Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

9C 123/2013

Urteil vom 29. August 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
R.________,
vertreten durch Advokat Jürg Tschopp,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

Pensionskasse des Bundes PUBLICA, Eigerstrasse 57, 3007 Bern.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Berechnung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene R.________ verheiratete sich 1976 mit R.________. 1981 wurde die gemeinsame Tochter A.________ geboren. Der Ehemann verstarb 1990. Mit Verfügungen vom 5. Februar 1992 sprach die IV-Stelle des Kantons Basel-Stadt R.________ mit Wirkung ab 1. Juni 1990 eine halbe Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad von 50 %), wobei ihr nach dem Tod des Ehemannes aufgrund des Anspruchs auf eine Hinterlassenenrente eine ganze Invalidenrente ausgerichtet wurde. In nachfolgenden Revisionsverfahren bestätigte die IV-Stelle den Rentenanspruch. 1999 heiratete die Versicherte den 1949 geborenen P.________. Die IV-Stelle passte infolge der Wiederverheiratung die Leistung an und richtete R.________ noch eine halbe Invalidenrente aus (Verfügung vom 3. November 1999). Nach der Wohnsitzverlegung der Versicherten bestätigte die neu zuständige IV-Stelle des Kantons Aargau in Revisionsverfahren den bisherigen Anspruch. Wegen einer gesundheitlichen Verschlechterung setzte sie mit Verfügung vom 13. Januar 2011 den Anspruch neu fest und richtete R.________ rückwirkend ab 1. September 2008 eine ganze Rente aus (Invaliditätsgrad von 84 %).

B.
Mit Entscheid vom 11. Dezember 2012 wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die von R.________eingereichte Beschwerde ab, mit der sie die Berechnung des für die Festsetzung der Rentenhöhe massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens rügte.

C.
R.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, die Verfügung und der vorinstanzliche Entscheid seien aufzuheben; die IV-Stelle sei anzuweisen, die Rentenberechnung neu vorzunehmen; dabei seien insbesondere die durch die Erziehung des Kindes und die mit Erwerbsarbeit erbrachten AHV/IV-Beiträge zu berücksichtigen; das durchschnittliche Jahreseinkommen sei neu festzulegen und entsprechend die Höhe der Rente rückwirkend auf den 1. September 2008 anzupassen (zzgl. Zins von 5 %).

Erwägungen:

1.
Streitig ist allein, auf welcher Grundlage die ab 1. September 2008 ausgerichtete Invalidenrente zu bemessen ist. Die Beschwerdeführerin fordert, bei der Berechnung des massgebenden durchschnittlichen Jahresverdienstes seien für die Jahre 1987 - 2008 Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften zu berücksichtigen.

2.

2.1. Die Invalidenrenten entsprechen den Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (Art. 37 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 37 Höhe der Invalidenrenten - 1 Die Invalidenrenten entsprechen den Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung.233
1    Die Invalidenrenten entsprechen den Altersrenten der Alters- und Hinterlassenenversicherung.233
1bis    Sind beide Ehegatten rentenberechtigt, so gilt für die Kürzung der beiden Renten Artikel 35 AHVG234 sinngemäss.235
2    Hat ein Versicherter mit vollständiger Beitragsdauer bei Eintritt der Invalidität das 25. Altersjahr noch nicht zurückgelegt, so betragen seine Invalidenrente und allfällige Zusatzrenten mindestens 1331/3 Prozent der Mindestansätze der zutreffenden Vollrenten.236
IVG). Für die Berechnung der ordentlichen Invalidenrenten sind die Bestimmungen des AHVG sinngemäss anwendbar. Der Bundesrat kann ergänzende Vorschriften erlassen (Art. 36 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 36 Bezügerkreis und Berechnung - 1 Anspruch auf eine ordentliche Rente haben Versicherte, die bei Eintritt der Invalidität während mindestens drei Jahren Beiträge geleistet haben.229
1    Anspruch auf eine ordentliche Rente haben Versicherte, die bei Eintritt der Invalidität während mindestens drei Jahren Beiträge geleistet haben.229
2    Für die Berechnung der ordentlichen Renten sind die Bestimmungen des AHVG230 sinngemäss anwendbar. Der Bundesrat kann ergänzende Vorschriften erlassen.231
3    ...232
4    Beiträge, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes an die Alters- und Hinterlassenenversicherung geleistet wurden, werden angerechnet.
IVG). In Art. 32 Abs. 1
SR 831.201 Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung (IVV)
IVV Art. 32 Ermittlung - 1 Die Artikel 50-53bis AHVV187 gelten sinngemäss für die ordentlichen Renten der Invalidenversicherung. Das BSV kann anstelle von Rententabellen Vorschriften zur Ermittlung der Rentenhöhe erlassen.188
1    Die Artikel 50-53bis AHVV187 gelten sinngemäss für die ordentlichen Renten der Invalidenversicherung. Das BSV kann anstelle von Rententabellen Vorschriften zur Ermittlung der Rentenhöhe erlassen.188
2    Die Kürzung der beiden Renten eines Ehepaares nach Artikel 37 Absatz 1bis IVG richtet sich nach dem Anspruch des Ehegatten, welcher den höheren Invaliditätsgrad aufweist.
IVV hat er vorgesehen, dass die Art. 50
SR 831.101 Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV)
AHVV Art. 50 Begriff des vollen Beitragsjahres - Ein volles Beitragsjahr liegt vor, wenn eine Person insgesamt länger als elf Monate im Sinne von Artikel 1a oder 2 AHVG versichert war und während dieser Zeit den Mindestbeitrag bezahlt hat oder Beitragszeiten im Sinne von Artikel 29ter Absatz 2 Buchstaben b und c AHVG aufweist.
-53bis
SR 831.101 Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV)
AHVV Art. 53bis Summe der Renten bei Ehepaaren mit unvollständiger Beitragsdauer - Weisen nicht beide Ehegatten eine vollständige Beitragsdauer auf, so entspricht der Höchstbetrag der beiden Renten einem Prozentsatz des maximalen Betrages bei Vollrenten (Art. 35 Abs. 1 AHVG). Dieser wird ermittelt, indem die Summe aus dem Prozentanteil der niedrigeren Rentenskala und dem doppelten Prozentanteil der höheren Rentenskala (Art. 52) durch drei geteilt wird.
AHVV sinngemäss für die ordentlichen Invalidenrenten gelten.

2.2. Gemäss dem im Rahmen der 10. AHV-Revision auf den 1. Januar 1997 in Kraft gesetzten Art. 29bis Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 29bis Allgemeine Bestimmungen für die Rentenberechnung - 1 Die Rente wird bei Erreichen des Referenzalters berechnet.
1    Die Rente wird bei Erreichen des Referenzalters berechnet.
2    Für die Rentenberechnung werden Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles (Referenzalter oder Tod) berücksichtigt.
3    Hat die rentenberechtigte Person nach Erreichen des Referenzalters AHV-Beiträge entrichtet, so kann sie einmal eine neue Berechnung ihrer Rente verlangen. Bei der Neuberechnung werden die Erwerbseinkommen berücksichtigt, welche die rentenberechtigte Person während der zusätzlichen Beitragsdauer erzielt und auf denen sie Beiträge entrichtet hat. Nach Erreichen des Referenzalters entrichtete Beiträge begründen keinen Anspruch auf eine Rente.
4    Beitragslücken können geschlossen werden mit den Beiträgen, die die rentenberechtigte Person zwischen dem Erreichen des Referenzalters und fünf Jahre danach einzahlt, wenn sie in dieser Zeit:
a  ein Einkommen erzielt, das mindestens 40 Prozent des ungeteilten Erwerbseinkommens entspricht, das in der Periode nach Absatz 2 durchschnittlich erzielt wurde; und
b  Beiträge aus diesem Einkommen einzahlt, die dem jährlichen Mindestbeitrag entsprechen.
5    Der Bundesrat regelt die Anrechnung:
a  der Beitragsmonate im Jahr der Entstehung des Rentenanspruchs;
b  der Beitragszeiten vor dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres;
c  der Zusatzjahre; und
d  der nach dem Referenzalter zurückgelegten Beitragszeiten.
6    Er regelt zudem, wann der Anspruch auf die neu berechnete Rente nach Absatz 3 beginnt.
AHVG werden für die Rentenberechnung die Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles (Rentenalter oder Tod) berücksichtigt. Gemäss lit. c Abs. 1 Satz 1 der Schlussbestimmungen zur 10. AHV-Revision gelten die neuen Bestimmungen für alle Renten, auf die der Anspruch nach dem 31. Dezember 1996 entstanden ist.

