107 Ia 175
35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. Juli 1981 i.S. Politische Gemeinde Arosa gegen Kanton Graubünden und Mitglieder der Perimeterkommission für die Gemeinde Arosa und i.S. Mitglieder der Perimeterkommission der Gemeinde Arosa gegen Politische Gemeinde Arosa und Kantonsgericht von Graubünden (staatsrechtliche Beschwerden)
Regeste (de):
- Art. 88 OG; Legitimation der Gemeinde, Legitimation von Litisdenunziaten.
- Legitimation der Gemeinde zur Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie (E. I 1a) und wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (E. I 1b).
- Legitimation von Litisdenunziaten: Litisdenunziaten werden dann durch ein Urteil im Prozess der Hauptparteien nicht beschwert und sind daher zur staatsrechtlichen Beschwerde dagegen nicht legitimiert, wenn sie im Rückgriffsprozess noch alle Einreden vorbringen können, z.B. deshalb, weil ihnen im Prozess der Hauptparteien der Streit nicht rechtzeitig verkündet worden war (E. II 6).
Regeste (fr):
- Art. 88 OJ; qualité pour recourir d'une commune, qualité pour recourir d'appelés en garantie.
- Qualité d'une commune pour former un recours de droit public fondé sur une atteinte à son autonomie (consid. I 1a) et sur une violation de ses droits constitutionnels (consid. I 1b).
- Qualité pour recourir d'appelés en garantie. Ils ne sont pas lésés par un jugement concernant les parties principales à un procès. Ils n'ont par conséquent pas qualité pour l'attaquer par un recours de droit public s'ils peuvent encore faire valoir, dans une action récursoire, toutes les exceptions dont ils disposent. Tel est le cas notamment lorsque l'instance ne leur avait pas été dénoncée à temps dans le procès principal (consid. II 6).
Regesto (it):
- Art. 88 OG; legittimazione ricorsuale del comune, legittimazione ricorsuale dei chiamati in causa.
- Legittimazione del comune a proporre ricorso di diritto pubblico fondato sulla violazione della propria autonomia (consid. I 1a) e sulla violazione dei propri diritti costituzionali (consid. I 1b).
- Legittimazione dei chiamati in causa: essi non sono lesi da una decisione pronunciata nella causa tra le parti principali - né sono pertanto legittimati a proporre ricorso di diritto pubblico - quando possano ancora far valere nella causa di regresso tutte le eccezioni di cui dispongono; ciò è il caso laddove la lite non sia stata loro denunciata tempestivamente nella causa tra le parti principali (consid. II 6).
Sachverhalt ab Seite 176
BGE 107 Ia 175 S. 176
Die Stimmberechtigten der Gemeinde Arosa genehmigten am 1. Juni 1969 den Ausbau der Hörnlistrasse und bewilligten den hiefür erforderlichen Kredit. Nach der Abstimmungsvorlage sollten siebzig Prozent der Baukosten zu Lasten der interessierten Grundeigentümer gehen. Die Strasse wurde - ohne den neunzig Meter langen Schlussteil - im Herbst 1972 grösstenteils dem Verkehr übergeben. Mit Beschluss vom 23. Juni 1969 ernannte die Regierung des Kantons Graubünden eine Perimeterkommission für sämtliche öffentliche Arbeiten der Gemeinde Arosa, die bis Ende 1970 in Angriff genommen würden. Das Mandat der Kommission wurde im September 1971 bis Ende 1974 verlängert. Der Gemeinderat Arosa ersuchte am 3. Juli 1974 die Perimeterkommission, ihre Arbeit am Perimeter für die Hörnlistrasse möglichst rasch abzuschliessen: der Gemeinderat wiederholte diese Mahnung bis Mitte 1976 mehrmals. Am 20. September 1976 wurde ein erster Perimeter-Entscheid öffentlich aufgelegt, aus verschiedenen Gründen aber zurückgezogen und durch einen neuen Entscheid vom 5. Januar 1977 ersetzt. Auf Rekurs von fünf Grundeigentümern hob das Verwaltungsgericht des Kantons
BGE 107 Ia 175 S. 177
