Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2017.13

Beschluss vom 5. Mai 2017 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Andreas J. Keller und Tito Ponti, Gerichtsschreiberin Patricia Gehrig

Parteien

Kanton Basel-Landschaft, Staatsanwaltschaft, Gesuchstellerin

gegen

Kanton Bern, Generalstaatsanwaltschaft, Gesuchsgegnerin

Gegenstand

Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO)

Sachverhalt:

A. Im Kanton Basel-Landschaft ist seit dem 22. März 2017 ein Verfahren gegen A., B., C. und D. wegen Diebstahls resp. versuchten Diebstahls hängig. Das Verfahren gegen A. und B. wurde am 23. März 2017 auf den Tatbestand des gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls ausgedehnt (act. 1, S. 7; Verfahrensakten BL).

B. Im Kanton Bern sind folgende Verfahren hängig (Verfahrensakten BE):

- seit dem 17. November 2016 gegen C. wegen Diebstahls;

- seit dem 9. Januar 2017 gegen E., F. und unbekannte Täterschaft wegen Diebstahls;

- seit dem 11. Januar 2017 gegen E. und G. wegen Diebstahls;

- seit dem 12. Januar 2017 gegen E. wegen Diebstahls;

- seit dem 25. Februar 2017 gegen F. und eine unbekannte Täterschaft, gemäss Protokoll der Einvernahme mit F. vom 4. März 2017 eventuell A., wegen Diebstahls;

- seit dem 3. März 2017 gegen F. und unbekannte Täterschaft, gemäss Protokoll der Einvernahme mit F. als A. identifiziert, wegen Diebstahls;

- seit dem 4. März 2017 gegen F. wegen Diebstahls;

- seit dem 18. März 2017 gegen F. und H. wegen Diebstahls.

C. Im Kanton Waadt sind folgende Verfahren hängig (Verfahrensakten VD):

- seit dem 16. Januar 2014 gegen unbekannte Täterschaft, am 8. Dezember 2016 als A. identifiziert, wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs;

- seit dem 23. Januar 2017, übernommen vom Kanton Bern, gegen A. wegen Diebstahls.

D. Im Kanton Solothurn sind folgende Verfahren hängig (Verfahrensakten SO):

- seit dem 24. Januar 2017 gegen E., F. und I. wegen Diebstahls resp. versuchten Diebstahls;

- seit dem 24. Januar 2017 gegen E. wegen Diebstahls;

- seit dem 23. März 2017 gegen A., B. und C. wegen Diebstahls.

E. Am 28. März 2017 gelangte das Ministère public central du canton de Vaud mit Gerichtsstandsanfrage an die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft. Diese lehnte das Gesuch ab mit der Begründung, sie erachte die Staatsanwaltschaft Berner Jura - Seeland für zuständig (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

Mit Schreiben vom 25. April 2017 gelangte das Ministère public central du canton de Vaud erneut mit Gerichtsstandsanfrage an die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9). Soweit aus den Akten zu beurteilen ist, blieb diese Anfrage unbeantwortet.

F. Am 10. resp. 12. April 2017 wandte sich die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft mit Gerichtsstandsanfragen an die Staatsanwaltschaft Berner Jura - Seeland resp. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

Mit Schreiben vom 13. April 2017 lehnte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern die Übernahme der bei der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft hängigen Verfahren ab (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

Am 18. April 2017 gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft erneut mit einer Gerichtsstandsanfrage an die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

Am 19. April 2017 lehnte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern diese Anfrage wiederum ab und stelle darauf ab, dass das Verfahren im Kanton Basel-Landschaft auf gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls ausgedehnt worden sei, im Kanton Bern hingegen nicht von einer Qualifikation auszugehen ist. Damit befände sich der Gerichtsstand im Kanton Basel-Landschaft (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

G. Am 13. April 2017 ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern die Staatsanwaltschaft Solothurn um Verfahrensübernahme (Verfahrensakten SO, nicht klassiert/unpaginiert).

Mit Schreiben vom 20. April 2017, unterzeichnet durch Staatsanwältin J., lehnte die Staatsanwaltschaft Solothurn die Anfrage ab, da sie die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft als zuständig erachtet. Sie wies jedoch darauf hin, dass Gerichtsstandsverfahren von der stv. Oberstaatsanwältin geführt werden müssten (Verfahrensakten SO, nicht klassiert/unpaginiert).

H. Am 20. April 2017 gelangte die Staatsanwaltschaft Solothurn mit Schreiben betreffend „Gerichtsstand“ unaufgefordert an die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und übermittelte in der Beilage die Verfahrensakten betreffend E., F. und I. (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

I. Mit Ersuchen vom 28. April 2017 gelangt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Sie beantragt, es seien die Behörden des Kantons Bern zur Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten A., B., C. und D. für berechtigt und verpflichtet zu erklären (act. 1).

Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt (Art. 390 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 390 Schriftliches Verfahren - 1 Wer ein Rechtsmittel ergreifen will, für welches dieses Gesetz das schriftliche Verfahren vorschreibt, hat eine Rechtsmittelschrift einzureichen.
1    Wer ein Rechtsmittel ergreifen will, für welches dieses Gesetz das schriftliche Verfahren vorschreibt, hat eine Rechtsmittelschrift einzureichen.
2    Ist das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so stellt die Verfahrensleitung den anderen Parteien und der Vorinstanz die Rechtsmittelschrift zur Stellungnahme zu. Kann die Rechtsmittelschrift nicht zugestellt werden oder bleibt eine Stellungnahme aus, so wird das Verfahren gleichwohl weitergeführt.
3    Die Rechtsmittelinstanz ordnet wenn nötig einen zweiten Schriftenwechsel an.
4    Sie fällt ihren Entscheid auf dem Zirkularweg oder in einer nicht öffentlichen Beratung aufgrund der Akten und der zusätzlichen Beweisabnahmen.
5    Sie kann von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei eine Verhandlung anordnen.
StPO).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter (Art. 39 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 39 Prüfung der Zuständigkeit und Einigung - 1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter.
1    Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter.
2    Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung.
StPO). Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung (Art. 39 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 39 Prüfung der Zuständigkeit und Einigung - 1 Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter.
1    Die Strafbehörden prüfen ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter.
2    Erscheinen mehrere Strafbehörden als örtlich zuständig, so informieren sich die beteiligten Staatsanwaltschaften unverzüglich über die wesentlichen Elemente des Falles und bemühen sich um eine möglichst rasche Einigung.
StPO). Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1
SR 173.71 Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG) - Strafbehördenorganisationsgesetz
StBOG Art. 37 Zuständigkeiten - 1 Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
1    Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
2    Sie entscheiden zudem über:
a  Beschwerden in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten gemäss:
a1  dem Rechtshilfegesetz vom 20. März 198114,
a2  dem Bundesgesetz vom 21. Dezember 199515 über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts,
a3  dem Bundesgesetz vom 22. Juni 200116 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof,
a4  dem Bundesgesetz vom 3. Oktober 197517 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen;
b  Beschwerden, die ihnen das Bundesgesetz vom 22. März 197418 über das Verwaltungsstrafrecht zuweist;
c  Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesverwaltungsgerichts über das Arbeitsverhältnis seiner Richter und Richterinnen und seines Personals sowie des Personals der ständigen Sekretariate der eidgenössischen Schätzungskommissionen;
d  Konflikte über die Zuständigkeit der militärischen und der zivilen Gerichtsbarkeit;
e  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 21. März 199720 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit zum Entscheid zuweist;
f  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 7. Oktober 199421 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes zum Entscheid zuweist;
g  Konflikte über die Zuständigkeit nach dem Geldspielgesetz vom 29. September 201723.
StBOG). Hinsichtlich der Frist, innerhalb welcher die ersuchende Behörde ihr Gesuch einzureichen hat, ist im Normalfall die Frist von zehn Tagen gemäss Art. 396 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 396 Form und Frist - 1 Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert 10 Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen.
1    Die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide ist innert 10 Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen.
2    Beschwerden wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung sind an keine Frist gebunden.
StPO analog anzuwenden (vgl. hierzu u. a. TPF 2011 94 E. 2.2 S. 96). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Art. 14 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 14 Bezeichnung und Organisation der Strafbehörden - 1 Bund und Kantone bestimmen ihre Strafbehörden und deren Bezeichnungen.
1    Bund und Kantone bestimmen ihre Strafbehörden und deren Bezeichnungen.
2    Sie regeln Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse der Strafbehörden, soweit dieses Gesetz oder andere Bundesgesetze dies nicht abschliessend regeln.
3    Sie können Ober- oder Generalstaatsanwaltschaften vorsehen.
4    Sie können mehrere gleichartige Strafbehörden einsetzen und bestimmen für diesen Fall den jeweiligen örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich; ausgenommen sind die Beschwerdeinstanz und das Berufungsgericht.
5    Sie regeln die Aufsicht über ihre Strafbehörden.
StPO).

1.2 Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft bzw. deren Erster Staatsanwalt ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der Beschwerdekammer zu vertreten (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO i.V.m. § 7 Abs. 2 lit. b des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 12. März 2009 [EG StPO/BL, SGS 250]). Auf Seiten des Gesuchsgegners steht diese Befugnis der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern zu (Art. 24 lit. b des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung des Kantons Bern vom 11. Juni 2009 [EG ZSJ/BE; BSG 271.1]). Allenfalls wäre auf das Gesuch bereits aufgrund dieser Voraussetzungen nicht einzutreten, denn die Gerichtsstandsanfragen der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft wurden von Staatsanwältin K. unterzeichnet (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9). Lediglich das Gesuch an das hiesige Gericht unterzeichnete zusätzlich die Leitende Staatsanwältin L. (act. 1, S. 15). Aus den Akten, insbesondere aus der beigefügten „Weisung über Kompetenzen und Qualitätssicherung“ (act. 1.1) ist nicht weiter zu entnehmen, wie Staatsanwältin K. befugt gewesen wäre, Meinungsaustausche zu führen. Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da auf das Gesuch ohnehin nicht einzutreten ist, wie nachfolgend dargelegt wird.

