Geschäftsnummer BK_K 002/04

Entscheid vom 6. Juli 2004 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Hochstrasser, Vorsitz, Bundesstrafrichter Ponti und Kipfer Fasciati, Gerichtsschreiber Guidon

Parteien

A.______,

Gesuchsteller

vertreten durch Fürsprecher Beat Messerli,

gegen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,

Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Taubenstrasse 16, 3003 Bern

Gesuchsgegner

Gegenstand

Entschädigung (Art. 122 BStP)

Sachverhalt:

A. Am 22. März 1995 leitete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen B.______, den Präsidenten einer italienischen Käseimportfirma, und gegen unbekannte Personen bei der Schweizerischen Käseunion AG (nachfolgend „Käseunion“) ein. Die Ermittlungen richteten sich in der Folge gegen verschiedene in verantwortlicher Stellung bei der Käseunion beziehungsweise beim Bundesamt für Landwirtschaft tätige Personen. Auf Antrag der Bundesanwältin vom 20. Mai 1997 und gestützt auf die Ermächtigungsverfügung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 10. Juli 1996 und 8. April 1997 sowie die Vereinigungsverfügung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 13. August 1997 eröffnete die Eidgenössische Untersuchungsrichterin am 3. September 1997 die Voruntersuchung gegen C.______, B.______, A.______, D.______und E.______. Es bestand der Verdacht, dass sich diese im Zusammenhang mit Praktiken des Käseexports der ungetreuen Amtsführung, der Urkundenfälschung im Amt, der aktiven bzw. passiven Bestechung, der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der Widerhandlung gegen EU-Zollrecht schuldig gemacht haben könnten. Am 30. Juni 1999 wurde die Voruntersuchung auf F.______ ausgedehnt.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2002 teilte die Bundesanwaltschaft der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin unter Bezugnahme auf deren Schluss- sowie Ergänzungsbericht mit, dass sie gemäss Art. 120 Abs. 1 BStP von der Strafverfolgung zurücktrete, weil sich der Tatverdacht entweder nicht habe erhärten lassen oder aber die fraglichen Delikte jedenfalls teilweise verjährt wären. Am 8. April 2003 stellte die Eidgenössische Untersuchungsrichterin das Verfahren für alle in die Voruntersuchung involvierten Personen ein und auferlegte die Kosten der eingestellten Untersuchung der Bundeskasse.

B. Mit Eingabe vom 3. Februar 2003 stellte A.______ bei der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin unter anderem den Antrag zuhanden der Anklagekammer des Bundesgerichts, ihm sei eine Entschädigung von Fr. 140'283.50 für die Kosten seiner Verteidigung sowie eine Genugtuung in gerichtlich zu bestimmender Höhe auszurichten.

Die Eidgenössische Untersuchungsrichterin beantragte mit Schreiben vom 25. August 2003, A.______ sei die verlangte Entschädigung für die Verteidigungskosten auszurichten, insofern noch eine Erklärung, dass diese bisher tatsächlich von A.______ bezahlt worden seien, eingehe. Zudem stellte sie den Antrag, A.______ sei eine reduzierte Genugtuung im Betrag von Fr. 5'000.-- für die durch das Verfahren erlittenen Nachteile auszurichten.

C. Mit seiner Stellungnahme vom 30. September 2003 zum Antrag der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin brachte A.______ vor, dass die Kosten seiner Verteidigung nicht von dritter Seite übernommen worden seien. Im Übrigen sei ihm entgegen der Auffassung der Untersuchungsrichterin ein Schaden in der Höhe der mittels Honorarnote ausgewiesenen Forderung seines Verteidigers erwachsen, auch für den Fall, dass er die Forderung noch nicht beglichen hätte. Weder aus kantonalem noch aus Bundesrecht ergebe sich die Pflicht des Anwalts, Kostenvorschüsse zu verlangen, sodass bei Abschluss des Verfahrens keine oder praktisch keine Restforderung mehr bestehe.

Die Bundesanwaltschaft verzichtete auf Vernehmlassung.

Die Eidgenössische Untersuchungsrichterin hielt in ihrer Eingabe vom 10. Oktober 2003 an ihren Anträgen fest und führte aus, dass nun, da be­stätigt werde, dass die Verteidigungskosten nicht von der Käseunion und offenbar auch nicht von anderer Seite bezahlt worden seien, der Entschädigung für die Verteidigungskosten nichts entgegenstehe.

D. Gestützt auf Art. 33 und 34 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht (SGG; SR 173.71) überwies die Anklagekammer des Bundesgerichts am 1. April 2004 das Entschädigungsbegehren zur Entscheidung zuständigkeitshalber an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts.

Die Beschwerdekammer räumte der Bundesanwaltschaft in der Folge Gelegenheit ein, das ihr anstelle der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin neu von Gesetzes wegen zustehende Antragsrecht gemäss Art. 122 BStP geltend zu machen. Hiervon machte diese innert Frist keinen Gebrauch.

