105 II 218
37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juni 1979 i.S. X. gegen X. (Berufung)
Regeste (de):
- Art. 50 OG.
- Der Entscheid, mit dem ein oberes Gericht den Prozess zur Aussprechung der Scheidung und zur Regelung der Nebenfolgen an die erste Instanz zurückweist, ist ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG (E. 1; Änderung der Rechtsprechung).
- Art. 142 Abs. 2 ZGB.
- Wann ist die Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB rechtsmissbräuchlich? (E. 3, 4).
Regeste (fr):
- Art. 50 OJ.
- La décision par laquelle un tribunal supérieur renvoie la cause à la juridiction de première instance pour qu'elle prononce le divorce et en règle les effets accessoires est une décision préjudicielle ou incidente prise séparément du fond, au sens de l'art. 50 OJ (consid. 1; changement de jurisprudence).
- Art. 142 al. 2 CC.
- Quand y a-t-il abus de droit à invoquer l'art. 142 al. 2 CC? (consid. 3, 4).
Regesto (it):
- Art. 5O OG.
- Le decisione con cui un tribunale superiore rinvia la causa al giudice di prima istanza perché pronunci il divorzio e ne disciplini gli effetti accessori costituisce una decisione pregiudiziale o incidentale emanata separatamente dal merito, ai sensi dell'art. 50 OG (consid. 1) (cambiamento della giurisprudenza).
- Art. 142 cpv. 2 CC.
- Quando è ravvisabile un abuso di diritto nel richiamo all'art. 142 cpv. 2 CC? (consid. 3, 4).
Sachverhalt ab Seite 219
BGE 105 II 218 S. 219
A.- Die Ehe der Eheleute X., aus der zwei Kinder hervorgegangen sind, wurde 1951 geschlossen. Eine erste Scheidungsklage des Ehemannes wies das Bezirksgericht am 16. April 1970 und das Obergericht am 25. Februar 1971 wegen überwiegenden Verschuldens des Klägers ab. Dieser hatte sich ungefähr ab 1957 fortlaufend Ehebrüche mit verschiedenen Frauen zuschulden kommen lassen, nachdem es schon vorher gelegentlich zu ehebrecherischen Beziehungen gekommen war, von denen die Ehefrau aber keine Kenntnis erhalten hatte. 1966 war er aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und hatte bis zum Abschluss des Scheidungsprozesses mit einer anderen Frau zusammengelebt. Nachdem dieses Verhältnis in die Brüche gegangen war, knüpfte der Ehemann 1971 oder 1972 Beziehungen zu einer Frau Y. an, mit der er heute noch zusammenlebt und die er im Falle einer Scheidung zu heiraten gedenkt. Mit Verfügung des Eheschutzrichters vom 31. Oktober 1974, teilweise abgeändert durch Rekursentscheid des Obergerichts vom 8. Januar 1975, wurde er ermahnt, zu seiner Ehefrau zurückzukehren; gleichzeitig wurde dieser gemäss Art. 170 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
3 | Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen. |
BGE 105 II 218 S. 220
B.- Am 1. November 1975 leitete der Ehemann eine neue Scheidungsklage ein, die das Bezirksgericht mit Urteil vom 24. Februar 1977 im wesentlichen mit folgender Begründung abwies: Es könne offen gelassen werden, ob die Voraussetzungen des Art. 142 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
3 | Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen. |
Der Kläger zog dieses Urteil ans Obergericht weiter. Dieses fand die Berufung am 28. September 1978 für begründet und beschloss: "Das Urteil des Bezirksgerichtes vom 24. Februar 1977 wird aufgehoben und der Prozess zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen sowie allenfalls zur Durchführung eines ergänzenden Beweisverfahrens über die scheidungs- und güterrechtlichen Nebenfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen". Das Obergericht bejahte das Bestehen einer tiefen und unheilbaren Zerrüttung, die eine Fortsetzung der Ehe für den Kläger als unzumutbar erscheinen lasse. Zwar sei dieser an der eingetretenen Zerrüttung nach wie vor als der überwiegend schuldige Teil zu betrachten; indessen erweise sich der Widerstand der Beklagten gegen die Scheidung als rechtsmissbräuchlich, so dass deren Berufung auf Art. 142 Abs. 2 ZGB nicht zu berücksichtigen und die Ehe in Gutheissung der Klage gestützt auf Art. 142
