S. 216 / Nr. 42 Erbrecht (d)

BGE 77 II 216

42. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1951 i. S. Senn und
Mitbeteiligte gegen Hasler und Mitbeteiligte.


Seite: 216
Regeste:
Mündliche letztwillige Verfügung (Art. 506
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 506 - 1 Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
1    Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
2    Zu diesem Zwecke hat er seinen letzten Willen vor zwei Zeugen zu erklären und sie zu beauftragen, seiner Verfügung die nötige Beurkundung zu verschaffen.
3    Für die Zeugen gelten die gleichen Ausschliessungsvorschriften wie bei der öffentlichen Verfügung.
ZGB). Voraussetzungen. Nahe
Todesgefahr?
Testament oral (art. 506 CC). Conditions. Danger de mort imminent?
Testamento orale (art. 506 CC). Condizioni. Pericolo di morto imminente?

A. - Jakob Hasler, Gärtnermeister in Zürich, der schon seit längerer Zeit an
Leberkrebs litt und mindestens seit dem 12. September 1944 bettlägerig war,
ersuchte am Samstag, dem 16. September 1944 seine Haushälterin Luise Zuber
(nunmehr Frau Senn), seinem Anwalte Dr. X. zu telephonieren, weil er sein
Testament machen wolle. Nachdem Hasler am 17. September Blut gebrochen hatte
und am 18. September eine neue Blutung eingetreten war, rief Luise Zuber an
diesem Tage kurz vor 12 Uhr das Büro von Dr. X. an. Dieser war bereits
weggegangen. Die Sekretärin, die das Telephon abnahm, konnte ihn zunächst
nicht erreichen. Ungefähr um 13 Uhr 45 kam er dann aufs Büro. Mit einem
Mietauto fuhren er und die Sekretärin zur Wohnung Haslers, wo sie kurz vor 14
Uhr eintrafen. Dr. X. stellte nach seiner Ankunft fest, dass Hasler zitterte,
eine schwache Hand hatte, sich nur mit Mühe und nur für kurze Zeit im Bett
aufzurichten vermochte, sich ausserstande erklärte, das Testament zu
schreiben, und von Zeit zu Zeit aus dem Munde blutete. Man schritt daher zur
Aufnahme eines mündlichen Testaments. Der Erblasser machte vor Dr. X. und der
Sekretärin genaue Angaben über die Höhe und Zusammensetzung seines Vermögens
und erklärte hierauf, wie er darüber verfüge. Mehrere Verfügungen
(insbesondere diejenigen, mit denen er seine Schwester auf den