Mit Schreiben vom 13. April 2004 wies A.______ schliesslich auf zusätzliche Aufwendungen im Umfange von Fr. 5'000.-- seit der Gesuchseinreichung hin und ersuchte darum, diese bei der Festlegung der Parteientschädigung zu berücksichtigen. Die entsprechende Eingabe wurde sowohl dem Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt als auch der Bundesanwaltschaft zur Kenntnis gebracht.

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1. Die Anklagekammer des Bundesgerichts ist per 31. März 2004 aufgelöst worden. Gemäss Art. 33 Abs. 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 lit. b SGG ergibt sich neu die Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über das hängige Entschädigungsgesuch. Auf das Gesuch ist einzutreten.

2.

2.1 Gemäss Art. 122 Abs. 1 BStP ist dem Beschuldigten, gegen den die Untersuchung eingestellt wird, auf Begehren eine Entschädigung für die Untersuchungshaft und für andere Nachteile, die er erlitten hat, auszurichten. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch ist neben der Einstellung des Verfahrens eine gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und ein durch diese bewirkter erheblicher Nachteil, welcher vom Ansprecher zu substanziieren und zu beweisen ist (BGE 107 IV 155, 157 E. 5 m.w.H.; vgl. auch BGE 117 IV 209, 218 E. 4b). Als "andere Nachteile" im Sinne von Art. 122 BStP gelten dabei insbesondere die dem Beschuldigten entstandenen Verteidigungskosten, wenn der Beizug des Verteidigers zulässig war – was bei einem gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren und einer eidgenössischen Voruntersuchung gemäss Art. 35 Abs. 1 BStP zu jedem Zeitpunkt der Fall ist – und wenn die Kosten unmittelbar durch das Verfahren bedingt und aus Vorkehren entstanden sind, die sich bei sorgfältiger Interessenwahrung als geboten erweisen oder doch in guten Treuen verantworten lassen (BGE 115 IV 156, 159 E. 2c).

Die Entschädigung nach Art. 122 Abs. 1 BStP kann neben dem Ersatz des Schadens auch eine Geldsumme als Genugtuung umfassen, auch wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich festhält (BGE 84 IV 44, 47 E. 6). Eine immaterielle Unbill, die zu einer Genugtuung führt, kann nur gegeben sein, wenn die fraglichen Untersuchungshandlungen eine gewisse Schwere erreichen und durch sie in nicht unerheblicher Weise in die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten eingegriffen worden ist. Ein solcher Eingriff liegt namentlich vor, wenn das Verfahren und die darin erhobenen und sich später als ungerechtfertigt erweisenden Anschuldigungen in der Öffentlichkeit bekannt werden. Der zu Unrecht Beschuldigte wird dabei nach dem Erfahrungssatz, dass immer etwas "hängen bleibt", moralisch geschädigt (vgl. BGE 103 Ia 73, 74 E. 7). Auch das Erdulden einer Hausdurchsuchung und dergleichen kann zu einer Genugtuung führen (BGE 84 IV 44, 47 E. 6).

2.2 Im vorliegenden Fall leitete die Bundesanwaltschaft am 22. März 1995 wegen bestimmter Vorgänge bei der Käseunion ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren ein, in das der Gesuchsteller Ende 1996 einbezogen wurde. Die entsprechende Voruntersuchung wurde am 3. September 1997 wegen Verdachts auf ungetreue Amtsführung (Art. 314
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 314 - Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die bei einem Rechtsgeschäft die von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
StGB) und Urkundenfälschung im Amt (Art. 317
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 317 - 1. Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
1    Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.445
StGB) eröffnet. Dem Gesuchsteller wurde dabei im Wesentlichen vorgeworfen, als Direktor der mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Käseunion unwahre Beurkundungen auf offiziellen Formularen veranlasst zu haben, welche die Käseunion als vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement beauftragte Zertifizierungsstelle vorzunehmen hatte. Am 8. April 2003 stellte die Eidgenössische Untersuchungsrichterin die Voruntersuchung, welche mit diversen Einvernahmen sowie teilweise intensivem, anwaltlichem Beistand verbunden war, für alle involvierten Personen ein. Damit sind die Voraussetzungen gemäss Art. 122 Abs. 1 BStP für einen Entschädigungsanspruch hinsichtlich der Verteidigungskosten grundsätzlich erfüllt; gleiches gilt für die Zusprache einer Genugtuung, hat der Gesuchsteller doch, wie den Eingaben und Akten zu entnehmen ist, durch das Verfahren sowie insbesondere durch das Bekanntwerden der Anschuldigungen in der weiteren Öffentlichkeit eine erhebliche Verletzung seiner Ehre erlitten.

3.

