S. 17 / Nr. 3 Rechtsgleichheit {Rechtsverweigerung} (d)

BGE 79 I 17

3. Urteil vom 25. März 1953 i. S. Immo-Terra A.-G. gegen Stadt Zürich und
Oberrekurskommission des Kantons Zürich.


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Regeste:
Kantonale Handänderungssteuer, Willkür.
Auslegung einer Vorschrift, wonach den Handänderungen an Grundstücken
gleichzustellen sind Rechtsgeschäfte, die bezüglich der Verfügungsgewalt über
Grundstücke tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen an solchen
wirken.
Droits de mutation cantonaux, arbitraire.
Interprétation d'une disposition légale selon laquelle sont assimilables à des
mutations d'immeubles des actes juridiques qui, touchant le droit de
disposition, ont, en fait aussi bien que du point de vue économique, les mêmes
conséquences que des mutations.
Tasse cantonali di mutazione, arbitrio.
Interpretazione d'un disposto legale, secondo cui possono essere equiparati a
mutazioni d'immobili gli atti giuridici che, relativamente al diritto di
disposizione, hanno tanto in linea di fatto quanto dal lato economico le
medesime conseguenze che le mutazioni.

A. - Nach dem zürch. Gesetz über die direkten Steuern vom 25. November 1917
(StG) sind die Gemeinden berechtigt, eine Handänderungssteuer zu erheben. §
126 (in der Fassung vom 2. Dezember 1928) umschreibt das Objekt dieser Steuer,
wobei Abs. 2 bestimmt, dass die Steuer auch von den in § 119 Abs. 2 erwähnten
Handänderungen erhoben werde. Nach dieser die Grundstücksgewinnsteuer
betreffenden Vorschrift sind «den Handänderungen an Grundstücken
Rechtsgeschäfte gleichgestellt, die bezüglich der Verfügungsgewalt über
Grundstücke tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen an solchen
wirken».
B. - Die Beschwerdeführerin Immo-Terra A. G. befasst sich mit dem An- und
Verkauf, der Verwaltung und der Vermittlung von Liegenschaften. Im Jahre 1950
erfuhr sie, dass Xaver Haas seine abbruchreife Liegenschaft Niederdorfstrasse
9 in Zürich verkaufen wolle. Sie bot sich ihm als Vermittlerin an und liess
sich am 31. Mai 1950 ein bis 30. September 1950 befristetes, an Dritte
übertragbares «Kauf-Optionsrecht» einräumen gegen die Verpflichtung, innert
dieser Frist eine Überbauung

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anzustreben. Zu diesem Zwecke liess sie durch einen Architekten ein Bauprojekt
ausarbeiten und reichte dieses bei der zuständigen Behörde, und zwar auf ihren
eigenen Namen, ein. Inzwischen hatte sie nämlich, durch das Auftreten weiterer
Liegenschaftsvermittler veranlagt die genannte Liegenschaft durch öffentlich
beurkundeten Vertrag vom 5. Juni 1950 gekauft unter Vorbehalt des Rechtes, bei
Nichterhalt der Baubewilligung ohne Entschädigungspflicht vom Vertrag
zurückzutreten, sowie des weiteren Rechtes, ihre Rechte und Pflichten aus dem
Vertrag an eine andere juristische Person abzutreten. Am 27. Februar 1 951
liess die Beschwerdeführerin Daniel Lanfranconi in den Vertrag eintreten gegen
eine Pauschalentschädigung von Fr. 50000.-. Ferner erhielt sie vom Verkäufer
Haas eine Vergütung von Fr. 8000.-.
Die Kommission für ausserordentliche Steuern der Stadt Zürich nahm an, dass
zwei Handänderungen, nämlich eine von Haas an die Beschwerdeführerin
Immo-Terra A. G. und eine von dieser an Lanfranconi stattgefunden hätten, und
auferlegt e der Beschwerdeführerin deshalb für beide Käufe je die Hälfte der
Handänderungssteuer in der unbestrittenen Höhe von zusammen Fr. 15920.-. Die
Beschwerdeführerin rekurrierte hiegegen, indem sie geltend machte, sie sei nur
formell, um sich ihr aus der Vorbereitung der Neuüberbauung ergebendes
Vorrecht zu sichern, als Käuferin aufgetreten, habe aber keine wirtschaftliche
Verfügungsmacht über die Liegenschaft erworben. Die Finanzdirektion und die
Oberrekurskommission (ORK) des Kantons Zürich, diese durch Entscheid vom 20.
Juni 1952, wiesen den Rekurs ab. Beide Instanzen nahmen unter Hinweis auf die
Praxis (Rechenschaftsbericht [RB] der ORK 1943 Nr. 66, 1944 Nr. 75/76, 1948
Nr. 60/61) übereinstimmend an, dass der Abschluss eines obligatorischen
Kaufvertrages mit Substitutionsklausel über eine zum Abbruch und zur
Neuüberbauung bestimmte Liegenschaft die tatsächliche und wirtschaftliche
Verfügungsgewalt über das Grundstück auf den

