S. 85 / Nr. 17 Familienrecht (d)

BGE 54 II 85

17. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. März 1928 i.S. Buddeberg gegen
Häfliger.


Seite: 85
Regeste:
Zivr. Verh. Ges. Art. 7g (in der Fassung des Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
des Schlusstitels des
ZGB), Art. 28 Ziff. 2; ZGB Art. 156, 157:
Voraussetzungen, unter denen ein im Auslande wohnender schweizerischer
Ehegatte, welcher am ausländischen Wohnsitze des anderen, getrennt lebenden
Ehegatten Scheidungsklage erhoben hatte, eine auf die - im Scheidungsurteile
nicht vorgenommene oder Abänderung der (?) - Kinderzuteilung abzielende Klage
am Heimatort erheben kann.

A. - (Gekürzt.) Der Kläger, Bürger von Ruswil, Kanton Luzern, und die
Beklagte, damals Deutsche, gingen im Jahre 1913 in Luzern die Ehe ein, aus
welcher im folgenden Jahre ein Knabe entspross. Seit 1921 lebten die Parteien
getrennt, der Kläger in Montreal (Kanada), die Beklagte in Jena. In der Folge
erhob der Kläger beim Landgericht Weimar Scheidungsklage und die Beklagte
Widerklage. Durch Urteil des Landgerichtes Weimar vom 25. Februar 1924 wurde
die Ehe der Parteien in Anwendung schweizerischen Rechtes aus Verschulden des
Klägers geschieden; eine Entscheidung über die Zuteilung des Knaben wurde
jedoch nicht getroffen; auch lag keine Parteivereinbarung zur Genehmigung vor.
Seither ist die Beklagte durch Heirat wieder Deutsche geworden und wohnt sie
in Bielefeld, wo sie den Knaben aus erster Ehe bei sich hat. Ende 1925 erhob
die Beklagte beim Landgerichte Weimar eine neue Klage mit den Anträgen, es sei
«durch Urteil, auszusprechen, dass die Elternrechte über das aus der Ehe der
Eheleute Häfliger hervorgegangene Kind der Klägerin (Beklagten im vorliegenden
Prozess) zustehe», und der Beklagte (Kläger im vorliegenden Prozess) sei zur
Bezahlung einer Rente als Beitrag an die Kosten des Unterhaltes und der
Erziehung des Kindes zu verurteilen. Das Landgericht Weimar verwies

Seite: 86
die Klage an das Landgericht Stuttgart, wo der Kläger inzwischen Wohnsitz
genommen hatte und wo die Klage heute noch hängig ist. Als der Kläger in der
Folge nach Strassburg verzog, wandte sich die Beklagte auch noch an das
Amtsgericht Bielefeld als Vormundschaftsgericht mit dem Antrag auf
Entscheidung, dass ihr die Sorge für die Person ihres Sohnes zustehe. Der
diesem Antrag Folge gebende Beschluss vom 29. November 1926 wurde am 8. Juli
1927 vom Kammergericht Berlin aufgehoben.
Inzwischen hatte der Kläger anfangs 1927 beim Amtsgericht Sursee, zu dessen
Bezirk seine Heimatgemeinde gehört, Klage erhoben mit den Anträgen, der Knabe
sei ihm zur Pflege und Erziehung zuzusprechen, und die Beklagte habe denselben
an ihn (den Kläger) herauszugeben. Die Beklagte erhob die
Unzuständigkeitseinrede.
B. - Das Amtsgericht Sursee und auf Rekurs hin das Obergericht des Kantons
Luzern haben die Unzuständigkeitseinrede verworfen.
C. - Gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 6. Oktober 1927 hat die
Beklagte zivilrechtliche Beschwerde geführt unter Erneuerung ihrer
Unzuständigkeitseinrede.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit des Amtsgerichtes Sursee zur
Beurteilung der Klage aus Art. 7 g des Zivr. Verh. Ges. (in der ihm durch den
Schlusstitel des ZGB gegebenen Fassung) hergeleitet. Insofern liegt eine
gemäss Art. 87 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
OG zulässige zivilrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des Zivr. Verh. Ges. vor.
Nach der zur Anwendung gebrachten Vorschrift kann ein im Auslande wohnender
schweizerischer Ehegatte eine Scheidungsklage beim Richter seines Heimatortes
anbringen und erfolgt die Scheidung in diesem Falle ausschliesslich nach
schweizerischem Recht. Indessen hat der Kläger von dieser Möglichkeit nicht
Gebrauch gemacht, sondern seine Scheidungsklage am

