Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung VI

F-7310/2018

Urteil vom 19. Dezember 2019

Richter Andreas Trommer (Vorsitz),

Richterin Regula Schenker Senn,
Besetzung
Richterin Susanne Genner

Gerichtsschreiberin Giulia Santangelo.

S._______,
Parteien
Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Humanitäres Visum (VrG) zu Gunsten von
Gegenstand
X._______, Y._______ und Z._______.

Sachverhalt:

A.
X._______, ein 1989 geborener syrischer Staatsangehöriger (nachfolgend: Gesuchsteller 1), seine Ehefrau Y._______, 1997 geboren und gleicher Nationalität (nachfolgend: Gesuchstellerin 2) und deren Tochter Z._______, geboren 2015, beantragten am 13. August 2018 bei der Schweizerischen Botschaft in K._______ (nachfolgend: Botschaft) Visa aus humanitären Gründen (Akten der Vorinstanz [SEM-act.] 2 S. 53-64).

B.
In einem an die Botschaft gerichteten, von ihrem Ehemann mitunterzeichneten Schreiben vom 3. August 2018 begründete die Gesuchstellerin 2 ihren Antrag. Dabei führte sie im Wesentlichen aus, sie und ihr Ehemann stammten aus der Stadt R._______. Ihre Eltern und Geschwister seien im August 2015 im Rahmen eines Resettlement-Programms in die Schweiz gelangt und verfügten hier inzwischen über eine Aufenthaltsbewilligung. Sie selbst (die Gesuchstellerin 2) habe damals nicht von dem Programm profitieren können, weil sie bereits volljährig und verheiratet gewesen sei. Im Jahr 2016 sei dann ein Resettlement nicht möglich gewesen, weil der Gesuchsteller 1 verschwunden gewesen sei. Ihre Tochter sei im März 2015 im siebten Schwangerschaftsmonat zur Welt gekommen. Aufgrund von Sauerstoffmangel während der (zu früh erfolgten) Geburt leide sie an Entwicklungsdefiziten. So könne sie mit drei Jahren noch nicht gehen, kaum stehen, spreche nicht und schiele. Sie habe Atmungsschwierigkeiten, welche in unregelmässigen Abständen aufträten und jeweils notfallmässig im Spital behandelt werden müssten. Die Ärzte erachteten eine Fussoperation noch im frühen Kindesalter als unumgänglich, doch fehle ihnen dazu das Geld. Lediglich Notfallbehandlungen seien bis anhin möglich gewesen. Aktuell lebten sie im Süden des Libanons an der Grenze zu Israel. Sie seien beim UNHCR registriert, erhielten jedoch keine Unterstützung. Ihnen fehle häufig das Geld für die Wohnungsmiete. Um aus der Stadt zu kommen, müssten sie eine Bewilligung beantragen. Sie würden rassistisch behandelt und schikaniert, was sich auch beim Zugang zu medizinischer Versorgung auswirke; manchmal lehnten Ärzte es ab, die Tochter zu behandeln. Der Gesuchsteller 1 sei wegen fehlender Aufenthaltspapiere aus dem Libanon weggewiesen worden. Aus diesem Grund könne er auch nicht arbeiten. Als Familie fürchteten sie die Zwangsrückschaffung nach Syrien (SEM-act. 2, S. 41-44).

C.
Die Botschaft verweigerte mit Formularverfügung vom 23. August 2018 die Ausstellung von Visa aus humanitären Gründen an die Gesuchstellenden (SEM-act. 2, S. 47-48).

D.
Eine dagegen vom in der Schweiz wohnhaften Vater der Gesuchstellerin 2, S._______ (nachfolgend: Beschwerdeführer) am 17. September 2018 erhobene Einsprache (SEM-act. 1 S. 32-38) wies die Vorinstanz mit Verfügung vom 23. November 2018 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Gesuchstellenden hielten sich schon seit 2014 im Libanon auf und seien beim UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) als Flüchtlinge registriert. Ihre Situation sei sicher schwierig, doch unterscheide sie sich nicht wesentlich von derjenigen anderer Kriegsvertriebener. Eine im Vergleich dazu besondere, sie unmittelbar an fundamentalen Rechtsgütern wie Leib und Leben gefährdende und das Eingreifen der schweizerischen Behörden zwingend notwendig machende Notlage sei - selbst für den Fall einer Rückkehr nach Syrien - nicht ersichtlich (SEM-act. 5 S. 70-72).

