S. 28 / Nr. 9 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 75 III 28

9. Entscheid vom 7. Juni 1949 i.S. Stalder.


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Regeste:
Retentionsrecht des Vermieters (Art. 283 f
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 283 - 1 Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
1    Vermieter und Verpächter von Geschäftsräumen können, auch wenn die Betreibung nicht angehoben ist, zur einstweiligen Wahrung ihres Retentionsrechtes (Art. 268 ff. und 299c OR492) die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen.493
2    Ist Gefahr im Verzuge, so kann die Hilfe der Polizei oder der Gemeindebehörde nachgesucht werden.
3    Das Betreibungsamt nimmt ein Verzeichnis der dem Retentionsrecht unterliegenden Gegenstände auf und setzt dem Gläubiger eine Frist zur Anhebung der Betreibung auf Pfandverwertung an.
. SchKG).
Wegen vorausgegangener amtlicher Vorwahrung der retinierbaren Gegenstände darf
das Betreibungsamt die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses nicht ablehnen;
ebensowenig wegen bereits erfolgter Verwertung dieser Gegenstände zugunsten
von Pfändungsgläubigern, solange der Erlös noch nicht verteilt ist.
Retentionsrecht für Heizkostenbeiträge.
Droit de rétention du bailleur (art. 283 et suiv. LP).
L'office des poursuites ne peut refuser de prendre inventaire des biens soumis
au droit de rétention pour la raison qu'il les aurait déjà pris sous sa garde,
il ne peut également, tant que le produit de ces biens n'a pas été distribué,
refuser l'inventaire pour la raison qu'ils ont été réalisés au profit des
créanciers saisissants. Droit de rétention pour les frais du chauffage.
Diritto di ritenzione del locatore (art. 283 e seg. LEF).
L'ufficio d'esecuzione non può rifiutare l'erezione dell'inventario dei beni
soggetti a ritenzione pel motivo che li ha già presi in sua custodia, e
nemmeno, fino a tanto che il ricavo di questi beni non è stato ripartito, pel
motivo che sono stati realizzati a favore dei creditori procedenti. Diritto di
ritenzione per le spese di riscaldamento.

Vogt, der nicht in seinem Miethause, sondern anderswo in Bern wohnt und sich
seit Beginn des Jahres 1949 zur Kur in Leysin aufhält, liess seinen Mieter
Mast, der mit dem Mietzins für die Monate Januar bis März und mit
Heizkostenbeiträgen im Rückstand war, anfangs April durch seinen Bruder
besuchen und erhielt von diesem am 6. April den Bericht, dass alle nicht
unbedingt notwendigen Gegenstände aus der Wohnung Masts verschwunden seien. Am
folgenden Tage ersuchte Vogt das Betreibungsamt Bern um Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses. Gemäss Retentionsurkunde vom 21. April fanden sich
beim Retentionsvollzuge vom 9. April 1949 in der Wohnung des Schuldners keine
dem Retentionsrecht unterliegenden Gegenstände vor, weil alle pfändbaren
Einrichtungsgegenstände am 8. März ins Gantlokal verbracht und am 1. April
zugunsten des Rekurrenten und anderer Pfändungsgläubiger verwertet worden
waren. «Eine nachträgliche Retention dieser Sachen bzw. des (noch
unverteilten) Erlöses»