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
3 | Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
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BGE 105 II 218 S. 221
C.- Die Beklagte hat gegen den obergerichtlichen Beschluss die Berufung ans Bundesgericht erklärt, mit der sie Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Abweisung der Scheidungsklage beantragt. Der Kläger lässt beantragen, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei diese abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der angefochtene Beschluss ist kein Endentscheid im Sinne von Art. 48
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
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BGE 105 II 218 S. 222
zugrunde wie dem vorliegenden Fall. Das Bezirksgericht hatte die Scheidungsklage abgewiesen; das Obergericht gelangte demgegenüber zum Ergebnis, die Voraussetzungen für eine Gutheissung der Scheidungsklage seien erfüllt, es könne jedoch die Scheidung nicht selbst aussprechen, weil vorerst die erste Instanz sich zu den Nebenfolgen der Scheidung äussern müsse. Damit aber hat das Obergericht in allen drei Fällen über die materiell-rechtliche Frage der Scheidung ein endgültiges und abschliessendes Urteil gefällt. Das Bezirksgericht hat im neuen Urteil nicht mehr die Wahl, ob es die Scheidung aussprechen wolle oder nicht, sondern ist an die verbindliche Weisung des Obergerichtes, die Scheidungsklage gutzuheissen, gebunden. Nach der eingangs aufgeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt somit ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG vor, der grundsätzlich der Berufung ans Bundesgericht unterliegt, sofern die beiden weiteren Voraussetzungen der genannten Bestimmung erfüllt sind, dass nämlich im Falle der Gutheissung der Berufung sofort ein Endentscheid herbeigeführt und damit ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichtes gerechtfertigt erscheint. b) Die Argumente, mit denen in den beiden Präjudizien BGE 78 II 398 und 81 II 398 die Anwendung von Art. 50 OG auf Fälle der vorliegenden Art abgelehnt wird, vermögen nicht zu überzeugen. Dass das Obergericht in beiden Fällen die Scheidung weder ausgesprochen hat, noch hätte aussprechen können, ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 50 OG unerheblich; entscheidend ist allein, dass materiell über den Scheidungsanspruch des klagenden Ehegatten verbindlich und abschliessend entschieden worden ist.
Auch wo ein Vor- oder Zwischenentscheid einer kantonalen Berufungsinstanz im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil die Verjährung verneint, die Aktivlegitimation bejaht oder die grundsätzliche Haftpflicht feststellt, muss der Entscheid der Berufungsinstanz diesen Sachentscheid nicht zwingend ausdrücklich im Dispositiv enthalten, sondern er kann sehr wohl einfach auf Rückweisung zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen lauten. Um solche Fälle handelte es sich beispielsweise in BGE 93 II 244 und BGE 91 II 204; in BGE 100 II 429 /430 E. 2 wurde ausgeführt, ein Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 OG liege immer dann vor, wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Berufung ein
BGE 105 II 218 S. 223
Endurteil fällen könne. Diese zuletztgenannte Voraussetzung war aber sowohl in BGE 78 II 398 wie in BGE 81 II 398 erfüllt, und sie ist entgegen den Ausführungen in der Berufungsantwort auch im vorliegenden Falle gegeben. Gelangt nämlich das Bundesgericht im Gegensatz zum Obergericht zur Auffassung, die Voraussetzungen für eine Gutheissung der Scheidungsklage seien nicht gegeben, so kann es diese abweisen, ohne dass es erforderlich ist, den Fall ans Obergericht zurückzuweisen. Andere Gründe, dem vorinstanzlichen Entscheid die Berufungsfähigkeit abzusprechen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht eingewendet werden, das Bezirksgericht müsse bei der neuen Beurteilung der Scheidungsklage auch Tatsachen berücksichtigen, die nach dem obergerichtlichen Urteil eingetreten seien. Es ist nicht einzusehen, inwiefern