134 I 92
11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Migration Basel-Landschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) 2C_556/2007 / 2C_700/2007 vom 21. Januar 2008
Regeste (de):
Art. 29 Abs. 3





Regeste (fr):
Art. 29 al. 3 et art. 31 al. 2, 2e phrase Cst.; art. 78 LEtr; droit à l'assistance judiciaire dans la procédure d'examen de la détention en droit des étrangers; nature de la détention pour insoumission. La détention pour insoumission suppose qu'une procédure de renvoi soit en cours et repose ainsi sur l'art. 5 par. 1 let. f CEDH; dans ce cadre, elle s'appuie sur l'art. 5 par. 1 let. b CEDH, en ce sens que la mesure en question doit amener l'intéressé (par la contrainte) à collaborer et à quitter le pays, comme il en a l'obligation (consid. 2). L'assistance judiciaire ne peut en principe être refusée à une personne indigente qui se trouve en détention pour des motifs de droit des étrangers et qui la requiert en procédure de prolongation de la détention au-delà de trois mois; lorsque la détention pour insoumission fait suite à une détention en vue du renvoi ou de l'expulsion atteignant déjà cette durée, il y a lieu, au vu des particularités de cette forme de détention, d'accorder l'assistance demandée par l'intéressé, déjà lors du premier examen - avec audition - de la détention; par la suite, l'assistance sera accordée seulement si le cas soulève des questions de droit ou de fait d'une difficulté particulière (consid. 3 et 4).
Regesto (it):
Art. 29 cpv. 3 e art. 31 cpv. 2, 2a frase, Cost.; art. 78 LStr; diritto al gratuito patrocinio nella procedura di esame della detenzione nel diritto degli stranieri; natura della carcerazione cautelativa. La carcerazione cautelativa presuppone che un procedimento di rinvio sia in corso e si fonda pertanto dal profilo convenzionale sull'art. 5 n. 1 lett. f CEDU; in questo ambito essa si attiene anche all'art. 5 n. 1 lett. b CEDU, nel senso che in tal modo la persona interessata deve essere indotta (con la coercizione) ad ottemperare al suo obbligo di collaborare e di lasciare il paese (consid. 2). Ad una persona indigente detenuta per ragioni di diritto degli stranieri, nella procedura di proroga della carcerazione il gratuito patrocinio, se lo richiede, non può di regola venirle rifiutato dopo il termine di tre mesi; se la carcerazione cautelativa segue una carcerazione in vista di sfratto di una certa durata, tenuto conto delle particolarità di questa forma di detenzione, la domanda dell'interessato va accolta già nella prima procedura orale di esame della detenzione, mentre in seguito solo se il caso presenta difficoltà particolari dal profilo giuridico o fattuale (consid. 3 e 4).
Sachverhalt ab Seite 93
BGE 134 I 92 S. 93
X. (geb.1978) stammt nach eigenen Angaben aus Algerien. Er durchlief in der Schweiz erfolglos ein Asylverfahren. Zur Sicherstellung des Vollzugs seiner Wegweisung befand er sich vom 21. April bis zum 20. Juli 2005 sowie vom 15. Januar bis zum 15. Mai 2007 in Ausschaffungshaft. Hernach wurde er in den Strafvollzug versetzt. Am 11. Juni 2007 nahm das Amt für Migration Basel-Landschaft X. in Durchsetzungshaft. Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am Kantonsgericht Basel-Landschaft genehmigte diese am 14. Juni 2007 bis zum 10. Juli 2007; er verlängerte sie am 9. Juli, 6. September und 6. November 2007 jeweils um zwei Monate. Gegen den Entscheid vom 6. September 2007 gelangte X. am 8. Oktober 2007 an das Bundesgericht, wobei sich seine Beschwerde ausschliesslich gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung richtete (Verfahren 2C_556/2007). Mit Eingabe vom 6. Dezember 2007 beantragte er, die Haftverlängerung vom 6. November 2007 "vollumfänglich" aufzuheben, ihn "auf freien Fuss" zu setzen
BGE 134 I 92 S. 94
und "ihm für das vorinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung mit Y. als Advokaten zuzusprechen" (Verfahren 2C_700/2007). Das Bundesgericht vereinigt die beiden Verfahren und weist die Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
2.1.1 Hat ein Ausländer seine Pflicht, die Schweiz zu verlassen, innert der ihm angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung wegen seines persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so darf er in Durchsetzungshaft genommen werden, falls die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und keine andere, mildere Massnahme geeignet erscheint, ihn dazu zu bewegen, der Weg- oder Ausweisung nachzukommen (Art. 13g Abs. 1