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lehnte das Betreibungsamt ab, «da das diesbezügliche Gesuch verspätet ist».
Hierauf führte Vogt Beschwerde mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei
anzuweisen, den Steigerungserlös aus den von anderer Seite gepfändeten
Einrichtungsgegenständen in das Retentionsverzeichnis aufzunehmen und im
Anschluss daran das Widerspruchsverfahren nach Art. 106 ff
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB223) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
. SchKG einzuleiten.
Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde am 13. Mai 1949 gut.
Nachdem das Betreibungsamt dem Rekurrenten am 24. Mai mit Formular Nr. 21
Frist zur Bestreitung des von Vogt beanspruchten Retentionsrechts am Erlös aus
den zu seinen Gunsten gepfändeten Einrichtungsgegenständen gesetzt hatte, zog
der Rekurrent den ihm hiedurch bekannt gewordenen Entscheid der kantonalen
Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht weiter mit dem Antrage, die Retention
dieses Erlöses sei aufzuheben oder wenigstens «auf die reine Mietzinsforderung
zu beschränken und damit soweit aufzuheben, als nebst der Mietzinsforderung
auch Heizungszuschläge und Heizungskostenanteile ... geltend gemacht werden».
Die Schuldbetr.- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
1. ­ Der Rekurrent behauptet, die Wegschaffung der retinierbaren Gegenstände
aus den Mieträumen bringe das bis dahin nicht ausgeübte Retentionsrecht des
Vermieters grundsätzlich zum Erlöschen, ob nun der Mieter selber jene
Gegenstände wegschaffe, oder ob dessen Gläubiger, das Betreibungsamt oder
sonstige Dritte dies tun; die einzige Ausnahme bestehe darin, dass der
Vermieter bei doloser Wegschaffung die Rückverbringung verlangen könne. Im
Falle der Wegschaffung durch das Betreibungsamt läge nach der Ansicht des
Rekurrenten ein doloses Verhalten gegenüber dem Vermieter dann und nur dann
vor, «wenn ihm das Betreibungsamt nicht just in diesem Moment die Ausübung des
Retentionsrechts gewähren

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würde, wenn er es auszuüben wünscht», d.h. wenn einem unmittelbar vor der
Wegschaffung gestellten Begehren um Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses
nicht entsprochen würde, solange sich die wegzuschaffenden Gegenstände noch in
den Mieträumen befinden. Da Vogt kein Retentionsbegehren stellte, bevor das
Betreibungsamt das pfändbare Mobiliar Masts in Verwahrung nahm, wäre hienach
das Retentionsrecht Vogts an diesem Mobiliar mit der Wegschaffung am 8. März
1949 untergegangen. Der Rechtsauffassung des Rekurrenten ist jedoch nicht
beizupflichten. Vielmehr ist an der Rechtsprechung festzuhalten, wonach die
Tatsache, dass das Betreibungsamt gepfändete oder arrestierte
Einrichtungsgegenstände in Verwahrung nimmt, das Retentionsrecht des
Vermieters daran in keiner Weise beeinträchtigt (BGE 48 III 146). Nur diese
Auffassung wird dem Umstande gerecht, dass der Vermieter sich der Wegschaffung
durch das Betreibungsamt nicht widersetzen und auch nicht Rückverbringung der
vom Betreibungsamt weggeschafften Gegenstände verlangen kann. Der Vermieter
kann also das Retentionsrecht an den vom Betreibungsamt verwahrten
Gegenständen ausüben, wie wenn sie sich noch in den Mieträumen befänden. Dass
Vogt es unterliess, sein Recht schon vor der Wegschaffung durch das
Betreibungsamt geltend zu machen, würde ihm nur dann schaden, wenn er mit
seiner Säumnis darauf ausgegangen wäre, die von anderer Seite angehobenen
Betreibungsverfahren zu stören (BGE 67 III 68). Ihm solche Arglist
vorzuwerfen, verbietet sich jedoch schon deswegen, weil er unstreitig vor
Erhalt der Retentionsurkunde von den gegen Mast hängigen Betreibungen
überhaupt nichts gewusst hat.
2. ­ Ebensowenig wie die Wegnahme zur amtlichen Verwahrung lässt die
Verwertung der retinierbaren Gegenstände zugunsten von Pfändungsgläubigern das
bis dahin nicht ausgeübte Retentionsrecht ohne weiteres untergehen. Nach Art.
107 Abs. 4
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 107 - 1 Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1    Schuldner und Gläubiger können den Anspruch des Dritten beim Betreibungsamt bestreiten, wenn sich der Anspruch bezieht auf:
1  eine bewegliche Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners;
2  eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Schuldners wahrscheinlicher ist als die des Dritten;
3  ein Grundstück, sofern er sich nicht aus dem Grundbuch ergibt.
2    Das Betreibungsamt setzt ihnen dazu eine Frist von zehn Tagen.
3    Auf Verlangen des Schuldners oder des Gläubigers wird der Dritte aufgefordert, innerhalb der Bestreitungsfrist seine Beweismittel beim Betreibungsamt zur Einsicht vorzulegen. Artikel 73 Absatz 2 gilt sinngemäss.
4    Wird der Anspruch des Dritten nicht bestritten, so gilt er in der betreffenden Betreibung als anerkannt.
5    Wird der Anspruch bestritten, so setzt das Betreibungsamt dem Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er gegen den Bestreitenden auf Feststellung seines Anspruchs klagen kann. Reicht er keine Klage ein, so fällt der Anspruch in der betreffenden Betreibung ausser Betracht.
SchKG können Drittansprachen an gepfändeten Gegenständen auch noch
am Erlös

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geltend gemacht werden, solange dieser nicht verteilt ist. Dieser Grundsatz
gilt für das Retentionsrecht des Vermieters so gut wie für andere
Drittansprachen. Das Retentionsbegehren, das Vogt nach der Verwertung, aber
vor der Verteilung des Erlöses stellte, war demnach nicht verspätet.
Von einer Verwirkung des Retentionsrechts könnte im vorliegenden Falle
übrigens auch dann nicht die Rede sein, wenn man annähme, für das
Retentionsrecht des Vermieters gelte nicht schlechthin das gleiche wie für
andere Drittansprachen. Die Verwertung der aus der Wohnung Masts
weggeschafften Einrichtungsgegenstände erfolgte wie schon die Wegschaffung
selber hinter dem Rücken des Vermieters, der, wie bereits erwähnt, nichts von
den Pfändungen wusste und daher keinen Grund hatte, mit solchem Eingreifen des
Betreibungsamtes zu rechnen. Um sich vertragstreu zu verhalten, hätte der
Mieter den Vermieter von den drohenden Massnahmen verständigen müssen, damit
er seine Rechte wahren könne. Einem auf diese Weise hintergangenen Vermieter
müsste in entsprechender Anwendung von Art. 284
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494
SchKG allermindestens erlaubt
werden, binnen 10 Tagen nach der Verwertung anstatt des nicht in Frage
kommenden Rückverbringungsbegehrens das Begehren um Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses zu stellen und so die Retention des Erlöses aus den
verwerteten Einrichtungsgegenständen zu erwirken, selbst wenn das
Retentionsrecht nach der Verwertung regelmässig nicht mehr geltend gemacht
werden könnte. Diese Frist hat Vogt eingehalten.
Wollte man schliesslich die Frage, ob das Retentionsrecht noch am
Verwertungserlös geltend gemacht werden könne, mit der Vorinstanz als solche
des materiellen Rechts betrachten, so wäre der angefochtene Entscheid deswegen
zu bestätigen, weil die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses aus
materiellen Gründen nur dann abgelehnt werden darf, wenn sich auf Grund der
Akten unzweifelhaft ergibt dass das beanspruchte Retentionsrecht

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nicht besteht (BGE 48 III 149 E. 2, 72 III 36 und dort zit. Entscheide), eine
Voraussetzung, die hier nach dem Gesagten keinesfalls erfüllt ist.
3. ­ Der Berücksichtigung der Heizkostenbeiträge widersetzt sich der Rekurrent
zu Unrecht (BGE 63 II 381, 72 III 37).
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 75 III 28
Date : 01. Januar 1948
Published : 06. Juni 1949
Source : Bundesgericht
Status : 75 III 28
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Retentionsrecht des Vermieters (Art. 283 f. SchKG).Wegen vorausgegangener amtlicher Vorwahrung der...


Legislation register
SchKG: 106  107  283  284
BGE-register
48-III-146 • 48-III-149 • 63-II-368 • 67-III-65 • 72-III-36 • 75-III-28
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