neu eingetretene Tatsachen einen einmal begründeten Scheidungsanspruch wieder hinfällig machen könnten. Aber auch wenn eine solche Möglichkeit bestünde, vermöchte das nichts daran zu ändern, dass eine Gutheissung der Berufung zu einem Endurteil fährt, womit die erste in Art. 50 OG aufgestellte Voraussetzung erfüllt ist. Dazu kommt, dass ein Ehegatte, der sich der Scheidungsklage widersetzt, ein schützenswertes Interesse daran hat, sich nicht in ein langwieriges Beweisverfahren über die Nebenfolgen einlassen zu müssen, um dann schliesslich vor Bundesgericht zu erreichen, dass die Scheidungsklage doch abgewiesen wird. Es liegt somit auch im Interesse einer allfälligen Rettung der Ehe, dass möglichst rasch abschliessend über den Scheidungspunkt entschieden wird. Aus diesen Gründen ist die in BGE 78 II 398 und BGE 81 II 398 eingeschlagene Rechtsprechung aufzugeben und Art. 50 OG auch im Scheidungsprozess uneingeschränkt gleich anzuwenden wie in andern Zivilprozessen. c) Es bleibt noch zu entscheiden, ob die zweite in Art. 50 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 170 - 1 Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
3 | Vorbehalten bleibt das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Geistlichen und ihrer Hilfspersonen. |
BGE 105 II 218 S. 224
nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Ausnahme bilden, und sie ist in jedem Falle dann ausgeschlossen, wenn das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung die Beurteilung von Entschädigungs- und Unterhaltsansprüchen beeinflussen kann (BGE 98 II 345, BGE 95 II 68). Aber auch die Regelung von andern Nebenfolgen kann oft umfangreiche und zeitraubende Abklärungen erfordern. Im vorliegenden Fall geht es, wie das Obergericht zutreffend ausführt, um die Regelung von Entschädigungs- und Unterhaltsansprüchen der Beklagten sowie um die Vornahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Ob die erwähnte Voraussetzung, die letztere in ein gesondertes Verfahren zu verweisen, erfüllt ist, steht keineswegs fest. So oder so aber kann mit einer Zulassung der Berufung unter Umständen ein Aufwand an Zeit und Kosten eingespart werden, der die Anrufung des Bundesgerichtes als gerechtfertigt erscheinen lässt. Auf die Berufung ist daher einzutreten.
2. Soweit der obergerichtliche Beschluss das Vorliegen einer Zerrüttung im Sinne von Art. 142 Abs. 1
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1 | Jeder Ehegatte kann vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. |
2 | Auf sein Begehren kann das Gericht den andern Ehegatten oder Dritte verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen. |
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3. Der Erfolg der Berufung hängt somit allein davon ab, Ob die Annahme des Obergerichts haltbar sei, die Berufung der Beklagten auf Art. 142 Abs. 2 ZGB erscheine im vorliegenden Fall als rechtsmissbräuchlich. Das Recht des unschuldigen oder weniger schuldigen Ehegatten, sich der Scheidungsklage seines überwiegend schuldigen
BGE 105 II 218 S. 225
Partners zu widersetzen, findet seine Schranke wie jedes Recht am allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
4. Das Obergericht hält im angefochtenen Entscheid fest, die Beklagte erkläre zwar nach wie vor, sie sei jederzeit zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft bereit; doch habe das Obergericht aus verschiedenen Vorfällen die Überzeugung gewonnen, eine echte Bindung an die Ehe und den Kläger im allein entscheidenden persönlichen Bereich sei bei der Beklagten nicht mehr vorhanden. Dabei handelt es sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht um eine tatsächliche Feststellung,
BGE 105 II 218 S. 226
sondern um eine auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhende Schlussfolgerung, die vom Bundesgericht frei überprüft werden kann (BGE 104 II 152). Tatsächlicher Natur und daher für das Bundesgericht verbindlich sind nur die Feststellungen über die einzelnen Vorfälle, auf die sich die Annahme des Obergerichts stützt.
