92 I 253
44. Urteil vom 5. Oktober 1966 i.S. S. gegen Kanton Graubünden und Kantonale Steuerrekurskommission von Graubünden
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich auch in einem von der Untersuchungsmaxime beherrschten Verfahren. Beweislastverteilung im Steuerverfahren (Erw. 2). Wer trägt die Beweislast für die Wahrung von Fristen, insbesondere bei uneingeschriebener Zustellung behördlicher Akte? (Erw. 3)
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; fardeau de la preuve en procédure fiscale.
- La question de la répartition du fardeau de la preuve se pose aussi dans une procédure soumise à la maxime de l'intervention. Répartition du fardeau de la preuve dans une procédure fiscale (consid. 2). A qui incombe la preuve de l'observation des délais, notamment lorsque l'expédition d'actes de l'autorité se fait par envoi ordinaire non recommandé? (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 4 CF; onere della prova nella procedura fiscale.
- La questione della ripartizione dell'onere della prova si pone pure in una procedura retta dal principio inquisitorio. Ripartizione dell'onere della prova nella procedura fiscale (consid. 2). A chi incombe provare che sono stati rispettati i termini, in particolare quando la spedizione di atti dell'autorità è fatta per invio non raccomandato? (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 254
BGE 92 I 253 S. 254
Dr. S., der in einem andern Kanton wohnt und als Rechtsanwalt tätig ist, ist in Davos für eine Liegenschaft steuerpflichtig. Die Kreissteuerkommission Davos veranlagte ihn in einer Verfügung, die das Datum des 13. Dezember 1965 trägt, zu den Kantonssteuern 1965/66. Die Verfügung wurde Dr. S. mit uneingeschriebenem Brief zugestellt. Am 13. Januar 1966 erhob er gegen die Veranlagung Einsprache. Die Kreissteuerkommission trat darauf nicht ein mit der Begründung, die Verfügung sei dem Steuerpflichtigen am 13. Dezember 1965 zugestellt worden; die dreissigtägige Einsprachefrist sei demnach am 12. Januar 1966 um 24 Uhr abgelaufen, so dass die am folgenden Tag eingereichte Einsprache verspätet sei. Dr. S. zog diesen Entscheid an die kantonale Steuerrekurskommission Graubünden weiter, wobei er einwandte, die Sendung sei ihm erst am 15., möglicherweise sogar erst am 16. Dezember 1965 zugegangen. Seine Kanzlei pflege die Umschläge uneingeschriebener Briefe wegzuwerfen; sie habe es auch im vorliegenden Fall so gehalten. Den Beweis dafür, dass die Sendung am 13. Dezember 1965 der Post übergeben worden sei, habe die Steuerbehörde zu erbringen; sie sei dazu nicht imstande. Die Einsprache habe deshalb als rechtzeitig zu gelten.
