96 IV 58
15. Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1970 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Dr. X.
Regeste (de):
- Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- 1. Eine solche kann auch durch Androhung einer Unterlassung begangen werden (Erw. 2).
- 2. In der Drohung, der Strafantrag werde in einem bereits angehobenen Strafprozess nicht zurückgezogen, liegt die Androhung eines ernstlichen Nachteils (Erw. 3).
- 3. Wer zum Zwecke der Nötigung zwei an und für sich rechtmässige Handlungen miteinander verknüpft, ohne dass zwischen den beiden ein innerer Zusammenhang (Konnexität) besteht, handelt rechtswidrig (Erw. 4).
Regeste (fr):
- Art. 181 CP, contrainte.
- 1. La menace d'une omission peut aussi être un moyen de contrainte (consid. 2).
- 2. La menace de ne pas retirer la plainte dans une action pénale déjà ouverte constitue la menace d'un dommage sérieux (consid. 3).
- 3. Commet un acte contraire au droit, celui qui, afin d'exercer la contrainte, fait dépendre l'un de l'autre deux actes en eux-mêmes légitimes, mais qui ne sont pas, entre eux, dans un rapport interne de connexité (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 181 CP, coazione.
- 1. Essa può consistere anche nella minaccia di una omissione (consid. 2).
- 2. La minaccia di non ritirare la querela in un procedimento penale già pendente costituisce la minaccia di un grave danno (consid. 3).
- 3. Commette un atto contrario al diritto chi, al fine di esercitare la coazione, fa dipendere l'uno dall'altro due atti di per sè legittimi, ma che non stanno tra loro in rapporto di stretta connessione (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 58
BGE 96 IV 58 S. 58
A.- In einem Schiedsgerichtsverfahren vertrat Rechtsanwalt Dr. A. den Kläger Paul B. Dr. A. bezeichnete in einer Eingabe vom 2. Mai 1967 den Beklagten Eduard H. als "querulatorisch veranlagt". Am 15. Mai 1967 forderte darum der Anwalt des Beklagten, Dr. X., Dr. A. auf, sich zu entschuldigen. Der letztere reagierte auf diese Aufforderung nicht. Darauf reichte Dr. X. im Namen von Eduard H. am 30. Mai 1967 beim Strafgericht Basel-Stadt Privatklage wegen Ehrverletzung gegen Dr. A. ein. Mit Schreiben vom 14. November 1967 an Dr. X. erklärte sich dieser nunmehr bereit, sich bei Eduard H. zu entschuldigen und ihm Satisfaktion zu erteilen.
BGE 96 IV 58 S. 59
Mit Brief vom 23. November 1967 stellte Dr. X. Dr. A. einen Vergleichsentwurf zu und stellte ihm in Aussicht, er werde die Ehrverletzungsklage nach Unterzeichnung des Vergleichs zurückziehen. Der Entwurf hatte den folgenden Wortlaut: "1. Herr Dr. A. zieht seine Behauptung, Herr Eduard H. sei ein Querulant, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und erteilt Herrn H. volle Satisfaktion. 2. Herr E. H. zieht mit der beidseitigen Unterzeichnung dieses Vergleichs die gegen Herrn Dr. A. eingereichte Ehrverletzungsklage zurück. Herr Dr. A. übernimmt die Abstandsgebühr sowie eine Parteientschädigung von Fr. 200.--. 3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien, Herrn und Frau Paul B./Dr. A. einerseits und Herrn E. H. anderseits bis zu diesem Datum bestehenden gegenseitigen Ansprüche vollständig saldiert sind, und dass sämtliche aus dem Umbau der Liegenschaften ... entstandenen Streitigkeiten nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören. Basel, den ..."