a) Das Obergericht wirft der Beklagten vor, sie habe nicht das Geringste unternommen, um den Kläger zurückzugewinnen, als dieser vor einigen Jahren von seiner früheren Freundin Z. verlassen worden war und noch nicht mit Frau Y. zusammenlebte. Dabei liess das Obergericht offen, ob diese Zwischenzeit entsprechend der Darstellung des Klägers zwei Jahre oder gemäss Behauptung der Beklagten nur sechs Monate gedauert habe. Jedenfalls sei der Erklärungsversuch der Beklagten, der Kläger sei damals sehr viel mit einer Frau W. zusammengewesen, nicht plausibel; die Beklagte habe selbst zugeben müssen, dass es sich dabei nur um Vermutungen gehandelt habe, weshalb die Aussagen des Klägers zutreffen dürften, diese Frau sei nicht mehr als eine normale Bekannte gewesen. Es kann offen bleiben, wieweit es sich bei diesen Ausführungen des Obergerichtes um verbindliche Feststellungen oder um blosse Vermutungen handelt. Jedenfalls wirft das Obergericht der Beklagten nicht vor, die angeblich harmlose Natur der Beziehungen des Klägers zu Frau W. sei ihr bekannt gewesen. Wenn die Beklagte aber vermutete, es habe sich auch dabei um ein Liebesverhältnis gehandelt - und dazu hatte sie nach allem, was vorgefallen war, hinreichend Anlass -, so war ihr nicht zuzumuten, sich während dieser Zeit intensiv um eine Rückgewinnung des Klägers zu bemühen. Abgesehen davon kann einer Ehefrau, die von ihrem Ehemann jahrelang mit den verschiedensten Frauen betrogen wird, wohl nicht verübelt werden, wenn sie nicht in jeder kürzeren oder längeren Pause zwischen zwei Verhältnissen ihres Mannes versucht, diesen zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen. b) Der Kläger wollte 1973 ein landwirtschaftliches Grundstück im Ausmass von rund 4000 m2 an die Gemeinde verkaufen, wozu er die Zustimmung der Ehefrau (offenbar einen Verzicht auf das Vorkaufsrecht gemäss EGG) benötigte. Diese Zustimmung soll die Beklagte einige Zeit hinausgezögert haben. Dass die Verzögerung ein Jahr gedauert habe, schliesst das Obergericht daraus, dass die Beklagte die entsprechende Behauptung des Klägers "nicht substantiiert" bestritten habe. Die
BGE 105 II 218 S. 227
Berufung rügt, diese Feststellung sei in Verletzung von Art. 158 Ziff. 1
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BGE 105 II 218 S. 228
Reparatur- und Unterhaltskosten zu bezahlen. Wenn die Beklagte dem Kläger, obwohl dieser reichlich bemessene Unterhaltsleistungen erbrachte, gelegentlich auch geringfügige Reparaturrechnungen zur Bezahlung zustellte, so mag das vielleicht als kleinlich erscheinen. Ebenso wenig grosszügig aber war es, wenn der Kläger die Bezahlung dieser geringfügigen Beträge ablehnte und sich deswegen mit der Beklagten stritt. So oder so kann jedenfalls auch daraus kein schwerwiegender Vorwurf an die Adresse der Beklagten konstruiert werden. e) Den Gründen, die die Beklagte für ihr Festhalten an der Ehe anführt, misst das Obergericht selbst "nicht entscheidende, höchstens das Bild abrundende" Bedeutung zu. Indessen ist auch dazu festzustellen, dass die von der Beklagten vorgebrachten Argumente zumindest beachtlich und jedenfalls nicht abwegig sind. Sie will an der Ehe wegen der Kinder festhalten und befürchtet, im Falle einer Scheidung breche der Zusammenhalt der Familie auseinander; weiter befürchtet sie, der Kläger erliege im Falle einer Scheidung den ungünstigen Einflüssen seiner Mutter und seiner Schwester, und daraus könnte sich schliesslich eine Benachteiligung der Kinder ergeben. Man mag mit dem Obergericht darüber orakeln, wieweit diese Befürchtungen objektiv gerechtfertigt sind oder nicht. Jedenfalls aber handelt es sich nicht um eine Argumentation, die das Festhalten der Beklagten an der Ehe als rechtsmissbräuchlich erscheinen liesse. Auch wenn sie die Situation objektiv falsch einschätzen sollte, so wäre ihr jedenfalls subjektiv zuzubilligen, dass sie durchaus achtbare und plausible Motive für ihren Widerstand gegen die Scheidung ins Feld führt. f) Auch dass die Beklagte das Gefühl hat, der Kläger brauche sie noch in einer gewissen Hinsicht und sie könnte ihm in mancher Beziehung eine Stütze sein, lässt in keiner Weise auf den Verlust jeglicher ehelicher Gesinnung bei ihr schliessen, im Gegenteil. Auch hier ist es unerheblich, ob diese Meinung der Beklagten objektiv gerechtfertigt ist oder nicht. Es kommt allein darauf an, ob ihre Motive subjektiv als achtenswert erscheinen und ob ihre Beteuerungen ehrlich gemeint sind. Dass das nicht der Fall sei, kann ihr jedenfalls nicht nachgewiesen werden und wird vom Obergericht denn auch nicht behauptet.
Zusammenfassend sind die vom Obergericht angeführten Argumente weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit ausreichend, um den Widerstand der Beklagten gegen die Scheidung
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als offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |