6P.138/2002
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.138/2002 /pai
6S.412/2002
Urteil vom 7. Februar 2003
Kassationshof
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Boog.
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dieter Gysin, Postfach 375, 4410 Liestal,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.
Landesverweisung, Strafzumessung, bedingter Strafvollzug,
Staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, vom 22. August 2002.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Lenzburg erklärte X.________ mit Urteil vom 5. April 2001 des bandenmässigen, zum Teil versuchten Raubes, der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub, des mehrfachen banden- und gewerbsmässigen Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs, des mehrfachen Betrugs, des mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, der Begünstigung, des mehrfachen Konsums von Betäubungsmitteln sowie des Nichtmitführens des Führerausweises schuldig und verurteilte ihn zu 5 Jahren Zuchthaus, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Zofingen vom 22. September 1998, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft. Ferner verwies es ihn für die Dauer von 8 Jahren des Landes (unbedingt). In einzelnen Anklagepunkten sprach es ihn frei. Im Weiteren widerrief es den für eine frühere Vorstrafe gewährten bedingten Strafvollzug und entschied über die Einziehung der beschlagnahmten Gegenstände und Barbeträge.
Eine vom Beurteilten erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 22. August 2002 teilweise gut, änderte das erstinstanzliche Urteilsdispositiv in einem Punkt ab und reduzierte die ausgesprochene Freiheitsstrafe unter zusätzlicher Anwendung von Art. 11

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |
B.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei von einer Landesverweisung Umgang zu nehmen. Eventualiter sei die Landesverweisung angemessen herabzusetzen und bedingt auszusprechen. Ferner ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung für die Nebenstrafe und Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
C.
Mit Verfügung vom 17. Dezember 2002 ordnete der Präsident des Kassationshofs superprovisorisch an, dass bis zum Entscheid über das Gesuch betreffend die aufschiebende Wirkung alle Vorkehrungen zum Vollzug der Landesverweisung zu unterbleiben haben.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 275 Abs. 5

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |
2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist rein kassatorischer Natur; sie führt im Falle der Gutheissung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz (Art. 277ter Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |
Gemäss Art. 276 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |
3.
3.1 Der Beschwerdeführer ist anerkannter Flüchtling. Das Bundesamt für Flüchtlinge gewährte ihm mit Entscheid vom 29. Januar 1996 Asyl.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Aussprechung der Landesverweisung sowie im Eventualstandpunkt gegen die Dauer und die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges der Nebenstrafe. In den übrigen Punkten ficht er das vorinstanzliche Urteil nicht an.
3.2 Gemäss Art. 55 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn: |
Als Ausländer im Sinne von Art. 55

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
Des Landes verwiesen werden können auch anerkannte Flüchtlinge. Hier gelten indes Einschränkungen. Gemäss Art. 32 Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention; SR 0.142.30) weisen die vertragschliessenden Staaten einen Flüchtling, der sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung aus. Dem trägt Art. 65

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 65 Weg- oder Ausweisung - Die Weg- oder Ausweisung von Flüchtlingen richtet sich nach Artikel 64 AIG191 in Verbindung mit Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 68 AIG. Artikel 5 bleibt vorbehalten. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 5 Rückschiebungsverbot - 1 Keine Person darf in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Artikel 3 Absatz 1 gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 44 Wegweisung und vorläufige Aufnahme - Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie. Im Übrigen finden für die Anordnung des Vollzugs der Wegweisung die Artikel 83 und 84 des AIG132 Anwendung. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
ergibt sich aus dem Folterverbot oder dem Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäss Art. 25 Abs. 3

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 25 Schutz vor Ausweisung, Auslieferung und Ausschaffung - 1 Schweizerinnen und Schweizer dürfen nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden; sie dürfen nur mit ihrem Einverständnis an eine ausländische Behörde ausgeliefert werden. |

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
Gegenüber anerkannten Flüchtlingen erfordert somit die Entscheidung über die Verhängung einer Landesverweisung eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verhütung weiterer Delikte durch den ausländischen Straftäter und dessen privatem Interesse am weiteren Verbleib in der Schweiz. Dabei fallen auch die Gesichtspunkte gemäss Art. 3

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
3.3
3.3.1 Der Beschwerdeführer hat sich des mehrfachen bandenmässigen und des gewerbsmässigen Diebstahls und des bandenmässigen, zum Teil versuchten Raubes schuldig gemacht. Er hat als Anführer zusammen mit mehreren Mittätern in den Monaten Juli und August 1997 und in der Zeit von Dezember 1999 bis 3. Mai 2000 fünf Raubüberfälle auf Spielsalons und Kioske sowie 35 Einbruchdiebstähle mit einem Deliktserlös von rund Fr. 150'000.-- und einem Sachschaden von insgesamt Fr. 40'000.-- begangen.
Wie die Vorinstanz im Rahmen der Zumessung der Hauptstrafe ausführt, wurde der Beschwerdeführer 1974 in der Türkei geboren, wo er zusammen mit seinen Geschwistern bei seiner Mutter, die im Jahre 1993 bei einem Autounfall ums Leben kam, aufwuchs. Sein Vater lebte von der Familie getrennt. Der Beschwerdeführer absolvierte nach der Grundschule keine Berufsausbildung und arbeitete in seinem Heimatland an verschiedenen Stellen als Hilfsarbeiter. Im Jahre 1994 reiste er in die Schweiz ein, wo er wegen seiner gesundheitlichen Probleme (Tuberkulose, Entfernung eines Lungenflügels) nie arbeitete. Finanziell wurde er von der Caritas und seiner Verlobten unterstützt. Seit Anfang 2001 ist er verheiratet und Vater eines Kindes.
3.3.2 Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer unterhalte keine engeren Beziehungen zur Schweiz und habe hier seit seiner Einreise im Jahre 1994 noch nie gearbeitet, verkehre vorwiegend mit Landsleuten und habe sich kaum integriert. Sein Vater und vier seiner Geschwister lebten ebenfalls in der Schweiz. Er pflege allerdings nur hin und wieder Umgang mit zwei Schwestern. Zum Vater und den anderen Geschwistern bestehe kein Kontakt mehr. Seine Ehefrau, mit der er seit dem Jahr 2001 verheiratet sei und mit der er ein Kind habe, stamme wie er selbst aus der Türkei.
Im Rahmen ihrer Erwägungen zur Nebenstrafe kommt die Vorinstanz zum Schluss, beim Beschwerdeführer dränge sich eine Landesverweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auf. Er habe innert relativ kurzer Zeit zahlreiche Straftaten begangen. Zwar habe er die Raubüberfälle mit seinen Mittätern mit Luft- und nicht mit Feuerwaffen begangen. Doch hätten er und seine Mittäter ihre Opfer gleichwohl in brutaler Art und Weise bedroht und widerstandsunfähig gemacht. Durch sein Verhalten habe er eine skrupellose und gefährliche Einstellung offenbart. Dementsprechend sei das Sicherungsbedürfnis gross. Dies ergebe sich auch daraus, dass er im psychiatrischen Gutachten als unbeherrscht und impulsiv beschrieben werde. Zwar richte sich diese Unbeherrschtheit zu einem guten Teil gegen sich selbst, sie könne sich aber, wie sich aus seinen verbalen Drohungen ergebe, auch gegen Drittpersonen richten. Im Übrigen seien im Tatzeitraum die Caritas und seine (damalige) Verlobte für seinen Lebensunterhalt aufgekommen; er habe sich somit nicht in einer finanziellen Notlage befunden.
3.4 Die Erwägungen zur Nebenstrafe im angefochtenen Urteil genügen den Anforderungen an die Urteilsbegründung nicht. Die Vorinstanz beschränkt sich darauf, aufgrund der gravierenden Anlasstaten auf ein Sicherungsbedürfnis der Schweiz zu schliessen. Auch wenn sie ihr Ermessen nicht verletzt, wenn sie das Tatverschulden des Beschwerdeführers und die von ihm mitzuverantwortenden Delikte als schwerwiegend einstuft, genügt das Begehen schwerer Anlasstaten für sich allein für die Aussprechung einer Landesverweisung nicht. Erforderlich für die Bejahung eines Sicherungsbedürfnisses ist entsprechend dem Massnahmecharakter, welcher bei der Landesverweisung im Vordergrund steht (BGE 117 IV 229 E. 1c/cc S. 232), die erhebliche Gefahr, dass der Betroffene in absehbarer Zeit rückfällig wird (vgl. Béatrice Keller, a.a.O., Art. 55 N 11).
