BGE-79-IV-115
S. 115 / Nr. 28 Strafgesetzbuch (d)
BGE 79 IV 115
28. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1953 i. S. Mächler gegen
Justizdirektion des Kantons Appenzell-A. RH.
Regeste:
Art. 119 Ziff. 3 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |
Art. 119 ch. 3 al. 2 CP. Sens de l'expression: faire métier de l'avortement.
Art. 119 cifra 3 cp. 2 CP. Far mestiere del reato.
A. - Anna Mächler, Fabrikarbeiterin und später Bäuerin, die sich im Jahre 1936
oder 1937 durch Ernst Zopfi hatte die Leibesfrucht abtreiben lassen, ging ab
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nach der von Zopfi angewendeten Methode mit Instrumenten, die sie eigens zu
diesem Zwecke zurichtete, in zahlreichen Fällen darauf aus, Schwangeren die
Leibesfrucht abzutreiben. Das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh., vor dem
sie sich in zweiter Instanz zu verantworten hatte, nahm mit Urteil vom 20.
April 1953 an, die vor dem 5. November 1941 begangenen Handlungen seien
verjährt. Dagegen verurteilte es Anna Mächler in Anwendung der Art. 119 Ziff.
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 66 - 1 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene Sicherheit dafür zu leisten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
bis 1951 begangener 27 vollendeter Abtreibungen, zweier vollendeter
Abtreibungsversuche und zweier untauglicher Abtreibungsversuche zu zwei Jahren
Gefängnis.
Es führte aus, mit wenigen Ausnahmen von Eingriffen an Verwandten und gilt
Bekannten habe sich die Angeklagte für ihre Tätigkeit stets bezahlen lassen,
sei es, dass sie das Entgelt verlangt oder dass sie es ohne besonderes
Begehren entgegengenommen habe. In einem Falle habe sie Fr. 5.- erhalten, in
der Mehrzahl der Fälle Fr. 15.- bis 30. und in sechs Fällen Fr. 50.- bis
150.-. Insgesamt habe sie aus den in den Jahren 1942 bis 1951 ausgeführten
Abtreibungshandlungen etwa Fr. 1100.- gelöst. In vereinzelten Fällen habe sie
auch Naturalien als Entgelt angenommen. Ihre Handlungen hätten ihr einen, wenn
auch unbedeutenden Nebenverdienst eingetragen. In den Jahren 1948 bis 1951
habe sie für ihre verbotenen Eingriffe rund Fr. 600.- eingenommen. Die
Einnahmen aus den Abtreibungen seien bei der Begehung der Taten mitbestimmend
gewesen, sage die Angeklagte doch, sie habe sich nicht in einer Notlage
befunden, ihr Einkommen und das ihres Ehemannes seien aber nicht gross,
weshalb sie abgetrieben und sich dadurch ihre Einnahmen etwas vergrössert
habe. Damit habe sie zugegeben, dass sie es auf ein Erwerbseinkommen abgesehen
gehabt habe. Es sei zwar glaubwürdig, dass sie vor allem aus
Widerstandsschwäche und aus einem gewissen Erbarmen mit den Schwangeren
gehandelt und eine Befriedigung dabei gefunden habe,
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nachdem sie ein erstes Mal die Anleitung des Zopfi erfolgreich angewendet
habe. Sei die Erwerbsabsicht demnach nicht der einzige oder vorherrschende
Beweggrund gewesen, so genüge zur Gewerbsmässigkeit der Abtreibungen doch,
dass die Angeklagte die Absicht auf einen, wenn auch geringen Nebenerwerb
gehabt habe. Sie sei in den letzten Jahren unter dem Einfluss der
Mitangeklagten David, die ihr beigebracht habe, sie solle doch für die
Eingriffe mehr verlangen, in stärkerem Masse auf ein Erwerbseinkommen
ausgegangen. Sie habe übrigens schon in der ersten Zeit verschiedene Male für
ihre Eingriffe ausdrücklich ein Entgelt verlangt und habe ihre Taten in den
übrigen Fällen durch die nachherige Annahme der Vergütung doch zur
Erwerbsquelle gemacht, womit sie gezeigt habe, dass es ihr recht war, belohnt
zu werden. Sie habe mit der Vergütung auch zum voraus gerechnet. Habe sie ihre
Hemmungen vorwiegend aus sozialen Erwägungen fallen gelassen, so sei sie doch
auch durch die Aussicht auf Verdienst zu ihren Abtreibungshandlungen bewogen
worden. Sie habe somit die Abtreibungen gewerbsmässig begangen.
B. - Anna Mächler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei
aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, die Strafe neu festzusetzen, unter
Verneinung der Gewerbsmässigkeit der Abtreibungen.
Sie bestreitet die Gewerbsmässigkeit, weil die «Erwerbsabsicht oder
Gewinnsucht» fehle. Das Obergericht sei bei seinen Feststellungen über die
Gewinnsucht von einem unzutreffenden Begriff der Erwerbsabsicht ausgegangen.
