113 Ia 426
63. Auszug aus dem Urteil der 1. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. November 1987 i.S. Quartierverein Rotmonten gegen Stadtrat St. Gallen und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Verkehrsberuhigungsmassnahmen.
- Art. 88
OG; Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde.
- - Grundsatz (E. 1);
- - Beschwerdeberechtigung eines Quartiervereins (E. 2);
- - Legitimation zur Rüge wegen formeller Rechtsverweigerung (E. 3).
- Art. 45 Abs. 1
des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons St. Gallen vom 16. Mai 1965 (VRP); Legitimation Dritter zur Ergreifung von Rechtsmitteln im kantonalen Beschwerdeverfahren.
Regeste (fr):
- Mesures destinées à calmer le trafic.
- Art. 88 OJ; qualité pour agir par la voie du recours de droit public.
- - Principe (consid. 1);
- - Droit de recourir d'une association de quartier (consid. 2);
- - Qualité pour se plaindre d'un déni de justice formel (consid. 3).
- Art. 45 al. 1 de la loi sur la juridiction administrative du canton de St-Gall du 16 mai 1965 (LJA); qualité des tiers pour user des moyens de droit en procédure cantonale de recours.
Regesto (it):
- Misure destinate a calmare il traffico.
- Art. 88
OG; legittimazione a proporre ricorso di diritto pubblico.
- - Principio (consid. 1);
- - Legittimazione ricorsuale di un'associazione di quartiere (consid. 2).
- - Legittimazione a dolersi di un diniego di giustizia formale (consid. 3).
- Art. 45 cpv. 1 della legge del cantone di San Gallo sulla giurisdizione amministrativa; legittimazione dei terzi ad avvalersi di rimedi giuridici nella procedura ricorsuale cantonale.
Sachverhalt ab Seite 427
BGE 113 Ia 426 S. 427
Auf den Zeitpunkt der Eröffnung der Nationalstrasse N 1/SN 1 auf dem Gebiet der Stadt St. Gallen beschloss der Stadtrat verschiedene Verkehrsmassnahmen, um das sogenannte Wohnschutzkonzept Rosenberg zu verwirklichen. Damit wird das Ziel verfolgt, soviel Verkehr wie möglich auf die Autobahn zu bringen und den verbleibenden innerstädtischen Verkehr auf das übergeordnete Strassennetz zu kanalisieren, um so die Wohngebiete vom Fremdverkehr zu entlasten. Die Verkehrsmassnahmen umfassen Anordnungen, welche gestützt auf das Strassenverkehrsgesetz getroffen wurden; namentlich die Schliessung der Durchfahrt an den beiden Strassenkreuzungen Dufourstrasse/Lessingstrasse und Goethestrasse/Wartensteinstrasse. Sodann sind bauliche Massnahmen vorgesehen, die ihre Grundlage im kantonalen Strassengesetz finden. Sie betreffen gemäss dem "Massnahmenpaket Rosenberg I" die Dufourstrasse (Korrektion der Einmüdungen Winkelriedstrasse/Tigerbergstrasse und Varnbüelstrasse) und die General Guisan-Strasse (Aufpflästerung der Fahrbahn bei der Verzweigung der Varnbüel- und Gatterstrasse, der Holzstrasse und des Freibergweges) sowie gemäss dem "Massnahmenpaket Rosenberg II" die Aufpflästerung des Knotenbereichs Dufourstrasse/Lessingstrasse und Goethestrasse/Wartensteinstrasse, ferner die Erstellung von Trottoirüberfahrten bei den Einmündungen der Dufourstrasse und der Wartensteinstrasse in die Gerhaldenstrasse sowie beim Knoten Leimatstrasse/Böcklinstrasse. Mit diesen Massnahmen ist der Quartierverein Rotmonten nicht einverstanden. Das Quartier Rotmonten liegt im Norden der Stadt St. Gallen. Über die genannten Strassenzüge gelangt man nach Rotmonten, so vom Rosenbergquartier über die Dufourstrasse, Varnbüelstrasse und General Guisan-Strasse, vom Langgassquartier u.a. über die Dufourstrasse, die Leimatstrasse, Lessingstrasse, Goethestrasse und Gerhaldenstrasse. Weil die Massnahmen den Durchfahrtsverkehr zu dem am Rande der Stadt gelegenen Rotmontenquartier
BGE 113 Ia 426 S. 428
erschweren, erhob der Quartierverein Einsprache beim Stadtrat sowie gegen dessen Entscheid Beschwerde an den Regierungsrat. Am 16. Juni 1987 beschloss der Regierungsrat:
"...
2. Auf den Rekurs des Quartiervereins Rotmonten betreffend bauliche Massnahmen Rosenberg I wird nicht eingetreten. 3. Der Rekurs der Quartiervereine Rotmonten und Langgasse-Heiligkreuz betreffend bauliche Massnahmen Rosenberg II wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. ..."
