Urteilskopf

101 IV 103

28. Urteil des Kassationshofes vom 23. Januar 1975 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Ziltener.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 103

BGE 101 IV 103 S. 103

A.- Am 29. März 1974 hat das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt Siegfried Ziltener wegen fahrlässiger Tötung, fortgesetzter grober Verletzung von Verkehrsregeln, Fahren in angetrunkenem und übermüdetem Zustand, Unfallflucht und versuchter Vereitelung einer Blutprobe zu 18 Monaten Gefängnis und Fr. 1'000.-- Busse verurteilt. Es gewährte ihm den bedingten Strafvollzug unter Auferlegung einer Probezeit von vier Jahren und der Weisung, während 2 Jahren kein Auto zu führen.
B.- Auf Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin wies der Kassationshof am 4. Juli 1974 die Vorinstanz an, Ziltener den bedingten Strafvollzug zu verweigern. Diese Rückweisung nahm das Appellationsgericht im neuen Urteil vom 24. September 1974 nicht nur zum Anlass, die Gefängnisstrafe unbedingt vollziehen zu lassen, sondern es setzte die Strafe auch auf 12 Monate Gefängnis herab und nahm von einer Busse Umgang.
C.- Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, das Urteil des Appellationsgerichtes vom 24. September 1974 sei aufzuheben, soweit es abgesehen von der Verweigerung
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des bedingten Strafvollzuges das Strafmass herabsetzte.
Ziltener beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das Appellationsgericht führt aus, in Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde habe das Bundesgericht die Sache an das Appellationsgericht zurückgewiesen, damit es "dem Beschwerdegegner den bedingten Strafvollzug verweigere". Ohne dies in seinen Erwägungen oder im Urteilsdispositiv ausdrücklich zu erwähnen, habe das Bundesgericht damit den Entscheid des Appellationsgerichts vom 29. März 1974 vollumfänglich aufgehoben. Dies ergebe sich schon daraus, dass mit dem bedingten Vollzug auch die darauf beruhende Weisung dahinfallen müsse. Das Urteil des Bundesgerichts erwähne allerdings auch diesen Umstand nicht, was nur dahin verstanden werden könne, dass das Appellationsgericht das Urteil vollständig neu zu fassen habe. Im übrigen entspreche die Aufhebung des ganzen Urteils nicht nur dem Antrag des Staatsanwalts vor Bundesgericht, sondern auch der kassatorischen Funktion der Nichtigkeitsbeschwerde überhaupt: Die Aufhebung sei die von Art. 277ter Abs. 1 OG ausdrücklich vorgesehene Folge im Falle einer Kassation. Bei seinem neuen Entscheid sei das Appellationsgericht einzig hinsichtlich der Verweigerung des bedingten Strafvollzugs an die rechtliche Begründung des Bundesgerichts gebunden (Art. 277ter Abs. 2 OG), im übrigen aber in seiner Entscheidung frei. Das müsse so sein, denn Höhe der Strafe und Art des Vollzugs ständen in einem derart engen Zusammenhang, dass sie nicht voneinander getrennt beurteilt werden könnten, auch wenn in der Theorie etwa andere Auffassungen vertreten würden. Es könne kein Zweifel darüber bestehen, dass das Appellationsgericht bei Ausfällung einer unbedingten Strafe im nun kassierten Urteil diese wesentlich niedriger angesetzt hätte. Dem materiell urteilenden Gericht müsse deshalb unter allen Umständen das Recht vorbehalten bleiben, die durch den Kassationsentscheid nötig gewordene Anpassung vorzunehmen.
2. Der Kassationshof darf nicht über die Anträge des Beschwerdeführers hinausgehen (Art. 277bis Abs. 1 BStP), d.h. den Entscheid der kantonalen Behörde nicht in unangefochten gebliebenen Punkten überprüfen und die kantonale
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Behörde nicht anweisen, ihn weitergehend abzuändern als der Beschwerdeführer beantragt. Mit Rücksicht auf dieses Verbot muss die Beschwerdeschrift nach Art. 273 Abs. 1 lit. a BStP die Angabe, welche Punkte des Entscheides angefochten werden, und die Anträge enthalten (BGE 77 IV 60, BGE 87 IV 102). Hält der Kassationshof die Beschwerde im Strafpunkt für begründet, so hebt er den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurück (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Das besagt nichts weiter als dass die Nichtigkeitsbeschwerde im Falle der Gutheissung zur Aufhebung des kantonalen Urteils führt, nicht zu eigener Entscheidung des Bundesgerichts in der Sache selbst (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege S. 569). Die kassatorische Funktion der Nichtigkeitsbeschwerde ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive zu beachten sind.
