7. Auszug aus dem Beschluss der Beschwerdekammer in Sachen Kanton St. Gallen gegen Kanton Zürich vom 26. Februar 2018 (BG.2018.4)
Gerichtsstandskonflikt; Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand
Art. 40 Abs. 3

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 40 Conflits de fors - 1 Les conflits de for entre autorités pénales d'un même canton sont tranchés par le premier procureur ou le procureur général, ou, s'ils n'ont pas été institués, par l'autorité de recours de ce canton.18 |
TPF 2018 38, p.39
Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand aufgrund eines «gesamthaft deliktischen Geschäftsbetriebs» in einem anderen Kanton (E. 3).
Conflit de for; dérogation au for ordinaire
Art. 40 al. 3 CPP
Dérogation au for légal dans le cas où l'activité délictueuse dans son ensemble est exercée dans un autre canton (consid. 3).
Conflitto di foro; deroga dal foro ordinario
Art. 40 cpv. 3 CPP
Deroga dal foro ordinario nel caso in cui l'attivita delittuosa nel suo complesso è in un altro Cantone (consid. 3).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Am 14. Dezember 2017 hielt das Grenzwachtkorps in Z./SG A. an, welcher in einem VW Sharan mit Zürcher Kontrollschildern aus Österreich kommend am Grenzübergang 2'190 Hanfstecklinge in die Schweiz transportierte. Im Kofferraum des Fahrzeugs wurde auch eine Wärmeglühlampe gefunden, wie sie üblicherweise für die Aufzucht von Hanfpflanzen benutzt wird. Die Schnellanalyse ergab, dass es sich bei den Stecklingen nicht, wie von A. behauptet, um CBD-Pflanzen, sondern um Drogenhanf handelte. Das Untersuchungsamt Altstätten ordnete in der Folge u.a. eine Hausdurchsuchung am Wohnort des Beschuldigten sowie dessen Lebensgefährtin B., beide in Zürich, und der von A. gemieteten Liegenschaft in Y./ZH an. Mit der Durchführung wurde rechtshilfeweise die Kantonspolizei Zürich beauftragt, zum Teil unter Mitwirkung der Kantonspolizei St. Gallen. Am Wohnort des Beschuldigten wurden Aktenordner mit Buchhaltungsunterlagen, Rechnungen und Belegen für Einkäufe von Geräten, Gegenständen und Pflanzen für die Indoor-Anlage sichergestellt. In dem vom Beschuldigten angemieteten Gebäude in Y./ZH wurde eine komplett eingerichtete Indoor-Anlage mit 3'349 Stecklingen und 66 ausgewachsenen Pflanzen sowie säckeweise getrocknetes Marihuana zum Zweck des Verkaufs und Vermittelns vorgefunden. Gestützt auf die bisherigen Erkenntnisse soll A. mutmasslich seit 2012, eigenen Angaben zufolge seit 2014, in der Stadt Zürich und Umgebung in professionellem Umfang Hanfpflanzen anbauen und mit diesen sowie dem daraus gewonnenen Marihuana Handel betreiben. Das Untersuchungsrichteramt
TPF 2018 38, p.40
Altstätten vermutete, dass die in Z./SG eingeführten 2'190 Stecklinge ebenfalls in Y./ZH aufgezogen werden sollten zum Zweck späteren Verkaufs in der Stadt Zürich und Umgebung. Die Strafverfolgungsbehörden der Kantone St. Gallen und Zürich bemühten sich danach erfolglos um eine Einigung betreffend die Zuständigkeit zur Verfolgung der A. zur Last gelegten Straftaten. Mit Eingabe vom 7. Februar 2018 ersuchte der Kanton St. Gallen diesbezüglich die Beschwerdekammer um Entscheid.
Die Beschwerdekammer erklärte die Strafbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet, die A. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
Aus den Erwägungen:
2.5 Im Hauptpunkt macht der Gesuchsteller geltend, es würden triftige Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand vorliegen. So stehe einem jahrelangen, gewerbsmässigen Anbau, Besitz, Vermitteln von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana ausschliesslich im Kanton Zürich eine einzige Tathandlung (Einfuhr von 2'190 neuen Hanfstecklingen) im Kanton St. Gallen gegenüber, und auch dieser Transport hätte nach Zürich führen sollen. Es sei ein reiner Zufall gewesen, dass der Beschuldigte am 14. Dezember 2017 am Grenzübergang Z./SG angehalten und kontrolliert worden sei. Es könne nicht sein, dass eine Staatsanwaltschaft, in deren örtlichem Zuständigkeitsgebiet sämtliche Grenzübergänge von und nach Osten lägen, gezwungen sei, alle Straftaten, die während einer Grenzkontrolle ans Licht kommen würden, weiterzuführen, wenn ganz klar sämtliche bisherigen Tathandlungen, und dies während mehreren Jahren, in einem anderen Kanton begangen worden seien. [...]
Der Gesuchsteller bringt im Eventualstandpunkt vor, dass im Kanton St. Gallen lediglich eine einfache Widerhandlung gegen das BetmG vorliegen würde, wenn man einen Gesamtzusammenhang zwischen der Einfuhr der 2'190 Hanfstecklinge und dem jahrelangen gewerbsmässigen Anbau von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana verneinen wollte. So würden 2'190 Hanfstecklinge für sich allein gesehen keine Gewerbsmässigkeit nach Art. 19 Abs. 2 lit. c