Seite: 87
damaligen Wohnorte der Beklagten in Deutschland erhoben. Dort ist darüber zwar
in Anwendung des schweizerischen Rechtes entschieden, jedoch die in Art. 156
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.

ZGB vorgesehene Verfügung über die Gestaltung der Elternrechte und der
persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern nicht getroffen worden.
Infolgedessen erweist sich das Scheidungsurteil, mindestens nach
schweizerischer Auflassung, als lückenhaft und der Ergänzung bedürftig, die
mit der vorliegenden Klage nun herbeigeführt werden will. Sollte es aber der
deutschen Auffassung entsprechen, dass die Vorschrift des § 1635 des deutschen
BGB, wonach bei Scheidung, wenn ein Ehegatte allein für schuldig erklärt ist,
die Sorge für die Person des Kindes dem anderen Ehegatten zusteht, auch auf
die in Deutschland ausgesprochene Scheidung von Schweizern zutreffe, so zielt
die Klage auf eine Änderung des durch das Scheidungsurteil herbeigeführten
Rechtszustandes ab und unterscheidet sie sich insofern nicht wesentlich von
der in Art. 157
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB vorgesehenen Klage auf Änderung einer Bestimmung des
Scheidungsurteils über Nebenfolgen der Scheidung, auf welche Bestimmung sich
der Kläger denn auch beruft. So oder anders stösst die Zuständigkeit der
schweizerischen Gerichte für die vorliegende Klage auf Bedenken: im ersteren
Falle scheint es als das natürliche, dass, nachdem ein deutsches Gericht
angerufen worden ist, um die Ehe der Parteien zu scheiden, die unerlässliche
Vervollständigung des lückenhaften Urteils desselben wiederum von einem
deutschen Gerichte vorgenommen werde, und im letzteren Falle sollte ein
Eingriff in die durch das Urteil eines deutschen Gerichtes herbeigeführten
Rechtswirkungen wiederum den deutschen Gerichten vorbehalten werden (vgl.
hiezu BGE 51 II S. 109). Sonst könnte eintreffen, dass von den Gerichten
beider Staaten widersprechende Urteile gefällt werden, was nach Möglichkeit
vermieden werden sollte. Darüber, dass die schweizerische Gerichtsbarkeit der
ausländischen

