94 I 551
76. Urteil vom 6. November 1968 i.S. K. gegen X. und Basel-Landschaft, Staatsanwaltschaft und Obergericht.
Regeste (de):
- Staatsrechtliche Beschwerde.
- Zur Frage der Legitimation des Geschädigten im Strafprozess (Erw. 1).
- Inwieweit ist derjenige, der in der Sache selbst nicht legitimiert ist, zur Rüge von Verfahrensmängeln legitimiert? (Erweiterung der Rechtsprechung; Erw. 2).
- Rechtliches Gehör.
- Eine Rechtsmittelinstanz ist zum Eintreten auf Rügen und Anträge nur insoweit verpflichtet, als sie zu deren Beurteilung zuständig ist (Erw. 3).
- Strafverfahren im Kanton Basel-Landschaft:
Regeste (fr):
- Recours de droit public. Qualité pour recourir du lésé dans un procès pénal? (consid. 1).
- Dans quelle mesure celui qui n'a pas qualité pour attaquer une décision au fond peut-il se plaindre de vices de procédure? (extension de la jurisprudence; consid. 2).
- Droit d'être entendu.
- Une autorité de recours n'a l'obligation d'entrer en matière sur des moyens et des conclusions que si elle est compétente pour en connaître (consid. 3).
- Procédure pénale dans le canton de Bâle-Campagne:
- - compétence du Tribunal supérieur en tant qu'autorité de recours contre les ordonnances de non-lieu rendues par l'autorité de renvoi (consid. 3).
Regesto (it):
- Ricorso di diritto pubblico.
- Veste per ricorrere della parte lesa in un procedimento penale?
- (consid. 1).
- In quale misura chi non ha veste per impugnare una decisione nel merito può far valere vizi di procedura? (estensione della giurisprudenza; consid. 2).
- Diritto di essere sentito.
- Un'autorità di ricorso è tenuta ad entrare nel merito di censure e di domande solo se essa è competente ad esaminarle (consid. 3). Procedura penale nel cantone di Basilea-Campagna:
Sachverhalt ab Seite 552
BGE 94 I 551 S. 552
A.- Der Beschwerdeführer K. leitete im Januar 1963 gegen N. in Münchenstein eine Betreibung ein, die am 22. September 1965 zur Ausstellung eines Verlustscheins führte. Am 20. Dezember 1966 reichte K. beim Statthalter- und Untersuchungsamt des Bezirks Arlesheim gegen X., der in jenem Betreibungsverfahren als Pfändungsbeamter tätig gewesen war, Strafklage wegen Betrugs, Amtsmissbrauchs, ungetreuer Geschäftsführung und Pfändungsbetrugs ein. Der Untersuchungsrichter zog die Betreibungsakten bei, vernahm die Pfändungsbeamten X. und Y. als Angeschuldigte sowie K. als Geschädigten ein und überwies die Akten hierauf der Staatsanwaltschaft.
BGE 94 I 551 S. 553
Auf deren Antrag beschloss die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft am 25. August 1967, das Strafverfahren mangels eines strafbaren Tatbestandes einzustellen und der Sache keine weitere Folge zu geben. Gegen diesen Beschluss führte K. beim Obergericht des Kantons Basel-Landschaft Beschwerde mit dem Antrag, es habe die Überweisung des Verfahrens an das zuständige Gericht zu erfolgen zur Beurteilung von X. und Mitbeteiligte. Zur Begründung machte er geltend, er sei durch wesentliche Verfahrensmängel benachteiligt worden. Der Untersuchungsrichter habe einem von ihm gestellten Antrag um Beweissicherung nicht entsprochen; ferner sei das Verfahren eingestellt worden, ohne dass ihm der Abschluss der Untersuchung angezeigt oder Einsicht in die Akten gewährt worden sei. In einer Beilage zur Beschwerde äusserte sich der Beschwerdeführer zu den materiellen Fragen. Das Obergericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Februar 1968 ab. In den Erwägungen führte es aus, dass das Betreibungsamt wohl "auffallend unpräzis" gearbeitet habe, doch fehle es an den notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen für die eingeklagten Delikte. Zu den formellen Rügen des Beschwerdeführers nahm das Obergericht weder in der Begründung noch im Dispositiv Stellung.
