BGE 66 I 259
45. Urteil vom 15. November 1940 i. S. Polizei- und Sanitätsdirektion und
Gesellschaft eidgenössisch diplomierter Zahnärzte des Kantons Schaffhausen
gegen Bezirksrichter Unter-Klettgau.
Regeste:
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde.
Behörden und der Staat als Hüter allgemeiner öffentlichen Interessen sind
nicht legitimiert zur Anfechtung von Entscheiden, die gegen den Staat als
Inhaber der öffentlichen Gewalt ergangen sind (Erw. 3).
Legitimation von Berufsverbänden zur Wahrung der rechtlichen (Berufs-)
Interessen ihrer Mitglieder, ferner zur Anfechtung von Polizeibewilligungen
für die Berufsausübung. Die Legitimation besteht nicht gegenüber einem Urteil,
wodurch jemand von der Anklage der patentlosen Ausübung eines
patentpflichtigen Berufs freigesprochen wird, wenn der Verband oder seine
Mitglieder aus dem Gegenstand der Anklage keine Schadenersatz- oder andere
privatrechtlichen Ansprüche gegen den Angeklagten herleiten.
Qualité pour agir par la voie de recours de droit public.
Les autorités ou l'Etat, en tant qu'ils sont préposés à la sauvegarde des
intérêts publics, n'ont pas qualité pour attaquer les décisions prises à
l'encontre de l'Etat considéré comme titulaire de la puissance publique
(consid. 3).
Qualité des associations professionnelles pour agir afin de protéger les
intérêts juridiques de leurs membres touchant la profession en particulier. Le
syndicat n'a pas qualité pour recourir contre le jugement qui acquitte un
tiers poursuivi pour avoir exercé sans patente une profession soumise à
l'autorisation; il en est ainsi, du moins, lorsque le syndicat ou ses membres
ne déduisent pas du prétendu délit le droit à des dommages-intérêts ou
d'autres droits privés.
Qualità per agire mediante ricorso di diritto pubblico.
Le autorità o lo Stato, in quanto preposti alla salvaguardia degli interessi
pubblici, non hanno qualità per impugnare le decisioni prese contro lo Stato
considerato come titolare dei poteri pubblici (consid. 3).
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Qualità delle associazioni professionali per agire a tutela degli interessi
giuridici professionali dei loro membri. Il sindacato non ha qualità per
ricorrere contro la sentenza che assolve un terzo perseguito per esercizio
senza patente di una professione soggetta a patente; ciò almeno nel caso in
cui il sindacato o i suoi membri non deducono dal preteso delitto il diritto
di risarcimento dei danni o altri diritti.
A. - Das Medizinalgesetz des Kantons Schaffhausen vom 20. Mai 1856 bestimmt
in:
Ǥ 12. Niemand darf irgendeinen Zweig der Heilkunde oder eine dieselbe
beschlagende Kunstfertigkeit ausüben ohne dafür besonders von der
zuständigen Stelle geprüft und patentiert zu sein.»
Ǥ 15. In der Regel werden nur folgende Patente ausgestellt:
a-e) ...
f) für Ausübung der Zahnheilkunde»
«§ 48. Der Referent» (Vorsteher der kantonalen Sanitätsdirektion; § 1) «ist
unter
Vorbehalt der Berufung an das betreffende Bezirksgericht» (heute
Bezirksrichter) «ermächtigt, Bussen von Fr. 5 bis 1000 zu erkennen.»
Am 17. April 1919 hat der Regierungsrat von Schaffhausen, an Stelle eines
früheren Reglementes von 1857, zum Gesetz eine Verordnung «über die kantonale
Prüfung und Patentierung von Zahnärzten» erlassen (die nicht das
eidgenössische Diplom besitzen). Sie enthält u.a. folgende Vorschriften:
«§ 1. Ohne Bewilligung der Sanitätsdirektion darf im Kanton Schaffhausen
niemand die Zahnheilkunde ausüben. Vorbehalten bleiben die
eidgenössischen Gesetzesvorschriften.»
«§ 2. Um zur kantonalen Zahnarztprüfung zugelassen zu werden, hat der
Bewerber folgende Ausweise beizubringen:
1. ...
2. a) ... oder
b) dass er mindestens 3 Jahre Lehrzeit bei einem eidgen. diplomierten
Zahnarzt in der Schweiz,
dass er ferner mindestens 3 Jahre technische Tätigkeit und mindestens 4
Jahre operative Tätigkeit bei einem eidgen. diplomierten Zahnarzt mit
Erfolg und guten Zeugnissen bestanden hat.»
B. - Martin Haag Vater hatte sich während Jahren in Schaffhausen selbständig
als «Dentist» betätigt, ohne das eidgenössische Zahnarztdiplom oder das
kantonale Patent zu besitzen. Er war deshalb wiederholt gebüsst
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worden. Schliesslich willigte die kantonale Sanitätsdirektion (mündlich) ein,
dass er seine Tätigkeit fortsetze, bis der Sohn Martin Haag seine Studien
beendigt und das eidgenössische Zahnarztdiplom erworben haben werde. Seither
arbeitet der Vater als Assistent im Zahnarztatelier des Sohnes in
Schaffhausen. Vor einiger Zeit eröffnete Martin Haag Sohn auch eine
Zahnarztpraxis in Hallau in zwei dazu gemieteten Räumen und brachte an dem
betr. Haus eine Tafel an mit der Aufschrift: «Martin Haag, eidgen.
diplomierter Zahnarzt». Er lässt hier an zwei Vormittagen der Woche durch den
Vater Sprechstunden abhalten, ohne selbst anwesend zu sein. Es steht fest,
dass Haag Vater dabei an Kunden zahnärztliche Verrichtungen vorgenommen hat,
wie Plombieren, Zahnorthopädie, Zahnersatz und dgl.; schwierigere Fälle (Mund-
und Kieferkrankheiten, Narkose, Wurzelbehandlung usw.) sollen an den Sohn in
Schaffhausen gewiesen worden sein.
Die kantonale Sanitätsdirektion erblickte hierin eine Übertretung von § 12 des
Medizinalgesetzes und von § 1 der Verordnung vom 17, April 1919. Sie büsste
deshalb Haag Vater und Sohn mit je Fr. 100.-, den Vater wegen unbefugter
Ausübung der Zahnheilkunde, den Sohn, weil er geduldet habe, dass diese
unerlaubte Tätigkeit unter seinem Namen und in den von ihm gemieteten Räumen
vor sich gehe. Die Gebüssten verlangten gerichtliche Beurteilung.
Durch Urteil vom 29. August 1940, das am 25. September zugestellt worden ist,
hob der Bezirksrichter Unter-Klettgau die Bussenverfügungen auf und sprach die
Angeschuldigten von der ihnen zur Last gelegten Übertretung frei. Er nahm zwar
an, dass Haag Vater nicht befugt wäre, zahnärztliche Verrichtungen, wie die in
Frage stehenden, selbständig vorzunehmen. Andererseits beziehe sich aber § 12
des Medizinalgesetzes auch nur auf die selbständige Ausübung des
Zahnarztberufes und schliesse es nicht aus, dass ein diplomierter Zahnarzt
nichtdiplomierte Personen als Gehilfen (Assistenten)
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beschäftige und unter seiner Verantwortung und Aufsicht zu zahnärztlichen
Verrichtungen verwende. Dass es hier an einer hinreichenden Aufsicht gefehlt
hätte, folge daraus allein noch nicht, dass der Sohn Haag nicht anwesend oder
in unmittelbarer Nähe war, wenn der Vater in Hallau praktizierte. Zum
mindesten liege ein Grenzfall vor. Den Angeschuldigten wäre deshalb
zuzubilligen, dass ihnen das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns
fehlte, sodass sie auch aus diesem Grunde freigesprochen werden müssten.
C. - Mit rechtzeitig erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden beantragen die
Polizei- und Sanitätsdirektion des Kantons Schaffhausen und die Gesellschaft
eidgenössisch diplomierter Zahnärzte des Kantons Schaffhausen die Aufhebung
dieses Urteils des Bezirksrichters. Sie geben zu, dass Haag Vater sich auf
Grund von § 2 der Verordnung vom 17. April 1919 als zahnärztlicher Assistent
bei seinem Sohne in dessen Atelier in Schaffhausen betätigen dürfe, trotzdem
er selbst kein Patent besitze. Dagegen decke diese Vorschrift keinesfalls auch
die Führung einer Art «Filiale» an einem von den Operationsräumen des
diplomierten Zahnarztes weit entfernten Orte ohne Anwesenheit des
Geschäftsherrn. Denn dabei lasse sich von «Tätigkeit bei einem diplomierten
Zahnarzt», wie die Verordnung sie nicht patentierten Personen allein gestatte,
nicht mehr sprechen. Das angefochtene Urteil übersehe diese unzweideutige
Ordnung und verletze deshalb klares Recht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
...
3.- Nach Art. 178 Ziff. 2 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern
(Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie
durch allgemein verbindliche oder sie persönlich betreffende Erlasse oder
Verfügungen erlitten haben. Behörden als solche sind dazu nicht befugt. Auch
der kantonale Staat
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selbst kann in der Stellung als Träger der öffentlichen Gewalt nicht zu den
Korporationen gezählt werden, die Art. 178 Ziff. 2 OG im Auge hat. Die
staatsrechtliche Beschwerde ist nach der Umschreibung ihrer Voraussetzungen in
Verfassung (Art. 113 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
|
1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
Einzelnen, natürlicher oder juristischer Personen, gegen Übergriffe der
öffentlichen Gewalt. Sie kann daher nicht dazu benützt werden, um umgekehrt
Entscheide anzufechten, die gegen den Staat als Inhaber dieser Gewalt ergangen
sind. Meinungsverschiedenheiten zwischen kantonalen Behörden über die richtige
Auslegung und Anwendung kantonaler Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen
öffentlichrechtlichen Charakters müssen mit den Mitteln ausgetragen werden,
die die kantonale Gesetzgebung hiezu allenfalls zur Verfügung stellt. Die
staatsrechtliche Beschwerde ist hiefür nicht gegeben (BGE 48 I S. 108 ff.; 60
I S. 231 ff.; 65 I S. 132 E. 3; 66 I S. 74). Im vorliegenden Falle ist aber
der Staat Schaffhausen (für den die kantonale Polizei- und Sanitätsdirektion
handelt) an der Lösung der streitigen Rechtsfrage ausschliesslich als Hüter
der allgemeinen öffentlichen Interessen beteiligt; er wird dadurch nicht in
einem Verhältnis betroffen, in dem ihm nach Art einer Privatperson bestimmte
von der Ausübung der öffentlichen Gewalt unabhängige, besondere Rechte
zustehen könnten.
4.- Berufsverbände, wie die Gesellschaft eidgenössisch diplomierter Zahnärzte
des Kantons Schaffhausen, können zwar mit der staatsrechtlichen Beschwerde die
rechtlichen (Berufs-) Interessen ihrer Mitglieder gegen verfassungswidrige
Beeinträchtigung verfolgen, wenn deren Wahrung zu den statutarischen Aufgaben
des Vereins gehört. Voraussetzung ist indessen, dass das Mitglied selbst durch
die angefochtene Verfügung im Sinne von Art. 178 Ziff. 2 OG persönlich
betroffen wird. Dazu gehört eine durch die Verfügung bewirkte Verschlechterung
seiner Rechtsstellung. Eine solche ist insbesondere auch
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Voraussetzung der Beschwerde aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Anwendung kantonalen Rechtes (BGE 59 I S. 79). Das blosse tatsächliche
Interesse an einer anderen Entscheidung genügt grundsätzlich nicht. Durch ein
freisprechendes Strafurteil können aber Dritte nur dann in ihrer Rechtslage
berührt werden, wenn sie die durch das Vergehen Verletzten, Geschädigten sind,
aus der angeblich strafbaren Handlung Schadenersatz- oder andere
privatrechtliche Ansprüche gegen den Täter herleiten; die Freisprechung im
Strafpunkt kann alsdann rechtliche Rückwirkungen auch auf diese Ansprüche
ausüben. Wer lediglich einen anderen wegen eines Vergehens (einer Übertretung)
angezeigt hat, ohne durch das Vergehen Verletzter, Geschädigter in jenem Sinne
zu sein, wird durch die Verneinung des Vergehens- (Übertretungs-) tatbestandes
(Einstellung des Strafverfahrens oder Freisprechung) noch nicht in seiner
persönlichen Rechtsstellung berührt und zur staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert, auch wenn ihm im kantonalen Verfahren formell gewisse
Parteirechte zustanden (Urteile des Bundesgerichtes vom 3. April 1936 i. S.
