107 II 30
6. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Februar 1981 i.S. M. gegen C. (Berufung)
Regeste (de):
- Bäuerliches Erbrecht; ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes (Art. 620 ff
. ZGB).
- 1. Eignung zum Selbstbetrieb im Sinne von Art. 621 Abs. 2
ZGB (E. 2).
- 2. Würdigung der persönlichen Verhältnisse zweier Bewerber, die das Gewerbe nicht selbst betreiben können oder wollen, im Sinne von Art. 621 Abs. 1
ZGB; Bedeutung des Umstandes - dass einer der beiden Bewerber Nachkommen hat, die für die künftige Übernahme des Hofes in Frage kommen; - dass der Übernehmer den Hof des Erblassers mit seinem eigenen Land zu einer neuen Betriebseinheit zusammenlegen wird (E. 3).
Regeste (fr):
- Droit successoral paysan; attribution en bloc d'une exploitation agricole (art. 620 ss. CC).
- 1. Aptitude à exploiter l'entreprise personnellement, au sens de l'art. 621 al. 2 CC (consid. 2).
- 2. Appréciation, selon l'art. 621 al. 1 CC, de la situation personnelle de deux prétendants qui ne peuvent ou ne veulent exploiter personnellement le domaine; portée à attribuer au fait - que l'un des prétendants a des descendants qui entrent en ligne de compte pour une reprise ultérieure du domaine; - que le reprenant réunira le domaine du de cujus à ses propres terres de manière à former une nouvelle unité d'exploitation (consid. 3).
Regesto (it):
- Diritto successorio rurale; attribuzione per intiero di un'azienda agricola (art. 620 segg. CC).
- 1. Idoneità ad amministrare l'azienda personalmente, ai sensi dell'art. 621 cpv. 2 CC (consid. 2).
- 2. Apprezzamento, secondo l'art. 621 cpv. 1 CC, delle condizioni personali di due interessati all'attribuzione che non sono in grado o non intendono amministrare personalmente l'azienda; rilevanza del fatto - che uno degli interessati ha discendenti che entrano in linea di conto per un'assunzione futura dell'azienda; - che l'assuntore riunirà i poderi agricoli del "de cujus" ai propri, in modo da formare una nuova unità economica (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 31
BGE 107 II 30 S. 31
A.- Am 23. März 1976 starb in Thusis der am 28. Januar 1883 geborene Johann Friedrich J. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine fünf Töchter Anna Lukretia S., Nina M., Ursina M., Beata C. und Hedwig C. sowie die Kinder seines vorverstorbenen Sohnes Rudolf J., nämlich Rudolf, Lukretia, Silvia und Gertrud J. Hauptbestandteil des Nachlasses bildet das landwirtschaftliche Gewerbe des Erblassers im Halte von knapp 13 ha. Der Erblasser hatte ein handschriftliches Testament aufgesetzt, das auf der ersten Seite mit dem 16. Juli 1961 und auf der letzten Seite mit dem 16. Juli 1969 datiert ist. Darin setzte er seine Töchter auf den Pflichtteil und wies die verfügbare Quote seinen Enkeln Rudolf, Lukretia, Silvia und Gertrud zu; das landwirtschaftliche Gewerbe teilte er zum Ertragswert seinem Enkel Rudolf J. zu; für den Fall, dass dieser nicht fähig oder nicht willens sein sollte, das Gewerbe zu übernehmen, sollte es verpachtet werden, bis es die Enkelin Riccarda C., die Tochter von Beata C., zum Selbstbetrieb übernehmen wolle, nachdem sie sich verheiratet habe; sollte auch diese das Gewerbe nicht übernehmen wollen, sollte es verkauft werden. Zur Vollstreckung seines letzten Willens bestellte der Erblasser zwei Willensvollstrecker.