E.
Gegen den abweisenden Einspracheentscheid der Vorinstanz gelangte der Beschwerdeführer mit einer Rechtsmitteleingabe vom 18. Dezember 2018 (Poststempel: 21. Dezember 2018) an das Bundesverwaltungsgericht. Er beantragte darin die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und die Ausstellung von Visa aus humanitären Gründen für die Gesuchstellenden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. In materiellrechtlicher Hinsicht rügte der Beschwerdeführer sinngemäss eine unsorgfältige Erhebung des entscheidwesentlichen Sachverhalts und dessen fehlerhafte Würdigung durch die Vorinstanz. Die Situation der Gesuchstellenden unterscheide sich sehr wohl von derjenigen anderer kriegsvertriebener Landsleute im Libanon. So sei der Gesuchsteller 1 aus dem Libanon weggewiesen worden und ein Vollzug dieser Wegweisung nach Syrien würde das Ende der Familie bedeuten. Denn er habe dort den Militärdienst nicht absolviert und ihre Heimatstadt R._______ stehe vor einem Krieg. Die Registrierung beim UNHCR helfe in dieser Situation nicht mehr. Komme hinzu, dass der Gesuchsteller 1 seiner gesundheitlich angeschlagenen Tochter nicht helfen könne, weil die medizinische Betreuung im Libanon mit Kosten verbunden sei und er dafür nicht aufkommen könne. Er müsse jeden Kontakt mit Behörden vermeiden und dürfe nicht arbeiten (Akten des BVGer [Rek-act.] 1).

F.
Mit Zwischenverfügung vom 17. Januar 2019 hiess der zuständige Instruktionsrichter des Bundesverwaltungsgerichts das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG gut und leitete den Schriftenwechsel ein (Rek-act. 3).

G.
Die Vorinstanz hielt in ihrer Vernehmlassung vom 24. Januar 2019 an ihrer Verfügung fest und beantragte Abweisung der Beschwerde (Rek-act. 4).

H.
Der Beschwerdeführer verzichtete in der Folge auf eine Replik.

I.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit entscheidwesentlich, in den Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Von der Vorinstanz erlassene Einspracheentscheide im Zusammenhang mit einer verweigerten Visumsausstellung sind mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (vgl. Art. 31 ff . VGG i.V.m. Art. 5 VwVG). In diesem Bereich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).

1.2 Das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

1.3 Der Beschwerdeführer war als Einsprecher am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist demnach zur Beschwerde berechtigt (vgl. Art. 48 VwVG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist (Art. 50 und 52 VwVG).

2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht können vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.).

3.

3.1 Als Staatsangehörige Syriens unterliegen die Gesuchstellenden für die Einreise in die Schweiz der Visumspflicht. Mit ihren Gesuchen beabsichtigen sie einen längerfristigen Aufenthalt, weshalb nicht die Erteilung eines Schengen-Visums auf der Grundlage der entsprechenden Übereinkommen zu prüfen ist, sondern mit Art. 4
SR 142.204 Ordonnance du 15 août 2018 sur l'entrée et l'octroi de visas (OEV)
OEV Art. 4 Conditions d'entrée pour un long séjour - 1 Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
1    Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
a  il doit, si nécessaire, avoir obtenu un visa de long séjour au sens de l'art. 9;
b  il doit remplir les conditions d'admission pour le but du séjour envisagé.
2    Dans des cas dûment justifiés, un étranger qui ne remplit pas les conditions de l'al. 1 peut être autorisé pour des motifs humanitaires à entrer en Suisse en vue d'un long séjour. C'est le cas notamment lorsque sa vie ou son intégrité physique est directement, sérieusement et concrètement menacée dans son pays de provenance.
der Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumserteilung (VEV, SR 142.204) ausschliesslich nationales Recht zur Anwendung gelangt. Dass seitens der Botschaft zur Entgegennahme der Gesuche und für deren Abweisung Formulare verwendet wurden, die eigentlich für Schengen-Visa vorgesehen sind, tut nichts zur Sache. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, dies im Einspracheverfahren zu rügen. Die Vorinstanz prüfte denn auch in diesem Verfahren klarerweise ausschliesslich die Ausstellung von Visa aus humanitären Gründen.

