtlichkeit im Schadenersatzverfahren nicht mehr überprüft werden könnte. Er belegt somit sein angebliches praktisches Interesse an der staatsrechtlichen Beschwerde wegen eines möglichen späteren Haftungsprozesses nicht.
BGE 118 Ia 488 S. 492
2. a) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er habe jedenfalls insofern ein aktuelles Interesse an der Behandlung der Beschwerde, als er eine formelle Rechtsverweigerung rüge. Zwar trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein aktuelles Interesse grundsätzlich gegeben ist, wenn eine formelle Rechtsverweigerung geltend gemacht wird. Diese Rechtsprechung, die im Zusammenhang mit Fällen ergangen ist, bei denen auf ein kantonales Rechtsmittel nicht eingetreten wurde (BGE 113 Ia 250 E. 3; BGE 108 Ib 124 /5 E. 1a; BGE 103 Ia 16 E. b), bedeutet aber nicht, dass das aktuelle Interesse immer und ohne weitere Prüfung zu bejahen ist, wenn eine formelle Rechtsverweigerung gerügt wird.
Die aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 118 Ia 488 S. 493
c) Zu den mit "genügend" bewerteten Fächern ZPO/SchKG und StGB/StPO rügt der Beschwerdeführer, es sei ihm die Einsicht in die Akten verweigert worden. Auch der Anspruch auf Akteneinsicht leitet sich aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. a) Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die
BGE 118 Ia 488 S. 494
aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht und sie im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich überprüft werden könnte (BGE 117 Ia 194 E. 1a; 116 Ia 150 E. 2a; BGE 116 II 729 E. 6; BGE 114 Ia 90 /91 E. 5b). b) Nach Ansicht des Beschwerdeführers könnten sich die Fragen der Begründungspflicht sowie der Notengebung jederzeit erneut stellen; ausserdem sei ihre Beantwortung von grundsätzlicher Bedeutung. Da der Beschwerdeführer selbst die Anwaltsprüfung nicht mehr absolvieren muss, kann dies allerdings höchstens bei anderen künftigen Kandidaten bedeutsam werden. Die gleiche Situation kann sich aber auch bei ihnen nur dann ergeben, wenn sie nicht von einer Prüfungswiederholung ausgeschlossen sind. Selbst wenn eine Examenswiederholung zulässig ist, verbleibt einem potentiellen Beschwerdeführer indessen die Möglichkeit, den Rechtsmittelentscheid abzuwarten, bevor er sich erneut der Prüfung stellt. Entscheidet er sich dafür, schon früher ein weiteres Mal zum Examen anzutreten, kann er sich nicht darauf berufen, die verfassungsgerichtliche Überprüfung des angefochtenen Examensentscheides könne nicht rechtzeitig erfolgen. c) Damit kann im vorliegenden Fall nicht vom Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses abgesehen werden. Da dieses aber nachträglich weggefallen ist, muss die Beschwerde als erledigt abgeschrieben werden.
4. a) Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. |
BGE 118 Ia 488 S. 495
der Umstände abzuschreiben ist, ohne dass ihm dies anzulasten wäre. Im vorliegenden Fall erhielt der Beschwerdeführer vom Instruktionsrichter unter Hinweis auf eine mögliche Kostenersparnis Gelegenheit, die Beschwerde zurückzuziehen. Er hat dies nicht getan und auch nicht um Abschreibung im Verfahren gemäss Art. 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. |
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. |
BGE 118 Ia 488 S. 496
In diesem Sinne könnte nur dann angenommen werden, das vorliegende Verfahren wäre zugunsten des Beschwerdeführers ausgegangen, wenn ein rechtlich massgeblicher Fehler der Prüfungsbehörde bei der Lektüre der Unterlagen geradezu ins Auge spränge beziehungsweise unübersehbar wäre. Dies trifft im vorliegenden Fall indessen nicht zu. d) Infolgedessen ist die Gebühr für das bundesgerichtliche Verfahren dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.