Urteilskopf

100 IV 27

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Mai 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Ferdinand und Hans Jäger
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Sachverhalt ab Seite 27

BGE 100 IV 27 S. 27

A.- Am Vormittag des 12. Oktober 1971 suchten Ferdinand Jäger und Hans Jäger mit dem Auto ein für einen Raubüberfall geeignetes Postbüro. Sie fuhren zunächst von Zürich nach Killwangen. Dort kaufte Ferdinand J. im Postbüro zum Vorwand Briefmarken. Da den beiden der Zeitpunkt ungünstig erschien, fuhren sie zum Postbüro Stalden auf dem Bözberg, wo Hans J. Marken kaufte, den Ort aber für einen Überfall ungeeignet fand. Am Nachmittag reisten sie nach Biel in der Absicht, in einem Lebensmittel-Discountgeschäft Geld zu erbeuten, trafen jedoch zu spät ein. Darauf fuhren sie nach Lyss, um dem Drogisten Schober beim Einsteigen ins Auto die Tageseinnahmen zu entreissen. Weil Schober nicht bei seinem Wagen erschien, suchte Hans J. ihn in mehreren Restaurants und daheim telefonisch zu erreichen. Schliesslich begaben sie sich zur Wohnung Schobers, wo Hans J., mit der Pistole "Beretta" des Ferdinand J. bewaffnet, mehrmals klingelte. Unverrichteter
BGE 100 IV 27 S. 28

Dinge kehrten sie nach Zürich zurück. Dort stahlen sie aus einem Schaukasten gewaltsam ein Ölgemälde. Am folgenden Morgen gab Ferdinand J. dem Hans J. seine mit 3-4 Patronen geladene Pistole "Beretta", an der Korn und Magazinboden abgefeilt waren, damit sie leichter gezückt werden konnte. Er zeigte ihm, wie sie zu entsichern, nicht aber, wie sie durchzuladen war. Wiederum gings zur Post in Killwangen. Hans J. trat zum Schalter. Da ein Auto vorfuhr, beschränkte er sich darauf, einen Einzahlungsschein zu verlangen. Nachher fuhren die beiden noch drei- oder viermal an der Post vorbei. Da jeweils Leute im Schalterraum waren, kehrten sie zum Mittagessen nach Zürich zurück.
Am Nachmittag passierten sie erneut etwa dreimal vergeblich vor der Post Killwangen. Zwischenhinein fuhren sie zur Post Neuenhof, ohne dort ihr Vorhaben auszuführen. Nach Killwangen zurückgekehrt, begab sich Hans J. - während Ferdinand J. im Auto Schmiere stand - zum Postschalter und richtete die Pistole auf die Beamtin Ingrid Groth mit den Worten: "S'isch'n Raubüberfall, gänd Sie s'Gäld, aber schnäll." Die Beamtin fragte, ob er "spinne". Da drohte er: "S'isch'n Überfall, gänd Sie s'Gäld, schösch knall i Sie abe, Sie sind no jung, Sie händ s'Läbe no vor sich." Dazu hantierte er an der Waffe, wodurch ein klickendes Geräusch entstand. Hierauf gab die Beamtin einen Teil und nach zwei weiteren Drohungen schliesslich das gesamte Notengeld von Fr. 14 930.-- heraus.

B.- Am 11. Dezember 1973 erklärte das Geschwornengericht des Kantons Aargau Ferdinand Jäger des einfachen Raubs, des wiederholten, zum Teil bandenmässigen und versuchten Diebstahls, des wiederholten und fortgesetzten Betrugs, des fortgesetzten Betrugsversuchs, der fortgesetzten Urkundenfälschung, der Zuhälterei, der wiederholten Unzucht mit Kindern, der fortgesetzten Vernachlässigung von Unterstützungspflichten sowie verschiedener Widerhandlungen gegen das SVG schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren Zuchthaus sowie zu Fr. 100.-- Busse.
Hans Jäger bestrafte es wegen einfachen Raubs, wiederholten und teilweise versuchten Diebstahls, wiederholten Hausfriedensbruchs und wiederholter Sachbeschädigung mit drei Jahren Zuchthaus.
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt

BGE 100 IV 27 S. 29

Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Geschwornengericht zur Verurteilung beider Angeklagten wegen qualifizierten statt einfachen Raubes und zur Verwahrung beider nach Art. 42
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
1    Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
2    Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen.34
3    Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges kann auch verweigert werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadenbehebung unterlassen hat.
4    Eine bedingte Strafe kann mit einer Busse nach Artikel 106 verbunden werden.35
StGB. Ferdinand und Hans Jäger beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 139 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 139 - 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...197
3    Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er:
a  gewerbsmässig stiehlt;
b  den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat;
c  zum Zweck des Diebstahls eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt oder eine Explosion verursacht; oder
d  sonst wie durch die Art, wie er den Diebstahl begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart.198
4    Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt.
StGB macht sich des qualifizierten Raubes u.a. schuldig, wer in der Absicht, einen Diebstahl zu begehen, jemanden mit dem Tode bedroht (Abs. 2) oder auf andere Weise seine besondere Gefährlichkeit offenbart (Abs. 4). Die Staatsanwaltschaft verlangt Bestrafung der Angeklagten nach beiden Absätzen. Ob Abs. 2 gegeben sei, kann jedoch offen bleiben, da in jedem Fall Abs. 4 erfüllt ist (BGE 73 IV 19). Die besondere Gefährlichkeit des Täters kann sich nicht nur aus den Umständen ergeben, unter denen der Raub begangen wurde. Vorausgehende und nachfolgende Umstände fallen ebenfalls in Betracht (BGE 88 IV 61 E 1, BGE 87 IV 115, BGE 77 IV 158/59; Urteil Morgenthaler vom 12. Juli 1973). Zu solchen der Tat vorangehenden Umständen zählen Umsicht und Beharrlichkeit, Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der räuberischen Absicht (BGE 73 IV 20; vgl. BGE 83 IV 145 b). Die Angeklagten haben drei Postbüros ausgekundschaftet: Killwangen, Stalden und Neuenhof. Die Post Killwangen "bearbeiteten" sie während zwei Tagen, sie betraten sie zweimal und fuhren nicht weniger als sechs- bis siebenmal daran vorbei, bevor der Überfall gelang. Am Nachmittag des ersten Tages durchquerten sie die halbe Schweiz, um in Biel und Lyss Geld zu rauben. In Lyss lauerten sie dem Drogisten auf, forschten in mehreren Wirtschaften und zuhause telefonisch nach ihm und suchten schliesslich seine Wohnung auf, wo sie mehrmals läuteten. Diese verbrecherische Zielstrebigkeit, ja Verbissenheit lässt die Angeklagten als gesinnungsmässig besonders gefährliche Räuber erkennen.
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Document : 100 IV 27
Date : 10. Mai 1974
Published : 31. Dezember 1975
Source : Bundesgericht
Status : 100 IV 27
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4, Raub. Die besondere Gefährlichkeit des Täters kann sich nicht nur aus den Tatumständen ergeben,


Legislation register
StGB: 42  139
BGE-register
100-IV-27 • 73-IV-17 • 73-IV-20 • 77-IV-156 • 83-IV-142 • 87-IV-115 • 88-IV-59
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