Der Quartierverein Rotmonten beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, unter anderem die Disp. Ziffern 2 und 3 des Entscheides des Regierungsrates seien aufzuheben. Er bezeichnet es als schlechthin unhaltbar, dass der Regierungsrat auf den Rekurs betreffend bauliche Massnahmen Rosenberg I wegen fehlender Beeinträchtigung in schutzwürdigen Interessen nicht eingetreten sei. Den Beschluss über die Ablehnung der Beschwerde betreffend bauliche Massnahmen Rosenberg II bezeichnet der Quartierverein sowohl aus formellen Gründen - wegen angeblicher Nichtigkeit der Planauflage - als auch in materieller Hinsicht als schlechterdings unvertretbar. Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt. Es begründet seinen Entscheid
Erwägungen
mit folgenden Erwägungen:
1. Das Recht zur Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde richtet sich unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, ausschliesslich nach Art. 88
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2. Soweit der Regierungsrat auf den Rekurs des Beschwerdeführers gegen die im Massnahmenpaket Rosenberg II enthaltenen
BGE 113 Ia 426 S. 429
baulichen Massnahmen eintrat, den Rekurs jedoch abwies, macht der Beschwerdeführer in seiner staatsrechtlichen Beschwerde geltend, die Ablehnung sei willkürlich. a) Wie Erwägung 1 zeigt, ergibt sich aus der Beschwerdeberechtigung im kantonalen Verfahren nicht ohne weiteres auch das Recht zur Beschwerdeführung im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren gemäss Art. 84 ff
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BGE 113 Ia 426 S. 430
vom 17. März 1930 (StrG) sinngemäss eine formelle Rechtsverweigerung geschützt und er habe die baulichen Massnahmen Rosenberg II, soweit er sie überprüfte, mit willkürlichen Erwägungen als rechtmässig anerkannt. Da das allgemeine Willkürverbot für sich allein dem Betroffenen noch keine geschützte Rechtsstellung verschafft (BGE 110 Ia 75 E. 2a mit Hinweisen), wäre massgebend, ob diejenigen Normen, welche der Regierungsrat bei seinem Entscheid angewendet hat, neben den öffentlichen auch die privaten Interessen der Quartierbewohner schützen. für Art. 24 StrG müsste dies wohl bejaht werden, wogegen Art. 20 und Art. 62 StrG in bezug auf diese Frage näher untersucht werden müssten. Bei dieser Sachlage braucht auch nicht zur Frage Stellung genommen zu werden, ob an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass selbst ein Anstösser - anderslautende gesetzliche Bestimmungen vorbehalten - kein besseres Recht auf Benützung einer im Gemeingebrauch stehenden Strasse besitze als jeder andere Benützer (vgl. dazu BGE 91 I 408 E. 2 mit Hinweisen), ausnahmslos festgehalten werden kann (vgl. immerhin BGE 95 I 305 E. 5b sowie die Kritik bei IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel 1976, Nr. 117 B III, S. 823 ff.).
c) Beigefügt sei, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers, falls auf sie eingetreten werden könnte, nicht geeignet wären, dem Regierungsrat Willkür vorzuwerfen. Seine Behauptung, die öffentliche Auflage der baulichen Massnahmen Rosenberg II sei nichtig, geht klarerweise fehl. Die Nennung der Massnahmen mit der Möglichkeit der Einsichtnahme in die Pläne genügt offensichtlich den Anforderungen gemäss Art. 24 StrG. Desgleichen durfte der Regierungsrat ohne Willkür die Auffassung des Beschwerdeführers, es fehle eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Massnahmen, mit Berufung auf das kantonale Strassengesetz, insbesondere dessen Art. 17 ff., zurückweisen. Die Bedürfnisse des heutigen intensiven Motorfahrzeugverkehrs, nach dem sich die Strassen gemäss Art. 20 StrG zu richten haben, können auch Massnahmen zur Kanalisierung des Verkehrs umfassen.
3. Ungeachtet der fehlenden Legitimation in der Sache selbst kann mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung solcher Rechte gerügt werden, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt oder auf eine solche hinausläuft (BGE 107 Ia 75 E. 2d; BGE 105 Ia 190 E. 1c; je mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer einwendet, der Regierungsrat sei zu Unrecht auf
BGE 113 Ia 426 S. 431
einen Teil seines Rekurses nicht eingetreten, ist er ohne weiteres zur Beschwerde legitimiert. a) Ob der Regierungsrat in vollem Umfange auf den Rekurs des Beschwerdeführers hätte eintreten müssen, beurteilt sich nach kantonalem Verfahrensrecht (Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Mai 1965, VRP) und ist demzufolge allein unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen. In Frage stehen bauliche Strassenkorrektionsarbeiten im bestehenden Strassenbereich. Bei den entsprechenden Bauprojekten zur Kanalisierung und Eindämmung des Strassenverkehrs geht es nicht um den Vollzug von Nutzungsplänen im Sinne des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes, sondern um gezielte Umbauarbeiten an Strassenkreuzungen und -einmündungen im Interesse des Wohnschutzes. Demgemäss kommen die Vorschriften des BG über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG) und des BG über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 97 ff.) nicht zur Anwendung (BGE 103 Ia 18 E. 2a). b) aa) Die umstrittenen Anordnungen betreffen bauliche Massnahmen, die gemäss dem kantonalen Gesetz über das Strassenwesen vom 17. März 1930 (StrG) vom hiefür zuständigen Stadtrat St. Gallen beschlossen wurden. Nach Art. 25 Abs. 2
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BGE 113 Ia 426 S. 432
cc) Diese Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keineswegs willkürlich. Wollte man Strassenbenützern, welche mehr oder weniger regelmässig eine Strasse befahren, um zu ihrer Wohnung oder ihrem Arbeitsort zu gelangen, das Beschwerderecht gegen Strassenkorrektionsmassnahmen einräumen, so käme dies einer Popularbeschwerde gleich. Als "schutzwürdiges Interesse" im Sinne von Art. 45
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