3.2 Die revidierte VEV vom 15. August 2018, in Kraft seit 15. September 2018, ersetzt die aufgehobene Verordnung vom 22. Oktober 2008 über die Einreise und die Visumerteilung (aVEV, AS 2008 5441). Mit der Neufassung von Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Ordonnance du 15 août 2018 sur l'entrée et l'octroi de visas (OEV)
OEV Art. 4 Conditions d'entrée pour un long séjour - 1 Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
1    Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
a  il doit, si nécessaire, avoir obtenu un visa de long séjour au sens de l'art. 9;
b  il doit remplir les conditions d'admission pour le but du séjour envisagé.
2    Dans des cas dûment justifiés, un étranger qui ne remplit pas les conditions de l'al. 1 peut être autorisé pour des motifs humanitaires à entrer en Suisse en vue d'un long séjour. C'est le cas notamment lorsque sa vie ou son intégrité physique est directement, sérieusement et concrètement menacée dans son pays de provenance.
VEV hat der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage für den Anwendungsbereich der humanitären Visa für einen längerfristigen Aufenthalt geschaffen, nachdem bis anhin diese Gesetzeslücke durch die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung gefüllt wurde (vgl. BVGE 2018 VII/5 E. 3.5; F-7298/206 vom 19. Juni 2018 E. 4.2 und E. 4.3 je m. H.).

3.3 In Art. 4 Abs. 2
SR 142.204 Ordonnance du 15 août 2018 sur l'entrée et l'octroi de visas (OEV)
OEV Art. 4 Conditions d'entrée pour un long séjour - 1 Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
1    Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
a  il doit, si nécessaire, avoir obtenu un visa de long séjour au sens de l'art. 9;
b  il doit remplir les conditions d'admission pour le but du séjour envisagé.
2    Dans des cas dûment justifiés, un étranger qui ne remplit pas les conditions de l'al. 1 peut être autorisé pour des motifs humanitaires à entrer en Suisse en vue d'un long séjour. C'est le cas notamment lorsque sa vie ou son intégrité physique est directement, sérieusement et concrètement menacée dans son pays de provenance.
VEV wird ausdrücklich festgehalten, dass ein Visum für einen längerfristigen Aufenthalt erteilt werden kann, wenn humanitäre Gründe dies gebieten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die betreffende Person im Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. Demnach kann ein nationales Visum aus humanitären Gründen erteilt werden, wenn bei einer gesuchstellenden Person aufgrund der individuell-konkreten Umstände davon ausgegangen werden muss, dass sie sich im Heimat- oder Herkunftsstaat in einer besonderen Notsituation befindet, die ein behördliches Eingreifen zwingend notwendig macht. Dies kann etwa bei akuten kriegerischen Ereignissen oder aufgrund einer konkreten individuellen Gefährdung, die die betroffene Person mehr als andere betrifft, gegeben sein. Befindet sich die gesuchstellende Person bereits in einem Drittstaat oder ist sie nach einem Aufenthalt in einem solchen freiwillig in ihr Heimat- oder Herkunftsland zurückgekehrt und hat sie die Möglichkeit, sich erneut in den Drittstaat zu begeben, ist in der Regel davon auszugehen, dass keine Gefährdung mehr besteht (vgl. dazu BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3; F-4658/2017 vom 7. Dezember 2018 E. 3.2 m.w.H.).

3.4 Das Visumgesuch ist unter Berücksichtigung der aktuellen Gefährdung, der persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person und der Lage im Heimat- oder Herkunftsstaat zu prüfen. Dabei können auch weitere Kriterien wie das Bestehen von Bindungen zur Schweiz und die hier bestehenden Integrationsaussichten oder die Unmöglichkeit, in einem anderen Land nach Schutz nachzusuchen, mitberücksichtigt werden (vgl. BVGE 2018 VII/5 E. 3.6.3; F-7298/2016 E. 4.2 am Ende; vgl. ferner BVGE 2015/5 E. 4.1.3; je m.H.).

4.

4.1 Die Vorinstanz verneinte in der angefochtenen Verfügung vom 23. November 2018, dass die Gesuchstellenden in ihrem Heimatland einer unmittelbaren, ernsthaften und konkreten Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt seien. Sie begründete diese Einschätzung damit, dass sich die Gesuchstellenden schon seit dem Jahre 2014 im Libanon aufhielten und beim UNHCR als Flüchtlinge registriert seien. Ihre Situation unterscheide sich nicht wesentlich von derjenigen anderer Kriegsvertriebener. Eine das Eingreifen der schweizerischen Behörde zwingend notwendig machende Notlage wäre selbst dann nicht anzunehmen, wenn die Gesuchstellenden nach Syrien zurückkehren würden.