1.3

1.3.1 Erst wenn der Meinungsaustausch zwischen den Kantonen gescheitert ist, liegt ein streitiger Gerichtsstand vor, der zur Anrufung der Beschwerdekammer berechtigt (Art. 40 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO). Demgemäss tritt die Beschwerdekammer vor Abschluss des Meinungsaustauschs zwischen sämtlichen, ernstlich in Frage kommenden Kantonen auf ein Gesuch um Bestimmung des Gerichtsstandes nicht ein (vgl. hierzu die Beschlüsse des Bundesstrafgerichts BG.2015.16 vom 15. April 2015, E. 1.3.1; BG.2014.23 vom 4. November 2014, E. 1.2; BG.2014.16 vom 4. Juli 2014, E. 1.2; alle m.w.H.; siehe auch Baumgartner, Die Zuständigkeit im Strafverfahren, Zürcher Diss., Zürich/ Basel/Genf 2014, S. 481 ff., 490 f. m.w.H.).

1.3.2 Für die Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten kommen nach dem eingangs Ausgeführten offensichtlich nicht nur die Kantone Basel-Landschaft und Bern ernstlich in Frage. Vielmehr initiierte der Gesuchsgegner am 13. April 2017 einen Meinungsaustausch mit dem Kanton Solothurn betreffend Gerichtsstand der Verfahren gegen E., F. und H. (Verfahrensakten SO, nicht klassiert/unpaginiert). Hierbei handelt es sich, wie von der Staatsanwältin J. im Schreiben vom 20. April 2017 an die Generalanwaltschaft des Kantons Bern ausdrücklich festgehalten, nicht um einen formellen Meinungsaustausch, da für den Kanton Solothurn die Führung von Gerichtsstandverfahren dem Oberstaatsanwalt bzw. der stv. Oberstaatanwältin des Kantons Solothurn vorbehalten ist (§ 73 Abs. 1 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation des Kantons Solothurn vom 13. März 1977 [GO/SO; BGS 125.12]; Verfahrensakten SO, nicht klassiert/unpaginiert). Dennoch scheinen sich der Kanton Bern und der Kanton Solothurn informell darüber geeinigt haben, dass der Kanton Basel-Landschaft für die Führung der Verfahren gegen die Beschuldigten zu verpflichten sei (Verfahrensakten SO, nicht klassiert/unpaginiert), weshalb Staatsanwältin J. die Akten der Staatsanwaltschaft Solothurn der Staatanwaltschaft Basel-Landschaft ohne vorgängigen Meinungsaustausch unaufgefordert übermittelte (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9).

Es sei an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der informelle Zusammenschluss zweier Kantone und autonome Festlegung des Gerichtsstandes in einem dritten Kanton nicht dem gesetzlich vorgegebenen Vorgehen nach Strafprozessordnung entspricht. Dieses Verhalten ist auch entgegen den Grundsätzen der SSK-Richtlinien, welche verlangen, dass die Klärung des Gerichtsstandes transparent, rasch und fair zu erfolgen hat.

1.3.3 Damit fehlt ein formeller, abgeschlossener Meinungsaustausch zwischen den Kantonen Bern und Solothurn sowie den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft.

1.3.4 Schliesslich ersuchte auch der Kanton Waadt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft um Verfahrensübernahme betreffend A., B. und C. (Verfahrensakten BL, Ord. 2, Reg. 9). Es mag zutreffen, dass bereits vorgängig ein Gesuch des Ministère public central du canton de Vaud von der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft am 10. April 2017 abgelehnt wurde (act. 1, S. 10). Da jedoch eine entsprechende Antwort auf die zweite, sich auf das Schreiben vom 10. April 2017 beziehende Gerichtsstandsanfrage vom 25. April 2017 offenbar aussteht, kann auch zwischen dem Kanton Waadt und dem Kanton Basel-Landschaft nicht von einem abgeschlossenen Meinungsaustausch ausgegangen werden.

1.4 Demzufolge liegt hier noch kein zwischen sämtlichen für die Übernahme der Verfahren ernstlich in Frage kommenden Kantonen abgeschlossener Meinungsaustausch vor.

1.5 Nach dem Gesagten ist auf das Gesuch mangels streitigen Gerichtsstandes nicht einzutreten.

2. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 423 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 423 Grundsätze - 1 Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
1    Die Verfahrenskosten werden vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat; abweichende Bestimmungen dieses Gesetzes bleiben vorbehalten.
2    und 3 ...274
StPO).

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 5. Mai 2017

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung an

- Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft

- Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : BG.2017.13
Date : 05. Mai 2017
Published : 22. Mai 2017
Source : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Subject : Gerichtsstandskonflikt (Art. 40 Abs. 2 StPO).


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StBOG: 37
StPO: 14  39  40  390  396  423
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