3.1 Die Entschädigung kann gemäss Art. 122 Abs. 1 BStP verweigert werden, wenn der Beschuldigte die Untersuchungshandlungen durch ein verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen verschuldet oder erschwert hat. Die Beschwerdekammer ist dabei nicht an die gestellten Anträge gebunden (vgl. Urteil der Anklagekammer 8G.60/2003 vom 17. Juni 2003, E. 3), kann demgemäss auch eine Entschädigung verweigern, selbst wenn seitens des Eidgenössischen Untersuchungsrichters bzw. der Bundesanwaltschaft die Gutheissung beantragt wird. Immerhin wird die Beschwerdekammer, welche in diesem Sinne nur dem Recht verpflichtet ist (vgl. Art. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 317 - 1. Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
1    Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.445
SGG), nicht ohne triftige Gründe von den Anträgen der Bundesanwaltschaft abweichen.

3.2 Vorliegend beantragt die Untersuchungsrichterin wie erwähnt, dem Gesuchsteller sei die verlangte Entschädigung für die Verteidigungskosten und eine reduzierte Genugtuung im Betrag von Fr. 5'000.-- für die durch das Verfahren erlittenen Nachteile auszurichten. Hiermit kontrastieren allerdings die Ausführungen der Untersuchungsrichterin in ihren Eingaben vom 25. August 2003 bzw. 10. Oktober 2003, in welchen sie gegenüber dem Gesuchsteller – trotz gegenteiliger Antragsstellung – implizit einen zivilrechtlichen Vorwurf erhebt und sich eingehend zu entsprechenden „Verfehlungen“ des Gesuchstellers äussert. Letzterer sah sich denn auch aufgrund dieser Bemerkungen veranlasst, zu den entsprechenden Vorwürfen in seiner Eingabe vom 30. September 2003 Stellung zu nehmen und hatte damit Gelegenheit, sich auch im Hinblick auf eine allfällige Verweigerung bzw. Kürzung der Entschädigung zu äussern.

4.

4.1 Die Verweigerung der Entschädigung gemäss Art. 122 Abs. 1 BStP darf keine verdeckte Verdachtsstrafe sein, indem die Begründung der Kostenauflage den Eindruck vermittelt, der Beschuldigte habe sich eines Deliktes schuldig gemacht (Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel 2002, § 108 N 17 f.). Mit Blick auf die Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 32 Strafverfahren - 1 Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
1    Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2    Jede angeklagte Person hat Anspruch darauf, möglichst rasch und umfassend über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, die ihr zustehenden Verteidigungsrechte geltend zu machen.
3    Jede verurteilte Person hat das Recht, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen das Bundesgericht als einzige Instanz urteilt.
BV und Art. 6 Ziff. 2
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK dürfen deshalb nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichts einem Beschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens nur dann Kosten auferlegt werden, wenn er durch ein unter rechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 119 Ia 332, 334 E. 1b unter Bezugnahme auf den Grundsatzentscheid BGE 116 Ia 162, 168 E. 2c; vgl. zum Ganzen auch Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, N 1206 ff.; Hauser/Schweri, a.a.O., § 108 N 17 ff.; Piquerez, Procédure pénale suisse, Zürich 2000, N 3113 ff.). Bei dieser Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Beschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Prozesses verursacht wurde. In Anlehnung an die Regelung in Art. 41 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR bedarf es demgemäss für die Verweigerung der Entschädigung eines widerrechtlichen Verhaltens (nachfolgend Erwägung 4.2.1), welches adäquate Ursache für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens (Erwägung 4.2.2) und zudem schuldhaft gewesen ist (Erwägung 4.2.3).

4.2.1 Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR ist ein Verhalten dann, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung (nur diese kommt in Frage; vgl. Schmid, a.a.O., N 1206 FN 38), unter anderem aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt (BGE 119 Ia 332, 334 E. 1b; 116 Ia 162, 169 E. 2c m.w.H.). Überdies können sie ihren Ursprung in vom Bund abgeschlossenen Staatsverträgen haben, stellen diese doch verbindliches Bundesrecht dar (Ehrenzeller, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Zürich/Basel/Genf/Lachen 2002, Rz. 11 zu Art. 54
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 54 Auswärtige Angelegenheiten - 1 Die auswärtigen Angelegenheiten sind Sache des Bundes.
1    Die auswärtigen Angelegenheiten sind Sache des Bundes.
2    Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.
3    Er nimmt Rücksicht auf die Zuständigkeiten der Kantone und wahrt ihre Interessen.
BV; vgl. zum Begriff des völkerrechtlichen Vertrags im Allgemeinen Thü­rer, a.a.O., Rz. 10 zu Art. 184
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 184 Beziehungen zum Ausland - 1 Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung; er vertritt die Schweiz nach aussen.
1    Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung; er vertritt die Schweiz nach aussen.
2    Er unterzeichnet die Verträge und ratifiziert sie. Er unterbreitet sie der Bundesversammlung zur Genehmigung.
3    Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen.
BV).