Binz und vom 9. Oktober 1936 i. S. Tödtli). Hier war übrigens die Gesellschaft
eidgenössisch diplomierter Zahnärzte des Kantons Schaffhausen im kantonalen
Verfahren nicht einmal Anzeiger. Die Verzeigung, die zu den Bussenverfügungen
der kantonalen Sanitätsdirektion führte, ist vielmehr von der Kantonspolizei
ausgegangen, ohne dass eine Intervention der Gesellschaft aus den Akten
ersichtlich wäre. Ebensowenig ist sie vor dem Bezirksrichter als Geschädigte
neben dem Staatsanwalt aufgetreten oder behauptet auch nur, dass ihren
Mitgliedern oder einzelnen darunter aus dem angeblich strafbaren Verhalten der
Angeschuldigten Schadenersatzansprüche gegen diese zustehen würden oder sie
solche zu erheben beabsichtigten.
In einem gewissen Gegensatz zu der Rechtsprechung, die für die
Beschwerdeführung einen Eingriff in die Rechtsstellung, nicht bloss in
tatsächliche Interessen des
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Beschwerdeführers fordert, sind allerdings bei berufsmässigen Tätigkeiten,
deren Ausübung eine Polizeibewilligung voraussetzt, auch die Gewerbe- und
Berufsgenossen zur staatsrechtlichen Beschwerde dagegen zugelassen worden,
dass diese Bewilligung einem Bewerber erteilt wird, ohne dass die gesetzlichen
Erfordernisse vorliegen (s. u.a. BGE 46 I S. 378 E. 1; KIRCHHOFER in Zschr. f.
schw. R. N. F. 55 S. 173/ 4). Hier steht indessen keine solche Verfügung in
Frage. Vielmehr ist durch das angefochtene Urteil lediglich festgestellt
worden, dass eine bestimmte vom Angeschuldigten Martin Haag Vater ausgeübte
Tätigkeit nicht gegen die kantonale Sanitätsgesetzgebung verstosse, weil dazu
nach dieser keine Bewilligung (Patent) erforderlich gewesen sei. Eine solche
Entscheidung kann aber nicht der gesetzwidrigen Erteilung des Patentes
gleichgestellt werden. Weder liegt darin eine Ermächtigung zu dem betreffenden
Handeln, die den Richter binden würde, wenn wegen Fortsetzung der Tätigkeit
neuerdings eine Busse ausgesprochen werden sollte, noch wird die
Verwaltungsbehörde dadurch gehindert, die Tätigkeit allenfalls mit den Mitteln
des mittelbaren oder unmittelbaren Verwaltungszwangs zu unterdrücken, wenn die
kantonale Gesetzgebung dies gestattet. Es rechtfertigt sich daher nicht, die
erwähnte, ohnehin diskutable Erweiterung der Beschwerdelegitimation auch auf
Beschwerden gegen eine solche Entscheidung des Richters im
Polizeistrafverfahren wegen angeblicher Missachtung des Bewilligungszwanges
auszudehnen. Vielmehr ist an den Grundsätzen festzuhalten, welche nach der
Rechtsprechung für die Befugnis zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen
freisprechende Strafurteile gelten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.
Vgl. auch Nr. 42. - Voir aussi no 42.