Die Beurteilung der Rückfallgefahr hätte eine einlässliche Auseinandersetzung mit dem psychiatrischen Gutachten vom 8. Juli 2002 verlangt. Zwar gibt die Vorinstanz bei der Zumessung der Hauptstrafe die Folgerungen des Gutachters wieder, wonach der Beschwerdeführer aufgrund der traumatischen Erlebnisse in seiner Jugendzeit (Folterungen) an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, deren Symptomatik durch die Lungentuberkulose zusätzlich ausgeweitet worden sei, und dass bei ihm eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus vorliege. Deshalb nimmt sie eine mittelschwere Verminderung der Zurechnungsfähigkeit an und setzt die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe um ein Jahr von fünf auf vier Jahre Zuchthaus herab (vgl. zum Umfang der Strafmilderung bei Verminderung der Schuldfähigkeit BGE des Kassationshofs 6S.282/2002 vom 26.11.2002 E. 6.2). Im Rahmen der Prüfung der Nebenstrafe berücksichtigt die Vorinstanz diese Erkenntnisse des Gutachtens indes nicht. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen der Straffälligkeit des Beschwerdeführers und seiner Persönlichkeitsstörung ist aber für die Beurteilung der Rückfallgefahr von wesentlicher Bedeutung, welche Therapieaussichten bestehen. In dieser Hinsicht
verweist das Gutachten auf den Therapiebericht des Anstaltspsychologen der Strafanstalt Lenzburg vom 11. Dezember 2001, der von einer erfolgsversprechenden Behandlung ausgeht. Auch hiezu äussert sich die Vorinstanz jedoch nicht.
Gänzlich unbeachtet lässt die Vorinstanz schliesslich die Gesichtspunkte, die sich aus dem Flüchtlingsstatus des Beschwerdeführers ergeben. Zwar muss nach der Rechtsprechung das Gericht bei der Aussprechung der Landesverweisung nicht überprüfen, ob eine Ausweisung des Betroffenen gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstösst (BGE 116 IV 105 E. 3b/aa S. 111, E. 4c und f-i S. 113 ff.; 121 IV 345 E. 1a; 124 II 292 E. 4). Es muss aber bei der Frage, ob es die Nebenstrafe anordnen will, gleichwohl die asylrechtlichen Ausweisungsbeschränkungen berücksichtigen (vgl. oben E. 3.2.1). Dies tut die Vorinstanz nicht. Sie schenkt auch in dieser Hinsicht dem psychiatrischen Gutachten keine Beachtung. Dieses führt die beim Beschwerdeführer diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen ebenso wie die Lungentuberkulose in massgeblicher Weise auf die traumatischen Erlebnisse in der Türkei zurück, namentlich auf die diversen Fluchten und die immer wiederkehrenden Verhaftungen und Folterungen seit seiner frühen Jugendzeit, die zur Anerkennung als Flüchtling geführt haben. Dieser flüchtlingsrelevante Hintergrund ist im Rahmen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz von wesentlicher Bedeutung.
Dass der Beschwerdeführer gegenüber dem Gutachter Drohungen gegen Drittpersonen ausgesprochen hat, trifft zu. Indes macht jener zu Recht geltend, diese richteten sich ausschliesslich gegen ganz bestimmte Personen, etwa den Lenker des Fahrzeugs, der bei einem Unfall seine Mutter tödlich verletzt hatte, und seien im Zusammenhang mit seiner Persönlichkeitsstörung zu würdigen. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit lässt sich somit nicht ohne weiteres aus solchen Äusserungen ableiten.
Schliesslich stellt die Vorinstanz zwar fest, der Beschwerdeführer habe sich mit seiner bisherigen Verlobten verheiratet und sei Vater eines Kindes. Sie führt aber nicht aus, wie lange die Ehefrau schon in der Schweiz lebt. Sie beschränkt sich lediglich auf die Feststellung, die Ehefrau sei ebenfalls türkischer Nationalität. Inwiefern die Vorinstanz im Rahmen der menschenrechtskonformen Anwendung von Art. 55