4.2 Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Auffassung, die Gesuchstellenden befänden sich im Libanon in einer akuten Notlage. Der Gesuchsteller 1 sei aus dem Libanon weggewiesen worden und es drohe der Vollzug dieser Anordnung nach Syrien, wo die ganze Familie bedroht wäre. Die Tochter würde aufgrund gesundheitlicher Probleme medizinische Hilfe benötigen, die sich die Gesuchstellenden nicht leisten könnten.

5.

5.1 Nach dem bereits Gesagten (Erwägung 3.3 vorstehend) müssten zur Ausstellung von humanitären Visa konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen einer unmittelbaren, ernsthaften und konkreten Gefährdung der Gesuchstellenden an Leib und Leben vorliegen, welche ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich machen würde.

5.2 Eine solche Gefährdung leitet der Beschwerdeführer in erster Linie aus dem Umstand ab, dass der Gesuchsteller 1 förmlich aus dem Libanon weggewiesen worden sei und der ganzen Familie eine zwangsweise Rückführung nach Syrien drohe. Ein entsprechendes (vom Dezember 2017 datierendes) Dokument haben die Gesuchstellenden offenbar bei Antragstellung der Schweizerischen Vertretung in Beirut übergeben. Für das Bundesverwaltungsgericht besteht aber Anlass, an der Bedeutung dieses Dokumentes und den vom Beschwerdeführer gezogenen Schlüssen ernsthaft zu zweifeln. Dies aus folgenden Gründen:

5.2.1 Aus den Ausführungen der Gesuchstellerin 2 in ihrem schriftlichen Gesuch vom 3. August 2018 zu schliessen, ist sie selbst mit ihren Eltern und Geschwistern im Juni 2012 aus Syrien in den Libanon geflüchtet. Der Gesuchsteller 1, mit dem sie sich 2013 verlobt beziehungsweise verheiratet habe, habe in Syrien von Januar 2010 bis Oktober 2011 den Militärdienst geleistet und sei - nachdem er von Exponenten des Islamischen Staates (IS) immer wieder zur aktiven Unterstützung gedrängt worden sei - im Juni 2014 ebenfalls in den Libanon geflüchtet. Im Oktober 2015 sei er zur Beerdigung seiner Eltern nach Syrien zurückgekehrt und anschliessend «von einer terroristischen Organisation» während sieben Monaten im Land festgehalten worden. Dann habe er erneut flüchten können und sei 2017 «auf inoffiziellem Weg» in den Libanon zurückgekehrt. Dort habe er sich wieder bei der UNO registrieren lassen können. Wegen fehlender Aufenthaltspapiere sei er aber von den libanesischen Behörden weggewiesen worden.

5.2.2 Die Gesuchstellenden halten sich demnach schon vergleichsweise lange im Libanon auf und sie wurden dort als Flüchtlinge beim UNHCR registriert.

5.2.3 Der Gesuchsteller 1 soll nach Darstellung des Beschwerdeführers als einziger der Familie von den libanesischen Behörden Ende 2017 eine förmliche Wegweisung erhalten haben; dies, weil er nicht über einen geregelten Aufenthalt im Lande verfüge. Dies ergibt schon deshalb keinen Sinn, weil zu diesem Zeitpunkt der Bestand der Familie den libanesischen Behörden bekannt gewesen sein muss. Ebenso muss den Behörden bekannt gewesen sein, dass sich die Gesuchstellenden schon seit Jahren im Libanon aufgehalten hatten und sie vom UNHCR als Flüchtlinge registriert waren. Der Beschwerdeführer unterliess es auch, detailliert darzulegen, wie genau es zur Abgabe dieses Dokumentes gekommen sein soll. Dabei gilt es zu bedenken, dass nach den Erkenntnissen des Gerichts die grosse Mehrheit der syrischen Flüchtlinge im Libanon nicht über einen geregelten Aufenthalt verfügt und Wegweisungen von den libanesischen Behörden in aller Regel nur mündlich und in erster Linie gegen syrische Flüchtlinge ausgesprochen werden, die erst vor kurzem illegal in das Land gelangten. Die libanesischen Behörden haben seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges einen grossen Teil der Vertriebenen aufgenommen und während Jahren grundsätzlich darauf verzichtet, Betroffene zwangsweise nach Syrien zurückzuschicken. Ein gewisser Paradigmenwechsel scheint - soweit erkennbar - erst nach den letzten Wahlen im April und Mai 2019 stattgefunden zu haben. Davon betroffen sind in erster Linie syrische Staatsangehörige, die nach dem 24. April 2019 illegal in den Libanon gelangten (vgl. zum Ganzen: Urteil des BVGer F-6724/2018 vom 14. Oktober 2019 E. 5.2 m.H.).