B.- Gegen diesen Beschluss erhob K. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
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C.- Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdegegner X. haben auf Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet. - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
BGE 94 I 551 S. 554
Erwägungen
Erwägungen:
1. Nachdem das Bundesgericht während Jahrzehnten auf staatsrechtliche Beschwerden eingetreten war, die der Geschädigte im Strafprozess gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil erhoben hatte (BGE 21 S. 930,BGE 33 I 762,BGE 47 I 454,BGE 66 I 262), änderte es im Jahre 1943 seine Rechtsprechung und sprach seither dem Geschädigten die Legitimation zu solchen Beschwerden ab ohne Rücksicht auf die Rechtsstellung, die ihm das kantonale Recht im Strafverfahren einräumte (BGE 69 I 18und 90,BGE 70 I 79,BGE 72 I 293und BGE 90 I 66 Erw. 1). Massgebend hiefür war die Überlegung, dass der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, ausschliesslich dem Staate zustehe, nur dieser an der Strafverfolgung unmittelbar interessiert sei und die staatsrechtliche Beschwerde des Geschädigten auf eine nach Art. 88
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2. InBGE 74 I 168Erw. 3 hat das Bundesgericht unter Hinweis auf frühere nichtveröffentlichte Urteile freilich erklärt, wenn dem Beschwerdeführer die Legitimation in der Sache selbst fehle, so sei sie auch nicht gegeben, um die Verletzung von Verfahrensvorschriften und der vom kantonalen Recht gewährten
BGE 94 I 551 S. 555
Parteirechte zu rügen. Von dieser in BGE 89 I 209 und 279 sowie in zahlreichen nichtveröffentlichten Urteilen bestätigten Rechtsprechung ist das Bundesgericht indes in den letzten Jahren immer weiter abgerückt. In BGE 90 I 66 Erw. 2 hat es zunächst entschieden, zur Rüge, dass ein abgelehnter oder zum Ausstand verpflichteter Richter an der Entscheidung teilgenommen habe, sei auch eine Partei befugt, der die Legitimation in der Sache selbst abgehe, da der unmittelbar aus Art. 4
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BGE 94 I 551 S. 556
Beschwerde geltend machen, man habe ihm in Missachtung kantonaler Vorschriften keine Gelegenheit zur Stellung solcher Anträge gegeben oder habe solche Anträge übergangen, nicht dagegen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen worden, und noch weniger, das Ergebnis des abgenommenen Beweises sei willkürlich gewürdigt worden. Geht man hievon aus, so ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten, denn mit ihr wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs und der Überweisungsbehörde Missachtung der ihm als Geschädigten im Untersuchungsverfahren zustehenden Parteirechte vor.
3. Die Beschwerde erblickt die dem Obergericht vorgeworfene Gehörsverweigerung darin, dass das Obergericht auf die gegenüber der Überweisungsbehörde erhobenen formellen Rügen überhaupt nicht eingegangen sei. Einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs macht sich eine kantonale Behörde dadurch, dass sie auf ihr mit einem Rechtsmittel unterbreitete Rügen und Anträge nicht eintritt, nur dann schuldig, wenn deren Beurteilung in ihre Zuständigkeit fällt, und diese Zuständigkeit hat der Beschwerdeführer, der der Behörde Gehörsverweigerung vorwirft, darzutun (vgl. BGE 87 I 246). In der vorliegenden Beschwerde wird mit keinem Worte darzutun versucht, dass das Obergericht zuständig sei, die vom Beschwerdeführer inbezug auf das Untersuchungsverfahren erhobenen Rügen formeller Art zu beurteilen. Will man im Hinblick darauf, dass er rechtsunkundig ist, über diesen Mangel hinwegsehen und die Zuständigkeit des Obergerichts aufgrund der massgeblichen Vorschriften prüfen, so ist sie zu verneinen. Das Obergericht übt zwar nach § 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 30. Oktober 1941 die Aufsicht über die untern Gerichte und die Überweisungsbehörde aus. Dabei handelt es sich jedoch um die allgemeine Aufsicht über die Geschäftsführung dieser Behörden. Die Zuständigkeit des Obergerichts als Rechtsmittelinstanz bestimmt sich nach den einschlägigen Vorschriften der ZPO und der StPO. In welchen Fällen gegenüber den Beschlüssen der Überweisungsbehörde beim Obergericht Beschwerde geführt werden kann, ist in § 111 StPO abschliessend umschrieben. Danach ist die Beschwerde im Falle der Einstellung des Verfahrens ausser im Kostenpunkt (Ziff. 4)
