Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C 236/2023
Urteil vom 25. Januar 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz, Bundesrichterin Ryter,
Gerichtsschreiberin Wortha.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dina Raewel,
Beschwerdeführerin,
gegen
Migrationsamt des Kantons Zürich,
Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich.
Gegenstand
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung; Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 2. März 2023 (VB.2022.00563).
Sachverhalt:
A.
A.a. A.________ (geb. 1981) ist Staatsangehörige des Irak. Sie reiste am 3. Juli 2000 in die Schweiz ein, wo ihr antragsgemäss Asyl gewährt wurde. 2002 heiratete sie den Schweizer Bürger B.________, mit dem sie zwei Töchter (geb. 2003 und 2006) hat. Diese besitzen wie der Vater das Schweizer Bürgerrecht. Seit 8. Juli 2005 besitzt A.________ die Niederlassungsbewilligung. Im Jahr 2011 wurde die Ehe geschieden. Im Jahr 2018 zogen B.________ und die beiden Töchter in den Irak.
A.b. Am 28. Februar 2019 zog A.________ aus der vormaligen Familienwohnung in U.________ aus. Von da an bis mindestens Januar 2020 verfügte A.________ über keine eigene Wohnung in der Schweiz mehr. Ab März 2019 hielt sie sich wie folgt im Irak auf: 28. März 2019 bis 10. April 2019, 14. April 2019 bis 19. Mai 2019, 26. Mai 2019 bis 8. Juli 2019, 14. September 2019 bis 19. Januar 2020, von 6. Februar 2020 bis 8. Juli 2020.
A.c. In der Schweiz ging sie keiner Erwerbstätigkeit nach. Während ihrer Aufenthalte in der Schweiz im April 2019 und im Mai 2019 absolvierte sie erfolglos den Sprachtest für das Einbürgerungsverfahren. Während ihres Aufenthalts in der Schweiz im Sommer 2019 absolvierte sie erneut den Sprachtest, trug ihre Einzelunternehmung im Handelsregister ein und nahm das Einbürgerungsgespräch wahr.
B.
Mit Verfügung vom 20. Januar 2022 stellte das Migrationsamt des Kantons Zürich fest, dass die Niederlassungsbewilligung von A.________ erloschen sei, da sie ihren Lebensmittelpunkt in den Irak verlegt habe. Die dagegen ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos (Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich vom 17. August 2022; Urteil des Verwaltungsgericht des Kantons Zürich vom 2. März 2023).
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 28. April 2023 gelangt A.________ (nachfolgend Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Feststellung, dass ihre Niederlassungsbewilligung nicht erloschen sei. In Eventualstandpunkten beantragt sie die vorzeitige Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung oder einer Härtefallbewilligung. In prozessualer Hinsicht beantragt sie die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung.
Die Abteilungspräsidentin hat der Beschwerde mit Verfügung vom 1. Mai 2023 antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und die Vorinstanz verzichten auf eine Vernehmlassung. Das Migrationsamt des Kantons Zürich und das Staatssekretariat für Migration lassen sich nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1

1.2. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide betreffend ausländerrechtliche Bewilligungen nur zulässig, wenn das Bundesrecht oder das Völkerrecht einen Anspruch auf die Bewilligung einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2

1.3. Unzulässig ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, soweit die Beschwerdeführerin um die Wiedererteilung einer Niederlassungsbewilligung (Art. 34 Abs. 3







bringt die Beschwerdeführerin nicht vor.
1.4. Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 42






2.
2.1. Mit der Beschwerde kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a



2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1





Die Beschwerdeführerin schildert in einiger Länge ihre Meldesituation in der Schweiz und ihre Beweggründe für die Reisen und das Verbleiben im Irak. Sie bestreitet indes nicht, dass sie bei verschiedenen Personen (nur) gemeldet war, deren Adressen sie angab. Mit ihrer Schilderung weicht sie über weite Strecken von dem durch die Vorinstanz festgestellten Sachverhalt ab bzw. ergänzt diesen frei und wirft der Vorinstanz vor, willkürlich darauf geschlossen zu haben, sie hätte in der Schweiz keine eigene Wohnung gehabt. Es reicht indessen gerade nicht aus, die Sachlage aus der eigenen Sicht darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen, um eine Verletzung des Willkürverbots gemäss Art. 9