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Pflichtteil setzte und ihr als «Zahlung» dafür eine Liegenschaft zum
Anrechnungswerte von Fr. 30000.- zuwies) traf er erst nach einlässlicher
Besprechung mit Dr. X. Schliesslich bestellte er Dr. X. zum
Testamentsvollstrecker und setzte fest, wo er zu bestatten sei und wer die
Todesanzeige unterschreiben solle. Die Sekretärin zeichnete seine Angaben und
Anordnungen stenographisch auf, übertrug dann das Stenogramm in Kurrentschrift
und las ihm das Geschriebene langsam vor. Dr. X. fragte ihn nach jedem Satze,
ob er verstanden habe und ob die Aufzeichnung richtig sei, was Hasler jedesmal
bejahte. Um 16 Uhr 15 war diese Handlung abgeschlossen. Dr. X. und die
Sekretärin begaben sich hierauf unverzüglich zum Bezirksgericht und
überreichten die von ihnen unterzeichnete vierseitige Testamentsurkunde dem
beim Einzelrichteramt für nichtstreitige Rechtssachen wirkenden Substituten.
Laut Protokoll erklärten sie dabei, die Urkunde enthalte den ihnen mündlich
mitgeteilten letzten Willen des Erblassers, und verwiesen auf Ziffer I der
Urkunde, wo es u.a. heisst, der an Leberkrebs schwer erkrankte Erblasser habe
die ganze Nacht aus dem Munde geblutet; der Arzt Dr. M. habe erklärt, er könne
jede Stunde sterben; für ein ordentliches Testament sei keine Zeit vorhanden
gewesen.
B. - Der Erblasser starb am 23. September 1944, ohne inzwischen eine andere
letztwillige Verfügung getroffen zu haben. Als gesetzliche Erben hinterliess
er eine Schwester und zwei Nichten (Töchter einer vorverstorbenen Schwester).
Diese drei Erben fochten die ihnen nachteilige mündliche Verfügung als
ungültig an, indem sie geltend machten, die Voraussetzungen des Art. 506 Abs.
1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 506 - 1 Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
1    Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
2    Zu diesem Zwecke hat er seinen letzten Willen vor zwei Zeugen zu erklären und sie zu beauftragen, seiner Verfügung die nötige Beurkundung zu verschaffen.
3    Für die Zeugen gelten die gleichen Ausschliessungsvorschriften wie bei der öffentlichen Verfügung.
ZGB für die Errichtung einer solchen Verfügung seien nicht vorhanden
gewesen, es fehle zudem an einer mündlichen «Erklärung» des letzten Willens im
Sinne von Art. 506 Abs. 2 und an der in Art. 507 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 506 - 1 Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
1    Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
2    Zu diesem Zwecke hat er seinen letzten Willen vor zwei Zeugen zu erklären und sie zu beauftragen, seiner Verfügung die nötige Beurkundung zu verschaffen.
3    Für die Zeugen gelten die gleichen Ausschliessungsvorschriften wie bei der öffentlichen Verfügung.
vorgeschriebenen
Erklärung der Zeugen über die Verfügungsfähigkeit des Erblassers, der
Substitut sei nach der zürch. ZPO zur Entgegennahme der Verfügung und der
Zeugenerklärungen nicht zuständig

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und der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung nicht verfügungsfähig
gewesen. In Übereinstimmung mit dem Bezirksgerichte Zürich hat das Obergericht
des Kantons Zürich mit Urteil vom 6. Februar 1951 die Verfügung vom 18.
September 1944 für ungültig erklärt, weil die Voraussetzungen für die
Errichtung einer mündlichen Verfügung nicht verwirklicht gewesen seien.
C. - Dieses Urteil haben sieben von den zehn testamentarisch Bedachten, gegen
welche die Klage sich gerichtet hatte, mit der vorliegenden Berufung an das
Bundesgericht weitergezogen. Die Kläger beantragen Bestätigung des
angefochtenen Urteils.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 506 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 506 - 1 Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
1    Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
2    Zu diesem Zwecke hat er seinen letzten Willen vor zwei Zeugen zu erklären und sie zu beauftragen, seiner Verfügung die nötige Beurkundung zu verschaffen.
3    Für die Zeugen gelten die gleichen Ausschliessungsvorschriften wie bei der öffentlichen Verfügung.
ZGB ist der Erblasser befugt, eine mündliche
letztwillige Verfügung zu errichten, wenn er infolge ausserordentlicher
Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder
Kriegsereignisse, verhindert ist, sich einer der andern Errichtungsformen zu
bedienen. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so darf der Erblasser nicht
mündlich testieren. Tut er es gleichwohl, so wird die Verfügung auf erhobene
Klage wegen Formmangels für ungültig erklärt (Art. 520
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 520 - 1 Leidet die Verfügung an einem Formmangel, so wird sie auf erhobene Klage für ungültig erklärt.
1    Leidet die Verfügung an einem Formmangel, so wird sie auf erhobene Klage für ungültig erklärt.
2    Liegt die Formwidrigkeit in der Mitwirkung von Personen, die selber oder deren Angehörige in der Verfügung bedacht sind, so werden nur diese Zuwendungen für ungültig erklärt.
3    Für das Recht zur Klage gelten die gleichen Vorschriften wie im Falle der Verfügungsunfähigkeit.
ZGB). Für die
Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, dass der Erblasser befugterweise eine
mündliche Verfügung errichtet hat, sind die Personen beweispflichtig, die aus
ihr Rechte ableiten (BGE 44 II 350, 48 II 34), hier also die Beklagten.
2.- Während die Vorentwürfe von 1900 und 1903 (Art. 325) und der
bundesrätliche Entwurf von 1904 (Art. 511) bei der Umschreibung der
Voraussetzungen für die Errichtung einer mündlichen Verfügung die Fälle von
naher Todesgefahr, Krankheit, Verkehrssperre, Kriegsereignissen und
dergleichen genannt hatten, macht Art. 506 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 506 - 1 Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
1    Ist der Erblasser infolge ausserordentlicher Umstände, wie nahe Todesgefahr, Verkehrssperre, Epidemien oder Kriegsereignisse verhindert, sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen, so ist er befugt, eine mündliche letztwillige Verfügung zu errichten.
2    Zu diesem Zwecke hat er seinen letzten Willen vor zwei Zeugen zu erklären und sie zu beauftragen, seiner Verfügung die nötige Beurkundung zu verschaffen.
3    Für die Zeugen gelten die gleichen Ausschliessungsvorschriften wie bei der öffentlichen Verfügung.
ZGB, dessen endgültige
Fassung in diesem Punkte auf einen Antrag der nationalrätlichen Kommission
zurückgeht (Sten.Bull. 1905 S. 1376, 1379), die Zulässigkeit dieser