BGE 94 I 551 S. 557
zulässig, "wenn die Staatsanwaltschaft oder der Verletzte dartun will, es habe eine Überweisung stattzufinden" (Ziff. 2). Daraus ist zu schliessen, dass das Obergericht seinen Entscheid aufgrund der Akten zu fällen hat und dass dieser Entscheid nur auf Gutheissung der Beschwerde und Überweisung des Falles an das zuständige Gericht oder aber auf Abweisung der Beschwerde lauten kann. Dagegen steht es ihm offenbar nicht zu, die Akten zur Ergänzung der Akten an die Überweisungsbehörde, die Staatsanwaltschaft oder den Untersuchungsbeamten zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer hat denn auch mit seiner Beschwerde an das Obergericht lediglich die Überweisung des Falles an das zuständige Gericht verlangt, nicht aber, und zwar auch nicht eventuell, Rückweisung zur Behebung der gerügten Verfahrensmängel. War aber das Obergericht nicht zuständig, die Rügen formeller Natur zu beurteilen und die Ergänzung der Untersuchung anzuordnen, so hat es dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht verweigert, wenn es sich mit diesen Rügen nicht auseinandergesetzt hat.
4. Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich nach Antrag und Begründung nicht nur gegen den Entscheid des Obergerichts vom 27. Februar 1968, sondern auch gegen den Beschluss der Überweisungsbehörde vom 25. August 1967 und wirft auch dieser Behörde vor, dass sie gegen den unkorrekten Abschluss des Untersuchungsverfahrens nicht eingeschritten sei. Das ist zulässig, da nach der neusten Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Entscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz, deren Prüfungsbefugnis beschränkt ist, gleichzeitig auch noch der Entscheid der untern kantonalen Instanz angefochten werden kann, und zwar auch mit Rügen, welche, wie hier, bei der kantonalen Rechtsmittelinstanz nicht erhoben werden konnten (BGE 94 I 460). a) Der Beschwerdeführer beanstandet als Verweigerung des rechtlichen Gehörs, dass das Verfahren eingestellt wurde, ohne dass ihm der Schluss der Untersuchung angezeigt und gemäss § 104 StPO Einsicht in die Akten gewährt worden sei. Die Rüge ist unbegründet. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vom 23. Juni 1967 eingehend über die Aussagen der Angeschuldigten X. und Y. unterrichtet worden ist; der Inhalt ihrer Aussagen wurde ihm wörtlich bekannt gegeben. Er konnte sich dazu äussern und hat
BGE 94 I 551 S. 558
dies bei seiner Einvernahme auch sofort mündlich getan. Überdies hat er in einem Schreiben vom 29. Juni 1967 zu jenen Aussagen Stellung genommen. In diesem Schreiben stellte er nicht etwa das Gesuch um (erneute) Akteneinsicht, ging also offenbar selber davon aus, die Akten seien ihm bekannt gewesen. Bei dieser Sachlage hat die Behörde weder § 104 StPO verletzt noch dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert, wenn sie davon absah. ihm vom Schluss des Verfahrens durch eine formelle Anzeige Kenntnis zu geben. b) Der Beschwerdeführer rügt weiter, dass seinem in der Eingabe vom 29. Juni 1967 gestellten Antrag um "Beweissicherung" nicht entsprochen worden sei. Der Untersuchungsbeamte hat zu diesem Antrag nicht ausdrücklich Stellung genommen. Er hat ihn aber dadurch stillschweigend abgewiesen, dass er die Akten am 20. Juli 1967 der Staatsanwaltschaft übermittelte und damit zum Ausdruck brachte, dass er die Untersuchung für vollständig erachte (§ 106 StPO). Dieses Vorgehen ist aus dem Gesichtspunkt des Art. 4
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