Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung VI
F-2503/2022
Urteil vom 26. Juni 2023
Richter Gregor Chatton (Vorsitz),
Richterin Susanne Genner,
Besetzung
Richterin Regula Schenker Senn,
Gerichtsschreiber Matiu Dermont.
1. A._______,
2. B._______,
beide vertreten durch
Parteien Lea Hungerbühler, Rechtsanwältin,
substituiert durch Nathalie Vainio
(...),
Beschwerdeführende,
gegen
Staatssekretariat für Migration SEM,
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz,
Gegenstand Nationales Visum aus humanitären Gründen.
Sachverhalt:
A.
Am 16. November 2021 beantragte die Beschwerdeführerin A._______, geboren am (...), zusammen mit ihrem Sohn, dem Beschwerdeführer B._______, geboren am (...), beides Staatsangehörige Afghanistans, bei der Schweizerischen Botschaft in Istanbul (Botschaft) die Ausstellung von Visa für den langfristigen Aufenthalt (Visa D; sog. humanitäre Visa).
B.
Die Botschaft verweigerte mit Formularverfügung vom 17. Dezember 2021 (eröffnet am 5. Januar 2022) die Ausstellung humanitärer Visa mit der Begründung, die Beschwerdeführenden befänden sich nicht in einer Notsituation, die ein Eingreifen der Schweizer Behörden zwingend erforderlich mache und sie würden sich in einem sicheren Drittstaat aufhalten.
C.
Mit Einsprache vom 31. Januar 2022 erhoben die Beschwerdeführenden gegen diesen Entscheid Einsprache bei der Vorinstanz.
D.
Die Beschwerdeführenden reichten mit Eingabe vom 21. Februar 2022 Unterlagen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nach.
E.
Mit Verfügung vom 2. Mai 2022 (eröffnet am 5. Mai 2022) wies die Vorinstanz die Einsprache ab.
F.
Gegen diesen Entscheid erhoben die Beschwerdeführenden mit Rechtsmitteleingabe vom 7. Juni 2022 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragten die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung sowie die Bewilligung ihrer Einreise in die Schweiz. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchten sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
G.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 22. Juni 2022 gutgeheissen.
H.
Die Vorinstanz reichte am 15. August 2022 eine Vernehmlassung ein und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführenden replizierten mit Eingabe vom 26. September 2022 und hielten an ihren Anträgen fest.
I.
Vorliegendes Verfahren wurde am 22. Februar 2023 aus organisatorischen Gründen dem unterzeichnenden Richter zugeteilt.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Einspracheentscheide der Vorinstanz betreffend humanitäre Visa sind mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (Art. 112 Abs. 1

SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 112 - 1 Das Verfahren der Bundesbehörden richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege. |

SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz VGG Art. 31 Grundsatz - Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen Verfügungen nach Artikel 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 196822 über das Verwaltungsverfahren (VwVG). |
1.2 Das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (vgl. Art. 37

SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz VGG Art. 37 Grundsatz - Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG61, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. |
1.3 Die Beschwerdeführenden sind zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 48 Abs. 1

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 48 - 1 Zur Beschwerde ist berechtigt, wer: |
|
1 | Zur Beschwerde ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; |
b | durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist; und |
c | ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. |
2 | Zur Beschwerde berechtigt sind ferner Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt. |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 50 - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
|
1 | Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
2 | Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung kann jederzeit Beschwerde geführt werden. |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 52 - 1 Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung der angefochtenen Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit der Beschwerdeführer sie in Händen hat. |
|
1 | Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung der angefochtenen Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit der Beschwerdeführer sie in Händen hat. |
2 | Genügt die Beschwerde diesen Anforderungen nicht oder lassen die Begehren des Beschwerdeführers oder deren Begründung die nötige Klarheit vermissen und stellt sich die Beschwerde nicht als offensichtlich unzulässig heraus, so räumt die Beschwerdeinstanz dem Beschwerdeführer eine kurze Nachfrist zur Verbesserung ein. |
3 | Sie verbindet diese Nachfrist mit der Androhung, nach unbenutztem Fristablauf auf Grund der Akten zu entscheiden oder, wenn Begehren, Begründung oder Unterschrift fehlen, auf die Beschwerde nicht einzutreten. |
2.
Mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht können vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 49 - Der Beschwerdeführer kann mit der Beschwerde rügen: |
|
a | Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens; |
b | unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes; |
c | Unangemessenheit; die Rüge der Unangemessenheit ist unzulässig, wenn eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat. |
3.
3.1 Die Beschwerdeführenden bringen vor, die Vorinstanz habe weder die Situation in der Türkei korrekt abgeklärt noch sich ernsthaft mit den Ausführungen in der Einsprache auseinandergesetzt. Damit habe sie den Sachverhalt unvollständig erstellt und ihre Begründungspflicht verletzt. Diese formellen Rügen sind vorab zu beurteilen, da sie ggf. geeignet sind, eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu rechtfertigen (vgl. BGE 138 I 232 E. 5).