Ausgangspunkt für die Prüfung der Frage, ob das Verhalten des Gesuchstellers als widerrechtlich qualifiziert werden muss, bildet im vorliegenden Fall der als Staatsvertrag und damit als Bundesrecht einzustufende Briefwechsel vom 29. und 30. Juni 1967 zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über verschiedene Zollkonzessionen (SR 0.632.290.14), in welchem für verschiedene Käsesorten Präferenzzölle vereinbart wurden. Wie dem Briefwechsel entnommen werden kann, bildete Voraussetzung der entsprechenden Konzessionen unter anderem die Einhaltung von bestimmten Mindesteinfuhrpreisen pro 100 kg. Diese sollten ab 1. Juli 1967 fortschreitend in Kraft treten und nach Ablauf einer Frist von drei Jahren, ab gleichem Datum, automatisch unter Berücksichtigung der Änderungen in den die Preisbildung für Emmentalerkäse in der Gemeinschaft bestimmenden Faktoren angepasst werden. Um zu gewährleisten, dass die zum Vorzugszoll berechtigenden Bedingungen eingehalten werden, sah die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Art. 1 Abs. 2 ihrer (mittlerweile nicht mehr rechtskräftigen) Verordnung Nr. 1767/82 vom 1. Juli 1982, welche die Verordnungen Nr. 1054/68, Nr. 1055/68 und Nr. 2965/79 ersetzte, vor, dass die fraglichen Erzeugnisse lediglich dann in den Genuss der (reduzierten) Einfuhrabschöpfungen kommen sollten, wenn eine Bescheinigung IMA 1 vorgelegt und die in der Verordnung festgesetzten Bedingungen eingehalten wurden. Die Bescheinigung war nur gültig, wenn sie ordnungsgemäss ausgefüllt und mit dem Sichtvermerk der im Anhang IV als „ausstellende Stelle“ für Emmentaler, Greyerzer, Sbrinz sowie Schmelzkäse bezeichneten Käseunion versehen wurde (vgl. Art. 5 Abs. 1). Letztere hatte dabei unter anderem zu bestätigen, „que les indications figurant ci-dessus sont exactes et conformes aux dispositions communautaires en vigueur“ und „que, pour les produits désignés ci-dessus, ne sont ni ne seront accordées a l’acheteur aucune ristourne ou prime ou autre forme de rabais qui puisse avoir pour conséquence d’aboutir à une valeur inférieure à la valeur minimale fixée à l’importation pour le produit en cause" (vgl. Ziff. 17 der Bescheinigung IMA 1). Innerhalb der Käseunion stand die Berechtigung zur Zeichnung der Bescheinigung nur bestimmten Personen zu, welche jeweils über das Bundesamt für
Aussenwirtschaft (Integrationsbureau) den verantwortlichen Stellen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften bzw. Union übermittelt werden mussten. Zeichnungsberechtigt war unbestrittenermassen auch der Gesuchsteller.

Wie die Bundesanwaltschaft in ihrem Beschluss vom 23. Dezember 2002 betreffend Rücktritt von der Strafverfolgung festhielt, standen die operativen wie administrativen Verantwortlichen der Käseunion (Direktion, Verwaltungsrat, Gremium gemäss Art. 6
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 184 Beziehungen zum Ausland - 1 Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung; er vertritt die Schweiz nach aussen.
1    Der Bundesrat besorgt die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung; er vertritt die Schweiz nach aussen.
2    Er unterzeichnet die Verträge und ratifiziert sie. Er unterbreitet sie der Bundesversammlung zur Genehmigung.
3    Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen.
KMO) seit den frühen 60er Jahren kontinuierlich unter grossem wirtschaftlichem und politischem Druck, um den im Überfluss produzierten, teuren und qualitativ hochwertigen Käse ins Ausland zu exportieren. Zu diesem Zweck wurde seitens der Käseunion die Agio-Theorie entwickelt. Diese besagte gemäss eigener Darstellung des Gesuchstellers, dass überschüssige Ware zum Einschmelzen an einen regelmässigen Bezüger von Normalware geliefert, diese Ware zum EG-Mindestpreis fakturiert, somit die Zollpräferenz beansprucht und dem Importeur die Differenz zum effektiv vereinbarten – unter dem EG-Mindestpreis liegenden – Preis zurückerstattet werden durfte (was zumindest teilweise mittels Checkeinlösungen mit Barauszahlungen in der Schweiz und damit in einer für die EG/EU nicht erkennbaren Weise erfolgte; vgl. unter anderem die Einvernahme von B.______ vom 24. Mai 1996, S. 4), sofern dessen gesamte Bezüge während eines Jahres den EG-Mindestpreis im Durchschnitt erreichten oder überstiegen (vgl. Eingabe vom 16. April 1999 an die Bundesanwaltschaft, S. 13). Auch für die Ausfuhr derartiger Agio-Ware hatten die Unterschriftsberechtigten der Käseunion jeweils in einer Bescheinigung IMA 1 die Einhaltung der zum Vorzugszoll berechtigenden Bedingungen (insbesondere des Mindesteinfuhrpreises) zu bestätigen. Alle involvierten – zum Teil nicht in die Voruntersuchung einbezogenen – Gremienvertreter, die Verwaltungsratspräsidenten und somit auch der Gesuchsteller kannten und sanktionierten diese Vorgehensweise (vgl. die entsprechenden Ausführungen im Beschluss der Bundesanwaltschaft vom 23. Dezember 2002 betreffend Rücktritt von der Strafverfolgung, S. 2).

Ob der Sinn, welchen die vorerwähnten Verantwortlichen der Käseunion den Bestimmungen des Briefwechsels vom 29. und 30. Juni 1967 mit Blick auf die Agio-Theorie beigemessen haben, zutrifft, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung eines Staatsvertrages hat dabei nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung in erster Linie vom Vertragstext auszugehen, wie ihn die Vertragsparteien nach dem Vertrauensprinzip im Hinblick auf den Vertragszweck verstehen durften (BGE 127 III 461, 465 E. 3b; 117 II 480, 486 E. 2b; 116 Ib 217, 221 E. 3a). Erscheint die Bedeutung des Textes, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie dem Gegenstand und Zweck des Vertrags ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, kommt eine über den Wortlaut hinausreichende – ausdehnende oder einschränkende – Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (BGE 127 III 461, 465 f. E. 3b; 124 I 225, 228 E. 3a).

Im vorliegenden Fall kann festgehalten werden, dass sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck des Übereinkommens eine Auslegung im Sinne der Agio-Theorie ergibt. Ebenso wenig erlaubt mit Blick auf die erhebliche Bedeutung der Frage für die EG/EU die angeblich mündlich erteilte und heute nicht mehr zweifelsfrei eruierbare Zustimmung eines Beamten in Brüssel namens G.______, der offensichtlich zwischenzeitlich verstorben ist, mit Sicherheit auf eine über den Wortlaut hinausgehende ausdehnende Auslegung im Sinne der Agio-Theorie zu schliessen (dies gilt umso mehr als beispielsweise unklar bleibt, ob G.______ über die Checkeinlösungen mit Barauszahlungen in der Schweiz informiert gewesen ist; vgl. hierzu die Einvernahme von H.______ vom 10. Juli 2001, S. 7). Damit aber muss in der auf dieser Theorie basierenden Vorgehensweise der Käseunion – zumindest ohne schriftliche Bestätigung durch die EG bzw. EU (vgl. hierzu Erwägung 4.2.3) – ein Verstoss gegen die Bestimmungen im Briefwechsel vom 29. und 30. Juni 1967 zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gesehen werden (dem entspricht, dass die Eidgenossenschaft im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Agio-Geschäfte auf Frankreich und Deutschland offensichtlich Nachzölle in der Höhe von Fr. 6'200'000.-- bzw. Fr. 2'400'000.-- und Bussen von je Fr. 500'000.-- zu bezahlen hatte [vgl. Einvernahmeprotokoll I.______ vom 24. April 2004, S. 7 sowie die entsprechende Aktennotiz]; auch der Gesuchsteller spricht in seiner Eingabe vom 16. April 1999, S. 29, von „ausgefällten Bussen“). In Anbetracht dessen, dass es der Käseunion als Zertifizierungsstelle und im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Funktion gerade auch dem Gesuchsteller oblag, die erwähnten staatsvertraglichen Bestimmungen einzuhalten, ist demgemäss von einer Verletzung schweizerischer Rechtsnormen auszugehen.

4.2.2 Ein widerrechtliches Verhalten allein reicht für die Verweigerung der Entschädigung nicht aus. Erforderlich ist zudem, dass es die adäquate Ursache für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens war. Dies trifft dann zu, wenn das gegen geschriebene oder ungeschriebene, kommunale, kantonale oder eidgenössische Verhaltensnormen klar verstossende Benehmen des Beschuldigten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung des Lebens geeignet war, den Verdacht einer strafbaren Handlung zu erwecken und damit Anlass zur Eröffnung eines Strafverfahrens zu geben oder die Durchführung des im Gange befindlichen Strafprozesses zu erschweren (BGE 116 Ia 162, 170 f. E. 1c). Dabei ist mit dem Bundesgericht zu betonen, dass eine Kostentragung nur dann in Frage kommt, wenn sich die Behörde aufgrund des normwidrigen Verhaltens des Beschuldigten in Ausübung pflichtgemässen Ermessens zur Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst sehen konnte. Jedenfalls fällt eine Auferlegung von Kosten an den Beschuldigten insoweit ausser Betracht, als die Behörde aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet hat.

Vorliegend kann festgehalten werden, dass das gegen die Bestimmungen im Briefwechsel vom 29. und 30. Juni 1967 verstossende Benehmen des Gesuchstellers geeignet war, den Verdacht auf ungetreue Amtsführung (Art. 314
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 314 - Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die bei einem Rechtsgeschäft die von ihnen zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
StGB) und Urkundenfälschung im Amt (Art. 317
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 317 - 1. Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
1    Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen oder die echte Unterschrift oder das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützen,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.445
StGB) zu erwecken. Davon, dass die Strafverfolgungsbehörden übereifrig oder pflichtwidrig eine Strafuntersuchung eingeleitet hätten, kann nicht gesprochen werden.

4.2.3 Im Weiteren setzt die Verweigerung der Entschädigung – abgesehen von Ausnahmefällen – ein im zivilrechtlichen Sinne schuldhaftes Verhalten des Beschuldigten voraus, wobei den verschiedenen Formen des Verschuldens (Vorsatz und Fahrlässigkeit) in den Vorschriften über die Verweigerung der Entschädigung bei nicht verurteilendem Verfahrensabschluss mit den Ausdrücken "leichtfertig" und "verwerflich" Rechnung getragen wird (BGE 116 Ia 162, 171 E. 2c; vgl. in diesem Sinne auch der Wortlaut von Art. 122 Abs. 1 BStP). In der Lehre wird dabei eine Unterteilung in die objektiven und die subjektiven Seiten des Verschuldens vorgenommen: Auf der objektiven Seite des Verschuldens wird Vorsatz oder Fahrlässigkeit verlangt (vgl. Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 2000, § 42 N 28). Als „verwerflich“ im Sinne von Art. 122 Abs. 1 BStP ist dabei das Verhalten desjenigen Beschuldigten zu qualifizieren, der trotzdem handelt, obwohl er weiss oder wissen müsste, dass seinem Verhalten eine Strafuntersuchung folgen muss. „Leichtfertig“ steht demgegenüber dem haftpflichtrechtlichen Begriff der groben Fahrlässigkeit am nächsten, also einem bei objektiver Betrachtungsweise als schwerwiegend zu qualifizierenden Verstoss eines Beschuldigten gegen die vom Betreffenden einzuhaltenden Sorgfaltspflichten; eine leichte Fahrlässigkeit genügt nicht (so Donatsch/Schmid, a.a.O., § 42 N 29 f., zur analogen Bestimmung in der zürcherischen Strafprozessordnung; zum Begriff der groben Fahrlässigkeit vgl. auch BSK-OR I-Schnyder, 3. Aufl., Basel 2003, Art. 41 N 49 m.w.H.). Auf der subjektiven Seite des Verschuldens bedarf es der Urteilsfähigkeit des Beschuldigten. Diese ist immer im Hinblick auf die konkreten Umstände zu beurteilen, weil die Verschiedenheit der Verhältnisse, die zu einem schädigenden Verhalten führen können, je ein anderes Mass an Einsicht erheischt. Dabei spielen vor allem die subjektiven Eigenschaften des Beschuldigten eine wichtige Rolle; hier kann die Vernachlässigung subjektiver Aspekte bei der Beurteilung der objektiven Seite des Verschuldens (Sorgfalt) gleichsam kompensiert und relativiert werden (BSK-OR I-Schnyder, a.a.O., Art. 41 N 52). Entsprechend können Alter, intellektuelle Fähigkeiten und Gemütszustand, aber auch der Beruf, die Erfahrung im
Beruf und die damit verbundenen Fachkenntnisse mit einer Erhöhung der Anforderungen verbunden sein (vgl. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Allgemeiner Teil, Band I, Zürich 1995, § 5 N 86).

Im vorliegenden Fall ist das zivilrechtliche Verschulden des Gesuchstellers, aber auch weiterer Verantwortlicher der Käseunion, zumindest im Sinne einer groben Fahrlässigkeit zu bejahen. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Käseunion die Agio-Theorie – wie vom Gesuchsteller in verschiedenen Einvernahmen geltend gemacht – von G.______ mündlich „akzeptiert erhalten“ hat bzw. dass diese von letzterem gar „vorgeschlagen“ wurde (vgl. in diesem Sinne die Einvernahme vom 18. Januar 1999, S. 20), so ist den Verantwortlichen der Käseunion und damit auch dem Gesuchsteller vorzuwerfen, angesichts der weit reichenden Implikationen dieser Theorie allein auf die mündliche Aussage G.______s abgestellt zu haben. Gerade aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung hätten sie wissen müssen, dass es sich bei der Einhaltung der zum Vorzugszoll berechtigenden Bedingungen um eine – nicht nur in politischer Hinsicht – heikle Materie handelte und dass deshalb von einer unzweifelhaften, schriftlichen Bestätigung der Agio-Theorie durch die EG bzw. EU nicht hätte abgesehen werden dürfen (nicht entschieden zu werden braucht, ob G.______ in diesem Zusammenhang überhaupt als Vertreter der EG/EU im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. b des Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [SR 0.111] hätte gelten können). Insbesondere war für die Beschuldigten erkennbar, dass ohne eine solche Be­stätigung eine rein schweizerische „Zulässigkeitserklärung“ (wie sie offensichtlich seitens des Bundesamtes für Landwirtschaft und des Bundesamtes für Aussenwirtschaft erfolgte; vgl. das Schreiben des Bundesamtes für Landwirtschaft vom 27. April 1995) aufgrund des latenten Interessenkonfliktes nicht zu genügen vermochte. Schliesslich hätte nicht nur die von J.______ (Sektionschef bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle) und H.______ (ehemaliger Personalchef und Leiter der Abteilung Finanzen/Informatik der Käseunion) gegenüber den Checkeinlösungen geübte Kritik, sondern auch die Tatsache, dass sich die Gremiumsvertreter des Eidgenössischen Finanzdepartementes jeweils weigerten, die Auflistungen über die Checkauszahlungen in der Schweiz zu unterschreiben (vgl. zum Ganzen Einvernahme von J.______ vom 23. Februar 2001 sowie von H.______ vom 10. Juli 2001), Zweifel am gewählten Vorgehen wecken müssen. Indem die Beschuldigten
nichtsdestotrotz die entsprechenden Geschäfte über Jahre hin sanktionierten, handelten sie den ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten in grober und damit im Sinne des Gesetzes leichtfertiger Weise zuwider. Dabei war es für sie voraussehbar, dass sie sich mit diesem Verhalten dem Verdacht einer Straftat aussetzen und damit ein Strafverfahren auslösen könnten. Entsprechend ist ein im zivilrechtlichen Sinne schuldhaftes Verhalten zu bejahen.

Die Tatsache, dass die Beschuldigten sich der politischen Unterstützung von höchster Seite sicher glaubten, das Unrechtsbewusstsein, in Berücksichtigung des damaligen Zeitgeistes, vollkommen fehlte, sie der Überzeugung waren, im Interesse der Schweiz zu handeln und nicht daran gedacht haben, die zu wahrenden öffentlichen Interessen zu schädigen (so die Ausführungen der Bundesanwaltschaft in ihrem Beschluss vom 23. Dezember 2002, S. 2), vermag am vorstehenden Ergebnis nichts zu ändern. Zwar fanden diese Gesichtspunkte bei der strafrechtlichen Beurteilung zu Recht Berücksichtigung. Im Rahmen der hier vorzunehmenden, zivilrechtlichen Grundsätzen folgenden Beurteilung liegt indessen ein Verschulden auch dann vor, wenn der Beschuldigte die Rechtswidrigkeit eines Erfolges oder eines Verhaltens nicht erkannt hat; ein Verschulden wird mit anderen Worten durch einen Rechtsirrtum nicht ausgeschlossen (mit überzeugender Begründung Oftinger/Stark, a.a.O., § 5 N 37 mit zahlreichen weiteren Hinweisen; vgl. auch BSK-OR I-Schnyder, a.a.O., Art. 41 N 47). Entsprechend stossen diesbezügliche Ausführungen des Gesuchstellers, soweit sie nicht die Frage der anzuwendenden Sorgfalt beschlagen, im Entschädigungsverfahren grundsätzlich ins Leere.

4.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass der Gesuchsteller in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise (d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR ergebenden Grundsätze) gegen eine Verhaltensnorm der schweizerischen Rechtsordnung verstossen und damit das Strafverfahren in leichtfertiger Weise veranlasst hat. Entsprechend ist ihm die gestützt auf Art. 122 Abs. 1 BStP anbegehrte Entschädigung der Verteidigungskosten sowie eine Genugtuung zumindest im vollen Umfange (vgl. hierzu Erwägung 5 nachstehend) zu verweigern.

5.

5.1 Hat der Beschuldigte die Untersuchungshandlungen wie hier durch ein leichtfertiges Benehmen verschuldet, so kann die Entschädigung verweigert werden (Art. 122 Abs. 1 BStP). Allerdings gilt es zu beachten, dass seine Haftung nicht weiter gehen darf, als der Kausalzusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen Verhalten und den Kosten verursachenden behördlichen Handlungen reicht (BGE 114 Ia 299, 304 E. 4a; 112 Ib 446, 455 f. E. 4 b/aa; 109 Ia 160, 163 E. 4a). Hat also der Beschuldigte nur einen Teil des Aufwandes zu verantworten, so kann er nur zu einer Teilzahlung verurteilt werden (Hauser/Schweri, a.a.O., § 108 N 23). Diese Überlegungen zur Kostenauflage müssen auch bei der Frage, in welchem Umfange einem Beschuldigten eine Entschädigung seiner Verteidigungskosten und eine allfällige Genugtuung verweigert werden kann, mutatis mutandis Anwendung finden (in diesem Sinne wohl auch Schmid, a.a.O., N 1219a, der für die analoge Bestimmung in der zürcherischen Strafprozessordnung die Möglichkeit bejaht, lediglich teilweise Schadenersatz zuzusprechen, wenn z.B. ein verwerfliches Verhalten des Freigesprochenen nur eine Teil­ursache für die Einleitung des Strafverfahrens bildete). So kann es insbesondere bei einer Strafuntersuchung, welche aufgrund ihrer aussergewöhnlich langen Dauer zu erhöhten Verteidigungskosten und/oder einer schwereren Verletzung des Beschuldigten in seinen persönlichen Verhältnissen führte, nicht angehen, diesem jegliche Entschädigung verweigern zu wollen, sofern er durch sein Verhalten die übermässige Dauer nicht selbst zu verantworten hat.

