S. 169 / Nr. 34 Verfahren (d)

BGE 74 I 169

34. Auszug aus dem Urteil vom 3. Juni 1948 i. S. Immobiliengesellschaft
Berghof A.-G. gegen Architektur- und Baugesellschaft GmbH und Handelsgericht
des Kantons Bern.

Regeste:
Art. 89 OG. Beginn des Fristenlaufes, wenn die schriftliche Zustellung eines
Vorentscheides über die örtliche Zuständigkeit weder durch kantonales noch
durch eidgenössisches Recht vorgeschrieben ist.
Art. 89 OJ. Moment à compter duquel court le délai de recours lorsqu'une
communication écrite d'un jugement préjudiciel sur une question de compétence
ratione loci n'est prescrite ni par le droit cantonal ni par le droit fédéral.
Art. 89 OGF. Inizio del termine per ricorrere se una notifica scritta d'una
sentenza incidentale su una questione di competenza ratione loci non è
ordinata ne dal diritto cantonale, ne da quello federale.

Aus dem Tatbestand:
Am 21. April 1947 erhob die Beschwerdegegnerin gegen die Beschwerdeführerin
beim Handelsgericht des Kantons Bern eine Forderungsklage. Die Beklagte machte
örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Richters geltend. In der Verhandlung
vom 10. Oktober 1947 erklärte sich das Handelsgericht als örtlich zuständig
und verurteilte ausserdem die beiden Mitglieder des Verwaltungsrates der
Beschwerdeführerin wegen unrichtiger Parteiaussagen zu Haft. Das Urteil wurde
in der Sitzung mündlich eröffnet; es wurde beschlossen, den Entscheid dem
einen Mitglied des Verwaltungsrates, das an der Verhandlung nicht anwesen war,
noch zu eröffnen und die Akten zwecks Einleitung eines Strafverfahrens gegen
die beiden Verwaltungsratsmitglieder der Staatsanwaltschaft zuzuleiten. In der
Folge,

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den Motiven versehene Urteil sowie eine Abschrift aus dem Protokoll der
Verhandlung zugestellt.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde von 28. November 1947 beantragt die
Immobiliengesellschaft A.-G., den Entscheid des Handelsgerichtes aufzuheben.
Es wird Verletzung der Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV geltend gemacht.
Das Bundesgericht ist auf die Beschwerde nicht eingetreten.
Aus den Erwägungen:
Nach Art. 89 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
OG ist die staatsrechtliche Beschwerde binnen 30 Tagen von
der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des
Erlasses oder der Verfügung an gerechnet dem Bundesgericht einzureichen. Nach
bernischem Recht (Art. 204
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 204 Persönliches Erscheinen - 1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
1    Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
2    Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen.
3    Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer:
a  ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat;
b  wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist;
c  in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind.
4    Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren.
ZPO) ist das Urteil den Parteien mündlich zu
eröffnen. Die mündliche Eröffnung ist die nach dem kantonalen Recht
massgebende, Kenntnisgabe an die Partei, welche die Fristen für allfällige
kantonale Rechtsmittel und damit auch diejenige für die staatsrechtliche
Beschwerde in Lauf setzt (LEUCH zu Art. 204 Note 4, BGE 63 I 21).
Das angefochtene Urteil ist der Beschwerdeführerin, d.h. ihrem
einzelzeichnungsberechtigten Verwaltungsratsmitglied im Anschluss an die
öffentliche Beratung des Handelgerichtes am 10. Oktober 1947 mündlich eröffnet
worden. Da die staatsrechtliche Beschwerde erst am 28. November 1947 der Post
übergeben wurde, ist sie, sofern nicht Art. 89 Abs. 2
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 204 Persönliches Erscheinen - 1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
1    Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
2    Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen.
3    Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer:
a  ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat;
b  wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist;
c  in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind.
4    Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren.
OG zutrifft, verspätet.
Wenn nachträglich von Amtes wegen schriftliche Entscheidungsgründe zugestellt
werden, kann die staatsrechtliche Beschwerde nach Abs. 2 von Art. 89 OG noch
innert 30 Tagen seit dem Eingang der Ausfertigung geführt werden. Die
Beschwerdeführerin behauptet, das Urteil sei ihr vom Handelsgericht
nachträglich ohne ein bezügliches Begehren noch in schriftlicher Ausfertigung
zugestellt worden, sodass sie die Beschwerde noch an die schriftliche
Zustellung habe anschliessen können.
Die schriftliche Zustellung geschieht von Amtes wegen, wenn sie durch
gesetzliche Vorschrift (unabhängig von

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einem Begehren der Partei oder einem von ihr eingelegten Rechtsmittel)
vorgeschrieben ist (BGE 72 I 296). Ob dafür, wie in Abs. 1, lediglich das
kantonale Recht in Betracht fällt, oder ob die Anordnung auch auf Bundesrecht
zurückgehen kann, ist nicht ausdrücklich gesagt. Die Regel, dass
Fristbestimmungen in Prozessgesetzen eher einschränkend auszulegen sind, dass
nicht im Wege der Auslegung Voraussetzungen geschaffen werden dürfen, die
durch den Wortlaut nicht mehr gedeckt sind, spricht dafür, dass sich die
Vorschrift zu schriftlicher Zustellung sowohl aus dem kantonalen als dem
eidgenössischen Recht ergeben kann, mit der Folge, dass bei berufungsfähigen
Urteilen die staatsrechtliche Beschwerde auch im Falle vorausgegangener
mündlicher Eröffnung noch an die schriftliche Zustellung angeschlossen werden
könnte (Art. 51 lit. d
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 204 Persönliches Erscheinen - 1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
1    Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
2    Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen.
3    Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer:
a  ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat;
b  wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist;
c  in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind.
4    Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren.
OG). Zur Frage braucht jedoch nicht abschliessend
Stellung genommen zu werden. Denn es besteht weder eine kantonale noch eine
Vorschrift des Bundesrechts, die die Zustellung des schriftlichen Urteils an
die Beschwerdeführerin vorgeschrieben hätte. Die bernische Prozessordnung
sieht sie, wie bereits ausgeführt wurde, nicht von Amtes wegen vor. Die
Parteien können sie verlangen (Art. 132
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 132 Mangelhafte, querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben - 1 Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
1    Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
2    Gleiches gilt für unleserliche, ungebührliche, unverständliche oder weitschweifige Eingaben.
3    Querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben werden ohne Weiteres zurückgeschickt.
ZPO). Erfolgt Zustellung ohne solch
ausdrückliches Verlangen, so ist sie doch nicht vorgeschrieben und geschieht
daher nicht von Amtes wegen im Sinne von Abs. 2. Durch das eidgenössische
Recht (OG) war das Handelsgericht zu schriftlicher Urteilszustellung aber
nicht verpflichtet, weil das angefochtene Urteil nicht der Berufung unterlag.
Ein Vor- oder Zwischenentscheid über die Zuständigkeit ist berufungsfähig nur,
wenn er bundesrechtliche Vorschriften über die Zuständigkeit verletzt (Art. 49
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 132 Mangelhafte, querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben - 1 Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
1    Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
2    Gleiches gilt für unleserliche, ungebührliche, unverständliche oder weitschweifige Eingaben.
3    Querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben werden ohne Weiteres zurückgeschickt.

OG). Die Beschwerdeführerin hat im kantonalen Verfahren keine derartige
Vorschrift angerufen, noch hat der kantonale Richter zu Unrecht angenommen,
die Zuständigkeit bestehe kraft bundesrechtlicher Vorschrift. Auch wird in der
Beschwerdeschrift keine solche geltend gemacht. Art. 59 BN, den die
Beschwerdeführerin als verletzt bezeichnet, ist keine bundesrechtliche
Zuständigkeitsvorschrift im

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Sinne von Art. 49
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 132 Mangelhafte, querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben - 1 Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
1    Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
2    Gleiches gilt für unleserliche, ungebührliche, unverständliche oder weitschweifige Eingaben.
3    Querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben werden ohne Weiteres zurückgeschickt.
OG (BGE 68 II 253, 72 I 176). Eine Verletzung desselben war
nach Art. 49
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 132 Mangelhafte, querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben - 1 Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
1    Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.
2    Gleiches gilt für unleserliche, ungebührliche, unverständliche oder weitschweifige Eingaben.
3    Querulatorische und rechtsmissbräuchliche Eingaben werden ohne Weiteres zurückgeschickt.
OG mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend zu machen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 74 I 169
Date : 01. Januar 1948
Published : 02. Juni 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 I 169
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Art. 89 OG. Beginn des Fristenlaufes, wenn die schriftliche Zustellung eines Vorentscheides über...


Legislation register
BV: 4  59
OG: 49  51  89
ZPO: 132  204
BGE-register
63-I-20 • 68-II-253 • 72-I-175 • 72-I-294 • 74-I-169
Keyword index
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appeal relating to public law • commercial court • ex officio • cantonal law • copy • oral opening • day • real estate company • federal court • supervisory board • decision • cantonal remedies • guideline • negotiation • parliamentary sitting • notification of judgment • remedies • directive • question • letter of complaint • interim decision • convicted person • beginning • architecture • distress • cantonal proceeding • hamlet • defendant • appointment • time limit
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