3.2 Die unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts kann nach Art. 49 Bst. b

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 49 - Der Beschwerdeführer kann mit der Beschwerde rügen: |
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a | Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens; |
b | unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes; |
c | Unangemessenheit; die Rüge der Unangemessenheit ist unzulässig, wenn eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat. |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 12 - Die Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls folgender Beweismittel: |
|
a | Urkunden; |
b | Auskünfte der Parteien; |
c | Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen; |
d | Augenschein; |
e | Gutachten von Sachverständigen. |
3.3 Aus der angefochtenen Verfügung ergibt sich, dass sich die Vorinstanz eingehend mit der individuellen Situation der Beschwerdeführenden und deren Vorbringen auseinandergesetzt hat, inkl. dem Gefährdungsprofil der Beschwerdeführerin in Afghanistan, der Flüchtlingssituation in der Türkei sowie den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers. Der Sachverhalt wurde somit von der Vorinstanz - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - vollständig erhoben.
3.4 Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist. |
3.5 Die Vorinstanz hat in ihrer Verfügung die Gründe für die Verweigerung der Ausstellung humanitärer Visa dargelegt. Es ist nachvollziehbar, auf welcher Grundlage und weshalb die Einsprache der Beschwerdeführenden abgewiesen worden ist. Einzelne Sorgfalts- oder Flüchtigkeitsfehler können diese Feststellung nicht umkehren. Folglich erweist sich die Rüge betreffend Verletzung der Begründungspflicht ebenfalls als unbegründet. Der blosse Umstand, dass die Beschwerdeführenden die Beurteilung durch die Vorinstanz nicht teilen, stellt weder eine Verletzung der Pflicht zur vollständigen und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts noch der Begründungspflicht dar. Das Eventualbegehren zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz ist zurückzuweisen. Ob die materielle Beurteilung der Vorinstanz zutrifft, ist nachfolgend zu prüfen.
4.
4.1 Die Beschwerdeführenden unterliegen als afghanische Staatsangehörige für die Einreise in die Schweiz der Visumspflicht. Sie beabsichtigen einen längerfristigen Aufenthalt in der Schweiz. Auf ihre Visagesuche vom 6. Mai 2021 gelangt daher nicht Schengen-, sondern ausschliesslich nationales Recht zur Anwendung (vgl. Art. 4 Abs. 1

SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV) VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
|
1 | Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
a | Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen. |
b | Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen. |
2 | Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. |

SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV) VEV Art. 9 Visumpflicht für längerfristige Aufenthalte - 1 Drittstaatsangehörige benötigen für einen längerfristigen Aufenthalt in der Schweiz ein entsprechendes von der Schweiz ausgestelltes Visum. Von dieser Pflicht befreit sind Inhaberinnen und Inhaber eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt oder eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Schengen-Staates.61 |
|
1 | Drittstaatsangehörige benötigen für einen längerfristigen Aufenthalt in der Schweiz ein entsprechendes von der Schweiz ausgestelltes Visum. Von dieser Pflicht befreit sind Inhaberinnen und Inhaber eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt oder eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Schengen-Staates.61 |
2 | In Abweichung von Absatz 1 sind Staatsangehörige folgender Staaten von der Visumpflicht für längerfristige Aufenthalte befreit: Andorra, Australien, Brunei Darussalam, Japan, Malaysia, Monaco, Neuseeland, San Marino, Singapur, Vatikanstadt und Vereinigtes Königreich.62 |
4.2 Gemäss Art. 4 Abs. 2

SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV) VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
|
1 | Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
a | Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen. |
b | Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen. |
2 | Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. |

SR 142.204 Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV) VEV Art. 4 Einreisevoraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt - 1 Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
|
1 | Für einen längerfristigen Aufenthalt müssen Ausländerinnen und Ausländer neben den Voraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a, d und e des Schengener Grenzkodex43 zusätzlich folgende Einreisevoraussetzungen erfüllen: |
a | Sie müssen, sofern erforderlich, über ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt nach Artikel 9 verfügen. |
b | Sie müssen die ausländerrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für den beabsichtigten Aufenthaltszweck erfüllen. |
2 | Ausländerinnen und Ausländern, die die Voraussetzungen von Absatz 1 nicht erfüllen, kann in begründeten Fällen aus humanitären Gründen die Einreise in die Schweiz für einen längerfristigen Aufenthalt bewilligt werden. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. |
4.3 Praxisgemäss werden humanitäre Visa nur unter sehr restriktiven Bedingungen ausgestellt (vgl. BVGE 2015/5 E. 4.1.3 m.H.). Die Erteilung setzt voraus, dass bei einer Person aufgrund der konkreten Umstände offensichtlich davon ausgegangen werden muss, dass sie sich im Heimat- oder Herkunftsstaat in einer besonderen Notsituation befindet, die ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich macht und es rechtfertigt, ihr ein Einreisevisum zu erteilen. Dies kann etwa bei akuten kriegerischen Ereignissen oder aufgrund einer konkreten individuellen Gefährdung, die sie mehr als andere Personen betrifft, gegeben sein. Befindet sich die betroffene Person bereits in einem Drittstaat oder ist sie nach einem Aufenthalt in einem solchen freiwillig in ihr Heimat- oder Herkunftsland zurückgekehrt und hat sie die Möglichkeit, sich erneut in den Drittstaat zu begeben, ist in der Regel davon auszugehen, dass keine Gefährdung mehr besteht (vgl. BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3 sowie statt vieler Urteile des BVGer
F-3741/2021 vom 11. Februar 2022 E. 3 m.H.).
