S. 371 / Nr. 70 Obligationenrecht (d)

BGE 54 II 371

70. Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Oktober 1928 i.S. Grimm gegen Kanton
Schwyz & Gen.

Regeste:
Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB: Die Frage der Haftbarkeit eines Kantons für seine Organe der
Automobilkontrolle beurteilt sich nach öffentlichem Recht (Erw. 1).
Art. 61
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
OR: Abweichende Regelung der Beamtenverantwortlichkeit durch die
Kantone. Ausschliessliche Anwendbarkeit der kantonalrechtlichen Bestimmungen
(Erw. 2).

A. - Am 24. November 1925, abends, überfuhr H. Inglin, Automechaniker in Bäch
(Kt. Schwyz) mit seinem Automobil (Marke «Presto») den Kläger Grimm in
Schlieren und verletzte ihn schwer. Das gegen Inglin eröffnete Strafverfahren
wurde eingestellt, da der Angeklagte vor Abschluss desselben starb. Eine
zivilrechtliche Haftbarmachung des Urhebers des Unfalles oder seiner Erben war
aussichtslos, weil Inglin bei seinem Ableben völlig mittellos war. Die
Automobilkontrolle des Kantons Schwyz hatte ihm seinerzeit eine
Verkehrsbewilligung für sein Personenautomobil Marke «Mathys» erteilt. Was die
in Art. 11 des Automobilkonkordates vom 7. April 1914 vorgeschriebene
Haftpflichtversicherung anbetrifft, so hatte Inglin bei der Behörde sich
darüber

Seite: 372
ausgewiesen, dass sein Versicherungsantrag von der Schweizerischen
Unfallversicherungsgesellschaft Winterthur angenommen war. Allein dieser
Antrag fiel in der Folge dahin, weil der Antragsteller die erste Prämie nicht
bezahlte. Ein Leumundszeugnis (Art. 12 des Konkordates) wurde von Inglin, der
wegen Diebstahle, Hehlerei und Bannbruches vorbestraft war, nicht verlangt.
B. - Am 22. März 1927 erhob Grimm beim Bezirksgericht Schwyz Klage gegen den
Kanton Schwyz und dessen Beamte der Automobilkontrolle, nämlich Regierungsrat
Sidler, als Vorsteher des kant. Polizeidepartements und Polizeifeldweibel
Birchler, als Chef der Automobilkontrolle, mit den Begehren, es seien die
Beklagten solidarisch zu verpflichten, ihm zu bezahlen 33395 Fr. nebst 5% Zins
seit 22. Februar 1926, sowie 20 Fr. 40 Cts. Betreibungskosten, eventuell 13638
Fr. 20 Cts. nebst 5% Zins und Betreibungskosten, sowie eine monatliche,
vorauszahlbare Rente von 120 Fr. ab 1. Dezember 1926 auf Lebenszeit.
C. - Beide kantonalen Instanzen haben die Klage wegen mangelnden
Kausalzusammenhanges abgewiesen, das Kantonsgericht Schwyz mit Urteil vom 10.
Juli 1928.
D. - Hiegegen richtet sich die Berufung des Klägers mit den Anträgen auf
Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur
Beweisergänzung, eventuell auf Gutheissung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Es erhebt sich zunächst die Frage, ob die Klage gegen den Kanton Schwyz
einen zivil- oder einen öffentlichrechtlichen Anspruch betreffe. Streitig ist
die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit des Staates für ein angeblich
schuldhaft rechtswidriges Verhalten seiner Organe (der Beamten der
Strassenpolizei). Nun ist zwar die Haftung der juristischen Personen (zu denen
auch

Seite: 373
der Staat gehört) für das Verhalten ihrer Organe allgemein in Art. 55
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
1    Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
2    Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.
3    Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich.
ZGB
geordnet. Für die öffentlichrechtlichen Körperschaften behält jedoch Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.