Gemäss Art. 277ter Abs. 2 BStP muss die kantonale Behörde, an die der Kassationshof eine Sache zu neuer Entscheidung zurückweist, dem neuen Urteil die rechtliche Begründung der Kassation zugrundelegen. Die Kassation nach Bundesrecht hat nicht den Zweck, den ganzen Strafprozess auf einen neuen Boden zu stellen, sondern sie hat nur die unrichtige rechtliche Auffassung, von der der Vorderrichter ausgegangen ist, zu korrigieren. Die kantonale Behörde darf deshalb nicht frei urteilen, als ob überhaupt kein Urteil gefällt worden wäre. Sie hat sich vielmehr auf das zu beschränken, was durch die Weisung des Kassationshofes als Gegenstand der neuen Entscheidung umschrieben wurde. Die Weisung grenzt den Gegenstand des Prozesses endgültig ab, um diesen einer raschen Erledigung zuzuführen und auch die Beteiligten gegen nachteilige Weiterungen des Verfahrens zu schützen. Der kantonale Richter, an den zurückgewiesen wird, ist somit nach Art. 277ter Abs. 2 BStP verpflichtet, seine Entscheidung auf den Gegenstand der ersten Nichtigkeitsbeschwerde und des daran anschliessenden Kassationsurteils zu beschränken und sich innert dieses Rahmens an die ihm erteilte Weisung zu halten. Die Entscheidung des Bundesgerichts wird gemäss Art. 38 OG mit der Ausfällung rechtskräftig, und an der Rechtskraft nehmen deshalb auch die Weisungen teil, die der kantonalen Instanz im Entscheid erteilt werden. Daraus folgt, dass die Weisungen nicht nur die kantonale Behörde, sondern auch das Bundesgericht selber binden. Der Kassationshof kann daher, wenn gegen das neue Urteil der kantonalen Behörde
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Nichtigkeitsbeschwerde geführt wird, auf seine Weisungen nicht mehr zurückkommen; insoweit hat er das neue Urteil nur daraufhin zu überprüfen, ob es im Rahmen der erteilten Weisungen bleibt (BGE 80 IV 141, BGE 85 IV 211, 92 IV 23, Urteil Meyer vom 23. Dezember 1960; zum analogen Art. 66 Abs. 1 OG: BGE 83 II 550, BGE 85 III 123, BGE 90 II 308; für das staatsrechtliche Verfahren: BGE 92 I 508, BGE 100 Ia 30).
3. Der einzig beschwerdeführende Staatsanwalt hatte in seiner ersten Beschwerde nur die Gewährung des bedingten Strafvollzugs angefochten. In Gutheissung der Beschwerde hatte der Kassationshof dementsprechend der Vorinstanz ausschliesslich die Weisung erteilt, den bedingten Strafaufschub zu verweigern. Darauf hatte sie sich zu beschränken. Dass mit der Verweigerung des bedingten Strafvollzugs auf diesem beruhende Weisungen wegfallen, ist selbstverständlich. Indem die Vorinstanz in ihrem neuen Entscheid über die Weisung des Kassationshofes hinausging und die Strafe neu bemass, verstiess sie gegen Bundesrecht. Die Auffassung der Vorinstanz, die Verweigerung oder Gewährung des bedingten Strafvollzugs sei ein Strafzumessungsgrund, findet im StGB, das in den Art. 63-68 die Strafzumessungsgründe und -regeln abschliessend aufführt (vgl. BGE 95 IV 61), keine Stütze (Urteil Härtner vom 11. November 1971). Sie behauptet das selber nicht, sondern macht geltend, die Höhe der Strafe und die Art des Vollzuges ständen in einem derart engen Zusammenhang, dass sie nicht voneinander getrennt beurteilt werden könnten, ausser in der Theorie. Dass getrennte Beschlussfassung über Strafmass und bedingten Strafvollzug auch in der Praxis durchaus möglich ist, zeigt indessen allein schon § 188 Abs. 1 StPO-BS, der vorschreibt, dass die Abmehrung darüber, ob eine Verurteilung bedingt zu erfolgen habe, erst vorzunehmen ist, wenn über die Höhe der Strafe Beschluss gefasst ist. Wenn übrigens die These der Vorinstanz von der Unteilbarkeit der Strafzumessung und des Entscheids über den bedingten Strafvollzug zuträfe, so würde sie auch für den Kassationshof gelten. Dann würde das Fehlen einer Weisung über das Strafmass in seinem Urteil bedeuten, dass er stillschweigend eine 18monatige Gefängnisstrafe auch bei unbedingtem Vollzug als angemessen erachtete. Daran wäre die Vorinstanz wiederum gebunden, selbst wenn der Kassationshof sich versehentlich
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zum Strafmass nicht geäussert hätte (BGE 80 IV 143, BGE 85 IV 212).
4. Die Vorinstanz hat somit im Sinne des bundesgerichtlichen Urteils vom 4. Juli 1974 zu entscheiden, d.h. dem Beschwerdegegner den bedingten Strafvollzug zu verweigern und im übrigen ihr Urteil vom 29. März 1974 unverändert zu belassen.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.