B.- Mit Eingabe vom 6. Mai 1977 erhob Ursina M. beim Vermittleramt Domleschg gegen die übrigen gesetzlichen Erben sowie gegen die Vermächtnisnehmer und die Testamentsvollstrecker eine Klage auf Ungültigkeit des Testaments und auf Erbteilung, wobei sie das im Nachlass befindliche landwirtschaftliche Gewerbe zum Ertragswert für sich beanspruchte. Am 9. Mai 1977 reichte Beata C. eine praktisch identische Klage ein, mit der auch sie beantragte, das Heimwesen des Erblassers sei ihr ungeteilt zum Ertragswert zuzuweisen. Die beiden Verfahren wurden im Einverständnis der beiden Klägerinnen zusammengelegt. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens einigten sich die gesetzlichen Erben mit den Vermächtnisnehmern und den Willensvollstreckern über die erbrechtliche Auseinandersetzung mit Ausnahme der Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an eine der beiden Ansprecherinnen. Diese hielten ihren Antrag auf gerichtliche Teilung des Nachlasses nicht mehr aufrecht, so dass das Bezirksgericht Heinzenberg nur noch über die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an eine der
BGE 107 II 30 S. 32
beiden Klägerinnen sowie über die Frage der Gültigkeit der letztwilligen Verfügung zu befinden hatte, wobei bezüglich des zweiten Punktes übereinstimmende Parteianträge vorlagen. Mit Urteil vom 25. Mai 1979 erklärte das Bezirksgericht in Gutheissung beider Klagen die letztwillige Verfügung des Erblassers für ungültig, wies die Klage von Ursina M. auf Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes ab, hiess diejenige von Beata C. dagegen gut und wies dieser das Gewerbe zum Ertragswert von Fr. 169'900.- zu. Eine Berufung von Ursina M. gegen diesen Entscheid wurde vom Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 14. April 1980 abgewiesen.
C.- Gegen dieses Urteil erklärte Ursina M. die Berufung ans Bundesgericht. Sie hält an ihrem Antrag auf ungeteilte Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes des Erblassers zum Ertragswert an sie fest. Beata C. beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist das Gewerbe der Berufungsklägerin zu, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1. Befindet sich in einer Erbschaft ein landwirtschaftliches Gewerbe, das eine wirtschaftliche Einheit bildet und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz bietet, so ist es, wenn einer der Erben sich zu dessen Übernahme bereit erklärt und als hiefür geeignet erscheint, diesem Erben zum Ertragswert auf Anrechnung ungeteilt zuzuweisen (Art. 620 Abs. 1
![](media/link.gif)
2. Stehen sich mehrere für die Übernahme taugliche Erben gegenüber, so hat nach Art. 621 Abs. 2
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 33
heute 66 Jahre alt ist und sich vor mehr als zehn Jahren altershalber vom landwirtschaftlichen Betrieb, den sie zusammen mit ihrem Ehemann geführt hatte, zurückgezogen hat, hatte schon im kantonalen Verfahren erklärt, sie werde das Gut nicht selbst bewirtschaften, sondern durch ihren Sohn führen lassen. Die Berufungsbeklagte hält dagegen auch vor Bundesgericht daran fest, sie beabsichtige, den Betrieb selbst zu bewirtschaften, und sei hiefür auch geeignet. Ob ein Erbe gewillt und geeignet sei, ein landwirtschaftliches Heimwesen zum Selbstbetrieb zu übernehmen, ist weitgehend eine Tatfrage, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann, sofern die diesbezüglichen Feststellungen der kantonalen Behörde nicht auf einer unrichtigen Auffassung über das Mass der an den Bewerber zu stellenden Anforderungen beruhen (vgl. BGE 83 II 118, BGE 75 II 32, BGE 70 II 18, BGE 47 II 260, 44 II 243, BGE 42 II 433, BGE 40 II 189). Dieser Vorwurf kann der Vorinstanz nicht gemacht werden. Sie führt im angefochtenen Entscheid aus, die Berufungsbeklagte stehe im 62. Altersjahr und sei gesundheitlich angeschlagen; sie trage eine Dauerkanüle und beziehe eine halbe Invalidenrente; ihre landwirtschaftliche Tätigkeit beschränke sich auf einen Baumgarten, etwas Land sowie eine kleine Schweinezucht, während der grösste Teil des Bodens verpachtet sei; ihre einzige Hilfe, die 15jährige Tochter Riccarda, sei noch schulpflichtig. Wenn die Vorinstanz aus diesen Umständen schloss, die Berufungsbeklagte sei ebensowenig wie ihre Schwester in der Lage, das väterliche Heimwesen selbst zu bewirtschaften, so ist dies unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts nicht zu beanstanden. Wie das Bundesgericht in BGE 94 II 258 /259 in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung dargelegt hat, liegt Selbstbetrieb im Sinne von Art. 621 Abs. 2
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 34
Arbeitsteilung von den männlichen Familienangehörigen ausgeführt wird (BGE 94 II 260). Der Ehemann der Berufungsbeklagten ist jedoch bereits verstorben, und es sind weder Söhne noch Schwiegersöhne vorhanden, die ihr bei der Bewirtschaftung des Heimwesens zur Seite stehen könnten. Da die Mithilfe der noch schulpflichtigen Tochter nicht ins Gewicht fällt, wäre die Berufungsbeklagte gezwungen, den Hof durch familienfremde Arbeitskräfte bewirtschaften zu lassen oder ihn zu verpachten. Bei dieser Sachlage kann sie aber das Vorzugsrecht des Selbstbewirtschafters nicht für sich beanspruchen.