Graubünden am 5. Juli 1977 diesen Entscheid auf, soweit er die Rekurrenten belastete, da die Gemeinde Arosa ihren Anspruch auf Perimeterbeiträge der Rekurrenten verwirkt habe. Die Gemeinde Arosa reichte in der Folge beim Bezirksgericht Plessur eine Klage gegen den Kanton Graubünden ein. Sie machte geltend, sie habe wegen Rechtsverzögerung durch die Perimeterkommission einen Schaden in der Höhe von insgesamt Fr. 537'341.15 samt Zinsen ab verschiedenen Terminen erlitten. Für diesen Schaden müsse der Kanton aufgrund des Verantwortlichkeitsgesetzes einstehen. Der Kanton Graubünden beantragte in der Prozessantwort Abweisung der Klage und ersuchte zugleich um Streitverkündung an die drei Mitglieder der Perimeterkommission. Mit Schreiben vom 16. November 1978 gab die Gerichtskanzlei den drei Personen Kenntnis von der Streitverkündung und setzte ihnen eine Frist zur Einreichung einer allfälligen Replik an. Die Fristansetzung wurde aber am 24. November 1978 von dem als Vorsitzenden amtenden Vizepräsidenten des Gerichts wieder aufgehoben. In der Folge verzichtete die Gemeinde Arosa auf Replik, so dass auch keine Duplik eingeholt wurde. Mit Urteil vom 10. Juli/14. September 1979 hiess das Bezirksgericht die Klage teilweise gut und verpflichtete den Kanton Graubünden, der Gemeinde Arosa Fr. 391'097.30 nebst Verzugszins ab verschiedenen Terminen zu bezahlen.
Der Kanton Graubünden und die drei Litisdenunziaten erklärten gegen dieses Urteil Berufung, die Gemeinde Arosa Anschlussberufung. Das Kantonsgericht von Graubünden setzte mit Urteil vom 16. Juni/19. August 1980 die vom Kanton zu leistende Schadenersatzsumme auf Fr. 223'391.10 herab. Gegen dieses Urteil reichten die Gemeinde Arosa und die Mitglieder der Perimeterkommission staatsrechtliche Beschwerde ein.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
I. Zur Beschwerde der Gemeinde Arosa:
1. Die staatsrechtliche Beschwerde ist, wie sich aus Art. 113
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
|
1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
BGE 107 Ia 175 S. 178
Verfahrensrechtliche Aspekte der staatsrechtlichen Beschwerde, in SJZ 76/1980, S. 241/242). a) Die Gemeinde Arosa beruft sich auf ihre Gemeindeautonomie. Sie macht geltend, sie trete im vorliegenden Rechtsstreit als Trägerin hoheitlicher Gewalt auf, indem sie ihre Autonomie gegenüber dem Kanton verteidige. Im Rahmen einer Autonomiebeschwerde könne sie sich auch auf Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
b) Die Gemeinde Arosa hat sich aber auch auf Willkür im Sinne von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 107 Ia 175 S. 179
nur im Rahmen einer Autonomiebeschwerde auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
II. Zur Beschwerde der Litisdenunziaten:
6. a) Auch bei dieser Beschwerde stellt sich zunächst die Eintretensfrage. Nach ständiger Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang belanglos, ob die Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung hatten oder nicht; die Frage der Beschwerdelegitimation beurteilt sich vielmehr ausschliesslich nach dem Gesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (BGE 105 Ia 57 E. b mit Hinweisen). b) Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung den Privaten bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Daraus folgt, dass der Entscheid über die Beschwerdelegitimation hier davon abhängt, ob die Litisdenunziaten durch den angefochtenen Entscheid, der im Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Arosa und dem Kanton Graubünden ergangen ist, beschwert worden sind. aa) Nach Lehre und Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob einem Urteil auch Wirkungen gegenüber den Streitberufenen