2.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1



Die Beschwerdeführerin reicht eine Arbeitsstellenbestätigung vom 30. August 2022 ein, ohne zu begründen, inwiefern erst der vorinstanzliche Entscheid Anlass gegeben hat, diese einzureichen. Dies ist nicht ersichtlich, weshalb das Novum unzulässig ist. Gleiches gilt für die Kontoauszüge von Januar 2023 bis März 2023. Der Kontoauszug vom April 2023 ist erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden und damit von vornherein unzulässig.
Die neu eingereichten Beweismittel bleiben daher unberücksichtigt.
3.
Streitgegenstand des Verfahrens ist das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin beanstandet im Wesentlichen, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in den Irak verlegt habe und ihre Aufenthalte in der Schweiz blosse Besuche gewesen seien. Sie rügt eine Verletzung von Art. 61 Abs. 2


3.1. Verlässt eine niederlassungsberechtigte Person die Schweiz, ohne sich abzumelden, erlischt die Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 61 Abs. 2

3.1.1. Dauert der tatsächliche Aufenthalt im Ausland länger als sechs Monate, erlischt die Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen und unabhängig von den Ursachen, Motiven oder Absichten der betroffenen Person im Zusammenhang mit ihrer Landesabwesenheit. Folglich genügt für das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung der blosse Umstand, dass sich die ausländische Person während sechs aufeinanderfolgenden Monaten fortwährend im Ausland aufhält (BGE 149 I 66 E. 4.7; 145 II 322 E. 2.3; 120 Ib 369 E. 2c; Urteil 2C 602/2020 vom 19. November 2020 E. 4.2.1).
3.1.2. Grundsätzlich muss sich die ausländische Person während sechs aufeinanderfolgenden Monaten ununterbrochen im Ausland aufhalten. Eine Ausnahme des ununterbrochenen Auslandsaufenthalts besteht, wenn eine ausländische Person ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt und nur für relativ kurze Zeitperioden, etwa zu Besuchs- oder Geschäftszwecken, in die Schweiz zurückkehrt. Die Frist von sechs Monaten Auslandsaufenthalt wird mithin durch vorübergehende Tourismus-, Besuchs- oder Geschäftsaufenthalte nicht unterbrochen (Art. 79 Abs. 1


2020 E. 4.3.1 mit Hinweisen).
3.2. In der vorliegenden Angelegenheit ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die Schweiz zu keinem Zeitpunkt länger als sechs Monate verlassen hat ohne jeweils für kurze Zeit in die Schweiz zurückzukehren. Ebenso ist unbestritten, dass sich die Beschwerdeführerin nicht abgemeldet oder ein Gesuch um Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung gestellt hätte (vgl. Art. 61 Abs. 1 lit. a



3.2.1. Für die Beurteilung, ob die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin erloschen ist, ist auf die Dauer ihrer Landesabwesenheit und ihren Lebensmittelpunkt abzustellen. Letzteren hat sie gestützt auf den verbindlich durch die Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1

ging nicht über einen blossen Besuch hinaus. Auch danach hielt sie sich während neun Monaten (September 2019 bis Juli 2020) nur etwa zwei Wochen in der Schweiz auf (19. Januar 2020 bis 6. Februar 2020). Auch dieser kurze Besuch diente einzig der Unterbrechung der Frist von sechs Monaten.
3.2.2. Die Beschwerdeführerin hielt sich mithin von März 2019 bis Juli 2020 nur etwa drei Monate in der Schweiz auf und dies auch nur, um Termine wahrzunehmen. Ihre Besuche dienten folglich einem Zweck und nicht dem blossem Aufenthalt im Land. Diese vorübergehenden Aufenthalte in der Schweiz vermochten die Frist des Art. 61 Abs. 2

3.3. Nach dem Gesagten kann keine Verletzung von Bundesrecht darin erblickt werden, dass die Vorinstanz die Niederlassungsbewilligung per Januar 2020 als erloschen betrachtet hat. Vielmehr hat sie bundesrechtskonform entschieden, dass die Beschwerdeführerin ihren Lebensmittelpunkt in den Irak verlegt hat und die vorübergehenden zweckgebundenen Aufenthalte in der Schweiz die Dauer des Auslandsaufenthalts gemäss Art. 61 Abs. 2

4.
4.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
4.2. Die Beschwerdeführerin konnte dem angefochtenen Urteils nichts Substanzielles entgegensetzen, zumal sich ihre Beschwerde primär auf die appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung beschränkt. Die Beschwerde hatte daher von vornherein als aussichtslos zu gelten. Deshalb ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1




Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 25. Januar 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha