S. 265 / Nr. 67 Familienrecht (d)

BGE 62 II 265

67. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1936 i. S. Hirmke gegen
Pöll.


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Regeste:
Durch ein ausländisches Gericht geschiedene ausländische Ehegatten können eine
Klage betr. Nebenfolgen der Scheidung nur dann bei den Gerichten ihres
schweizerischen Wohnsitzes anbringen, wenn jener ausländische Staat für die
Nebenfolgen ihnen kraft Wohnsitzprinzips keine Gerichtsbarkeit gewährt. ­
Nebenfolgen dann vom schweizerischen Gerichte nach schweizerischem Recht zu
beurteilen.

Die Ehe der Parteien, tschechoslowakischer Staatsangehöriger, die seit langem
in der Schweiz wohnen. ist durch Urteil des tschechoslowakischen Kreisgerichts
Troppau vom 22. November 1932 «dem Bande nach für getrennt erklärt» (d. h.
nach schweizerischem Sprachgebrauch: geschieden) worden, ohne Ordnung der
Nebenfolgen. Daraufhin hat die geschiedene Frau, die am bisherigen Wohnort
Waldstadt im Kanton Appenzell A. Rh. verblieben ist, den nach Schwellbrunn im
gleichen Kanton übergesiedelten Mann vor den appenzellischen Gerichten auf
Unterhaltsleistungen belangt; und es sind ihr von beiden kantonalen Instanzen
monatliche Beiträge von 15 Fr. zuerkannt worden. Mit der vorliegenden Berufung
an das Bundesgericht beantragt der Beklagte entsprechend seiner Stellungnahme
vor dem Obergericht in erster Linie Ablehnung der schweizerischen
Gerichtsbarkeit, eventuell gänzliche Abweisung der Unterhaltsklage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Das von einem tschechoslowakischen Gerichte über die tschechoslowakischen
Staatsangehörigen ausgesprochene Scheidungsurteil ist für die Schweiz
massgeblich und muss hier anerkannt werden, gleichgültig ob allenfalls auch
die schweizerischen Gerichte zur Scheidung zuständig gewesen wären. Die
Schweiz beansprucht (entsprechend der in Art. 7 g NAG für im Auslande wohnende
Schweizer getroffenen Ordnung) keine Scheidungsgerichtsbarkeit

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über Ausländer, sondern stellt diesen nur unter den in Art. 7 h genannten
Voraussetzungen einen schweizerischen Gerichtsstand zur Wahl neben dem
allenfalls im Heimatstaate gegebenen Gerichtsstand zur Verfügung. Ist nun die
Ehe durch ein für die Schweiz massgebliches ausländisches Urteil geschieden
worden, so haben die schweizerischen Gerichte grundsätzlich die Anhandnahme
einer Klage betreffend Nebenfolgen der Scheidung abzulehnen und zwar nicht
nur, wenn die Nachklage darauf abzielt, eine im Scheidungsprozess versäumte
Geltendmachung solcher Ansprüche nachzuholen, sondern auch wenn die
Nebenfolgen im Scheidungsprozesse in der Tat nicht eingeklagt werden konnten
und sich somit gegen die Erhebung einer Nachklage an und für sich nichts
einwenden lässt. Nach intern-schweizerischem Rechte ist zur Beurteilung der
Nebenfolgen nur das Scheidungsgericht zuständig (wobei hier offen bleiben
kann, ob eine Nachklage nach rechtskräftiger Erledigung der Scheidungsfrage
zulässig sei), und dementsprechend hat die schweizerische Rechtsprechung auch
die Zuständigkeit gegenüber dem Ausland in der Weise abgegrenzt, dass
Parteien, die ihren Scheidungsprozess im Auslande durchgeführt haben, mit
Begehren um Zusprechung von Nebenfolgen der Scheidung in der Schweiz nicht
gehört werden können (BGE 47 II 372 ff. und 54 II 85 ff.; BECK, zu Art. 7 g
NAG N. 34 ff. und zu Art. 7 h N. 89 ff.). Diese Abgrenzungsnorm beruht auf der
Erwägung, dass solchen Parteien zugemutet werden könne und solle, auch die
Nebenfolgen der Scheidung vor den ausländischen Gerichten auszutragen. Sie
entbehrt daher der Grundlage, wenn der in Frage stehende Staat hiefür gar
keine Gerichtsbarkeit gewährt, indem er die Nebenfolgen der Scheidung nicht
nur in ein besonderes Nachverfahren verweist, sondern die Zuständigkeit auch
für eigene Staatsangehörige nach dem Wohnsitzprinzip ordnet, so dass es
Parteien, die beispielsweise in der Schweiz wohnen, überhaupt versagt ist, die
Nebenfolgen der Scheidung vor ein Gericht des Heimatstaates zu bringen.

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In diesem Falle ist eine Ausnahme vom erwähnten Grundsatz gerechtfertigt, da
die Ablehnung der Zuständigkeit durch die schweizerischen Wohnsitzgerichte
geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge hätte (vgl. BECK, a.a.O., STAUFFER,
Der Ehescheidungsgerichtsstand in der Schweiz 102 ff., Schweizerische
Juristenzeitung 24 382, BGE 52 II 97 ff., wo freilich darauf abgestellt werden
konnte, dass der Rekurrent selber lediglich die dem kantonalen Urteil zugrunde
liegende Auslegung der ausländischen Zuständigkeitsordnung kritisierte). Die
Vorinstanzen sind daher mit Recht auf die vorliegende Unterhaltsklage
eingetreten; denn nach der vom Bundesgericht in diesem Punkte nicht zu
überprüfenden Entscheidung des Obergerichtes gilt nach dem Rechte der
Tschechoslowakei für die Nebenfolgen der Scheidung eben das Wohnsitzprinzip im
Sinne des soeben Gesagten.
Ob auf den Wohnsitz der klagenden oder der beklagten Partei abzustellen sei,
ist hier nicht streitig. Es braucht deshalb hier auch nicht zu den
Gerichtsstandskonflikten Stellung genommen zu werden, die sich ergeben können,
wenn nur die eine Partei in der Schweiz und die andere in einem Drittlande
wohnt.
2. ­ Nebenansprüche aus Ehescheidung sind von schweizerischen Gerichten nach
schweizerischem Rechte zu beurteilen (Art. 7 h Abs. 3 NAG, BGE 38 II 49, 40 II
308
, 44 II 454, 47 II 6). Das Obergericht stellt übrigens fest, dass das
tschechoslowakische Recht im wesentlichen die Nebenfolgen der Scheidung in der
gleichen Weise ordne.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Appenzell Ausserrhoden vom 25. Mai 1936 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 265
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 10. Dezember 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 265
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Durch ein ausländisches Gericht geschiedene ausländische Ehegatten können eine Klage betr...


Gesetzesregister
EÖBV: 7g  7h
BGE Register
38-II-43 • 40-II-305 • 44-II-453 • 47-II-371 • 47-II-6 • 52-II-97 • 54-II-85 • 62-II-265
Stichwortregister
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