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Verfügungsform davon abhängig, dass ausserordentliche Umstände vorliegen, und
nennt den Fall der Krankheit nicht als Beispiel. Daraus ist jedoch nicht zu
schliessen, dass die Anwendung von Art. 506 überhaupt nicht durch eine
Krankheit des Erblassers gerechtfertigt werden könne. Eine solche Krankheit
kann vielmehr die Errichtung eines mündlichen Testaments erlauben, wenn sie
eine nahe Todesgefahr oder - was mit gleichem Rechte als ausserordentlicher
Umstand im Sinne von Art. 506 gewürdigt zu werden verdient - die nahe Gefahr
des Verlustes der Fähigkeit begründet, rechtsgültig zu testieren. Dieser
Auffassung waren unverkennbar auch die beiden Referenten im Nationalrat (Huber
und Rossel); denn nur damit lässt sich widerspruchslos erklären, dass sie die
Krankheit als Anwendungsfall des mündlichen Testaments erwähnten (Sten.Bull.
1905 S. 1382, 1384), obwohl die aus den Beratungen der Kommission
hervorgegangene, von ihnen gebilligte Fassung des Gesetzes den Fall der
Krankheit nicht mehr erwähnt. Ob die nahe Todesgefahr infolge einer akuten
Erkrankung oder einer plötzlichen Verschlimmerung des Krankheitszustandes oder
aber infolge allmählicher Schwächung durch eine langsam fortschreitende
Krankheit eintritt, spielt keine Rolle. Eine solche Unterscheidung zu treffen,
verbietet sich um so eher, als der Nationalrat einen Antrag (von Brosi)
abgelehnt hat, der darauf abzielte, die infolge langer Krankheit entstandene
Todesgefahr als unbeachtlich zu erklären (Sten.Bull. 1905 S. 1390 f.).
Dem Falle, dass der Erblasser infolge naher Todesgefahr usw. verhindert ist,
sich einer andern Errichtungsform zu bedienen, hatte der Vorentwurf von 1900
den Fall gleichgestellt, dass ihm dies ausserordentlich erschwert ist. Auf
Antrag von Planta beschloss die Expertenkommission, diesen Zusatz zu streichen
(Prot. Exp.komm., Originalausgabe Bd. II S. 156, Ausgabe Kümmerly & Frey Bd.
I-II S. 600). Planta befürchtete, bei der Anwendung dieses Requisits, dessen
Vorliegen schwer zu konstatieren sei, könnte sich eine sehr divergierende
kantonale Praxis entwickeln,