4.4 Das Visumsgesuch ist unter Berücksichtigung der aktuellen Gefährdung, der persönlichen Umstände der betroffenen Person und der Lage im Heimat- oder Herkunftsland zu prüfen. Dabei können auch weitere Kriterien wie das Bestehen von Bindungen zur Schweiz und die Integrationsaussichten oder die Unmöglichkeit, in einem anderen Land um Schutz nachzusuchen, mitberücksichtigt werden (vgl. BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3; Urteil des BVGer F-3278/2021 vom 10. Januar 2022 E. 3.3).
5.
5.1 Die Vorinstanz führt in der angefochtenen Verfügung aus, die Beschwerdeführerin habe ein besonderes Profil als Frauenrechtsaktivistin, das Reaktionen auf Seiten der Taliban und anderer Islamisten hervorrufen könne. Der Entführungsversuch und die Todesdrohungen durch die Taliban im Sommer 2020, die zur Flucht der Beschwerdeführenden nach Usbekistan im Oktober 2022 geführt hätten, seien aber zu wenig konkret, um eine unmittelbare Gefährdung zu begründen. Zudem seien sie mit einem gültigen Visum in die Türkei eingereist und würden sich nun dort in einem sicheren Drittstaat befinden, in welchem die Möglichkeit, um internationalen Schutz zu ersuchen und infolgedessen auch Zugang zu medizinischen Leistungen zu erhalten, bestehe. Festnahmen von Personen ohne Aufenthaltsstatus kämen zwar vor, würden aber nicht automatisch zu einer Rückführung nach Afghanistan führen. Ein behördliches Eingreifen sei deshalb nicht zwingend erforderlich.
5.2 Die Beschwerdeführenden halten dem in ihrer Rechtsmitteleingabe entgegen, die Beschwerdeführerin sei in Afghanistan einer individuell-konkreten Gefährdung an Leib und Leben ausgesetzt. Die gegenteiligen Schlussfolgerungen der Vorinstanz seien nicht nachvollziehbar. Die Türkei könne nicht als sicherer Drittstaat erachtet werden, weil das Land internationales Recht verletze, insbesondere auch durch die Anwendung von Gewalt und unmenschlicher Behandlung an den Aussengrenzen. Dies komme einer Verletzung von Art. 3

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |

IR 0.107 Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes KRK Art. 3 - (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. |
5.3 In ihrer Vernehmlassung führt die Vorinstanz aus, sie erkenne weiterhin keine konkreten Hinweise, wonach die Beschwerdeführerin nach dem Vorfall im Oktober 2020 in Afghanistan auch zum heutigen Zeitpunkt gefährdet wäre. In Bezug auf die Türkei weist sie auf die Möglichkeit hin, sich an die türkischen Behörden zu wenden, und erachtet die Wahrscheinlichkeit einer Rückschiebung nach Afghanistan als sehr gering. Es seien keine Versuche unternommen worden, um vor Ort Hilfe zu ersuchen, weshalb nicht von einer Gefährdung in der Türkei ausgegangen werden könne.
5.4 Replikweise führen die Beschwerdeführenden aus, die Beschwerdeführerin sei in Afghanistan immer noch einer konkreten Gefährdung ausgesetzt, insbesondere da sich die Lage der Frauen und speziell für Menschenrechtsaktivistinnen seit der Machtübernahme der Taliban verschlechtert habe. Bei einem Aufgreifen der türkischen Behörden sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihrer Rückschiebung auszugehen. Die Situation, in der sie sich in der Türkei aufgrund der fehlenden Schutz- und Gesundheitsstrukturen befinden würden, stelle eine konkrete Gefährdung ihrer Gesundheit sowie eine schwerwiegende Einschränkung der Kindesentwicklung dar. Aufgrund des unterbrochenen Kontakts zum Ehemann und der Studientätigkeit des Bruders in der Schweiz würden sie von ihren Familienmitgliedern nicht finanziell unterstützt werden können.
6.
Zunächst ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin über ein Profil verfügt, mit dem sie in ihrem Heimatland Afghanistan einer unmittelbaren und individuellen Gefährdung ausgesetzt wäre, die sich von anderen Personen massgeblich abhebt.
6.1 Bereits mit der Einsprache gegen den Botschaftsentscheid wurden dazu drei Beweismittel vorgelegt, die das Bundesverwaltungsgericht als authentisch erachtet. Gemäss Teilnahmebescheinigung des (...) vom 27. August 2021 war die Beschwerdeführerin Teil eines von (...) unterstützten Friedensstiftungsprojekts (vgl. Akten der Vorinstanz, S. 14 f.). Aus der eingereichten Arbeitsbestätigung vom 5. August 2021 der Personalaufsichtsleiterin und einem Schreiben vom 23. August 2021 der Vize-Direktorin der (...) ist sodann zu schliessen, dass sie bei dieser Organisation fünf Jahre angestellt war und verschiedene Tätigkeiten ausübte, darunter auch als Lehrerin und Koordinatorin eines (...). Darüber hinaus wird vorgebracht, sie habe sich in Afghanistan freiwillig für die (...) engagiert (vgl. act. 1, Rz. 42; Akten der Vorinstanz, S. 20).
6.2 Mit der Dokumentation eines Grossteils ihres früheren Engagements in Afghanistan vermag die Beschwerdeführerin, gerade als Frau, den Beweis dafür zu erbringen, in Afghanistan potentiell einem Gefährdungsprofil zu entsprechen (vgl. dazu SEM, Focus Afghanistan - Verfolgung durch Taliban: Potentielle Risikoprofile, 15. Februar 2022, S. 20 f., 51; www.sem.admin.ch Internationales & Rückkehr Herkunftsländerinformationen Asien und Nahost , abgerufen am 23.05.2023). Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan aufgrund ihrer Exponiertheit einem erhöhten Verfolgungsrisiko ausgesetzt ist und somit einer Personengruppe angehört, für welche sich die Gefährdungslage seit der im August 2021 erfolgten Übernahme der Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet durch die Taliban und dem vollständigen Abzug der amerikanischen und anderen ausländischen Streitkräfte erheblich akzentuiert hat (vgl. Urteile des BVGer F-985/2022 vom 1. Dezember 2022 E. 5.3; D-2161/2021 vom 12. Januar 2022 E. 7 m.w.H.; E-562/2022 vom 5. April 2022 E. 5.2; E-2720/2021 vom 19. Oktober 2021 E. 6.2.1). Demnach wäre mit einer unmittelbaren und individuellen Gefährdung der Beschwerdeführerin in Afghanistan zu rechnen, die sie mehr als andere Personen betrifft, und welche die Ausstellung eines humanitären Visums rechtfertigen könnte. Angesichts nachfolgender Erwägungen kann diese Frage jedoch letztlich offengelassen werden.
7.
Zu prüfen ist nachfolgend, ob konkrete Anhaltspunkte einer unmittelbaren, ernsthaften und konkreten Gefährdung der Beschwerdeführenden in der Türkei vorliegen und ob letzteren von dort eine Ausschaffung nach Afghanistan droht.
7.1 Die Türkei ist Vertragsstaat verschiedener internationaler Übereinkommen zum Schutz von Menschenrechten und anderer Rechte vulnerabler Personen, worunter die EMRK, die Kinderrechts- und die Flüchtlingskonvention fallen. Es ist diesbezüglich nicht zu verneinen, dass sich die Situation in der Türkei in Bezug auf die Einhaltung internationaler Verpflichtungen in den letzten Jahren verschlechtert hat, was auch das vom Europarat gegen die Türkei eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren verdeutlicht (vgl. Zwischenbeschluss des Europarats vom 2. Dezember 2021, CM/ResDH(2021) 432). Zutreffend ist auch, dass die FK nur beschränkt angewendet wird (vgl. States parties, including reservations and declarations, to the 1951 Refugee Convention, undatiert
https://www.unhcr.org/media/38230 , abgerufen am 25. Mai 2023). Eine unmittelbare und konkrete Gefährdung von Leib und Leben der Beschwerdeführenden vermag die gelegentliche Verletzung internationaler Verpflichtungen aber nicht zu begründen. Die Beschwerdeführenden befinden sich nicht in einem Landesteil, der sich durch signifikante Menschenrechtsverletzungen hervorhebt. In der Türkei herrscht weder (Bürger-)Krieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt. Zwar ist das Land von politischen und religiösen Spannungen geprägt, die allgemeine Lage lässt hingegen nicht grundsätzlich auf eine individuelle Gefährdung schliessen.
7.2 Die Türkei gehört weltweit zu den Ländern, die am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Gemäss einem Bericht der Europäischen Kommission zum Stand der Vorbereitungen auf eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union (EU) lebten im Oktober 2022 in der Türkei rund vier Millionen Schutzsuchende, mehr als 3,6 Millionen davon aus dem Nachbarstaat Syrien und 330'000 aus anderen Staaten (vgl. European Commission, Türkiye 2022 Report [EC Bericht], 12.10.2022,
https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2022-10/T%C3%BCrkiye%20Report%202022.pdf , abgerufen am 24.05.2023, S. 3). Die nationale Gesetzgebung für Personen, die in der Türkei um internationalen Schutz ersuchen, ist durch ein im Jahr 2013 nach Vorbild der EU verabschiedetes Gesetz geregelt (Law on Foreigners and International Protection). Demnach wird Flüchtlingen aus Afghanistan nur ein subsidiärer Flüchtlingsstatus zugesprochen, welcher nicht auf eine langfristige Integration in der Türkei ausgerichtet ist (vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Turkey [AIDA-Bericht], Aktualisierung im Juli 2022, https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/05/ AIDA -TR_2020update.pdf , abgerufen am 24.05.2023, S.20).
