Urteilskopf

82 III 152

38. Entscheid vom 1. Dezember 1956 i.S. Frei.

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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 152

BGE 82 III 152 S. 152

A.- Der für Alimente betriebene Eduard Frei ist Schichtarbeiter und benutzt, um sich zu der drei Kilometer von seiner Wohnung gelegenen Arbeitsstätte zu begeben, ein sog. Hilfsmotorrad, Marke MOTOM, das im Betreibungsverfahren auf Fr. 300.-- und später auf Fr. 350.-- geschätzt wurde. Das Betreibungsamt Uster hat dieses Fahrzeug gepfändet, die untere Aufsichtsbehörde hat es auf Beschwerde des Schuldners als Kompetenzstück im Sinne von Art. 92 Ziff. 3
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 92 - 1 Unpfändbar sind:
1    Unpfändbar sind:
1  die dem Schuldner und seiner Familie zum persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände wie Kleider, Effekten, Hausgeräte, Möbel oder andere bewegliche Sachen, soweit sie unentbehrlich sind;
1a  Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden;
10  Ansprüche auf Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen gegen eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge vor Eintritt der Fälligkeit;
11  Vermögenswerte eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Zentralbank, die hoheitlichen Zwecken dienen.
2  die religiösen Erbauungsbücher und Kultusgegenstände;
3  die Werkzeuge, Gerätschaften, Instrumente und Bücher, soweit sie für den Schuldner und seine Familie zur Ausübung des Berufs notwendig sind;
4  nach der Wahl des Schuldners entweder zwei Milchkühe oder Rinder, oder vier Ziegen oder Schafe, sowie Kleintiere nebst dem zum Unterhalt und zur Streu auf vier Monate erforderlichen Futter und Stroh, soweit die Tiere für die Ernährung des Schuldners und seiner Familie oder zur Aufrechterhaltung seines Betriebes unentbehrlich sind;
5  die dem Schuldner und seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen Barmittel oder Forderungen;
6  die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Bewaffnungsgegenstände, das Dienstpferd und der Sold eines Angehörigen der Armee, das Taschengeld einer zivildienstleistenden Person sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände und die Entschädigung eines Schutzdienstpflichtigen;
7  das Stammrecht der nach den Artikeln 516-520 OR189 bestellten Leibrenten;
8  Fürsorgeleistungen und die Unterstützungen von Seiten der Hilfs-, Kranken- und Fürsorgekassen, Sterbefallvereine und ähnlicher Anstalten;
9  Renten, Kapitalabfindung und andere Leistungen, die dem Opfer oder seinen Angehörigen für Körperverletzung, Gesundheitsstörung oder Tötung eines Menschen ausgerichtet werden, soweit solche Leistungen Genugtuung, Ersatz für Heilungskosten oder für die Anschaffung von Hilfsmitteln darstellen;
9a  die Renten gemäss Artikel 20 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946193 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder gemäss Artikel 50 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959194 über die Invalidenversicherung, die Leistungen gemäss Artikel 12 des Bundesgesetzes vom 19. März 1965195 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Leistungen der Familienausgleichskassen;
2    Gegenstände, bei denen von vornherein anzunehmen ist, dass der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten so gering wäre, dass sich eine Wegnahme nicht rechtfertigt, dürfen nicht gepfändet werden. Sie sind aber mit der Schätzungssumme in der Pfändungsurkunde vorzumerken.198
3    Gegenstände nach Absatz 1 Ziffern 1-3 von hohem Wert sind pfändbar; sie dürfen dem Schuldner jedoch nur weggenommen werden, sofern der Gläubiger vor der Wegnahme Ersatzgegenstände von gleichem Gebrauchswert oder den für ihre Anschaffung erforderlichen Betrag zur Verfügung stellt.199
4    Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Unpfändbarkeit des Bundesgesetzes vom 2. April 1908200 über den Versicherungsvertrag (Art. 79 Abs. 2 und 80 VVG), des Urheberrechtsgesetzes vom 9. Oktober 1992201 (Art. 18 URG) und des Strafgesetzbuches202 (Art. 378 Abs. 2 StGB).203
SchKG erklärt, während die von der Gläubigerin angerufene obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 16. November 1956 zwar grundsätzlich die Unpfändbarkeit ebenfalls bejaht, die Pfändung aber unter der Bedingung gestattet hat, dass die Gläubigerin dem Schuldner binnen 20 Tagen einen
BGE 82 III 152 S. 153