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und nahm an, durch die Beibehaltung der Exemplifikation werde der Begriff
(gemeint: der Begriff der Verhinderung) vor allzu enger Auslegung geschützt.
Der Referent (Huber) hielt die von Planta beantragte Abänderung «nicht für
weittragend, da man so wie so die Verhinderung relativ interpretieren müsse».
in der Tat darf als Voraussetzung für die Errichtung eines mündlichen
Testaments nicht eine absolute Verhinderung in dem Sinne gefordert werden,
dass sich selbst nachträglich, auf Grund der dem Richter bei Beurteilung einer
Ungültigkeitsklage bekannten Verhältnisse, keine Möglichkeit für die Benutzung
einer andern Testamentsform erkennen lässt. Vielmehr muss auf die Verhältnisse
abgestellt werden, wie sie sich dem Erblasser und seiner Umgebung zur Zeit der
Testamentserrichtung darboten. Dies gilt namentlich für die Beantwortung der
Frage, ob eine nahe Todesgefahr oder die nahe Gefahr des Verlustes der
Verfügungsfähigkeit den Erblasser daran gehindert habe, in einer andern Form
als mündlich zu testieren. Es kann nicht darauf ankommen, ob die Befürchtung,
die zur Errichtung des mündlichen Testaments Anlass gab, durch die
nachfolgende Entwicklung der Dinge gerechtfertigt wird, d.h. ob der Erblasser
kurz darauf wirklich stirbt oder verfügungsunfähig wird, oder ob das nicht der
Fall ist und hinterher (auf Grund später bekannt gewordener Umstände)
festgestellt werden kann, dass der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung
noch die Möglichkeit gehabt hätte, in anderer Form zu verfügen. Der Erblasser
könnte sich sonst kaum je zuverlässig Rechenschaft davon geben, ob eine Gefahr
vorliege, die ihm die Errichtung einer mündlichen Verfügung erlaubt. Dass Art.
506 nicht eine Gefahr verlangt, die sich alsbald verwirklicht, ergibt sich
zudem aus Art. 508, wo der Fall vorgesehen ist, dass es dem Erblasser
nachträglich möglich wird, sich einer andern Verfügungsform zu bedienen, und
bestimmt wird, dass die mündliche Verfügung (erst) nach 14 Tagen, von diesem
Zeitpunkt an gerechnet, ihre Gültigkeit verliert. Anderseits kann aber

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auch nicht angenommen werden, es genüge für die Anwendung von Art. 506, dass
der Erblasser oder andere Personen zur Zeit der Testamentserrichtung glauben,
er sei infolge naher Todesgefahr oder eines andern nach dieser Bestimmung
beachtlichen Umstands verhindert, anders als mündlich zu testieren. Eine
solche Auslegung liesse sich mit dem Gesetzestext, der schlechtweg von
Verhinderung spricht, nicht vereinbaren. Die Anwendung der mündlichen
Verfügung, die nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nur ausnahmsweise
zulässig sein soll, würde zudem bei solcher Auslegung praktisch weitgehend dem
Gutfinden der Beteiligten anheimgestellt. Es darf daher weder eine rein
objektive noch eine rein subjektive Bewertung der Lage als massgebend
angesehen werden. Dass der Erblasser infolge naher Gefahr des Todes oder des
Verlustes der Verfügungsfähigkeit verhindert gewesen sei, anders als mündlich
zu verfügen, ist dann zu bejahen, wenn die beteiligten Personen auf Grund der
Umstände, die ihnen zur Zeit der Testamentserrichtung bekannt waren, nach der
Lebenserfahrung guten Grund zur Annahme hatten, dass eine solche Gefahr
bestehe und dem Erblasser die Errichtung eines ordentlichen Testamentes
verunmögliche. Bei der Prüfung der Frage, ob genügender Grund zu dieser
Annahme vorgelegen habe, wird der Richter eine gewisse Strenge walten lassen
müssen, um dem mündlichen Testament den Charakter eines ausserordentlichen
Behelfs zu wahren.
Ob die Gefahr als eine «nahe» anzusprechen sei, ist nicht nach einem absoluten
Masstab zu beurteilen, sondern es kommt darauf an, ob im Zeitpunkte der
Testamentserrichtung mit gutem Grunde angenommen werden durfte, der Tod oder
die Verfügungsunfähigkeit werde so rasch eintreten und die Errichtung eines
ordentlichen Testaments so viel Zeit beanspruchen, dass der Erblasser seine
Verfügung nicht mehr anders als in mündlicher Form errichten könne. - Ob er
schon in einem frühern Zeitpunkte, da die Benutzung einer andern Form noch