Es habe übersehen, dass die Gewerbsmässigkeit bei einem Vermögensdelikt einen
ganz anderen Charakter habe als bei einem anderen Delikt. Die
Beschwerdeführerin habe nur genommen, was man ihr gegeben habe. Die Beträge
seien, ausgenommen in den späteren Fällen, eigentlich nur Trinkgelder,
Spesenersatz gewesen. Sie seien so lächerlich gering, dass man aus ihrer
Annahme nicht ohne weiteres auf Erwerbsabsicht schliessen könne. Im täglichen
Leben würden für kleine Dienste oft Trinkgelder angenommen,
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ohne dass sie für die Dienstleistung bestimmend oder auch nur mitbestimmend
seien. Es müsse in allen Fällen untersucht werden, ob die Handlungen wegen der
Entschädigung ausgeübt worden seien oder ob sie auch ohne solche begangen
worden wären. Während bei den Vermögensdelikten nichts darauf ankomme, ob die
Tat wesentlich wegen des Erwerbes oder auch noch aus anderen Gründen erfolge,
setze die Gewerbsmässigkeit bei den nicht gegen das Vermögen gerichteten
Delikten voraus. dass die Erwerbsabsicht weit stärker hervortrete. Da
festgestellt sei, dass die Haupttriebfeder der Beschwerdeführerin im Erbarmen
und in der Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen, d.h. im Willen, etwas
zu bedeuten und anderen zu helfen, bestanden habe, gehe es nicht an, nur
deshalb auf gewinnsüchtige Absicht zu schliessen, weil die Beschwerdeführerin
Trinkgelder angenommen habe. Auch aus den späteren, etwas höheren Beträgen
ergebe sich diese Absicht nicht, weil die Höhe der Gelder nicht von der
Beschwerdeführerin, sondern von Frau David bestimmt worden sei. Mit der hohen
Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus für gewerbsmässige Abtreibung habe der
Gesetzgeber jene Abtreiber treffen wollen, die in gewinnsüchtiger Absicht,
skrupellos, gewissermassen berufsmässig, rein um des Erwerbes willen ihr
Handwerk betreiben.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes vergeht sich gewerbsmässig,
wer in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, und mit der
Bereitschaft, gegen unbestimmt viele zu handeln, die Tat wiederholt (BGE 79 IV
11).
Die Beschwerdeführerin bestreitet nur die Absicht, zu einem Erwerbseinkommen
zu gelangen. Dieses Merkmal ist indessen nicht identisch mit Gewinnsucht, etwa
im Sinne von Art. 48 Ziff. 1 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 48 - Das Gericht mildert die Strafe, wenn: |
ausgeprägten, zur Sucht gewordenen Streben nach Gewinn. Es ist immer schon
dann erfüllt, wenn der Täter
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das Verbrechen zur Quelle des Erwerbes machen will. Dass dieser sein
ausschliessliches oder sein hauptsächliches Einkommen sei, ist nicht nötig; es
kann wie das Einkommen aus erlaubter gewerblicher Tätigkeit dem Täter blossen
Nebenverdienst eintragen (BGE 74 IV 142, 76 IV 240, 79 IV 12). Es braucht auch
nicht ständig und regelmässig zu fliessen; wie ein erlaubtes Gewerbe öfters
nur saisonmässig oder nur bei Gelegenheiten bestimmter Art ausgeübt wird, kann
auch der gewerbsmässig handelnde Verbrecher seine Tätigkeit auf bestimmte
Gelegenheiten beschränken (BGE 71 IV 85, 115). Ebensowenig erfordert die
Gewerbsmässigkeit, dass die Absicht, sich durch das Verbrechen Einnahmen zu
verschaffen, einziger oder vorherrschender Beweggrund sei (BGE 72 IV 110, 78
IV 156, 79 IV 13). Es besteht kein Grund, für strafbare Handlungen, die nicht
gegen das Vermögen gerichtet sind, eine Ausnahme zu machen, zumal gerade bei
diesen Handlungen der Wille des Täters, sich Vermögensvorteile zu verschaffen,
das Delikt besonders verwerflich macht, da er nicht schon auch in den
einfachen Fällen zu den Tatbestandsmerkmalen gehört. Das Bundesgericht hat
denn auch wiederholt gerade in Fällen von Abtreibung entschieden, es stehe der
Annahme von Gewerbsmässigkeit nicht im Wege, wenn der Täter nur nebenbei auch
durch die Erwerbsabsicht zum Verbrechen bewogen worden sei. Unerheblich ist
auch, ob das Einkommen aus der gewerblichen Betätigung gross ist und ob es den
Leistungsaufwand gut oder schlecht belohnt; auf den tatsächlich erzielten
Verdienst kommt überhaupt nichts an, sondern nur darauf, ob der Täter es auf
ein Erwerbseinkommen abgesehen hat. Sogar subjektiv, in der Absicht des
Täters, braucht dieses nicht gross zu sein (BGE 74 IV 141, 79 IV 13). Auf die
Rüge der Beschwerdeführerin, die eingenommenen Vergütungen seien so gering
gewesen, dass sie nur als Trinkgelder gewürdigt werden könnten, kommt deshalb
nichts an. Unerheblich ist auch, ob die Beschwerdeführerin die Preise in der
letzten Zeit ihrer verbrecherischen Tätigkeit aus
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eigenem Antrieb oder auf Anraten einer Drittperson erhöht hat.
2.- Dass die Beschwerdeführerin im Sinne obiger Ausführungen in der Absicht
gehandelt hat, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, ergibt sich aus den
tatsächlichen, den Kassationshof bindenden Feststellungen der Vorinstanz, die
mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden können, auch nicht mit
der Begründung, es müssten an den Nachweis der Erwerbsabsicht strengere
Anforderungen gestellt werden, weil die Beschwerdeführerin vorwiegend aus
Mitleid mit den Schwangeren und zur Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen
gehandelt habe (Art. 277bis Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 48 - Das Gericht mildert die Strafe, wenn: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 48 - Das Gericht mildert die Strafe, wenn: |
Beschwerdeführerin diese Feststellung zu erschüttern versucht, ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten. im übrigen ist sie abzuweisen, weil sie an die
Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, unzutreffende rechtliche
Anforderungen stellt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden
kann.