5.2.4 Wenig überzeugend scheint auch die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach sich der Gesuchsteller 1 seit Erlass der Wegweisung in seiner Wohnung versteckt halte und Behördenkontakte meide. Aus den von den Gesuchstellenden zum Visumsgesuch eingereichten Unterlagen ist zu schliessen, dass sie über im April beziehungsweise Mai 2018 von der syrischen Vertretung in Beirut ausgestellte nationale Reisepässe verfügen. Es kann nicht angenommen werden, dass diese Reisedokumente ohne persönliche Vorsprache beim syrischen Konsulat in Beirut erhältlich gemacht werden konnten.

5.2.5 Die Glaubwürdigkeit der Gesuchstellenden beziehungsweise des Beschwerdeführers ist auch insofern in Frage zu stellen, als im Einsprache- und im Beschwerdeverfahren behauptet wurde, der Gesuchsteller 1 habe in Syrien keinen Militärdienst geleistet. Dies steht in offenem Widerspruch zu den Schilderungen der Gesuchstellerin 2 in ihrer Gesuchsbegründung vom 3. August 2018, in der sie sogar den genauen Zeitraum nannte, in dem der Gesuchsteller 1 in Syrien seinen Militärdienst geleistet habe. Überhaupt steht der Umstand, dass sich die Gesuchstellenden im Frühjahr 2018 neue heimatliche Reisepässe verschafften, im Widerspruch zur behaupteten Bedrohungssituation. Denn mit diesen Ausweisen würden sie einen Wegweisungsvollzug noch erleichtern, sollte ein solcher tatsächlich drohen.

6.
Eine rechtserhebliche Notlage will der Beschwerdeführer auch aus dem Umstand ableiten, dass das 2015 geborene Kind der Gesuchstellenden an Entwicklungsstörungen leide, die durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff bei der (vorzeitig erfolgten) Geburt ausgelöst worden seien, sich erst nach und nach manifestierten und deren adäquate Behandlung im Libanon nicht sichergestellt sei.

6.1 Einem von den Gesuchstellenden mit ihrem Visumsantrag zu den Akten gereichten Kurzbericht vom August 2018 ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Tochter nicht stehen oder gehen könne, sie medizinisch sowie physiotherapeutisch behandelt werde und dass eine Neubeurteilung nach sechs Monaten vorzunehmen sei (SEM-act. 19). Einem weiteren, bei gleicher Gelegenheit eingereichten Bericht vom 20. Februar 2018 ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass das Kind Schwierigkeiten habe, zu gehen (SEM-act. 20).

6.2 Die Gesuchstellenden sind - wie erwähnt - im Libanon beim UNHCR als Flüchtlinge registriert. Dies ermöglicht ihnen schon einmal einen gewissen rechtlichen Schutz sowie den Zugang zu grundlegenden Hilfestellungen. Kommt hinzu, dass beispielsweise die Organisation Médecins Sans Frontières (MSF) eine medizinische Grundversorgung anbietet, welche die Behandlung akuter und chronischer Krankheiten, Impfungen, Geburtshilfe und psychologischer Betreuung umfasst (vgl. dazu u.a. Urteil des BVGer F-6511/2018 vom 28. August 2019 E. 4.5; D-6605/2015 vom 18. April 2016 E. 6.3.3).

6.3 Die Gesuchstellenden bestritten denn auch nicht, dass sie in der Vergangenheit Zugang zu medizinischer Notversorgung hatten. Die in der Beschwerde nur andeutungsweise erhobene Behauptung, wonach eine solche Behandlung «mit vielen Kosten verbunden» sei, vermag so nicht zu überzeugen. Das gleiche gilt für den Einwand, wonach die Notversorgung der Tochter in Einzelfällen schon aus anderen Gründen verweigert worden sei. Diese nur pauschal erhobenen Rügen am Gesundheitssystem lassen eine Einzelfallbeurteilung nicht zu. Was mögliche weitere Bedürfnisse medizinischer Behandlung betrifft, so vermittelt die bestehende Aktenlage kein genügendes Bild über den Gesundheitszustand des Kindes sowie über allfällig erforderliche Eingriffe oder Therapien.