Die andauernde türkische Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und die ausserordentlich hohen Fallzahlen von schutzsuchenden Personen wirkt sich zunehmend negativ auf deren gesellschaftliche Akzeptanz aus, was zu einer Verschärfung der türkischen Flüchtlingspolitik führte. Die türkische Regierung beschloss im Verlaufe des letzten Jahres, die Möglichkeit, sich als Flüchtling zu registrieren, auf diejenigen Provinzen zu beschränken, in denen nicht bereits ein Ausländeranteil von 20 Prozent vorherrscht (vgl. United Nations High Commissioner for Refugees [UNHCR], Turkey: National asylum procedures for international protection, undatiert,
https://help.unhcr.org/turkiye/information-for-non-syrians/registration-rsd-with-unhcr/ , abgerufen am 23.05.2023). Diese und andere Massnahmen werden dafür kritisiert, dass sie einzig dem Ziel dienen, Schutzsuchende nicht dazu zu verleiten, in der Türkei zu verbleiben (vgl. AIDA-Bericht, S. 39). Dazu gehörten auch das Vorherrschen gewisser Hürden bei der Registrierung als Schutzsuchende, was durch Zeugenberichte belegt ist (vgl. Human Rights Watch (HRW), No One Asked Me Why I Left Afghanistan - Pushbacks and Deportations of Afghans from Turkey [HRW-Bericht], 18.11.2022, https://www.hrw.org/report/2022/11/18/no-one-asked-me-why-i-left-afghanistan/pushbacks-and-deportations-afghans-turkey , abgerufen am 18.10.2022), S. 39). Solche Schwierigkeiten für afghanische Staatsangehörige wurden auch schon vor der Verschärfung der Flüchtlingspolitik verzeichnet. Dies ist auch dem mit der Rechtsmitteleingabe beigelegten Bericht der Stiftung Pro Asyl zu entnehmen (vgl. Pro Asyl, Expert Opinion: The Situation of Afghan Refugees in Turkey [Einschätzung Pro Asyl], März 2021, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/PA_Expert-Opinion_The-Situation-of-Afghan-Refugees-in-Turkey.pdf , abgerufen am 25.05.2023). Gemäss dem Afghanistan Analysts Network (AAN) sei es jedoch für Personen, die mit einem Visum in die Türkei eingereist sind, möglich, ihren Aufenthalt zu legalisieren (vgl. AAN, Refugees or Ghosts? Afghans in Turkey face growing uncertainty, 09.05.2022, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/migration/refugees-or-ghosts-afghans-in-turkey-face-growing-uncertainty/ , abgerufen am 24.05.2023). Auch wird erwähnt, dass Familien unter besonderen Umständen weiterhin registriert werden (vgl. Zan Times, Afghan refugees in Turkey: Deprived of basic rights, haunted by prospects of bleak future [Zan Times Artikel], 13.03.2023, https://zantimes.com/2023/03/13/afghan-refugees-in-turkey-deprived-of-basic-rights-haunted-by-prospects-of-bleak-future-ii/, abgerufen am 24.05.2023 ). Vor diesem Hintergrund erscheint im vorliegenden Fall eine Registrierung der Beschwerdeführenden als Schutzsuchende in den dafür offenstehenden Provinzen nicht als aussichtlos.
Angesichts der gerade erwähnten Entwicklungen erscheint für afghanische Schutzsuchende in der Türkei ein illegaler Verbleib in einer grösseren Stadt unter Umständen vorteilhafter als der ungewisse Gang in abgelegene Provinzen. Teilweise wird dabei der fehlende Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen durch die Herausbildung von Parallelgesellschaften aufgefangen. In verschiedenen Städten haben sich grössere afghanische Gesellschaften herausgebildet (vgl. Association for Migration Research, Ghosts of Istanbul: Afghans at the Margins of Precarity, Januar 2021, https://www.gocarastirmalaridernegi.org/attachments/article/193/GHOSTS%20OF%20ISTANBUL%20N.pdf , abgerufen am 23.05.2023, S. 28 ff.). So auch im gut erschlossenen Stadtteil Zeytinburnu, in dem sich, neben derjenigen in Beykoz, die grösste afghanische Gesellschaft in Istanbul befindet. Innerhalb dieser Gesellschaften, die auch Personen mit rechtmässigem Aufenthalt umfasst, die Mietobjekte an undokumentierte Afghanen vermieten, besteht gemäss Berichten ein solidarischer Unterstützungswille (vgl. AAN, Between the Devil and the Deep Blue Sea: No good options for Afghans travelling to and from Turkey, 12.05.2022, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/migration/between-the-devil-and-the-deep-blue-sea-no-good-options-for-afghans-travelling-to-and-from-turkey/ abgerufen am 23.05.2023).