BGE 107 Ia 175 S. 180
(Litisdenunziaten) zukomme, nach dem massgebenden materiellen Recht (BGE 90 II 407 ff.; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage, S. 312; derselbe; Über die materiellen Wirkungen der Streitverkündung, in ZSR 68/1949, S. 235 ff.; Komm. STRÄULI/MESSMER zur zürcherischen Zivilprozessordnung, N. 3 zu § 47). Im vorliegenden Falle scheidet eine Berücksichtigung der aus dem Bundeszivilrecht, namentlich aus Art. 193
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 193 - 1 Die Voraussetzungen und Wirkungen der Streitverkündung richten sich nach der ZPO71. |
|
1 | Die Voraussetzungen und Wirkungen der Streitverkündung richten sich nach der ZPO71. |
2 | Ist die Streitverkündung ohne Veranlassung des Verkäufers unterblieben, so wird dieser von der Verpflichtung zur Gewährleistung insoweit befreit, als er zu beweisen vermag, dass bei rechtzeitig erfolgter Streitverkündung ein günstigeres Ergebnis des Prozesses zu erlangen gewesen wäre. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 48 Mitteilungspflicht - Die betroffene Gerichtsperson legt einen möglichen Ausstandsgrund rechtzeitig offen und tritt von sich aus in den Ausstand, wenn sie den Grund als gegeben erachtet. |
BGE 107 Ia 175 S. 181
Indessen kann dies nur gelten, wenn die Streitverkündung rechtzeitig erfolgt ist, wobei unter Rechtzeitigkeit ein Zeitpunkt zu verstehen ist, der es dem Streitberufenen ermöglicht, von seinen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln uneingeschränkt Gebrauch zu machen. Trifft dies nicht zu, so kann der Streitverkünder dem Streitberufenen das für ihn ungünstige Urteil nicht entgegenhalten (BGE 90 II 411; GULDENER, Über die materiellen Wirkungen der Streitverkündung, a.a.O. S. 248; derselbe, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Auflage, S. 313 Mitte).
bb) Im vorliegenden Falle wurde den Mitgliedern der Perimeterkommission von der Regierung des Kantons Graubünden der Streit nicht gleich zu Prozessbeginn - also etwa bei der ersten Fristansetzung - verkündet, sondern erst mit der Einreichung der Klagebeantwortungsschrift. Eine Frist zur Ergänzung dieser Rechtsschrift wurde den Litisdenunziaten nicht angesetzt; ob zu Recht oder Unrecht, ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen. Da die Klägerin (Gemeinde Arosa) auf Replik verzichtete, erhielten die Litisdenunziaten auch keine Gelegenheit zur Duplik. Im Berufungsverfahren sind nach bündnerischem Recht Nova nur in sehr beschränktem Umfange zulässig (Art. 247
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 247 Feststellung des Sachverhaltes - 1 Das Gericht wirkt durch entsprechende Fragen darauf hin, dass die Parteien ungenügende Angaben zum Sachverhalt ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. |
|
1 | Das Gericht wirkt durch entsprechende Fragen darauf hin, dass die Parteien ungenügende Angaben zum Sachverhalt ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. |
2 | Das Gericht stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest: |
a | in den Angelegenheiten nach Artikel 243 Absatz 2; |
b | bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken: |
b1 | in den übrigen Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, |
b2 | in den übrigen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 255 Untersuchungsgrundsatz - Das Gericht stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest: |
|
a | wenn es als Konkurs- oder Nachlassgericht zu entscheiden hat; |
b | bei Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. |
BGE 107 Ia 175 S. 182
Art. 88 OG zu verneinen, und es ist auf ihre auf Willkür gestützten Rügen nicht einzutreten.