5.2 Im vorliegenden Fall bezog die Bundesanwaltschaft den Gesuchsteller Ende 1996 in das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren ein. Das nunmehr eingestellte Verfahren dauerte bis am 8. April 2003 und somit für den Gesuchsteller insgesamt mehr als sechs Jahre. Wenngleich ein unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten des Gesuchstellers bejaht werden muss (vgl. Erwägung 4 vorstehend), so kann doch nicht gesagt werden, er hätte durch dieses Benehmen Anlass zu einem derartig langen Strafverfahren gegeben (selbst die Untersuchungsrichterin anerkennt denn auch, dass das Verfahren lange gedauert hat; vgl. Stellungnahme vom 25. August 2003, S. 6). Die Länge des Verfahrens schlug sich nicht nur in erhöhten Verteidigungskosten nieder, sondern führte auch dazu, dass die Anschuldigungen gegen den Gesuchsteller, welche sich in der Folge als ungerechtfertigt erwiesen, weiterhin mediale Aufmerksamkeit erregten. Da das Verhalten des Gesuchstellers nach dem Gesagten zwar hauptsächliche, nicht aber alleinige Ursache für ein Verfahren im vorliegenden Umfang bildete, erscheint es angemessen und billig, ihn wenigstens teilweise zu entschädigen. In Würdigung sämtlicher Umstände rechtfertigt es sich dabei, ihm einen Drittel seiner Verteidigungskosten von insgesamt Fr. 145'283.50, mithin Fr. 48’427.85, sowie eine reduzierte Genugtuung von Fr. 2'000.-- zuzusprechen.

5.3 Der guten Ordnung halber ist abschliessend nochmals mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass es sich bei der teilweisen Verweigerung der Entschädigung nur (aber immerhin) um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für fehlerhaftes Verhalten, nicht aber um eine Haftung für strafrechtliches Verschulden handelt. Bezüglich letzterem wurde das Verfahren gegen den Gesuchsteller eingestellt, womit feststeht, dass er sich bezüglich der ihm vorgeworfenen Tatbestände in strafrechtlicher Hinsicht nicht schuldig gemacht hat. Dabei (nicht aber bei der hier erörterten, nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden teilweisen Verweigerung der Entschädigung sowie Genugtuung) hat es sein Bewenden.

6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Gesuchsteller eine reduzierte Gerichtsgebühr zu tragen (Art. 245
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OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
BStP i.V.m. Art. 156
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OG); diese ist auf Fr. 1'500.-- anzusetzen (Art. 3 des Reglements vom 11. Februar 2004 über die Gerichtsgebühren vor dem Bundesstrafgericht, SR 173.711.32). Die Aufwendungen des Gesuchstellers für das vorliegende Entschädigungsverfahren sind in der Honorarnote bereits berücksichtigt.

Demnach erkennt die Beschwerdekammer:

1. Das Gesuch wird teilweise gutgeheissen und die Schweizerische Bundesanwaltschaft verpflichtet, dem Gesuchsteller Fr. 48’427.85 als Entschädigung für Anwaltskosten sowie Fr. 2'000.-- als Genugtuung auszurichten. Im Übrigen wird das Gesuch abgewiesen.

2. Die reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Gesuchsteller auferlegt.

Bellinzona, 6. Juli 2004

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Fürsprecher Beat Messerli,

- Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern

- Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Taubenstrasse 16, 3003 Bern

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Entscheide der Beschwerdekammer über Zwangsmassnahmen kann innert 30 Tagen seit der Eröffnung wegen Verletzung von Bundesrecht beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden. Das Verfahren richtet sich sinngemäss nach den Artikeln 214 bis 216, 218 und 219 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (Art. 33 Abs. 3 lit. a
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
SGG).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : BK_K 002/04
Date : 06. Juli 2004
Published : 01. Juni 2009
Source : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Subject : Entschädigung (Art. 122 BStP)


Legislation register
BStP: 35  120  122  245
BV: 32  54  184
EMRK: 6
OG: 156
OR: 41
SGG: 2  28  33  34
SR 916.356.0: 6
StGB: 314  317
BGE-register
103-IA-73 • 107-IV-155 • 109-IA-160 • 112-IB-446 • 114-IA-299 • 115-IV-156 • 116-IA-162 • 116-IB-217 • 117-II-480 • 117-IV-209 • 119-IA-332 • 124-I-223 • 127-III-461 • 84-IV-44
Weitere Urteile ab 2000
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