7.3 Die Beschwerdeführenden äussern schliesslich die Befürchtung, sie würden von der Türkei aus womöglich zwangsweise nach Afghanistan zurückgeführt werden, was eine Kontaktaufnahme mit den türkischen Behörden generell ausschliesse. Sie verweisen dazu auf den HRW-Bericht. Darin werden Fälle afghanischer Staatsangehörige geschildert, die von der Türkei zwangsweise nach Afghanistan abgeschoben wurden. Befragt wurden dabei aber hauptsächlich alleinstehende afghanische Männer (HRW-Bericht, S. 4, 10). Aus den Befragungen der drei Frauen und einem Mädchen gehen Missstände in Bezug auf die Registrierung als Schutzsuchende hervor (HRW-Bericht, S. 65 ff.). Im ganzen Bericht werden indes keine Fälle von Rückführungen von Frauen oder Familien aufgeführt. Teilweise wird auf Fälle von Rückführungen an der türkischen Grenze verwiesen, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sind. Auch im Zan Times Artikel wird erwähnt, dass Familien von Rückschaffungen weniger betroffen seien (vgl. Zan Times Artikel). In dieses Bild reiht sich auch die geltend gemachte Abschiebung des Ehemanns in den Iran ein. Der HRW-Bericht lässt jedenfalls keine konkreten Rückschlüsse auf die Situation der Beschwerdeführenden zu. Auch aus den Ausführungen in der Beschwerde ergeben sich keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, dass sie der Gefahr einer Abschiebung nach Afghanistan ausgesetzt sein könnten.
8.
Schlussendlich ist zu prüfen, ob die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers eine Notlage begründet, die ein Eingreifen der Schweizerischen Behörden erfordert.
8.1 Dazu liegen die mit Eingabe vom 21. Februar 2022 eingereichten Arztberichte aus Saudi-Arabien und Indien in englischer Sprache vor. Ihnen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer mit einer (...), einer angeborenen (...) (...) auf Höhe des Lendenbereichs, auf die Welt gekommen ist. An einem (...) war diese Fehlbildung erkennbar und wurde in Saudi-Arabien am 16. Juni 2015 resp. am 22. Juni 2015 diagnostiziert (vgl. act. 1 Beilage 6). Die medizinischen Unterlagen vom 3. März 2016 in Indien bestätigen diese Diagnose (vgl. act. 1 Beilage 7). Zudem liegt dieser Beilage auch ein Kostenvoranschlag vom 4. März 2016 für einen chirurgischen Eingriff in einem indischen Spital in Höhe von INR 263'516.- (zum damaligen Kurs rund Fr. 3'900.-, heute knapp Fr. 2'888.-) bei. Weitere medizinische Akten liegen nicht vor.
8.2 Die Beschwerdeführenden machen in Bezug auf die Gesundheitssituation des Beschwerdeführers geltend, bei diesem sei in Indien als Baby ein chirurgischer Vorgriff vorgenommen worden, welcher jährliche Nachkontrollen erfordere. Die letzte Kontrolle sei in Afghanistan erfolgt, und seit der Flucht im Oktober 2020 hätten dringend benötigte Folgeuntersuchungen nicht mehr stattfinden können. Die angeborene Krankheit des Beschwerdeführers erfordere zudem weitreichende Therapien, um Spätfolgen zu vermeiden, die bis zu einer (...) reichen können. Er sei in der Lage, (...), könne aber seinen (...) nicht kontrollieren. Angesichts dessen, dass sich die Beschwerdeführenden unrechtmässig in der Türkei aufhalten, sei eine Arztkonsultation nicht möglich.
8.3 Wiewohl nach dem Gesagten die aufgeführten gesundheitlichen Beschwerden den Alltag der Beschwerdeführenden zweifellos stark erschweren, handelt es sich nicht um lebensbedrohliche Beeinträchtigungen. Dass die Behandlung lebensnotwendig wäre, wird auch nicht geltend gemacht. Somit kann aus den Ausführungen der Beschwerdeführenden keine medizinische Notlage geschlossen werden, die ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich machen würde. Zudem ist eine Notfallversorgung in der Türkei sodann auch für nicht registrierte Schutzsuchende gewährleistet. Für eine darüberhinausgehende medizinische Behandlung stehen private Einrichtungen zur Verfügung, deren Behandlungskosten aber selbst übernommen werden müssen (vgl. UNHCR, Medical and psychological assistance, https://help.unhcr.org/turkiye/information-for-non-syrians/medical-and-psychological-assistance/ , abgerufen am 26.05.2023; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Turquie: accès à des soins médicaux et une éducation spécialisée pour les réfugiés syriens, 15. Juli 2020, S. 8). Gemäss Pro Asyl besteht betreffend letzteren die Gefahr, dass von Afghanen erhöhte Preise verlangt werden (vgl. Einschätzung Pro Asyl, S. 19). In dieser Hinsicht kommt den Beschwerdeführenden schlussendlich zugute, dass sie in finanzieller Hinsicht durch ihre Familienangehörigen unterstützt werden können. So wurde gegenüber dem in der Schweiz lebenden Bruder der Beschwerdeführerin in Zusammenhang mit der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung folgendes festgehalten: «Herr (...) kann sich ausgezeichnet in Deutsch ausdrücken und versteht Schweizerdeutsch. Er hat das Goethe Zertifikat CI. Seit August 2019 studiert er an der (...) (...). Sein Studium endet im September 2022, danach möchte er noch den Master absolvieren». Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführenden in naher Zeit finanziell unterstützt werden können. Angesichts bestehender Alternativen zu Geldüberweisungen mit Western Union sollte es zudem auch faktisch möglich sein, die Beschwerdeführenden finanziell zu unterstützen.