3.
Nach der Rechtsprechung bleiben im Falle einer revisionsweisen Erhöhung der Invalidenrente die bei der Festsetzung der ursprünglichen Invalidenrente massgebend gewesenen Berechnungsgrundlagen anwendbar, unabhängig davon, ob die Rentenrevision aufgrund einer Verschlechterung der ursprünglichen gesundheitlichen Beeinträchtigung oder wegen des Eintritts eines neuen Gesundheitsschadens erfolgt (BGE 126 V 157 E. 4 und 5 S. 161 f.).

4.
Entsprechend schreibt die Wegleitung des BSV über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (RWL) den Ausgleichskassen in Rz. 5629 für den Fall einer Änderung der Höhe des Rentenanspruchs aufgrund einer Änderung des Invaliditätsgrades vor, dass für die neue Rente die gleichen Berechnungsgrundlagen (Rentenskala und massgebendes durchschnittliches Jahreseinkommen) massgebend bleiben, wie für die bisherige Rente. Nach BGE 126 V 157 E. 6 S. 162 ist diese (damals noch in Rz. 5627 RWL geregelte) Verwaltungspraxis gesetzmässig.

5.
Die Forderungen der Beschwerdeführerin stehen im Gegensatz zur geltenden Rechtslage. Sie verkennt, dass die 10. AHV-Revision einen Systemwechsel brachte und die neuen Regelungen nur insoweit auf die in der Vergangenheit eingetretenen Sachverhalte anwendbar sind, als dies ausdrücklich vorgesehen ist. Die hier massgebende Schlussbestimmung lit. c Abs. 1 Satz 1 10. AHV-Revision schreibt vor, dass die neuen Bestimmungen für alle Renten gelten, auf die der Anspruch nach dem 31. Dezember 1996 entstanden ist. Der Rentenanspruch der Beschwerdeführerin ist vorher entstanden (1. Juni 1990). Die Vorinstanz kam somit zutreffend zum Schluss, die neu ausgerichtete ganze Invalidenrente basiere weiterhin auf den Berechnungsgrundlagen, die für die ab 1990 ausgerichtete halbe Rente galten. M it der 10. AHV-Revision eingeführte Berechnungskomponenten können zumindest vorerst nicht berücksichtigt werden. Die neuen Bestimmungen sind erst anwendbar, wenn ein neuer Versicherungsfall eintritt (Urteil 9C 778/2012 vom 5. April 2013 E. 3 und 4 mit Hinweisen auf BGE 128 V 5, 126 V 57 und Urteil H 123/01 vom 5. April 2002;). Dazu ist es bisher nicht gekommen (Art. 4 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG; s.a. BGE 129 V 124; Urteil 9C 303/2009 vom 1. Oktober 2009 E. 3.3 und 4.1; Urteil
9C 518/2008 vom 29. August 2008 E. 2.1).

6.
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Pensionskasse des Bundes PUBLICA, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. August 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 9C_123/2013
Date : 29. August 2013
Published : 16. September 2013
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : Invalidenversicherung (Invalidenrente, Berechnung)


Legislation register
AHVG: 29bis
AHVV: 50  53bis
BGG: 66
IVG: 4  36  37
IVV: 32
BGE-register
126-V-157 • 126-V-57 • 128-V-5 • 129-V-124
Weitere Urteile ab 2000
9C_123/2013 • 9C_303/2009 • 9C_518/2008 • 9C_778/2012 • H_123/01
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