Die kantonale Steuerrekurskommission hat die Beschwerde abgewiesen. Sie hat dazu ausgeführt, da die Sendung uneingeschrieben zugestellt worden sei, sei die Kreissteuerkommission nicht in der Lage, den "strikten Beweis" für ihre Behauptung, die Verfügung sei am 13. Dezember 1965 versandt worden, zu erbringen. Im Zweifel sei indessen zu vermuten, dass das in der Verfügung angegebene Mitteilungsdatum mit dem Datum der Postaufgabe übereinstimme. Es sei daher Sache des Steuerpflichtigen, nachzuweisen, dass die Sendung tatsächlich erst später aufgegeben worden sei, welchen Beweis er vermittels des Zustellungsumschlages ohne weiteres erbringen könne. Der Beschwerdeführer sei diesen Beweis schuldig geblieben; es sei darum davon auszugehen, dass die Veranlagungsverfügung tatsächlich
BGE 92 I 253 S. 255
am 13. Dezember 1965 der Post übergeben worden sei. Die am 13. Januar 1966 eingereichte Einsprache sei somit verspätet. Dr. S. führt hiergegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Art. 134 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
2. Das Steuerveranlagungsverfahren ist von der Untersuchungsmaxime beherrscht: es ist darauf gerichtet, den wirklichen Sachverhalt zu ermitteln und daraus die gesetzlichen Rechtsfolgen zu ziehen (BOSSHARDT, Die neue zürcherische Einkommens- und Vermögenssteuer, S. 232). Das gilt nicht nur für die Einschätzung (Art. 123 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 92 I 253 S. 256
gilt, hat indessen nicht zu Folge, dass sich die Frage der Beweislastverteilung nicht stellen würde (GULDENER, Beweiswürdigung und Beweislast nach schweizerischem Zivilprozessrecht, S. 19 Ziff. 2; IMBODEN, Schw. Verwaltungsrechtsprechung, 2. Aufl., Nr. 99): Auch wenn die Veranlagungsbehörde im Einschätzungs- und Einspracheverfahren in Befolgung ihrer Untersuchungspflicht alle zumutbaren Erhebungen durchführt, kann es sich ergeben, dass der für die Steuerveranlagung massgebende Tatbestand sich nicht oder nur teilweise ermitteln lässt und nach Abschluss der Untersuchung eine nicht zu beseitigende Ungewissheit des Tatbestandes bleibt. Zu wessen Ungunsten sich diese Ungewissheit auswirkt, ergibt sich aus den Beweislastregeln, die die Folgen der Beweislosigkeit ordnen (BOSSHARDT, a.a.O., S. 257; KUMMER, N. 31 ff. zu Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
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BGE 92 I 253 S. 257
die steuerbegründenden Tatsachen trägt, während den Steuerpflichtigen die Beweislast für die Tatsachen trifft, welche die Steuerschuld aufheben oder mindern (BOSSHARDT, a.a.O., S. 257/58).
3. Diese Regel nimmt allerdings nur auf das materielle Steuerrecht Bezug; wer die Beweislast trägt, wenn es um verfahrensrechtliche Fragen wie die Fristwahrung geht, ergibt sich daraus nicht. Hierfür ist vielmehr auf den allgemeinen, auch in Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
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BGE 92 I 253 S. 258
a) Unter Vorbehalt der besonderen Regeln, die für die Zustellung an Postfachinhaber (vgl. BGE 92 I 19 mit Verweisungen) und für den Fall der Unbestellbarkeit sowie des unbenützten Ablaufs einer Abholungsfrist gelten (BGE 70 I 66, BGE 80 IV 204, BGE 82 II 167, BGE 85 IV 116, BGE 91 II 151), setzt das eidgenössische Recht und im allgemeinen auch das kantonale Recht den Beginn der Rechtsmittelfrist auf den Tag fest, an dem der Adressat die Verfügung erhalten hat (wobei nach einzelnen Bestimmungen dieser Tag bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt wird). Da eine Partei, der eine Verfügung uneingeschrieben zugestellt worden ist, regelmässig nicht in der Lage ist, das Empfangsdatum nachzuweisen, fällt die Beweislast für das Datum der Behörde zu, die die Beweislosigkeit durch den uneingeschriebenen Versand des Aktes verursacht hat (BGE 61 I 8; ASA 27 S. 358; Urteil vom 30. September 1964 i.S. Sandoz und Farny). b) Anders verhält es sich, wenn der Versand der Verfügung durch die Behörde die Rechtsmittelfrist auslöst. Das bündnerische Verwaltungsrecht sieht das namentlich für den Rekurs an den Kleinen Rat (Art. 8 Abs. 2