2.1.2 Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- oder Ausweisung - trotz der behördlichen Bemühungen - ohne ihre Kooperation nicht (mehr) möglich erscheint. Sie soll das letzte Mittel bilden, wenn und soweit keine andere Zwangsmassnahme mehr zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer - auch gegen seinen Willen - in seine Heimat verbringen zu können (BGE 133 II 97 E. 2.2 S. 99 f.). Ihre konventionsrechtliche Rechtfertigung findet die Durchsetzungshaft einerseits in Art. 5 Ziff. 1 lit. f

BGE 134 I 92 S. 95
Ausweisungsverfahrens) andererseits in Art. 5 Ziff. 1 lit. b

2.2
2.2.1 Das Bundesgericht hat die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Durchsetzungshaft am 30. August 2007 auf Beschwerde hin geschützt (Urteil 2C_362/2007). Da sich der Sachverhalt seither nicht entscheidwesentlich verändert hat, sind auch die Haftverlängerungen vom 6. September und 6. November 2007 gerechtfertigt: Der Beschwerdeführer ist seit der ersten Hälfte des Jahres 2002 rechtskräftig verpflichtet, die Schweiz zu verlassen, wobei hierfür - mangels einer legalen Ausreisemöglichkeit in einen Drittstaat (vgl. dazu BGE 133 II 97 E. 4.2.2 S. 103 sowie Art. 115 Abs. 2

2.2.2 Die Abklärungen über die schweizerische Botschaft vor Ort erhärten den Schluss, dass die Angaben des Beschwerdeführers unzutreffend sind und er versucht, die Ausschaffung in seine Heimat zu vereiteln: Die von ihm angegebene Adresse in Constantine besteht nicht; er ist dort im Geburtsregister nicht eingetragen und den Schulbehörden auch nicht bekannt. Das Schreiben, das er an seinen Vater gerichtet hat, wurde als unzustellbar retourniert, was den Schluss nahe legt, dass er nach wie vor nicht bereit ist, mit den Behörden zu kooperieren. Der Beschwerdeführer weiss, dass ohne seine Mitwirkung die algerische Vertretung keine Reisedokumente ausstellen wird; er verweigert deshalb jegliche wirkungsvolle Zusammenarbeit. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten zusätzlichen Vorkehrungen die Behörden - ohne Verhaltensänderung des Beschwerdeführers - noch
BGE 134 I 92 S. 96
treffen könnten, um bei den algerischen Behörden Gewissheit über seine Identität und Herkunft zu erlangen und ohne Vorlage von Identitätspapieren einen Laissez-Passer erwirken zu können.
2.3 Was der Beschwerdeführer hiergegen einwendet, überzeugt nicht; entgegen seinen Vorbringen ist seine Festhaltung weder konventionswidrig noch dient sie einem strafrechtlichen Zweck:
2.3.1 Die Durchsetzungshaft stützt sich - wie bereits dargelegt - konventionsrechtlich, sowohl auf Art. 5 Ziff. 1 lit. f






BGE 134 I 92 S. 97
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 5 Ziff. 1 lit. b