ZGB ausdrücklich das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vor. Nach
feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichts bezieht sich dieser Vorbehalt
nicht nur auf die internen Verhältnisse dieser Körperschaften, sondern auch
auf die Haftungsverhältnisse nach aussen, Dritten gegenüber, soweit es sich
wenigstens um die Verantwortlichkeit aus öffentlichrechtlichen Funktionen und
nicht um Verhältnisse handelt, in denen das Gemeinwesen zum Bürger wie ein
gewöhnlicher Privater als gleichgeordnetes Rechtssubjekt in Beziehung tritt
(vgl. BGE 41 II 60 ff., 569; 42 II 614; 47 II 46, 47 II 503; 48 II 417 f.; 49
II 261
, 49 II 266 f.).
Letztere Voraussetzung trifft hier indessen nicht zu. In Frage stehen vielmehr
spezifische, von kantonalen Beamten in Ausübung der staatlichen Polizeihoheit
über die Strassen vorgenommene Amtshandlungen, so dass auch die daraus
allfällig erwachsende Schadenshaftung des Staates dem Gebiete des öffentlichen
Rechts angehört.
Kommt demnach aber auf die Frage der Haftbarkeit des Kantons Schwyz für seine
Organe der Automobilkontrolle das eidgenössische Zivilrecht nicht zur
Anwendung, so kann auf die Berufung in diesem Punkte nicht eingetreten werden.
2.- In zweiter Linie richtet sich die Klage gegen die Organe des Staates, d.h.
gegen die beteiligten Beamten selber, deren persönliche Verantwortlichkeit
sich nur aus einem deliktischen Verhalten ergeben kann.
Gemäss Art. 61
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
OR können der Bund und die Kantone über die Pflicht von
öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer
amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen, auf dem Wege der
Gesetzgebung besondere, von den Vorschriften des Obligationenrechts über die
Haftung aus unerlaubter

Seite: 374
Handlung (Art. 41 ff.) abweichende Bestimmungen aufstellen. Wenn darnach ein
Kanton eine besondere gesetzliche Ordnung der Beamtenverantwortlichkeit
trifft, so kommen deren Bestimmungen ausschliesslich zur Anwendung, ohne
Rücksicht auf das eidgenössische Recht. Auch soweit die kantonale Regelung auf
Vorschriften des OR über die Deliktsobligationen verweist, sind dieselben als
Bestandteil des kantonalen Rechts anzusehen (vgl. BGE 47 II 502, 47 II 559; 48
II 419
; 53 II 368). In diesem Sinne wurde übrigens auch Art. 64
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 64 - Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste.
aOR, der mit
Art. 61
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
rev. OR im wesentlichen übereinstimmte, stets ausgelegt (vgl. BGE 32
II 764
; 35 II 380). Die Kantone sind berechtigt, die in Frage stehende Haftung
strenger zu ordnen; sie können sie aber auch gegenüber den Grundsätzen des
schweizerischen OR erleichtern (vgl. BGE 49 II 436). Obschon also z.B. das
Obligationenrecht die Haftung aus unerlaubter Handlung schon bei leichter
Fahrlässigkeit eintreten lässt, kann ein Kanton dessenungeachtet die
Verantwortlichkeit seiner Beamten und Angestellten für rechtswidriges
Verhalten auf Absicht und grobe Fahrlässigkeit beschränken.
Nun hat der Kanton Schwyz die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und
Angestellten in § 234 seines Einf. Ges. zum ZGB geregelt. Darnach haften «die
Richter und anderen Gerichtspersonen, sowie die Mitglieder und Angestellten
der Verwaltungsbehörden von Kanton, Bezirk und Gemeinde den Privaten für den
in Ausübung ihres Amtes durch Arglist oder grobe Fahrlässigkeit
herbeigeführten Schaden, es sei denn, dass der Verletzte den Schaden durch
Anwendung von Rechtsmitteln hätte gutmachen können und er dies unterlassen
hat.» Da die vorliegende Klage zweifellos einen Schaden betrifft, der von
Mitgliedern der Verwaltungsbehörden einem Privaten zugefügt worden sein soll,
so ist nach dem Gesagten diese kantonale Gesetzesbestimmung ausschliesslich
massgebend. Tatsächlich haben auch beide kantonalen Instanzen darauf
abgestellt. Das

Seite: 375
kantonsgerichtliche Urteil kann daher auch insoweit im Berufungsverfahren
nicht angefochten werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.