Ersatz in Gestalt eines gewöhnlichen Fahrrades verschaffe. Dispositiv 1 dieses Entscheides lautet: "Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Beschwerdegegnerin und Rekurrentin das Recht eingeräumt, dem Beschwerdeführer und Rekursgegner binnen 20 Tagen von der Zustellung dieses Beschlusses an gerechnet, anstelle des unpfändbaren Gegenstandes Nr. 1 der Pfändungsurkunde vom 25. Juli 1956 in Betreibung Nr. 7495 recte 7459, (Hilfsmotorrad Marke "Motom", Jahrgang 1955, Fahrgestell Nr. S 47'265, Motor Nr. E 171'722) ein gebrauchtes, aber in gutem, fahrbereitem Zustande befindliches Fahrrad zur Verfügung zu stellen, unter der Androhung, dass sonst die Unpfändbarkeit des Hilfsmotorrades aufrechterhalten bliebe. Sollte die Beschwerdegegnerin und Rekurrentin von diesem Auswechslungsrecht innert Frist Gebrauch machen, so kann sie den Erlös des Pfandgegenstandes in Anspruch nehmen als Teilzahlung an ihre Forderung samt Kosten und dem vom Betreibungsamt zu schätzenden Wert des zur Verfügung gestellten Fahrrades."
B.- Gegen diesen Entscheid rekurriert der Schuldner und hält an der unbedingten Unpfändbarkeit seines Hilfsmotorrades fest.
Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz geht von der zutreffenden Erwägung aus, dass der Schuldner sich eines Fahrzeuges bedienen muss, um den 3 km langen Weg zur Arbeitsstätte zu verschiedenen Tageszeiten hin und zurück zu überwinden. Sie findet aber, hiezu genüge ein gewöhnliches mit keinem Motor versehenes Fahrrad. Und da ein gebrauchtes, aber fahrbereites Fahrrad vermutlich für etwa Fr. 100.-- erhältlich sei, während dem streitigen Hilfsmotorrad ein Wert von Fr. 350.-- zukomme, sei dessen Pfändung gerechtfertigt, sofern die Gläubigerin dem Schuldner ein zweckdienliches gewöhnliches Fahrrad verschaffe. Für das vom Betreibungsamt zu befolgende Vorgehen verweist der angefochtene Entscheid auf BGE 55 III 74 ff. Indessen sind Kompetenzstücke dem Schuldner grundsätzlich nach Art. 92
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 92 - 1 Unpfändbar sind:
1    Unpfändbar sind:
1  die dem Schuldner und seiner Familie zum persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände wie Kleider, Effekten, Hausgeräte, Möbel oder andere bewegliche Sachen, soweit sie unentbehrlich sind;
1a  Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden;
10  Ansprüche auf Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen gegen eine Einrichtung der beruflichen Vorsorge vor Eintritt der Fälligkeit;
11  Vermögenswerte eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Zentralbank, die hoheitlichen Zwecken dienen.
2  die religiösen Erbauungsbücher und Kultusgegenstände;
3  die Werkzeuge, Gerätschaften, Instrumente und Bücher, soweit sie für den Schuldner und seine Familie zur Ausübung des Berufs notwendig sind;
4  nach der Wahl des Schuldners entweder zwei Milchkühe oder Rinder, oder vier Ziegen oder Schafe, sowie Kleintiere nebst dem zum Unterhalt und zur Streu auf vier Monate erforderlichen Futter und Stroh, soweit die Tiere für die Ernährung des Schuldners und seiner Familie oder zur Aufrechterhaltung seines Betriebes unentbehrlich sind;
5  die dem Schuldner und seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen Barmittel oder Forderungen;
6  die Bekleidungs-, Ausrüstungs- und Bewaffnungsgegenstände, das Dienstpferd und der Sold eines Angehörigen der Armee, das Taschengeld einer zivildienstleistenden Person sowie die Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände und die Entschädigung eines Schutzdienstpflichtigen;
7  das Stammrecht der nach den Artikeln 516-520 OR189 bestellten Leibrenten;
8  Fürsorgeleistungen und die Unterstützungen von Seiten der Hilfs-, Kranken- und Fürsorgekassen, Sterbefallvereine und ähnlicher Anstalten;
9  Renten, Kapitalabfindung und andere Leistungen, die dem Opfer oder seinen Angehörigen für Körperverletzung, Gesundheitsstörung oder Tötung eines Menschen ausgerichtet werden, soweit solche Leistungen Genugtuung, Ersatz für Heilungskosten oder für die Anschaffung von Hilfsmitteln darstellen;
9a  die Renten gemäss Artikel 20 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946193 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder gemäss Artikel 50 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959194 über die Invalidenversicherung, die Leistungen gemäss Artikel 12 des Bundesgesetzes vom 19. März 1965195 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Leistungen der Familienausgleichskassen;
2    Gegenstände, bei denen von vornherein anzunehmen ist, dass der Überschuss des Verwertungserlöses über die Kosten so gering wäre, dass sich eine Wegnahme nicht rechtfertigt, dürfen nicht gepfändet werden. Sie sind aber mit der Schätzungssumme in der Pfändungsurkunde vorzumerken.198
3    Gegenstände nach Absatz 1 Ziffern 1-3 von hohem Wert sind pfändbar; sie dürfen dem Schuldner jedoch nur weggenommen werden, sofern der Gläubiger vor der Wegnahme Ersatzgegenstände von gleichem Gebrauchswert oder den für ihre Anschaffung erforderlichen Betrag zur Verfügung stellt.199
4    Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Unpfändbarkeit des Bundesgesetzes vom 2. April 1908200 über den Versicherungsvertrag (Art. 79 Abs. 2 und 80 VVG), des Urheberrechtsgesetzes vom 9. Oktober 1992201 (Art. 18 URG) und des Strafgesetzbuches202 (Art. 378 Abs. 2 StGB).203
SchKG vorbehaltlos als unpfändbar zu belassen. Nur ausnahmsweise ist die Pfändung solcher Gegenstände unter der Bedingung der Beschaffung von
BGE 82 III 152 S. 154

