S. 361 / Nr. 47 Bundesstrafrecht (d)
BGE 54 I 361
47. Urteil des Kassationshofes vom 26. November 1928 i.S. Schweizer gegen
Staatsanwaltschaft Zürich.
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Regeste:
A r t. 67 BStR: «Gefährdung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs».
-objektiver Tatbestand: Erw. 1
-dem Täter ist die durch sein schuldhaftes Verhalten begründete Gefahr
insoweit zuzurechnen, als der bei ihrer Verwirklichung eintretende Schaden
nach den Grundsätzen der adäquaten Verursachung als durch die schuldhafte
Handlung verursacht gelten müsste: Erw. 2
-«erhebliche Gefährdung» im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Erw. 2.
A. - Der Kassationskläger fuhr am Abend des 20. März 1928 mit seinem kleinen
Personenautomobil beim Strassenübergang Illnau-Effretikon - nahe bei der
Station Effretikon, wo gerade mehrere Züge sich befanden und einer davon zur
Ausfahrt in dieser Richtung bereit stand - in die geschlossene Barriere,
knickte diese ein und blieb dann unter ihr, also vor dem ersten Geleise
stehen. Weiterer Schaden entstand nicht.
Auf Grund dieses Tatbestandes hat das Bezirksgericht Pfäffikon den
Kassationskläger am 6. Juli 1928 wegen fahrlässiger Gefährdung der Sicherheit
des Eisenbahnverkehrs zu Fr. 70.- Busse und den Kosten verurteilt. Das
Obergericht Zürich hat am 18. September 1928 dieses Urteil bestätigt, mit dem
Beifügen, dass bei Nichterhältlichkeit der Busse binnen drei Monaten an deren
Stelle sieben Tage Gefängnis treten würden.
B. - Gegen das Obergerichtsurteil erhebt der Kassationskläger rechtzeitig und
formrichtig Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht, mit dem Antrag, es sei
aufzuheben, weil keine erhebliche Gefährdung der Sicherheit des
Eisenbahnverkehrs vorliege.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Die nach Art. 67 BStR strafbare Gefährdung der Sicherheit des
Eisenbahnverkehrs besteht in der
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Heraufbeschwörung einer dem technischen Bahnbetrieb innewohnenden Gefahr, sei
es in der Weise, dass durch Störung des technischen Bahnbetriebes in seinem
planmässigen Ablauf dieser selbst und damit indirekt irgendein anderes
Rechtsgut gefährdet wird (BGE 54 I S. 52), sei es durch irgendeine Handlung,
welche im Zusammenwirken mit dem technischen Bahnbetrieb in seinem
planmässigen Ablauf eine Gefahr für transportierte Personen oder Güter oder
für das Bahnpersonal oder -Material begründet (BGE 54 I 296). Die eingeklagte
Handlung stellt nun zweifellos eine Gefährdung der Sicherheit des
Eisenbahnverkehrs in diesem Sinne dar, und zwar auch, wenn zugegeben werden
wollte, dass wirklich nur das Rangiergeleise in Mitleidenschaft gezogen worden
sei. Unter dem technischen Bahnbetrieb ist nämlich nicht, wie der
Kassationskläger glaubt, bloss der fahrplanmässige Bahnbetrieb, sondern die
Gesamtheit der der Abwicklung des Eisenbahnverkehrs dienenden technischen
Vorgänge zu verstehen; und eine Störung des technischen Bahnbetriebes in
diesem Sinne liegt vor, sobald eine zum Bestand der immobilen oder mobilen
technischen Bahnanlage gehörende Einrichtung durch Beschädigung oder sonstwie
in einen ihren Funktionen nicht entsprechenden Zustand versetzt und damit die
Möglichkeit begründet ist, dass infolge ihres Versagens im gegebenen Moment
ein zum Voraus nicht berechenbarer Schaden entstehe. Zur Bahnanlage gehört
aber ausser der Barriere auch der von ihr eingefriedete und bei geschlossener
Barriere ausschliesslich Bahnzwecken dienende Raum, gleichgültig, ob die hier
durchgehenden Geleise nur dem Transport- oder nur dem Rangierverkehr oder
beiden dienen; und wer mit seinem Automobil eine geschlossene Barriere
einrennt und in das Bahngebiet eindringt, hat damit zweifelsohne diese
Bahnanlagen in einen ihren Funktionen nicht gemässen Zustand versetzt.