3. Kommt keine der beiden Bewerberinnen für die Selbstbewirtschaftung in Frage, so ist der Entscheid über die Zuweisung des Gewerbes nach Art. 621 Abs. 1
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 35
selbst bewirtschaften können und es ihnen im Grunde genommen nur noch darum geht, das Gewerbe für die eigenen Nachkommen zu sichern. So verhält es sich hier. Die beiden Bewerberinnen sind 62 bzw. 66 Jahre alt und nach dem Gesagten zur Selbstbewirtschaftung nicht mehr in der Lage. Schon im Hinblick auf die absehbare Zukunft kommt es somit wesentlich darauf an, ob Nachkommen vorhanden sind, die das Heimwesen auf längere Sicht erhalten können. Die Erhaltung lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe über Generationen hinweg ist einer der wesentlichen Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechts, der durch das Institut der ungeteilten Zuweisung an einen zur Übernahme geeigneten Erben verwirklicht wird. Es ist daher mit dem Sinn des Gesetzes sehr wohl vereinbar, wenn bei der Würdigung der persönlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 621 Abs. 2
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 36
der Tochter eine Lücke, währen welcher der Hof wohl verpachtet werden müsste, während der Sohn der Berufungsklägerin als derzeitiger Pächter den Betrieb sofort übernehmen und weiterführen könnte. d) Im angefochtenen Entscheid wird freilich ausgeführt, die Zuweisung des Gewerbes an die Berufungsklägerin biete keine rechtliche Gewähr dafür, dass deren Sohn schliesslich den Hof erhalten werde. Sollte die Berufungsklägerin das Gewerbe veräussern wollen, so stünde ihrem Sohn indessen ein Vorkaufsrecht zum Ertragswert im Sinne von Art. 6 ff
![](media/link.gif)
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 37
Strukturpolitik. Das schliesst aber nicht aus, dass der Übernehmer den Hof mit seinem eigenen Land zu einer neuen Betriebseinheit zusammenlegt. Die Erhaltung des Gewerbes des Erblassers ist im Gegenteil besser gewährleistet, wenn es in zweckmässiger Weise arrondiert werden kann und so ein auch auf die Dauer lebensfähiger Betrieb entsteht. Dieser Gedanke liegt auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu der am 15. Februar 1973 in Kraft getretenen Neufassung von Art. 620 Abs. 2
![](media/link.gif)
BGE 107 II 30 S. 38
bewirtschaftet worden ist. Es kann daher nicht gesagt werden, die Veräusserung des Wohnhauses hätte den Verlust der wirtschaftlichen Einheit des Gewerbes zur Folge. Von grösserer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Wirtschaftsgebäude, die der Sohn der Berufungsklägerin indessen schon jetzt gepachtet hat und auf die er auch in Zukunft angewiesen sein wird. h) Das landwirtschaftliche Gewerbe des Erblassers ist daher in Gutheissung der Berufung der Berufungsklägerin zuzuweisen. Dass die Berufungsbeklagte dadurch geradezu ihre Existenzgrundlage verlieren wird, wie die Vorinstanz annimmt, dürfte übertrieben sein. Gestützt auf ihr Wohnrecht wird sie weiterhin im Haus des Erblassers wohnen können. Der grösste Teil des Betriebs war sodann schon bisher verpachtet. Der Berufungsbeklagten wird somit einzig die Grundlage für ihre kleine Schweinezucht entzogen, sofern sich die Berufungsklägerin nicht bereit findet, ihr das hiefür benötigte Stückchen Land weiterhin zur Verfügung zu stellen. Im übrigen wird sie so oder so ihren Erbteil erhalten.