Ersatzstücken durch den Gläubiger zu gestatten. Diesem steht nicht etwa zu, die Einrichtung des Schuldners in jeder Hinsicht auf das Primitivste zu reduzieren. Vielmehr soll ihm lediglich der Zugriff auf Gegenstände ermöglicht werden, "deren Wert infolge kostbarer Ausstattung oder aus irgend einem andern Grunde in einem offensichtlichen Missverhältnis steht zum Wert einfacher, dem Kompetenzanspruch des Schuldners und seiner Familie ebenfalls genügender Gegenstände derselben Art" (BGE 56 III 196). Von einem solchen stossenden Missverhältnis kann hier nicht die Rede sein, wenn man nicht bloss den Wertunterschied in Prozenten berücksichtigt, sondern beachtet, dass das Hilfsmotorrad kein Luxusgegenstand ist. Bietet es dem Schuldner doch praktische Vorteile, die ihm billigerweise weiterhin zu gewähren sind: rasches und verhältnismässig müheloses Erreichen der Arbeitsstätte bei jedem Wetter. Es handelt sich hier nicht um "ein schönes Möbelstück", "un meuble de prix", das der Schuldner leicht entbehren kann, wenn ihm ein einfaches Ersatzstück beschafft wird (BGE 53 III 131 am Ende, BGE 71 III 1 ff.), und auch nicht um ein besonders teures, in dieser Ausführung nicht übliches Berufsinstrument, wie im Falle BGE 59 III 240 (242 oben). Vielmehr erscheint das mit einem Hilfsmotor versehene Fahrrad des Schuldners als ein bei den gegebenen Distanzverhältnissen durchaus normales Gebrauchsobjekt, das ihm füglich als schlechthin unpfändbar zu belassen ist. Das ziemlich verwickelte Vorgehen, wie es der angefochtene Entscheid in Anlehnung an BGE 55 III 74 vorsieht, rechtfertigt sich nur, wo es gilt, die Pfändung eines zwar nicht an und für sich, aber der Art der Ausführung nach überflüssigen Gegenstandes zu ermöglichen, was hier nicht zutrifft.
Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und das Hilfsmotorrad, Nr. 1 der Pfändungsurkunde vom 25. Juli 1956 in der Betreibung Nr. 7459, als schlechthin unpfändbar erklärt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 82 III 152
Date : 01. Dezember 1956
Published : 31. Dezember 1957
Source : Bundesgericht
Status : 82 III 152
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Unpfändbarkeit von Berufswerkzeugen. Art. 92 Ziff. 3 SchKG. Unpfändbarkeit des Hilfsmotorrades eines Schichtarbeiters mit


Legislation register
SchKG: 92
BGE-register
53-III-128 • 55-III-74 • 56-III-196 • 59-III-240 • 71-III-1 • 82-III-152
Keyword index
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