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substitutionsberechtigter Käufer übertrage und deshalb gemäss § 119 Abs. 2 und
126 Abs. 2 StÜ; zu besteuern sei.
C. - Mit rechtzeitig erhobener staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die
Immo-Terra A. G., den Entscheid der ORK vom 20. Juni 1952 aufzuheben. Zur
Begründung wird geltend gemacht, die ORK habe die §§ 126 Abs. 2 und 119 Abs. 2
StG willkürlich auf den vorliegenden Tatbestand angewandt. Aus der
Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen ergebe sich eindeutig, dass der
Gesetzgeber nur solche «wirtschaftlichen» Handänderungen den normalen
Handänderungen habe gleichstellen wollen, bei denen die Verfügungsgewalt über
ein Grundstück durch die Übertragung von Anteilen einer Immobiliengesellschaft
eingeräumt werde. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin auf Grund des
Kaufvertrages mit Haas diejenige Verfügungsgewalt über das Grundstück erhalten
habe, die «tatsächlich und wirtschaftlich» der Stellung eines zivilrechtlichen
Eigentümers gleichkomme, sei offensichtlich unrichtig.
D. - Die Stadt Zürich und die Oberrekurskommission des Kantons Zürich
beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Bundesgericht hat von jeher erkannt, es sei jedenfalls nicht
willkürlich, wenn bei der Besteuerung nicht auf die äussere zivilrechtliche
Form, sondern auf den wirtschaftlichen Charakter einer Erscheinung abgestellt
werde. Insbesondere hat es als vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV zulässig erklärt, eine Steuer auf
Liegenschaften einem andern als dem im Grundbuch eingetragenen Subjekt
aufzuerlegen, sofern dessen Stellung zur Liegenschaft wirtschaftlich
derjenigen eines Eigentümers gleichkomme (BGE 41 I 360 ff.; vgl. ferner BGE 30
I 243
, 32 I 633, 40 I 139, 45 I 26, 46 I 184). So hat es denn auch wiederholt
entschieden, es sei vom Standpunkt des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht zu beanstanden, die
Handänderungssteuer ausser bei der zivilrechtlichen

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Handänderung auch bei der Übertragung der Aktien einer Gesellschaft. deren
einziges Aktivum eine Liegenschaft bildet, zu erheben, und zwar auch ohne dass
eine ausdrückliche Vorschrift ein solches Abweichen vom zivilrechtlichen
Begriff der Handänderung gestatte (nicht veröffentl. Urteile vom 1. Juli 1927
i. S. Breitenmoser c. Zürich und vom 2. Juli 1945 i. S. Müller und Gaegauf e.
Luzern). Im Kanton Zürich beruht die Gleichstellung der wirtschaftlichen mit
der rechtlichen Handänderung seit der Gesetzesrevision vom 2. Dezember 1928
nicht mehr bloss auf einer mehr oder weniger zweifelhaften
Gesetzesinterpretation, sondern sie ist in § 119 Abs. 2 und § 126 Abs. 2 StG
ausdrücklich vorgeschrieben. Dass diese Bestimmungen selbst verfassungswidrig
seien, hat die Beschwerdeführerin nicht behauptet. Sie macht lediglich
geltend, deren Anwendung auf den vorliegenden Tatbestand sei willkürlich.
2.- Das soll sie vor allem deshalb sein, weil sich aus der
Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen eindeutig ergebe, dass der
Gesetzgeber damit nur solche «wirtschaftlichen» Handänderungen den rechtlichen
Handänderungen habe gleichstellen wollen, bei denen die Übertragung der
Verfügungsgewalt über ein Grundstück durch Übertragung von Anteilen einer
Immobiliengesellschaft erfolge.
Diese Rüge ist schon deshalb unbegründet, weil den Gesetzesmaterialien keine
verbindliche Kraft zukommt. Massgebend ist, wie das Bundesgericht stets
erklärt hat (BGE 78 I 30 mit Zitaten), nicht, was in den Gesetzesmaterialien
steht oder was bei der Gesetzesberatung in der gesetzgebenden Behörde gesagt
wurde, sondern was dem Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauung zu
entnehmen ist (BGE 63 II 155), wobei die gegenwärtigen Verhältnisse zu
berücksichtigen sind. Sollte daher der Kantonsrat bei Erlass jener
Bestimmungen nur die Übertragung von Anteilen einer Immobiliengesellschaft im
Auge gehabt haben, so würde dies die Anwendung auf