2.- Dem Kassationskläger ist es denn auch eigentlich
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nur um den Nachweis dafür zu tun, dass diese Betriebsstörung keine erhebliche
Gefahr, wie sie nach Art. 57 Abs. 2 BStR Voraussetzung der Strafbarkeit einer
bloss fahrlässigen Eisenbahngefährdung ist, begründet habe. Allein auch in
dieser Beziehung geht die Beschwerde fehl. Ob eine Gefahr erheblich sei,
bestimmt sich nicht, wie der Kassationskläger glaubt, nach dem Grad der
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes, sondern nach der Grösse des bei
voller Gefahrsverwirklichung eintretenden Schadens (BGE 54 I 257 lit. b). Die
für die Strafbarkeit erforderliche Dringlichkeit der Gefahr dagegen bestimmt
sich ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine vorsätzliche oder eine
fahrlässige Eisenbahngefährdung handle, nach allgemein strafrechtlichen
Grundsätzen, d. h. der nach Art. 67 BStR strafbaren Person werden die durch
sie heraufbeschworenen Betriebsgefahren insoweit zugerechnet, als bei deren
Verwirklichung der infolgedessen eintretende Schaden nach der Theorie der
adäquaten Verursachung als durch die schuldhafte Handlung verursacht gelten
müsste (vgl. BGE 54 I 348 vom 5. November 1928 i. S. Procuratore Pubblico
della Giurisdizione Sopracenerina ca. Barchi u. Gen.). Das setzt nach der
Praxis nicht voraus, dass die Handlung die alleinige oder die unmittelbare
Ursache des Schadens sei. Zur Annahme eines Kausalzusammenhanges gemäss der
Theorie der adäquaten Verursachung genügt vielmehr, dass die Handlung
notwendige Voraussetzung des Schadenseintritts ist und nach dem gewöhnlichen
Verlauf der Dinge geeignet war, diesen Schaden herbeizuführen (vgl. den cit.
BGE i. S. ca. Barchi u. Gen.) - so, dass sein Eintritt oder Nichteintritt nur
noch von einem Zufall abhing. Dem nach Art. 67 BStR strafrechtlich
Verantwortlichen ist deshalb die durch sein schuldhaftes Verhalten begründete
Betriebsgefahr in dem Umfang anzurechnen, als ihre Verwirklichung nur noch
eine Zufallssache war, auch wenn der Schaden nicht als unmittelbare Folge
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Verhaltens eingetreten wäre und allenfalls noch das - nach den Umständen zu
erwartende - Eingreifen einer weitern Person zur Voraussetzung gehabt hätte.
Vorliegend hing es nun von einem Zufall ab, dass der Kassationskläger, nachdem
er die Barriere eingerannt hatte, sein Automobil noch vor und nicht erst auf
dem Geleise zum Stehen bringen konnte und dass nicht gerade in diesem Moment
der fällige Zug vorüberfuhr und durch Trümmer des von ihm angefahrenen
Automobils zum Entgleisen gebracht wurde oder infolge des plötzlichen
Abbremsens an Personen und Gütern erheblichen Schaden erlitt. Aber auch wenn
man davon ausgeht, dass das Automobil tatsächlich vor den Geleisen stehen
geblieben ist, so hätte der Lokomotivführer des möglicherweise eben
heranfahrenden Zuges entweder aus gebotener Vorsicht sofort abbremsen müssen
oder doch sehr wohl in der Bestürzung zu rasch abbremsen und die damit
verbundenen Gefahren auslösen können.
3.- Der objektive Tatbestand der fahrlässigen Eisenbahngefährdung nach Art. 67
Abs. 2 BStR ist somit erfüllt. Dass die Tat fahrlässig begangen worden sei,
hat der Kassationskläger, welcher noch bei Tageshelle (18.50 Uhr) bei einem
ihm gut bekannten Bahnübergang in die geschlossene Barriere fuhr, nicht wohl
zu bestreiten gewagt. Dass die dadurch heraufbeschworene Gefahr keine
dringende war, ist von den Vorinstanzen bei der Strafausmessung bereits voll
berücksichtigt worden.