8.4 Eine besondere Notsituation, die ein behördliches Eingreifen rechtfertigen würde, liegt schliesslich auch im Lichte der KRK nicht vor. Insoweit ist der gewichtige Aspekt des Kindeswohls vorliegend zu relativieren. Einen Anspruch auf ein humanitäres Visum vermittelt die KRK nicht (vgl. BGE 143 I 21 E. 5.5.2; 139 I 315 E. 2.4; BVGE 2021 VI/3 E. 11.5.2; 2014/26 E. 7.6; 2014/20 E. 8.3.6; Urteil F-3335/2021 E. 5 m.H.).
9.
Eine Gesamtwürdigung der Situation der Beschwerdeführenden in der Türkei führt zum Schluss, dass ihre Situation zweifellos schwierig und belastend ist. Eine unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung an Leib und Leben vermag jedoch weder der erschwerte Zugang zur Registrierung als Schutzsuchende, die Gefahr einer Rückführung nach Afghanistan noch der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers begründen. Auch die vorhandenen Bindungen zur Schweiz vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Aufgrund des Gesagten, kann im Vergleich zu anderen sich in einer ähnlichen Lage befindenden afghanischen Staatsangehörigen in der Türkei, nicht von einer besonderen Notsituation ausgegangen werden, die ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich machen und welche die Ausstellung humanitärer Visa rechtfertigen würde.
10.
Die angefochtene Verfügung erweist sich im Lichte von Art. 49

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 49 - Der Beschwerdeführer kann mit der Beschwerde rügen: |
|
a | Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens; |
b | unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes; |
c | Unangemessenheit; die Rüge der Unangemessenheit ist unzulässig, wenn eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat. |
11.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Verfahrenskosten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (vgl. Art. 63

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 63 - 1 Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
|
1 | Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
2 | Keine Verfahrenskosten werden Vorinstanzen oder beschwerdeführenden und unterliegenden Bundesbehörden auferlegt; anderen als Bundesbehörden, die Beschwerde führen und unterliegen, werden Verfahrenskosten auferlegt, soweit sich der Streit um vermögensrechtliche Interessen von Körperschaften oder autonomen Anstalten dreht. |
3 | Einer obsiegenden Partei dürfen nur Verfahrenskosten auferlegt werden, die sie durch Verletzung von Verfahrenspflichten verursacht hat. |
4 | Die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter erhebt vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss in der Höhe der mutmasslichen Verfahrenskosten. Zu dessen Leistung ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist anzusetzen unter Androhung des Nichteintretens. Wenn besondere Gründe vorliegen, kann auf die Erhebung des Kostenvorschusses ganz oder teilweise verzichtet werden.102 |
4bis | Die Spruchgebühr richtet sich nach Umfang und Schwierigkeit der Streitsache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien. Sie beträgt: |
a | in Streitigkeiten ohne Vermögensinteresse 100-5000 Franken; |
b | in den übrigen Streitigkeiten 100-50 000 Franken.103 |
5 | Der Bundesrat regelt die Bemessung der Gebühren im Einzelnen.104 Vorbehalten bleiben Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005105 und Artikel 73 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 2010106.107 |

SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE) VGKE Art. 1 Verfahrenskosten - 1 Die Kosten der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Gericht) setzen sich zusammen aus der Gerichtsgebühr und den Auslagen. |
|
1 | Die Kosten der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Gericht) setzen sich zusammen aus der Gerichtsgebühr und den Auslagen. |
2 | Mit der Gerichtsgebühr sind die Kosten für das Kopieren von Rechtsschriften und der für Dienstleistungen normalerweise anfallende Verwaltungsaufwand wie Personal-, Raum- und Materialkosten sowie Post-, Telefon- und Telefaxspesen abgegolten. |
3 | Auslagen sind insbesondere die Kosten für Übersetzungen und für die Beweiserhebung. Die Kosten für Übersetzungen werden nicht verrechnet, wenn es sich um Übersetzungen zwischen Amtssprachen handelt. |
12.