6.4 Soweit sich der Beschwerdeführer auf allgemein erschwerte Lebensbedingungen beruft (unzureichende finanzielle Mittel, Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit, rassistische Behandlung), so sind die Gesuchstellenden davon nicht mehr oder wesentlich anders betroffen als eine Vielzahl von sich im Libanon aufhaltenden syrischen Landsleuten. Entscheidend ist aber, dass solche erschwerten Umstände für sich allein nicht zur Annahme einer Notlage im rechtstechnischen Sinne führen können.

6.5 Gleiches gilt es im Zusammenhang mit dem Hinweis des Beschwerdeführers auf die erweiterten Familienverhältnisse festzustellen. Aus dem Umstand, dass die Eltern und Geschwister der Gesuchstellerin 2 im Rahmen eines Resettlement-Programmes in die Schweiz übersiedeln konnten und ihr selbst dies in zwei Anläufen nicht gelang, kann der Beschwerdeführer nichts für sich ableiten. Entscheidend kann auch nicht sein, dass die nun in der Schweiz lebende Mutter der Gesuchstellerin 2 unter der Trennung von der Tochter psychisch leidet.

7.
Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass sich die Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge im Libanon in vielen Belangen als schwierig erweisen und dies sicherlich auch für die Gesuchstellenden gilt. Dennoch ist in ihrem Fall nicht von Umständen auszugehen, die auf eine unmittelbare, ernsthafte und konkrete Gefährdung an Leib und Leben und damit auf eine besondere Notlage schliessen liessen, welche ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich machten.

8.
Entsprechend erfüllen die Gesuchstellenden nicht die Voraussetzungen, unter denen ihnen Visa aus humanitären Gründen ausgestellt werden könnten. Die Vorinstanz hat demnach mit der angefochtenen Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig festgestellt und angemessen entschieden (Art. 49 VwVG). Die Beschwerde ist demzufolge abzuweisen.

9.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten grundsätzlich dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1
SR 142.204 Ordonnance du 15 août 2018 sur l'entrée et l'octroi de visas (OEV)
OEV Art. 4 Conditions d'entrée pour un long séjour - 1 Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
1    Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
a  il doit, si nécessaire, avoir obtenu un visa de long séjour au sens de l'art. 9;
b  il doit remplir les conditions d'admission pour le but du séjour envisagé.
2    Dans des cas dûment justifiés, un étranger qui ne remplit pas les conditions de l'al. 1 peut être autorisé pour des motifs humanitaires à entrer en Suisse en vue d'un long séjour. C'est le cas notamment lorsque sa vie ou son intégrité physique est directement, sérieusement et concrètement menacée dans son pays de provenance.
VwVG). Diesem wurde aber für das Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne eines Verzichts auf die Auferlegung von Verfahrenskosten (Art. 65 Abs. 1 VwVG) zugesprochen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil geht an:

- den Beschwerdeführer (Einschreiben)

- die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. 20453216+20453222+20453227 zurück)

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Andreas Trommer Giulia Santangelo

Versand:
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : F-7310/2018
Date : 19 décembre 2019
Publié : 30 décembre 2020
Source : Tribunal administratif fédéral
Statut : Non publié
Domaine : Droit de cité et droit des étrangers
Objet : Humanitäres Visum


Répertoire des lois
LTAF: 31  37
LTF: 83
OEV: 4
SR 142.204 Ordonnance du 15 août 2018 sur l'entrée et l'octroi de visas (OEV)
OEV Art. 4 Conditions d'entrée pour un long séjour - 1 Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
1    Pour un long séjour, l'étranger doit remplir, outre les conditions requises à l'art. 6, par. 1, let. a, d et e, du code frontières Schengen37, les conditions d'entrée suivantes:
a  il doit, si nécessaire, avoir obtenu un visa de long séjour au sens de l'art. 9;
b  il doit remplir les conditions d'admission pour le but du séjour envisagé.
2    Dans des cas dûment justifiés, un étranger qui ne remplit pas les conditions de l'al. 1 peut être autorisé pour des motifs humanitaires à entrer en Suisse en vue d'un long séjour. C'est le cas notamment lorsque sa vie ou son intégrité physique est directement, sérieusement et concrètement menacée dans son pays de provenance.
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AS
AS 2008/5441