S. 556 / Nr. 90 Versicherungsvertrag (d)
BGE 57 II 556
90. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2 Oktober 1931 i. S. Schweiz.
Unfallversicherungsgesellschaft in Winterthur gegen Rohrbach geb. Ryi.
Regeste:
Abonnentenversicherung. Selbstkontrahieren.
1. Die Bezahlung des Abonnementsbetrages als Bedingung für die Wirksamkeit der
Versicherung. Erw. 1.
2. Zahlung eines Abonnenten, der zugleich Ablagehalter ist, an sich selber?
Erw. 2.
A. - Am 15. September 1928 verunglückte auf der Brücke, welche das
Industriegeleise der Cellulosefabrik Attisholz über die Aare führt, der bei
der Fabrik angestellte Gottfried Rohrbach. Er wollte auf seinem Velo neben dem
Geleise über die Brücke fahren, wurde von einem aus der andern Richtung
kommenden Rangierzug
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erfasst, kam unter die Räder und starb wenige Minuten darauf.
B. - Rohrbach hatte seit dem 9. Juli 1926 das im Verlage von G. Meyer, Zürich,
erscheinende «Schweizerische Familien-Wochenblatt» und seine Ehefrau seit dem
27. Januar 1928 das vom Regina-Verlag A.-G., Zürich, herausgegebene «Schweizer
Heim» abonniert. Mit jedem dieser Abonnements war für beide Ehegatten eine
Unfallversicherung bei der «Winterthur» verbunden. Die Versicherungssumme
betrug für den Todesfall 3500 Fr. pro Person und Abonnement, bezw. beim
«Schweizer Heim» 7000 Fr., für den Fall, dass der Tod die Folge eines
Verkehrsunfalls war. Im übrigen bestimmten die Policen u. a. übereinstimmend
Folgendes:
Die Bezahlung des Abonnements für die Zeit, während welcher sich der Unfall
ereignet, ist Voraussetzung für die Versicherung (§ 1). Wird das Blatt
vereinbarungsgemäss vom Abonnenten bei der Ablage abgeholt oder ihm ins Haus
gebracht, so ist das Abonnement bei Nichtabholung bezw. Nichteinlösung von
zwei Heften unterbrochen. Ist das Abonnement unterbrochen, so beginnt es erst
wieder mit dem Zeitpunkt, in welchem die rückständigen Abonnementsbeträge
bezahlt werden. Die Versicherung hört sofort mit dem Aufhören des Abonnements
auf (§ 5). Von der Versicherung ausgeschlossen sind Unfälle, welche der
Versicherte durch wissentliche Nichtbeachtung der zum Schutze von Leben und
Gesundheit erlassenen gesetzlichen Vorschriften, bei strafbaren Handlungen
oder bei Wagnissen erleidet (§ 4). Auf die Hälfte reduziert sich die
Entschädigung, wenn der Unfall auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist (§
6).
Rohrbach besorgte zugleich die Ablage des «Schweizerischen
Familienwochenblattes» und seine Ehefrau diejenige des «Schweizerheims» für
die Gemeinde Bannwil. Als Ablagehalter hatten sie die Aufgabe, die
Zeitschriften den in der Gemeinde wohnhaften Abonnenten ins Haus zu bringen
und für jede Nummer den Abonnementsbetrag
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einzukassieren. Zu diesem Zwecke gaben ihnen die Verleger für jeden Abonnenten
eine Kontrollkarte, auf der sie die Zahlungen durch Streichen der betreffenden
vorgedruckten Heftnummer anmerken mussten. Solche Kontrollkarten besassen sie
auch für sich selbst. Die Abonnementsgelder hatten sie wöchentlich den
Verlegern abzuliefern, wobei sie für jedes Heft eine Provision von 7 Rappen
abziehen konnten. Bis zum Frühjahr 1928 lieferten sie die einkassierten wie
die eigenen Abonnementsbeträge regelmässig ab. Von da an kamen sie in
Rückstand. Im Zeitpunkte, als Rohrbach starb, war beiden Verlegern das Geld
für je sechs Nummern nicht abgeliefert.
C. - Mit der vorliegenden Klage verlangte die Witwe Rohrbach, die «Winterthur»
habe ihr aus der Versicherung durch das «Familienwochenblatt» die
Todesfallentschädigung von 3500 Fr. und, da der Tod des Ehemannes die Folge
eines Verkehrsunfalles gewesen sei, aus der Versicherung durch das
«Schweizerheim» eine solche von 7000 Fr., zusammen also 10500 Fr., nebst 5%
Zins seit 15. September 1928, auszubezahlen. Die Beklagte beantragte Abweisung
der Klage.
