100 Ia 28
5. Urteil vom 3. April 1974 i.S. Bachofner gegen Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau.
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 1. Die Motive der staatsrechtlichen Urteile als verbindliche Weisungen an den kantonalen Richter (Erw. 2).
- 2. Die Prüfung eines Ausstands- oder Ablehnungsbegehrens darf der Richter nicht von einer Sicherstellung der diesbezüglichen Kosten abhängig machen (Erw. 3).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; avance des frais.
- 1. Caractère obligatoire pour le juge cantonal des considérants de droit des arrêts de droit public (consid. 2).
- 2. Le juge ne peut faire dépendre l'examen d'une demande de récusation de l'obligation de fournir des sûretés en garantie des frais qui s'y rapportent (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 4 CF; anticipo delle spese.
- 1. Carattere vincolante per il giudice cantonale dei considerandi di diritto delle sentenze di diritto pubblico (consid. 2).
- 2. Il giudice non può subordinare l'esame di una domanda di ricusazione all'adempimento di un onere di garanzia per le spese relative (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 29
BGE 100 Ia 28 S. 29
A.- Im Forderungsprozess von Peter Mathys, Gartenbau, Maischhausen, gegen die Beschwerdeführer wurde Gärtnermeister Julius Koch als Experte bestellt. Nach Eingang der Expertise stellten die Eheleute Bachofner gegen den Verfasser ein Ablehnungsbegehren und machten geltend, der Experte sei mit dem Kläger befreundet und stehe zu ihm in einem Abhängigkeits- und Pflichtverhältnis. Das Ablehnungsbegehren wurde vom Obergericht im Berufungsverfahren mit der Begründung abgelehnt, der Experte sei auf seine Pflichten hingewiesen worden.
Mit Urteil vom 14. November 1973 hob das Bundesgericht dieses Urteil auf. Es stellte dabei fest, das Obergericht habe pflichtwidrig nicht geprüft, ob das behauptete Befangenheitsverhältnis bestehe, und damit den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert.
B.- Die Rekurskommission des Obergerichts setzte hierauf den Beschwerdeführern eine Frist zur Bezahlung eines Vorschusses von 200.--, verbunden mit der Androhung, dass bei Nichtleistung innert der gesetzten Frist die Befragung des Julius Koch zum Ablehnungsbegehren unterbleibe. Mit einem vor Fristablauf gestellten Gesuch beantragten die Beschwerdeführer eine Fristverlängerung. Das Obergericht wies dieses Gesuch und gleichzeitig die Berufung gegen das Urteil in Gutheissung der Forderungsklage ein zweites Mal ab, wiederum ohne materielle Prüfung der gegen den Experten erhobenen Einwendungen. Es wird dargetan, dass die Abklärung eventueller Ausstandsgründe nicht von Amtes wegen erfolge, sondern nur auf Kosten desjenigen, dem nach Art. 8

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
C.- Gegen dieses Urteil haben die Beschwerdeführer erneut staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Die Rekurskommission des Obergerichts beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
BGE 100 Ia 28 S. 30
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Im Urteil vom 14. November 1974 wurde ausdrücklich festgehalten, dass Art. 4

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Das Bundesgericht stellte weiter fest, dass die Eheleute Bachofner ein Rekusationsbegehren eingereicht haben, welches das Obergericht nicht geprüft habe. Das Obergericht sei indessen zur ernsthaften Prüfung verpflichtet, weshalb sein Urteil aufgehoben wurde.
2. Der Umstand, dass sich das Bundesgericht gemäss der vorwiegend kassatorischen Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde im Urteilsdispositiv mit der Aufhebung des fehlerhaften Urteils begnügt, ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive zu beachten sind. Diese enthalten insofern verbindliche Weisungen, als sie sich auf eine gutzumachende Unterlassung beziehen (GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 245 f; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 145). Die Verbindlichkeit der Motive eines staatsrechtlichen Urteils für den kantonalen Richter, der nochmals zu urteilen hat, ergibt sich auch daraus, dass sich das Bundesgericht selbst daran gebunden erachtet (BGE 92 I 508). Der in den Art. 66

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Die vom Obergericht vertretene Auffassung, es habe ein Ausstandsbegehren nicht von Amtes wegen zu prüfen, bzw. die ein Ausstandsbegehren stellende Partei habe die für die Abklärung erforderlichen Kosten vorzuschiessen, wäre ohnehin schlechthin unhaltbar. Der Anspruch der in ein Prozessverfahren einbezogenen Parteien auf die richtige Zusammensetzung
BGE 100 Ia 28 S. 31
des Gerichts und damit auch, dass gegenüber den Richtern und Hilfspersonen wie den Experten keine Ablehnungs- oder Ausstandsgründe vorliegen, ergibt sich sowohl unmittelbar aus Art. 58

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
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1 | Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
2 | Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen. |
3 | Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18 |

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |

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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
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1 | Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
2 | Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen. |
3 | Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18 |
4. Muss die Beschwerde gutgeheissen werden, so erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob die Vorinstanz sich auch der Willkür schuldig gemacht hat, indem sie die nachgesuchte Verlängerung der Zahlungsfrist ablehnte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der Rekurskommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 14. Januar 1974 aufgehoben.