2.3.2 Wie alle staatlichen Massnahmen muss auch die Durchsetzungshaft verhältnismässig sein. Es ist jeweils aufgrund der konkreten Umstände zu klären, ob sie (noch) geeignet bzw. erforderlich ist und nicht gegen das Übermassverbot, d.h. das sachgerechte und zumutbare Verhältnis von Mittel und Zweck, verstösst (BGE 133 II 97 E. 2.2 S. 100). Dabei ist dem Verhalten des Betroffenen, den die Papierbeschaffung allenfalls erschwerenden objektiven Umständen (ehemalige Bürgerkriegsregion usw.) sowie dem Umfang der von den Behörden bereits getroffenen Abklärungen Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, wieweit der Betroffene es tatsächlich in der Hand hat, seine Festhaltung zu beenden, indem er seiner Mitwirkungs- bzw. Ausreisepflicht nachkommt. Im vorliegenden Fall haben die schweizerischen Behörden umfassende Abklärungen getätigt; der Beschwerdeführer gesteht selber zu, dass er über "Freunde" die für die Ausschaffung erforderlichen Unterlagen beschaffen könnte, weigert sich aber beharrlich, dies zu tun. Damit ist die angefochtene Haftverlängerung zur Durchsetzung seiner Wegweisung geeignet und erforderlich; es ist nicht auszuschliessen, dass er sich doch noch eines Besseren besinnen wird. Dass er sich bisher konsequent geweigert hat, seine Identität offenzulegen, kann nicht dazu führen, dass die Durchsetzungshaft nicht mehr geeignet wäre, dieses Ziel zu erreichen; die Haft könnte sonst um so weniger angeordnet werden, je renitenter sich die betroffene Person verhält und je stärker sie versucht, ihre Ausschaffung zu hintertreiben.
2.3.3 Auch die strafrechtlichen Konsequenzen eines illegalen Aufenthalts stehen der Durchsetzungshaft nicht entgegen: Diese ist eine administrative Zwangsmassnahme mit dem Ziel, die in der Schweiz definitiv nicht anwesenheitsberechtigte Person legal in einen Dritt- oder in ihren Heimatstaat verbringen zu können. Sie steht in keinem
BGE 134 I 92 S. 98
strafrechtlichen Zusammenhang. Eine strafrechtliche Verurteilung ist (wiederholt) möglich, solange der Betroffene sich illegal hier aufhält, weshalb die Strafandrohung in Art. 23 Abs. 1







3. In verfahrensrechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, ihm sei vom Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht jeweils zu Unrecht der unentgeltliche Rechtsbeistand verweigert worden:
3.1
3.1.1 Der Umfang des Anspruchs auf unentgeltliche Verbeiständung richtet sich zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Erst wo sich der entsprechende Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die bundesverfassungsrechtlichen Minimalgarantien Platz (BGE 131 I 185 E. 2.1 S. 188; BGE 122 I 49 E. 2a). Nach § 22 des Gesetzes vom 16. Dezember 1993 über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft (VPO) wird einer bedürftigen Partei, deren Begehren nicht offensichtlich aussichtslos sind, auf Gesuch hin der "kostenlose Beizug eines Anwalts bzw. einer Anwältin gewährt, sofern dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig erscheint". § 11 Abs. 1 des basel-landschaftlichen Gesetzes vom 20. Mai 1996 über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (Zwangsmassnahmengesetz) sieht seinerseits vor, dass das Präsidium der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des
BGE 134 I 92 S. 99
Kantonsgerichts einen Rechtsbeistand "von Amtes wegen" anordnet, "soweit dies zur Wahrung der Rechte der betroffenen Person erforderlich ist"; fehlen dieser die nötigen Mittel, ist der Rechtsbeistand für sie unentgeltlich (§ 11 Abs. 2 Zwangsmassnahmengesetz).
3.1.2 Der Haftrichter hat seine Entscheide auf § 22 Abs. 2 VPO gestützt und das Gesuch um Verbeiständung abgewiesen, da die Begehren des Beschwerdeführers, von einer Haftverlängerung abzusehen, jeweils aussichtslos gewesen seien. Ob § 22 Abs. 2 VPO sich inhaltlich mit § 11 des Zwangsmassnahmengesetzes deckt bzw. dieser § 22 Abs. 2 VPO vorzugehen hätte (vgl. das Urteil 2A.211/2003 vom 5. Juni 2003, E. 1.4), ist hier nicht weiter zu prüfen. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, das einschlägige kantonale Recht sei willkürlich angewendet worden (vgl. Art. 95



3.2
3.2.1 Nach Art. 29 Abs. 3

3.2.2 Das Bundesgericht hat in Anlehnung an die damalige Rechtsprechung zur notwendigen Verteidigung im Strafprozess, wonach dem Betroffenen "ohne besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur in der Regel ein unentgeltlicher Rechtsanwalt
BGE 134 I 92 S. 100
beizugeben ist, wenn ein tatsächlicher Freiheitsentzug von mehr als 'einigen' Wochen oder Monaten zu erwarten ist (BGE 120 Ia 43 E. 2b S. 46)", erkannt, dass im Haftverlängerungsverfahren nach drei Monaten einem bedürftigen Administrativhäftling auf dessen Gesuch hin der unentgeltliche Rechtsbeistand nicht verweigert werden darf (BGE 122 I 49 E. 2c/cc). Bei der erstmaligen Haftprüfung sei eine unentgeltliche Verbeiständung demgegenüber nicht vorbehaltlos geboten, sondern nur, wenn besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur bestünden, welche eine solche rechtfertigten, was jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen sei (BGE 122 I 275 E. 3b).
3.2.3 An dieser Rechtsprechung ist unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung (vgl. zu den Weiterentwicklungen im Bereich der notwendigen Verteidigung im Strafprozess: Art. 32 Abs. 2



BGE 134 I 92 S. 101
lit. a ANAG bzw. Art. 80 Abs. 6 lit. a



3.2.4 Das Gleiche ergibt sich aus Art. 5 Ziff. 4


4.
4.1 Der Beschwerdeführer befindet sich nicht in Vorbereitungs- oder Ausschaffungs-, sondern in Durchsetzungshaft ; bei der Frage des Zeitpunkts der Verbeiständung ist deren besonderem Charakter Rechnung zu tragen: Die Durchsetzungshaft stellt das letzte Mittel dar, wenn und soweit keine andere Zwangsmassnahme zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer - auch gegen seinen Willen - in die Heimat verbringen zu können; ihr ist regelmässig bereits ein anderes Haftverfahren vorausgegangen, in dem der Betroffene verbeiständet werden musste. Als heikel erweist sich der Übergang zu ihr, da es dabei darauf ankommt, ob die Ausschaffungshaft tatsächlich nicht mehr zulässig ist und kein anderes, milderes legales Mittel den Betroffenen dazu bewegen kann, seiner Mitwirkungs- und Ausreisepflicht nachzukommen. Die Durchsetzungshaft wird zwar erstmals nur für einen Monat genehmigt, anschliessend wird sie aber entsprechend dem Zweck dieser Zwangsmassnahme in der Regel mit einem gewissen Automatismus verlängert, solange der Betroffene sein Verhalten nicht ändert oder neue Sachumstände vorliegen. Der Gesetzgeber hat das Haftprüfungsverfahren dementsprechend vereinfacht; eine mündliche Verhandlung erfolgt innert acht Arbeitstagen nur, falls der Inhaftierte dies ausdrücklich verlangt, andernfalls entscheidet der Haftrichter in einem schriftlichen Verfahren (Art. 13g Abs. 4


BGE 134 I 92 S. 102
deshalb - falls sich die Durchsetzungshaft wie hier direkt an eine längere Ausschaffungshaft bzw. einen Strafvollzug anschliesst -, dem Gesuch des Ausländers um unentgeltliche Verbeiständung bereits im erstmaligen, mündlichen Haftprüfungsverfahren zu entsprechen, in der Folge aber nur noch bei besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Natur.
4.2 Der Beschwerdeführer war bei der erstmaligen Prüfung der Durchsetzungshaft durch seinen heutigen Rechtsbeistand amtlich vertreten; beim Verlängerungsentscheid vom 9. Juli 2007 hatte er offenbar um keine Verbeiständung mehr ersucht. Der Haftrichter hielt in seinem Entscheid vom 14. Juni 2007 fest, dass ihm die unentgeltliche Verbeiständung "aufgrund der bisherigen Dauer seiner Inhaftierung und der rechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Ausschaffungshaft und Durchsetzungshaft bewilligt" werde; zugleich wies er ihn aber darauf hin, "dass bei allenfalls notwendigen künftigen Verlängerungen der Durchsetzungshaft ohne wesentliche Änderung im Verhalten des Antragsgegners oder wesentliche Sachverhaltsänderung die Voraussetzungen für eine unentgeltliche Verbeiständung nicht mehr gegeben sein dürften". Unter diesen Umständen verletzte es kein Bundesverfassungsrecht, wenn der Haftrichter am 6. September 2007 das Gesuch um erneute Verbeiständung abwies, nachdem das Bundesgericht die Beschwerden gegen die Anordnung der Durchsetzungshaft und deren erste Verlängerung am 30. August 2007 im vereinfachten Verfahren nach Art. 109
