81 IV 101
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. März 1955 i.S. Guerino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste (de):
- Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- a) Auch die Nötigung zu einem rechtswidrigen Tun oder Unterlassen fällt unter Art. 181 (Erw. 1).
- b) Nachteil, bestehend in einer üblen Nachrede oder Verleumdung, die der Täter androht (Erw. 2).
- c) Wann ist der angedrohte Nachteil ernstlich? (Erw. 3).
Regeste (fr):
- Art. 181 CP.
- a) La contrainte à un acte ou une omission illicites tombe également sous le coup de l'art. 181 (consid. 1).
- b) Dommage consistant dans une diffamation ou une calomnie dont l'auteur menace (consid. 2).
- c) Quand le dommage dont l'auteur menace est-il sérieux? (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 181 CP.
- a) Anche la coazione ad un atto o un'omissione illeciti cade sotto l'art. 181 (consid. 1).
- b) Danno consistente in una diffamazione o calunnia minacciata dall'autore (consid. 2).
- c) Quando il danno minacciato è grave? (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 101
BGE 81 IV 101 S. 101
A.- Mit Strafklage vom 20. Mai 1954 beschuldigte Fräulein X Dorina Guerino der Körperverletzung, der
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Tätlichkeiten und der Sachbeschädigung. Am 26. Mai 1954 verhörte der Amtsstatthalter von Luzern-Stadt beide Parteien, wobei die Klägerin sich auf den verheirateten Y als Zeugen berief. Auf das hin telephonierte die Beklagte dem Y, um ihn davon abzuhalten, Zeugnis abzulegen. Sie erklärte ihm, wenn er als Zeuge erscheine, "packe sie alles aus". Darunter verstand sie, dass sie bekanntgeben werde, er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu Fräulein X. Tatsächlich telephonierte sie am 28. Mai 1954 der Ehefrau des Y und sagte ihr, das Zeugnis ihres Ehemannes könne nicht gewertet werden, da er mit Fräulein X befreundet sei. Am gleichen Tage leistete Y der Vorladung vor den Amtsstatthalter Folge und sagte als Zeuge aus. Dorina Guerino schloss hierauf mit Fräulein X einen Vergleich, und letzteres zog den Strafantrag zurück. Das Strafverfahren gegen Dorina Guerino wurde wegen Nötigungsversuchs fortgesetzt.
B.- Am 12. November 1954 erklärte das Amtsgericht Luzern-Stadt Dorina Guerino dieses Vergehens schuldig und büsste sie mit Fr. 20.-.
C.- Dorina Guerino führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen. Sie macht geltend, es verletze Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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gleichbedeutend sei mit der schweren Drohung des Art. 180
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 180 - 1 Wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er: |
a | der Ehegatte des Opfers ist und die Drohung während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung begangen wurde; oder |
abis | die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner des Opfers ist und die Drohung während der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung begangen wurde; oder |
b | der hetero- oder homosexuelle Lebenspartner des Opfers ist, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Drohung während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.251 |
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Freisprechung von der Anschuldigung des Nötigungsversuches lässt sich zum vornherein nicht damit begründen, Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen. |
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1 | Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen. |
2 | Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern. |
3 | Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt. |
4 | Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird. |
BGE 81 IV 101 S. 104
Die Rüge der Beschwerdeführerin hält aber überhaupt nicht stand. Richtig ist zwar, dass Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2. Die Beschwerdeführerin hat Y durch die Drohung, sie werde bekanntgeben, dass er zu Fräulein X ehewidrige Beziehungen unterhalte, gefügig zu machen versucht. Ob er solche Beziehungen tatsächlich unterhalten oder mit Fräulein X nur kameradschaftlich verkehrt hat, ist im
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angefochtenen Urteil offen gelassen worden. Darauf kommt, wie das Amtsgericht zutreffend annimmt, auch nichts an. Die Bekanntgabe ehewidriger Beziehungen - worunter die Beschwerdeführerin in erster Linie die Bekanntgabe an Frau Y verstand, an die sie sich dann auch telephonisch gewendet hat - war für Y im einen wie im anderen Falle ein Nachteil, weil sie einen Angriff auf seine Ehre enthielt, der als üble Nachrede oder Verleumdung sogar Strafe nach sich ziehen konnte. Daran würde selbst dann nichts geändert, wenn gewisse Drittpersonen schon gewusst oder sich eingebildet haben sollten, Y unterhalte mit Fräulein X ehewidrige Beziehungen; denn ein Angriff auf die Ehre einer Person wird nicht dadurch rechtmässig, dass der Ruf des Angegriffenen bereits, sei es begründeter-, sei es unbegründeterweise, gelitten hat. Ebensowenig kommt etwas darauf an, ob Y ohnehin damit rechnen musste, dass sein Umgang mit Fräulein X einmal bekannt und für ehewidrig gehalten werde, insbesondere von seiner Ehefrau. Was die Beschwerdeführerin ihm androhte, war nichtsdestoweniger eine seinen Ruf gefährdende und daher für ihn nachteilige Blossstellung.
3. Auch war der angedrohte Nachteil "ernstlich" im Sinne des Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 180 - 1 Wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er: |
a | der Ehegatte des Opfers ist und die Drohung während der Ehe oder bis zu einem Jahr nach der Scheidung begangen wurde; oder |
abis | die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner des Opfers ist und die Drohung während der eingetragenen Partnerschaft oder bis zu einem Jahr nach deren Auflösung begangen wurde; oder |
b | der hetero- oder homosexuelle Lebenspartner des Opfers ist, sofern sie auf unbestimmte Zeit einen gemeinsamen Haushalt führen und die Drohung während dieser Zeit oder bis zu einem Jahr nach der Trennung begangen wurde.251 |
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"grave minaccia" (Art. 180) und "minaccia di grave danno" (Art. 181) noch am ehesten für die Gleichstellung der beiden Androhungen angerufen werden könnte. Dazu kommt, dass auch die weiteren, von einander abweichenden Erfordernisse der beiden Tatbestände einen Unterschied in der Androhung erkennen lassen, der sich der Täter im einen und im anderen Falle bedient. Um jemanden "in Schrecken oder Angst" zu versetzen (Art. 180), braucht es mehr, als um ihn zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zu nötigen, die er sonst nicht gewollt hätte (Art. 181). Die höhere Anforderung in Art. 180 ist auch sachlich gerechtfertigt durch den inneren Unterschied der beiden Tatbestände, indem die Drohung die Freiheit der Willensbildung lediglich gefährdet, die Nötigung dagegen sie verletzt; gegenüber blossen Gefährdungshandlungen ist das Strafgesetz zurückhaltender als gegenüber Verletzungen der gleichen Rechtsgüter. Art. 181 setzt nicht voraus, dass der angedrohte Nachteil so schwer sei, dass der Betroffene ob der Androhung in Schrecken oder Angst geraten könnte; es genügt, wenn der Nachteil ernstlich genug ist, um den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich beeinträchtigen zu können. Das war hier der Fall. Dass Y sich nicht hat beeindrucken lassen, sondern seine Zeugenpflicht erfüllt hat, steht dieser Würdigung nicht im Wege. Die Ernstlichkeit des Nachteils hängt nicht vom tatsächlichen Erfolge der Androhung ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs. ...
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.