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. |

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
Insgesamt rückt die Vorinstanz in ihrer Entscheidung den Sicherungsaspekt zu stark in den Vordergrund und geht auf die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz nicht näher ein. Sie wägt die sich gegenüberstehenden Interessen somit nicht umfassend ab und lässt massgebliche Gesichtspunkte ausser Acht. Das angefochtene Urteil verletzt daher Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.
4.
Dieselben Erwägungen gelten für die Frage des bedingten Strafvollzuges, die sich für die Vorinstanz allerdings nur stellen wird, wenn sich die Anordnung einer Landesverweisung mit Bundesrecht vereinbaren lässt.
4.1 Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
Auch bei der Frage des bedingten Vollzugs der Landesverweisung steht dem kantonalen Gericht ein grosser Spielraum des Ermessens zu, bei dessen Ausübung es sich auf sachlich haltbare Gründe stützen muss, und müssen die Gründe im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts nachprüfen lässt (BGE 119 IV 195 E. 3; 117 IV 112 E. 2b).
4.2 Die Vorinstanz verneint eine günstige Prognose für den Beschwerdeführer wegen seiner zahlreichen und zum Teil schwerwiegenden Verfehlungen. Er habe über einen längeren Zeitraum wiederholt und massiv delinquiert. Zudem sei er mehrfach vorbestraft und sei während der Probezeit rückfällig geworden. Der Beschwerdeführer habe in der Schweiz noch nie gearbeitet. Er sei seit seiner Einreise im Jahre 1994 von der Caritas und seiner Verlobten bzw. seiner heutigen Ehefrau unterstützt worden. Im Untersuchungsverfahren habe er sich mühsam verhalten und stets versucht, sein Verhalten zu verharmlosen. Schliesslich stelle er sich auf den Standpunkt, dass er keine "schlimmen Sachen" gemacht habe, was von mangelnder Einsicht zeuge.
4.3 Die Vorinstanz berücksichtigt auch hier nicht, dass die Delinquenz des Beschwerdeführers in engem Zusammenhang mit seinen Persönlichkeitsstörungen steht und die Prognose hinsichtlich des künftigen Wohlverhaltens weitgehend von den Erfolgsaussichten der Psychotherapie abhängt. Ohne angemessene Würdigung dieses Umstands stützt sich die Vorinstanz nicht auf sämtliche massgeblichen Gesichtspunkte, so dass das angefochtene Urteil auch in dieser Hinsicht Bundesrecht verletzt.
Im Übrigen kann dem Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass er für seine Familie nicht aufgekommen und keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, wohl nicht ernsthaft ein Vorwurf gemacht werden, zumal seine Arbeitsfähigkeit, wie sich aus dem psychiatrischen Gutachten und dem Führungsbericht der kantonalen Strafanstalt Lenzburg vom 11. Dezember 2001 ergibt, wegen seines Lungenleidens ganz oder jedenfalls teilweise eingeschränkt war.
5.
Aus diesen Gründen ist die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben und ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 278 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
6.
Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils entfällt die Grundlage für die staatsrechtliche Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat daher kein schutzwürdiges Interesse mehr an deren Beurteilung. Diese ist somit als gegenstandslos abzuschreiben. Praxisgemäss werden dabei für dieses Verfahren keine Kosten erhoben. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist nicht zu entsprechen, da das Rechtsmittel bei einer summarischen Prüfung keine Erfolgsaussichten aufwies ( vgl. BGE 124 I 304 E. 2 mit Hinweisen).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2002 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dieter Gysin, wird für das Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
5.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wird abgewiesen.
6.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Februar 2003
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Gesetzesregister
AsylG 5
AsylG 44
AsylG 63
AsylG 65
BStP 275BStP 276BStP 277 terBStP 278
BV 13
BV 25
EMRK 3
EMRK 8
StGB 11
StGB 41
StGB 55
StGB 63
StGB 66
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 5 Rückschiebungsverbot - 1 Keine Person darf in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Artikel 3 Absatz 1 gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. |
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 44 Wegweisung und vorläufige Aufnahme - Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie. Im Übrigen finden für die Anordnung des Vollzugs der Wegweisung die Artikel 83 und 84 des AIG132 Anwendung. |
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 63 Widerruf - 1 Das SEM widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft: |
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 65 Weg- oder Ausweisung - Die Weg- oder Ausweisung von Flüchtlingen richtet sich nach Artikel 64 AIG191 in Verbindung mit Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 68 AIG. Artikel 5 bleibt vorbehalten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 25 Schutz vor Ausweisung, Auslieferung und Ausschaffung - 1 Schweizerinnen und Schweizer dürfen nicht aus der Schweiz ausgewiesen werden; sie dürfen nur mit ihrem Einverständnis an eine ausländische Behörde ausgeliefert werden. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn: |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |
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