Seite: 88
insofern den Vortritt lässt, kann sich der Kläger nicht beschweren, da er
selbst es ja gewesen ist, welcher sich durch Klageerhebung der ausländischen
Gerichtsbarkeit unterworfen hat, obwohl ihm diejenige seiner Heimat ebenfalls
offen stand. Sodann besteht keinerlei Gewähr dafür, dass ein schweizerisches
Urteil in Deutschland anerkannt und vollstreckt würde, zumal seitdem die
Beklagte wiederum Deutsche geworden ist. Ist die Klage als Abänderungsklage
gemäss Art. 157
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB aufzulassen, so gilt für sie ohnehin der in BGE 46 II S.
335
ff. aufgestellte und in BGE 51 II S. 108 ff. bestätigte Grundsatz, dass
ausschliesslich das Gericht am Wohnsitz der beklagten Partei zuständig ist.
Eine Notwendigkeit zur Beschränkung dieses Grundsatzes auf innerschweizerische
Verhältnisse besteht nicht. Freilich ist im letztangeführten Urteile von
seiner Ausdehnung auf internationale Verhältnisse abgesehen worden in einem
Falle, wo die Scheidung von einem schweizerischen Gericht ausgesprochen worden
war, die Klagepartei und das Kind in der Schweiz wohnten und von vorneherein
als wahrscheinlich erschien, dass eine Klage am ausländischen Wohnsitz des
Beklagten werde als unstatthaft zurückgewiesen werden, weil dort das
Rechtsinstitut der Scheidung verpönt ist. Allein hier liegen keine ebenso
gewichtigen Gründe für die Anerkennung eines schweizerischen Gerichtsstandes
vor, mindestens gegenwärtig nicht. Namentlich ist der Beklagten zuzugeben,
dass das Urteil des Kammergerichtes Berlin vom 8. Juli 1927 keineswegs
eindeutig dahin auszulegen ist, die Zuständigkeit der Bielefelder Gerichte
werde auch dann verneint werden, wenn es der Kläger sei, der sich an sie
wende. Zudem steht das Schicksal der beim Stuttgarter Landgericht immer noch
hängigen Klage dahin. Insbesondere ist nicht dargetan, dass dieses Gericht
seine Zuständigkeit auf den Klagantrag betreffend die Unterhaltsbeiträge
beschränkt habe oder beschränken werde da in dieser Frage nicht ohne weiteres
auf die freilich

Seite: 89
übereinstimmenden Parteivorbringen abgestellt werden darf. Vom schweizerischen
Standpunkt aus lassen sich denn auch kaum irgendwelche Bedenken dagegen
geltend machen, die Beurteilung der Begehren des Klägers deutschen Gerichten
zu überlassen, da sie auf die Ergänzung oder Änderung des Urteiles eines
deutschen Gerichtes hinauslaufen und die beklagte Mutter sowohl als auch das
Kind sich in Deutschland befinden. Für die Gerichte der Heimat des Klägers und
des Kindes läge erst dann ein genügender Anlass vor, um sich mit der Sache zu
befassen, wenn sich herausstellen sollte, dass die deutschen Gerichte es
ablehnen, auf eine vom Kläger dort angestrengte Klage einzutreten.
Die Gründe, aus welchen die Zuständigkeit des Gerichtes der Heimat des Klägers
verneint werden muss, gelten in gleicher Weise gegenüber der Anwendung des vom
Kläger ebenfalls angerufenen Art. 28 Ziff. 2 wie des Art. 7 g Zivr. Verh. Ges.
Infolgedessen braucht nicht geprüft zu werden, ob diese Vorschrift allfällig
für einen derartigen Gerichtsstand in Anspruch genommen werden könnte (vgl.
WOA F in der Zeitschrift für schweizerisches Recht 35 (1894) S.343 f.; LAINÉ
im Bulletin de la Société de Législation comparée 23 (1894) S. 212 f.; PILLER,
La condition juridique des Suisses à l'étranger, S. 39 f.).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird begründet erklärt, der Entscheid des Obergerichtes des
Kantons Luzern vom 6. Oktober (sowie derjenige des Amtsgerichtes Sursee vom 2.
Juni) 1927 aufgehoben und die Klage von der Hand gewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 85
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 29. März 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 85
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Zivr. Verh. Ges. Art. 7g (in der Fassung des Art. 59 des Schlusstitels des ZGB), Art. 28 Ziff. 2...


Gesetzesregister
OG: 87
ZGB: 7g  59 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
156  157
BGE Register
46-II-333 • 51-II-108 • 54-II-85
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • ehe • ehegatte • scheidungsklage • deutschland • scheidungsurteil • schweizerisches recht • entscheid • heimatort • schlusstitel • bundesgericht • kantonales rechtsmittel • richterliche behörde • schweizer bürgerrecht • gemeindebürgerrecht • wohnsitz im ausland • widerklage • verurteilung • bezirk • weiler
... Alle anzeigen