Der Appellationshof des Kantons Bern ging in seinem Urteil vom 1. Mai 1931
davon aus, dass die Eheleute Rohrbach die einkassierten wie die eigenen
Abonnementsgelder in einer Schachtel bereitgehalten und sie lediglich nicht
abgeliefert haben, um sie zunächst noch für die Kosten des bevorstehenden
Wohnungswechsels verwenden zu können. Durch diese Ausscheidung von ihrem
übrigen und die Vermischung mit dem gesondert aufbewahrten einkassierten Gelde
haben sie die eigenen Abonnementsbeträge an sich selbst als Vertreter der
Verleger bezahlt. Damit seien sie ihren Verpflichtungen als Abonnenten
nachgekommen; dass sie dann die Obliegenheiten als Ablagehalter nicht erfüllt
und die einkassierten Beträge zurückbehalten hätten, könne auf den Bestand der
Versicherung keinen Einfluss ausüben. Die Beklagte sei daher grundsätzlich zur
Entschädigung verpflichtet. Immerhin
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falle dem Verunfallten eine grobe Fahrlässigkeit zur Last, weshalb die
Beklagte gemäss § 6 der Versicherungsbedingungen nur die Hälfte der
Versicherungssummen beanspruchen könne. Demgemäss wurde ihr ein Betrag von
5250 Fr. nebst 5% Zins seit 15. September 1928 zugesprochen.
D. - Gegen dieses Urteil erklärte die Beklagte unter Wiederholung des Antrages
auf Abweisung der Klage rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht. Sie
ficht die vorinstanzliche Feststellung, dass die Klägerin und ihr Ehemann die
eigenen Abonnementsbeträge jeweilen zu den einkassierten Geldern gelegt haben,
als aktenwidrig an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Bei den vorliegenden Abonnentenversicherungen ist der Verleger
Versicherungsnehmer, die beklagte Gesellschaft Versicherer und der Abonnent
Versicherter. Es handelt sich also um Versicherungen für fremde Rechnung.
Darnach sind die Vergütungen, welche die Abonnenten den Verlegern zu bezahlen
haben, nicht Prämien im Sinne von Art. 18 ff . VVG mit der Folge, dass bei
Säumnis nach der gemäss Art. 20 erlassenen Mahnung die Leistungspflicht des
Versicherers von Gesetzes wegen ruhen würde. Den Parteien stand es dagegen
frei, die Wirksamkeit der Versicherung vertraglich von der Bezahlung der
Abonnementsbeträge abhängig zu machen. Das ist geschehen, indem die
Versicherungsbedingungen bestimmen, dass die Bezahlung der Abonnements für die
Zeit, in welcher sich der Unfall ereignet, «Voraussetzung für die
Versicherung» sei (§ 1).
2. - Damit ist gesagt, dass der Abonnent, wenn er den Unterbruch der
Versicherung vermeiden will, das Abonnement grundsätzlich vor Beginn der
Abonnementsperiode zu bezahlen hat. Für die Fälle, wo die Zeitschrift gegen
jedesmalige Bezahlung nummernweise bezogen wird, sei es, dass der Abonnent die
einzelnen Hefte bei einer
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Ablage abholt, sei es, dass sie ihm ins Haus gebracht werden, ist dieser
Grundsatz gemildert: hier ruht die Versicherung erst, wenn der Abonnent zwei
Hefte nicht abgeholt, bezw. nicht eingelöst hat (§ 5 der
Versicherungsbedingungen). Ob nun für die Eheleute Rohrbach gleich wie für die
von ihnen bedienten Abonnenten der Unterbruch erst bei einem Rückstand mit
zwei Abonnementsbeträgen eingetreten ist, kann dahingestellt bleiben. Denn
wenn sie überhaupt im Rückstand waren, so umfasste derselbe mehr als zwei
Beträge.