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andere, erst später bekannt gewordene oder als Steuerumgehung empfundene
Tatbestände nicht ausschliessen, sofern es sich dabei um eine mit dem Wortlaut
vereinbare Auslegung handelt. Nun geht aber aus der Entstehungsgeschichte von
§ 119 Abs. 2 und 126 Abs. 2 StG keineswegs eindeutig hervor, dass der
Gesetzgeber damit nur die Übertragung von Anteilen einer
Immobiliengesellschaft treffen wollte. Der erste, auf Ergänzung des § 119 StG
gerichtete Antrag von Kantonsrat Kaufmann beschränkte sich freilich darauf,
diese Art der Einräumung der wirtschaftlichen Herrschaftsgewalt der
Übertragung des Grundeigentums gleichzustellen. Dieser Antrag wurde aber
zurückgezogen zugunsten eines Antrags von Kantonsrat Guhl, der eine im
wesentlichen der heutigen entsprechende Fassung vorschlug, welche allgemein
von Rechtsgeschäften, die bezüglich der Verfügungsgewalt über Grundstücke
tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen wirken, spricht und die mit
diesen Wirkungen verbundene Übertragung von Anteilsrechten an juristischen
Personen nur noch als Beispiel erwähnt. Bei der endgültigen Fassung
schliesslich wurde auch diese beispielsweise Erwähnung fallen gelassen. Unter
diesen Umständen kann aber sehr wohl angenommen werden, der Gesetzgeber habe
den Entscheid darüber, ob nicht nur die Übertragung von Anteilen einer
Immobiliengesellschaft, sondern auch andere Rechtsgeschäfte den Handänderungen
gleichzustellen seien, der Praxis überlassen wollen.
3.- Nach dem Wortlaut von § 119 Abs. 2 und 126 Abs. 2 StG sind den
Handänderungen solche Rechtsgeschäfte gleichzustellen, bei denen zwar der im
Grundbuch eingetragene Eigentümer nicht wechselt, also keine zivilrechtliche
Eigentumsübertragung stattfindet, die aber bezüglich der Verfügungsgewalt über
Grundstücke tatsächlich und wirtschaftlich wie Handänderungen an solchen
wirken». Die ORK hat - mit Recht - angenommen, dass ein obligatorischer
Kaufvertrag an sich noch keine steuerpflichtige Herrschaftsübertragung im
Sinne

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dieser Bestimmungen begründe. Sie verlangte vielmehr die Erfüllung weiterer,
die Stellung des Käufers verstärkender Voraussetzungen, nämlich die
Übertragung wesentlicher Teile der dem Eigentum innewohnenden
Verfügungsgewalt. Den Entscheid darüber, welche Teile der Verfügungsgewalt als
wesentlich zu gelten hätten, traf sie jeweils auf Grund der besonderen
Sachlage des Einzelfalles. Bei einem vermieteten Hausgrundstück betrachtete
sie den Tatbestand von § 119 Abs. 2 StG als erfüllt in einem Falle, wo Nutzen,
Lasten und Verwaltung auf den Käufer übergegangen waren, dieser Dritten
(Mietern und Kaufinteressenten) gegenüber als Eigentümer aufgetreten war und
beim Weiterverkauft einen Zwischengewinn für sich behalten hatte (RB 1937 Nr.
79). Bei Bauland sowie bei Hausgrundstücken, die zum Abbruch ind zur
Neuüberbauung bestimmt waren, erblickte die ORK dagegen den wesentlichen Teil
der Verfügungsgewalt in der Verkaufsmöglichkeit und nahm daher eine
Wirtschaftliche Handänderung schon an beim Abschluss eines obligatorischen
Kaufvertrages mit Substitutionsklausel, wenn dadurch dem Käufer die
Möglichkeit geboten werde, Dritten da. Grundstück anzubieten und den
Zwischengewinn für sich zu behalten, was z. B. nicht der Fall sei, wenn er als
Treuhänder des späteren Erwerbers oder für eine zu gründende juristische
Person handle (RB 1943 Nr. 66, 1944 Nr. 75/76, 1948 Nr. 59/61). Die
Auffassung, dass die Grundstückgewinn- und die Handänderungssteuer unter den
erwähnten Voraussetzungen auch beim Abschluss von Kaufverträgen mit
Substitutionsklausel zu erheben seien, lässt sich mit sachlichen Gründen
rechtfertigen, ist mit dem Wortlaut sowie mit dem Sinn und Zweck der
Bestimmungen vereinbar und kann daher nicht als willkürlich bezeichnet werden.
Dann ist aber auch der angefochtene Entscheid, der - wie die
Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkennt in der Linie dieser seit 1943
gehandhabten Praxis liegt, aus dem Gesichtspunkt des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht zu
beanstanden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihre Funktion habe sich in
der Vermittlungstätigkeit

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erschöpft, ist unrichtig. Denn sie hat nicht einen Mäklervertrag, sondern
einen Kaufvertrag mit Substitutionsklausel abgeschlossen, was ihr erlaubte,
ein Bauprojekt auf eigene Rechnung auszuarbeiten, die Baubewilligung auf ihren
eigenen Namen zu erwirken und vom zweiten Käufer Lanfranconi einen Mehrpreis
von Fr. 50000.- zu verlangen.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.