Dieses Urteil ist endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 83 Ausnahmen - Die Beschwerde ist unzulässig gegen: |
|
a | Entscheide auf dem Gebiet der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes und der übrigen auswärtigen Angelegenheiten, soweit das Völkerrecht nicht einen Anspruch auf gerichtliche Beurteilung einräumt; |
b | Entscheide über die ordentliche Einbürgerung; |
c | Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend: |
c1 | die Einreise, |
c2 | Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt, |
c3 | die vorläufige Aufnahme, |
c4 | die Ausweisung gestützt auf Artikel 121 Absatz 2 der Bundesverfassung und die Wegweisung, |
c5 | Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen, |
c6 | die Verlängerung der Grenzgängerbewilligung, den Kantonswechsel, den Stellenwechsel von Personen mit Grenzgängerbewilligung sowie die Erteilung von Reisepapieren an schriftenlose Ausländerinnen und Ausländer; |
d | Entscheide auf dem Gebiet des Asyls, die: |
d1 | vom Bundesverwaltungsgericht getroffen worden sind, ausser sie betreffen Personen, gegen die ein Auslieferungsersuchen des Staates vorliegt, vor welchem sie Schutz suchen, |
d2 | von einer kantonalen Vorinstanz getroffen worden sind und eine Bewilligung betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt; |
e | Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal; |
f | Entscheide auf dem Gebiet der öffentlichen Beschaffungen, wenn: |
fbis | Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts über Verfügungen nach Artikel 32i des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 200964; |
f1 | sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt; vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Beschaffungen des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesstrafgerichts, des Bundespatentgerichts, der Bundesanwaltschaft sowie der oberen kantonalen Gerichtsinstanzen, oder |
f2 | der geschätzte Wert des zu vergebenden Auftrags den massgebenden Schwellenwert nach Artikel 52 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang 4 Ziffer 2 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 201962 über das öffentliche Beschaffungswesen nicht erreicht; |
g | Entscheide auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse, wenn sie eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit, nicht aber die Gleichstellung der Geschlechter betreffen; |
h | Entscheide auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe, mit Ausnahme der Amtshilfe in Steuersachen; |
i | Entscheide auf dem Gebiet des Militär-, Zivil- und Zivilschutzdienstes; |
j | Entscheide auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung, die bei schweren Mangellagen getroffen worden sind; |
k | Entscheide betreffend Subventionen, auf die kein Anspruch besteht; |
l | Entscheide über die Zollveranlagung, wenn diese auf Grund der Tarifierung oder des Gewichts der Ware erfolgt; |
m | Entscheide über die Stundung oder den Erlass von Abgaben; in Abweichung davon ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide über den Erlass der direkten Bundessteuer oder der kantonalen oder kommunalen Einkommens- und Gewinnsteuer, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder es sich aus anderen Gründen um einen besonders bedeutenden Fall handelt; |
n | Entscheide auf dem Gebiet der Kernenergie betreffend: |
n1 | das Erfordernis einer Freigabe oder der Änderung einer Bewilligung oder Verfügung, |
n2 | die Genehmigung eines Plans für Rückstellungen für die vor Ausserbetriebnahme einer Kernanlage anfallenden Entsorgungskosten, |
n3 | Freigaben; |
o | Entscheide über die Typengenehmigung von Fahrzeugen auf dem Gebiet des Strassenverkehrs; |
p | Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet des Fernmeldeverkehrs, des Radios und des Fernsehens sowie der Post betreffend:69 |
p1 | Konzessionen, die Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung waren, |
p2 | Streitigkeiten nach Artikel 11a des Fernmeldegesetzes vom 30. April 199770, |
p3 | Streitigkeiten nach Artikel 8 des Postgesetzes vom 17. Dezember 201072; |
q | Entscheide auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin betreffend: |
q1 | die Aufnahme in die Warteliste, |
q2 | die Zuteilung von Organen; |
r | Entscheide auf dem Gebiet der Krankenversicherung, die das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf Artikel 3473 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200574 (VGG) getroffen hat; |
s | Entscheide auf dem Gebiet der Landwirtschaft betreffend: |
s1 | ... |
s2 | die Abgrenzung der Zonen im Rahmen des Produktionskatasters; |
t | Entscheide über das Ergebnis von Prüfungen und anderen Fähigkeitsbewertungen, namentlich auf den Gebieten der Schule, der Weiterbildung und der Berufsausübung; |
u | Entscheide auf dem Gebiet der öffentlichen Kaufangebote (Art. 125-141 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes vom 19. Juni 201577); |
v | Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts über Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörden in der innerstaatlichen Amts- und Rechtshilfe; |
w | Entscheide auf dem Gebiet des Elektrizitätsrechts betreffend die Plangenehmigung von Starkstromanlagen und Schwachstromanlagen und die Entscheide auf diesem Gebiet betreffend Enteignung der für den Bau oder Betrieb solcher Anlagen notwendigen Rechte, wenn sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt; |
x | Entscheide betreffend die Gewährung von Solidaritätsbeiträgen nach dem Bundesgesetz vom 30. September 201681 über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981, ausser wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder aus anderen Gründen ein besonders bedeutender Fall vorliegt; |
y | Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts in Verständigungsverfahren zur Vermeidung einer den anwendbaren internationalen Abkommen im Steuerbereich nicht entsprechenden Besteuerung; |
z | Entscheide betreffend die in Artikel 71c Absatz 1 Buchstabe b des Energiegesetzes vom 30. September 201684 genannten Baubewilligungen und notwendigerweise damit zusammenhängenden in der Kompetenz der Kantone liegenden Bewilligungen für Windenergieanlagen von nationalem Interesse, wenn sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. |
(Dispositiv nächste Seite)
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden und die Vorinstanz.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Gregor Chatton Matiu Dermont