Abzuliefern hatten sie die eigenen wie die einkassierten Abonnementsbeträge
jede Woche. Dass die Gelder nun im Zeitpunkte des Unfalls beiden Verlegern auf
sechs Wochen zurück nicht überwiesen waren, ist unbestritten. Die Vorinstanz
stellt indessen fest, dass die Klägerin und ihr Ehemann die einkassierten
Gelder getrennt von ihrer übrigen Barschaft in einer Schachtel aufbewahrt und
die für ihre eigenen Abonnements geschuldeten Beträge regelmässig jede Woche
dazugelegt haben. Das ist Beweiswürdigung, bei der entgegen der Ansicht der
Beklagten von Aktenwidrigkeit nicht die Rede sein kann (vgl. statt vieler BGE
38 II S. 207). Das Bundesgericht hat die Feststellung deshalb gemäss Art. 81
OG als richtig hinzunehmen. Somit erhebt sich die Frage, ob die Eheleute
Rohrbach an sich selbst als Vertreter der Verleger haben bezahlen können. Ist
das zu bejahen und stellt das Beiseitelegen des Geldes in eine Schachtel eine
solche Zahlung dar, so war die Versicherung in der Tat zur Zeit des Unfalls
wirksam; auf die Ablieferung des Geldes kam dann in dieser Hinsicht nichts
mehr an.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das Selbstkontrahieren des
Vertreters (worunter gemäss allgemeinem Sprachgebrauch auch einseitige
Rechtsgeschäfte zu verstehen sind) da zulässig, wo zwischen den Interessen des
Vertreters und denjeniger des Vertretenen kein Widerstreit und damit für den
Vertretenen nicht die Gefahr der Übervorteilung besteht (BGE 39 II S. 566;
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50 II S. 183). Bei der Zahlung erweckt nun zum vorneherein Bedenken, dass,
auch wenn sie in die Bücher eingetragen oder sonstwie kundgemacht wird, der
Vertreter das Geld nachträglich zurücknehmen kann. Dadurch ist für den
Vertretenen die tatsächliche Verfügung über den Gegenstand der Zahlung
gefährdet. Allerdings kann der Vertreter das bei Dritten einkassierte Geld
ebenfalls unterschlagen. Allein bei der Zahlung des Vertreters an sich selber
besteht angesichts der Möglichkeit der Rücknahme keine Gewähr, dass sie
überhaupt ernst gemeint ist und nicht bloss vorläufig und der Form halber
erfolgt. Ihre Zulässigkeit steht daher, wo die Rücknahme des Geldes faktisch
möglich ist, nicht ausser allem Zweifel. Wenn es nach deutschem Rechte anders
ist, so beruht das auf einer gesetzlichen Bestimmung, durch die das
Selbstkontrahieren inbezug auf reine Erfüllungsgeschäfte ohne Vorbehalt als
zulässig erklärt wird (§ 181 BGB). Wie es sich nach schweizerischem Rechte mit
der Zahlung an sich selbst im allgemeinen aber auch verhalte, so kann sie auf
jeden Fall hier nicht anerkannt werden, wo die Zahlung nicht bloss Erfüllung
einer Verbindlichkeit, sondern auch noch Bedingung für die Wirksamkeit der
Versicherung war. Dass diese Bedingung mit einer beliebig zurückziehbaren
Zahlung des Versicherten an sich selber erfüllt sein solle, war offensichtlich
nicht die Meinung der Verleger und des Versicherers; dies umsoweniger, als die
Gefahr blosser Scheinzahlungen sowie anderer unlauterer Machenschaften ja
gerade wegen des Unterbruchs, welchen die Säumnis für die Versicherung zur
Folge hat, noch eine viel grössere wäre als bei einer gewöhnlichen Zahlung.
Darum geht es auch nicht an, die Kontrollkarten, welche die Verleger den
Eheleuten Rohrbach für sie selbst ausgehändigt hatten, als Ermächtigung zum
Selbstkontrahieren auszulegen. Diesen Karten kann keine andere Bedeutung
zuerkannt werden als die, der Klägerin und ihrem Ehemann die Übersicht über
die Zahlungen zu ermöglichen, welche sie für ihre eigenen
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Abonnements den Verlegern durch Überweisung effektiv geleistet hatten.
Im übrigen würden auch dann, wenn die Eheleute Rohrbach zur Zahlung an sich
selbst berechtigt gewesen wären, keine gültigen Zahlungen vorliegen. Die
Klägerin gibt zu, dass das Geld mit der Absicht in die Schachtel gelegt worden
sei, es nachher wieder herauszunehmen und für die Umzugskosten zu verwenden.
Somit hat der Zahlungswille, ohne den eine Zahlung gar nicht zustandekommen
konnte, tatsächlich gefehlt.
Hieraus folgt, dass die beiden Versicherungen zur Zeit des Unfalles nicht
wirksam waren und die Klage abgewiesen werden muss. Ob das Verhalten Rohrbachs
eine wissentliche Missachtung von Schutzvorschriften, eine strafbare Handlung
oder eine grobe Fahrlässigkeit bedeutete, braucht unter diesen Umständen nicht
untersucht zu werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationshofes des Kantons
Bern vom 1. Mai 1931 aufgehoben und die Klage abgewiesen.