S. 173 / Nr. 36 Obligationenrecht (d)

BGE 63 II 173

36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Juli 1937 i.S.
Papier-Handelsgesellschaft Zürich gegen Müller-Messmer

Regeste:
Doppelvertretung ist wie Kontrahieren mit sich selbstgrundsätzlich
unstatthaft.
Folge: Ungültigkeit des Geschäftsabschlusses; Vorbehalt der Genehmigung.
Entsprechende Anwendung dieser Regeln auf Organe juristischer Personen.

Im Konkurs der Lagerhaus Giesshübel A.-G. in Zürich, vormals Jucker-Wegmann
A.-G., hat sich der als Gläubiger kollozierte H. Müller-Messmer den
Rechtsanspruch der Konkursmasse auf Anfechtung des am 15. November 1932 von
der jetzigen Gemeinschuldnerin mit der Papierhandelsgesellschaft Zürich
abgeschlossenen Kaufvertrages und eventuell auf Admassierung der auf Grund
dieses Vertrages an die Käuferin übertragenen Vermögenswerte nach Art. 260
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 260 - 1 Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet.
1    Jeder Gläubiger ist berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet.
2    Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Range. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern.
3    Verzichtet die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung und verlangt auch kein Gläubiger die Abtretung, so können solche Ansprüche nach Artikel 256 verwertet werden.457

SchKG abtreten lassen. Demzufolge verlangt er mit der vorliegenden gegen die
Papierhandelsgesellschaft angehobenen Klage die Herausgabe bezw. Übertragung
der betreffenden (näher bezeichneten) Vermögenswerte, eventuell die Bezahlung
eines Betrages von Fr. 53062.57 mit Zins zu 5% seit dem 19. Dezember 1933. Die
Beklagte widersetzt sich der Klage und verlangt eventuell widerklageweise die
Ersetzung der Gegenleistung bis zu Fr. 62908.87. Die kantonalen Gerichte haben
die Klage zugesprochen und die Widerklage von der Hand

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gewiesen. Die Beklagte zieht das Urteil des Obergerichtes im Sinne ihrer
früheren Anträge an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Vertrag vom 15. November 1932 wurde von A. Jucker-Wegmann namens
beider Vertragsparteien abgeschlossen. Für die Verkäuferin und Zedentin
handelte er als deren einziger Verwaltungsrat, für die Käuferin und
Zessionarin als deren einziger Vorstand. Das Obergericht erachtet demzufolge
den Vertrag wegen unzulässiger Doppelvertretung als ungültig (nichtig oder
anfechtbar, was offen gelassen wird). Mit Recht. Wie bereits entschieden
wurde, ist das Kontrahieren eines Stellvertreters mit sich selbst wegen der in
der Regel bestehenden Interessenkollision grundsätzlich unzulässig. Eine
Ausnahme greift nur Platz, wo keine Gefahr der Benachteiligung des Vertretenen
durch den Vertreter besteht und daher anzunehmen ist, jener habe diesem das
«Selbstkontrahieren» gestattet (BGE 39 II 566; 50 II 183; 57 II 560). Gleiches
gilt, was in BGE 41 II 392 offen gelassen wurde, gemäss den dort immerhin
schon gemachten Andeutungen auch für die Doppelvertretung, den Fall also, wo
jemand, der zwar nicht selbst Vertragspartei ist, als Vertreter beider
Parteien handelt. Auch in diesem Falle liegen in der Regel
Interessengegensätze vor, aus denen die Gefahr erwächst, dass der gemeinsame
Vertreter die eine Partei zum Nachteil der andern begünstigen möchte. Das
trifft nicht nur bei rechtsgeschäftlicher, sondern ebenso bei gesetzlicher
Vertretung zu. Daher sind Selbstkontrahieren und Doppelvertretung auch dann
grundsätzlich unstatthaft, wenn der Vertretene nicht selbst handeln oder einen
andern Vertreter bezeichnen kann. Den nämlichen Regeln ist nun ferner die
Handlungsmacht der Organe juristischer Personen zu unterstellen. Wer
Organstellung hat, handelt allerdings nicht als in einem
Stellvertretungsverhältnis stehender Dritter, sondern bringt unmittelbar den
Willen der Verbandsperson zum Ausdruck (Art. 55
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
1    Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
2    Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.
3    Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich.
ZGB). Allein

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er hat wie ein gewöhnlicher Vertreter persönliche Interessen, die denen der
Verbandsperson zuwiderlaufen können, und wenn er für zwei Parteien zugleich
als Organ handelt, besteht die Gefahr der Bevorzugung der einen Partei ebenso
wie beim Geschäftsabschluss durch einen gemeinsamen Drittvertreter. Es mag
dahingestellt bleiben, ob allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen die
damit gegebenen Schranken der Handlungsmacht unbeachtlich werden, wenn die
zunächst vorhandene Gefahr der Benachteiligung der einen Vertragspartei durch
die konkreten Vertragsbestimmungen gebannt ist. Hier verhielt es sich
keineswegs so. Durch den angefochtenen Vertrag wurden Waren der jetzigen
Gemeinschuldnerin verschleudert, die zudem ein Konkurrenzverbot zu Gunsten der
Beklagten einging. Dieser Vertrag ist nach dem Gesagten nicht gültig
zustandegekommen. Er war freilich nicht schlechthin nichtig, vielmehr hätte
der Mangel der Überschreitung der Handlungsmacht durch Genehmigung seitens
eines neuen Verwaltungsrates geheilt werden können, allenfalls auf
Fristansetzung durch die Beklagte hin, gleich wie ein ohne Vollmacht für einen
Andern abgeschlossenes Geschäft von diesem genehmigt werden kann (Art. 38
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 38 - 1 Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
1    Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
2    Der andere ist berechtigt, von dem Vertretenen innerhalb einer angemessenen Frist eine Erklärung über die Genehmigung zu verlangen und ist nicht mehr gebunden, wenn der Vertretene nicht binnen dieser Frist die Genehmigung erklärt.
OR;
vgl. REICHEL, Selbstkontrahieren des Vertreters, in SJZ 12 S. 25). An einer
solchen Genehmigung fehlt es aber, und sie hätte sich auch nicht rechtfertigen
lassen.
Der Vertrag hält zudem der Anfechtung gemäss Art. 288
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 288 - 1 Anfechtbar sind endlich alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen.
1    Anfechtbar sind endlich alle Rechtshandlungen, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teile erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen.
2    Bei der Anfechtung einer Handlung zugunsten einer nahestehenden Person des Schuldners trägt diese die Beweislast dafür, dass sie die Benachteiligungsabsicht nicht erkennen konnte. Als nahestehende Personen gelten auch Gesellschaften eines Konzerns.512
SchKG nicht stand, wie
das Obergericht zutreffend darlegt.
2.- Da die Konkursmasse durch Gegenleistungen der Beklagten nur allenfalls im
Sinne einer Verringerung der Passivmasse bereichert worden ist, hat das
Obergericht den widerklageweise geltend gemachten Gegenanspruch mit Recht auf
den Weg der nachträglichen Eingabe zur Kollokation verwiesen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 16. März 1937 bestätigt.