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möglich gewesen wäre, zur Errichtung seines Testaments Anlass gehabt hätte,
ist unerheblich.
Verhindert, «sich einer der andern Errichtungsformen zu bedienen», ist der
Erblasser nur dann, wenn er weder eine öffentliche Verfügung (mit oder ohne
Lesen und Unterschrift des Erblassers) noch eine eigenhändige Verfügung
errichten kann (BGE 44 II 350, 45 II 370, 48 II 34, 50 II 48 /49). Das
Hindernis braucht nicht mit Bezug auf alle diese Formen das gleiche zu sein.
Kann z. B. der in Todesgefahr schwebende Erblasser infolge eines Gebrechens,
das unabhängig von den Ursachen dieser Gefahr besteht, nicht schreiben, so
darf er mündlich testieren, wenn die Gefahr der Errichtung eines öffentlichen
Testaments im Wege steht.
3.- Nach diesen Grundsätzen lässt sich die Anwendbarkeit von Art. 506 Abs. 1
im vorliegenden Falle nicht deswegen verneinen, weil der Erblasser trotz
seiner schweren Krankheit mit der Errichtung seines Testamentes zuwartete, bis
am 18. September 1944 um 14 Uhr sein Anwalt bei ihm erschien. War er in diesem
Zeitpunkt infolge naher Todesgefahr verhindert, ein ordentliches Testament zu
errichten, so durfte er mündlich testieren, auch wenn ein Mangel an Vorsorge
schuld daran war, dass er sich dieses Notbehelfs bedienen musste. Es kommt
also nicht darauf an, ob er gut daran getan hätte, statt seines Anwalts eine
für die Errichtung eines öffentlichen Testaments zuständige Urkundsperson, d.
h. einen Notar (§ 436 der zürch.ZPO), rufen zu lassen. Ebensowenig ist von
Belang, ob sein Anwalt, nachdem ihm die Sekretärin die telephonische Meldung
von Luise Zuber ausgerichtet hatte, unverzüglich einen Notar in die Wohnung
des Erblassers hätte kommen lassen sollen, wie die Vorinstanz annimmt.
Auf Grund ihrer Feststellungen über den Zustand, in dem sich der Erblasser bei
der Ankunft des Anwalts befand, hat die Vorinstanz mit Recht angenommen, dass
er damals nicht mehr imstande gewesen sei, ein eigenhändiges Testament zu
errichten. Näherer Prüfung bedarf nur