Die in Ziff. 3 des Vergleichsentwurfs verlangte Saldoquittung hatte Forderungen von B. an H. im Ausmass von Fr. 1213.25 zum Gegenstand. Dr. A. erklärte im Antwortschreiben vom 28. November 1967, er könne lediglich einen Vergleich für diejenigen Punkte abschliessen, die ihn selber beträfen. Er sei nicht befugt, namens des von ihm vertretenen Paul B. eine verbindliche Saldoerklärung abzugeben. Nachdem er dementsprechend Ziff. 3 des Vergleiches wie folgt abgeändert hatte: "3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien, Dr. A. und Herrn E. H. entstandenen Streitigkeiten nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören." sandte Dr. A. diesen unterzeichnet an Dr. X. zurück.
Mit einem Brief an Dr. A. bestätigte Dr. X. am 14. Dezember 1967, dass sein Klient grundsätzlich bereit sei, den Streit mit Dr. A. vergleichsweise zu erledigen, aber nur unter der Voraussetzung, dass damit auch die Streitigkeiten mit Paul B. endgültig erledigt würden. Dr. A. solle sich daher für die Erteilung der verlangten Saldoquittung von seinem Klienten Vollmacht geben lassen. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1967 lehnte es Dr. A. aus prinzipiellen Gründen erneut ab, den Ehrverletzungsprozess
BGE 96 IV 58 S. 60
zwischen ihm und Eduard H. mit allenfalls noch bestehenden Differenzen zwischen seinem Klienten Paul B. und Eduard H. zu verquicken. Das Ansinnen, er solle seinen Klienten Paul B. im Zusammenhang mit einer Sache, die diesen nur am Rande berühre, veranlassen, eine Saldoquittung zu erteilen, hielt er in jeder Hinsicht für unkorrekt. Da Dr. X. im Ehrverletzungsprozess gegen Dr. A. auf einen Vergleich ohne die verlangte Saldoquittung für die Streitigkeiten zwischen Paul B. und Eduard H. nicht eintrat, kam der Vergleich nicht zustande.
B.- Mit Urteil vom 27. Februar 1970 sprach der Ausschuss des Appellationsgerichts Basel-Stadt Dr. X. von der Anklage der versuchten Nötigung frei.
C.- Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichts Basel-Stadt sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von Dr. X. wegen versuchter Nötigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.- Dr. X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 96 IV 58 S. 61
auf das freie Selbstbestimmungsrecht eines anderen einwirkt (BGE 87 IV 14; BGE 94 IV 114 mit Verweisungen). Als rechtsmissbräuchlich und daher rechtswidrig hat der Kassationshof von jeher die Androhung einer Strafanzeige dann betrachtet, wenn zwischen dem Straftatbestand, der angezeigt werden soll, und dem Gegenstand des gestellten Begehrens jeder sachliche Zusammenhang fehlt (BGE 87 IV 14). Besonders verwerflich handelt sodann, wer einen anderen durch Androhung von ernstlichen Nachteilen zur Verletzung seiner Pflichten veranlasst (BGE 81 IV 104 Erw. 1).
2. Die Vorinstanz geht davon aus, dass Dr. X. den Dr. A. nicht durch die Androhung einer Strafanzeige zu einem bestimmten Verhalten genötigt habe, sondern diesem den Rückzug der bereits erhobenen Strafklage für den Fall in Aussicht gestellt hat, dass die Saldoquittung erteilt werde. Im Inaussichtstellen einer Unterlassung könne aber keine Nötigung erblickt werden, wenn die Unterlassung im freien Belieben des diese Ankündigenden stehe. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Ist nämlich in der Ankündigung, die Strafklage werde nur dann nicht erhoben, wenn das Opfer für eine Saldoquittung sorge, eine Nötigung zu erblicken, so liegt eine solche auch vor, wenn das Strafverfahren bereits angehoben ist und bloss dessen Fortsetzung oder gütlicher Abschluss durch Vergleich von der Erteilung der Saldoquittung abhängig gemacht wird. Denn die Androhung, ein Prozess werde angehoben, läuft in gleicher Weise auf die Einschüchterung des Opfers hinaus wie die Drohung, der Prozess werde fortgesetzt. In beiden Fällen wird das Opfer mit der Aussicht gefügig zu machen gesucht, es müsse ein Strafverfahren über sich ergehen lassen und werde möglicherweise zu einer Strafe verurteilt. Massgeblich ist also, dass der Drohende ankündigt, er werde sich in einer bestimmten Weise verhalten, und dass sich dieses Verhalten für den Bedrohten nachteilig auswirkt. Ob es sich um ein Tun oder um ein Unterlassen handelt, ist unerheblich (Walter KERN, Die Nötigung nach Art. 181 des Schweizerischen Strafgesetzbuches S. 53; für das deutsche Recht: SCHÖNKE-SCHRÖDER, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, S. 1016).
3. Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 96 IV 58 S. 62
schwer sei, dass der Betroffene wegen der Androhung in Angst oder Schrecken geraten könnte. Es genügt, wenn der Nachteil erheblich genug ist, um den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich zu beeinträchtigen. Die Ernstlichkeit des Nachteils hängt dabei nicht vom tatsächlichen Erfolg der Androhung auf das Opfer ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs (BGE 81 IV 106). In der Drohung, dass ein Strafprozess, statt gütlich beigelegt, fortgesetzt werde, liegt objektiv für jedermann ein ernstlicher Nachteil. Auch wenn der Angeklagte schliesslich freigesprochen wird, bringt jedes Strafverfahren Umtriebe und eine erhebliche psychische Belastung mit sich. Um diesen Nachteilen zu entgehen, ist der Angeklagte oft bereit, andere Nachteile in Kauf zu nehmen, die er sonst einem Dritten gegenüber nicht auf sich nehmen würde.
4. Dr. X. wäre nicht verwehrt gewesen, in Wahrung der Interessen seines Klienten über einen allfälligen Rückzug des Strafantrages mit Dr. A. zu verhandeln und diesen von einer Satisfaktionserklärung sowie von der Bezahlung der Gerichts- und Parteikosten abhängig zu machen, welche durch das zwischen Dr. A. und dem Klienten von Dr. X. hängige Verfahren verursacht worden waren. An und für sich wäre Dr. X. auch berechtigt gewesen, im Streite zwischen Eduard H. und dem Kläger Paul B. eine Saldoquittung zu verlangen.
Die Rechtswidrigkeit im Tun von Dr. X. liegt indessen darin, dass dieser die beiden Prozesse zu verquicken versuchte, wiewohl weder die Prozessparteien identisch waren, noch die Streitobjekte in einem inneren Zusammenhang zueinander standen. Sein Wille war in Wirklichkeit darauf gerichtet, Dr. A. zur Verletzung seiner Berufspflichten als Anwalt zu veranlassen. Dieser hätte zu seinem eigenen Vorteil, nämlich damit der Strafantrag gegen ihn zurückgezogen würde, auf eine Forderung seiner Klientschaft gegenüber seinem eigenen Prozessgegner verzichten oder seine Klientschaft zum Verzicht bestimmen sollen. Das Mittel, das Dr. X. zur Erreichung seines Zieles (der Saldoquittung) anwendete, war mithin widerrechtlich. Darum lag im Vorgehen von Dr. X. eine Nötigung im Sinne von Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 96 IV 58 S. 63
Hinsicht vollendete Nötigung vor. Da er mit seinem Ansinnen an der ablehnenden Haltung von Dr. A. aber scheiterte, trat der Erfolg des von ihm bis zu Ende geführten Vergehens nicht ein. Seine Handlung ist daher als vollendeter Nötigungsversuch (Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
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1 | Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |
2 | Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos. |
5. Wer einen anderen im Sinne von Art. 181 StBG nötigt, kann nur bestraft werden, wenn er vorsätzlich, das heisst mit Wissen und Willen handelt (Art. 18 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
BGE 96 IV 58 S. 64
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 27. Februar 1970 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.