SR 741.31 Verkehrsversicherungsverordnung vom 20. November 1959 (VVV) VVV Art. 8 Hinterlegung von Fahrzeugausweis und Kontrollschildern - 1 Der Halter, der die Versicherung ruhen lassen will, hat die Kontrollschilder bei der zuständigen Behörde zu hinterlegen (Art. 68 Abs. 3 SVG). Nimmt er das Fahrzeug nicht mehr in Betrieb, so hat er auch den Fahrzeugausweis abzugeben. Andernfalls kann die kantonale Behörde die Kontrollschilder für die erforderliche Dauer sperren.25 |
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1 | Der Halter, der die Versicherung ruhen lassen will, hat die Kontrollschilder bei der zuständigen Behörde zu hinterlegen (Art. 68 Abs. 3 SVG). Nimmt er das Fahrzeug nicht mehr in Betrieb, so hat er auch den Fahrzeugausweis abzugeben. Andernfalls kann die kantonale Behörde die Kontrollschilder für die erforderliche Dauer sperren.25 |
2 | Ausweis und Kontrollschilder können jederzeit der Behörde abgegeben oder ihr durch die Post zugestellt werden. Die Versicherung ruht von dem auf die Abgabe oder Versendung folgenden Tag an. Die für die Entgegennahme zuständigen Stellen führen ein Verzeichnis der hinterlegten Ausweise und Kontrollschilder, aus dem hervorgeht, von welchem Tage an die Versicherung ruht. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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SR 741.31 Verkehrsversicherungsverordnung vom 20. November 1959 (VVV) VVV Art. 8 Hinterlegung von Fahrzeugausweis und Kontrollschildern - 1 Der Halter, der die Versicherung ruhen lassen will, hat die Kontrollschilder bei der zuständigen Behörde zu hinterlegen (Art. 68 Abs. 3 SVG). Nimmt er das Fahrzeug nicht mehr in Betrieb, so hat er auch den Fahrzeugausweis abzugeben. Andernfalls kann die kantonale Behörde die Kontrollschilder für die erforderliche Dauer sperren.25 |
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1 | Der Halter, der die Versicherung ruhen lassen will, hat die Kontrollschilder bei der zuständigen Behörde zu hinterlegen (Art. 68 Abs. 3 SVG). Nimmt er das Fahrzeug nicht mehr in Betrieb, so hat er auch den Fahrzeugausweis abzugeben. Andernfalls kann die kantonale Behörde die Kontrollschilder für die erforderliche Dauer sperren.25 |
2 | Ausweis und Kontrollschilder können jederzeit der Behörde abgegeben oder ihr durch die Post zugestellt werden. Die Versicherung ruht von dem auf die Abgabe oder Versendung folgenden Tag an. Die für die Entgegennahme zuständigen Stellen führen ein Verzeichnis der hinterlegten Ausweise und Kontrollschilder, aus dem hervorgeht, von welchem Tage an die Versicherung ruht. |
4. Im vorliegenden Fall erhielt der Beschwerdeführer die Veranlagungsverfügung in einem Briefumschlag, der aller Wahrscheinlichkeit nach den Poststempel der Aufgabestelle trug und damit den Beweis für den Beginn der Einsprachefrist bildete. Die Bedeutung dieses Beweismittels war aus der Rechtsmittelbelehrung der Veranlagungsverfügung ersichtlich, die ausdrücklich
BGE 92 I 253 S. 259
darauf hinweist, dass die Einsprache "innert dreissig Tagen seit der Mitteilung (Datum des Poststempels der Aufgabestelle)" einzureichen ist. Auf Grund dieser Belehrung wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer, der Rechtsanwalt ist, dafür sorgen werde, dass der Briefumschlag als Beweismittel erhalten bleibe. Da er seine Kanzlei nicht in diesem Sinne unterrichtete, wurde der Briefumschlag weggeworfen. Der Verlust dieses Beweismittels ist vom Beschwerdeführer zu verantworten. Das schliesst eine Umkehrung der Beweislast, die nur in Erwägung zu ziehen wäre, wenn die Verwaltung die Beweislosigkeit zu vertreten hätte, von vornherein aus. Trug aber der Beschwerdeführer die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Einsprache, dann schlägt der Umstand, dass dieser Beweis nicht erbracht werden konnte, zu seinen Ungunsten aus. Die Kreissteuerkommission und die kantonale Steuerrekurskommission konnten deshalb ohne Willkür davon ausgehen, dass die Einsprache verspätet sei.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.