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die Frage, ob er auch an der Errichtung eines öffentlichen Testaments,
namentlich eines solchen im Sinne von Art. 502
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 502 - 1 Wenn der Erblasser die Urkunde nicht selbst liest und unterschreibt, so hat sie ihm der Beamte in Gegenwart der beiden Zeugen vorzulesen, und der Erblasser hat daraufhin zu erklären, die Urkunde enthalte seine Verfügung.
1    Wenn der Erblasser die Urkunde nicht selbst liest und unterschreibt, so hat sie ihm der Beamte in Gegenwart der beiden Zeugen vorzulesen, und der Erblasser hat daraufhin zu erklären, die Urkunde enthalte seine Verfügung.
2    Die Zeugen haben in diesem Falle nicht nur die Erklärung des Erblassers und ihre Wahrnehmung über seine Verfügungsfähigkeit zu bezeugen, sondern auch mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass die Urkunde in ihrer Gegenwart dem Erblasser vom Beamten vorgelesen worden sei.
ZGB (ohne Lesen und
Unterschrift des Erblassers) verhindert gewesen sei.
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist nicht bewiesen, dass
der behandelnde Arzt der Haushälterin bei einem Besuch am Vormittag des 18.
September 1944 erklärt habe, der Zustand des Erblassers habe sich
verschlimmert, und es müsse jeden Moment mit seinem Ableben gerechnet werden,
sondern kann nur als bewiesen betrachtet werden, dass der Arzt zwei Tage
später den Erblasser auf die Verschlimmerung seines Zustands aufmerksam machte
und ihm riet, seine Angelegenheiten zu ordnen. Die Beweiswürdigung, auf der
diese Feststellungen beruhen, kann vom Bundesgericht als Berufungsinstanz
nicht überprüft werden. Wenn die Vorinstanz den Antrag der Beklagten abgelehnt
hat, gewisse Zeugen nochmals zu verhören, so geschah dies teils aus Gründen
des kantonalen Prozessrechts, teils auf Grund einer Vorauswürdigung der nach
Ansicht der Beklagten bei einem neuen Verhör zu erwartenden Aussagen, gegen
die von Bundesrechts wegen nichts einzuwenden ist.
Gab nicht (wie es im Falle BGE 65 II 49 ff. zutraf) eine ärztliche
Feststellung zur Befürchtung Anlass, dass der Tod des Erblassers nahe
bevorstehe, so kann sich nur noch fragen, ob den Beteiligten ihre eigenen
Beobachtungen und ihre Kenntnis von der Natur der Krankheit des Erblassers
genügenden Grund zu dieser Befürchtung gaben. Die Situation, die der Anwalt
und dessen Sekretärin bei ihrem Erscheinen antrafen, war beunruhigend.
Blutungen erfolgten aber immerhin nur von Zeit zu Zeit und offenbar ohne
Heftigkeit. Der Erblasser zeigte sich nach den Feststellungen der Vorinstanz
noch kräftig genug, um bei der Testamentserrichtung mit einer gewissen
Umständlichkeit vorzugeben. Er gab über sein Vermögen viel einlässlicher
Auskunft, als dies nötig war. Er war ferner in der Lage, die zu treffenden
Anordnungen zuerst, zum Teil

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ausführlich, mit seinem Anwalte zu besprechen und auch nebensächliche Punkte
zu ordnen wie z. B. die Frage, welche Behörde die Aufsicht über die zu
errichtende Stiftung ausüben und wer die Todesanzeige unterschreiben solle.
Ein Notar hätte, wie die Vorinstanz weiter feststellt, telephonisch sehr rasch
herbeigerufen werden können. An dieser Möglichkeit zu zweifeln, hatten der
Erblasser und die Zeugen keinen Anlass, da die kritischen Vorgänge sich
während der gewöhnlichen Geschäftszeit in einer Stadt abspielten, wo
zahlreiche Transportmittel zur Verfügung standen. Die für die Errichtung eines
öffentlichen Testaments erforderlichen Zeugen waren in der Person des Anwalts
und der Sekretärin zur Stelle. Die Besprechungen zwischen dem Erblasser und
dem Anwalte, die der Kundgabe des letzten Willens vorausgingen, hätten auch
der Errichtung eines öffentlichen Testamentes gedient. Unter diesen Umständen
konnte die Vorinstanz ohne Bundesrechtsverletzung annehmen, es habe kein
genügender Grund zur Befürchtung bestanden, dass der Erblasser vor Ablauf der
für die Errichtung eines öffentlichen Testaments nötigen Zeit sterben oder die
Verfügungsfähigkeit verlieren werde. An dieser Schlussfolgerung ändert sich
auch nichts, wenn man berücksichtigt, dass die Errichtung eines öffentlichen
Testaments den Erblasser deswegen etwas länger in Anspruch genommen hätte als
die Errichtung eines mündlichen, weil bei der Errichtung eines öffentlichen
Testaments das Vorlesen der Urkunde und die Erklärung des Erblassers', dass
sie seinen Willen enthalte, zum Errichtungsakt gehören (Art. 502), wogegen die
in Art. 507 vorgeschriebene Beurkundung der mündlichen Verfügung nicht
notwendig zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen muss. Die streitige Verfügung
ist somit ungültig.
Demnach erkennt das Bundesgericht.'
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 6. Februar 1951 bestätigt.