SR 812.121 Loi fédérale du 3 octobre 1951 sur les stupéfiants et les substances psychotropes (Loi sur les stupéfiants, LStup) - Loi sur les stupéfiants LStup Art. 19 - 1 Est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire: |

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 34 For en cas d'infractions commises en des lieux différents - 1 Lorsque le prévenu a commis plusieurs infractions en des lieux différents, l'autorité du lieu où a été commise l'infraction punie de la peine la plus grave est compétente pour la poursuite et le jugement de toutes les infractions. Si plusieurs infractions sont punies de la même peine, l'autorité compétente est celle du lieu où les premiers actes de poursuite ont été entrepris. |
TPF 2018 38, p.41
2.6 Demgegenüber stellt sich der Gesuchsgegner auf den Standpunkt, dass das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand die Ausnahme sein soll, weshalb vorliegend der Gesuchsteller zuständig sei. Er verwirft des Weiteren die Argumentation des Gesuchstellers, wonach im Kanton St. Gallen das weniger schwere Delikt verübt worden sei, da es sich bei der Einfuhr der 2'190 Hanfstecklinge nur um eine einfache Widerhandlung gegen das BetmG handle, weshalb der Kanton Zürich zuständig sei. Bei der Einfuhr einer solch grossen Menge liege der Verdacht eines gewerbsmässigen Handelns und damit einer mit der gleichen Strafandrohung begangenen Tat nahe.
2.7 Vom Gesuchsgegner wird nicht bestritten, dass von einem jahrelangen, gewerbsmässigen Anbau, Besitz, Vermitteln von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana im Kanton Zürich auszugehen ist. Ob der Import der 2'190 Hanfstecklinge mit den jahrelangen Tathandlungen im Kanton Zürich bei natürlicher Betrachtung eine auf einem einheitlichen Willensakt beruhende Einheit im Sinne eines zusammenhängenden Geschehens bildet, kann vorliegend offen gelassen werden. Es liegt jedenfalls auf der Hand, die strafbaren Handlungen im Kanton Zürich und den Import über den Kanton St. Gallen als juristische Handlungseinheit im Sinne eines Kollektivdeliktes zu betrachten. Es liegt ein ausreichend enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Betäubungsmitteldelikten im Kanton Zürich und dem Import vor. In den Akten findet sich nichts, was einen umfassenden Gesamtvorsatz ausschliessen würde. Damit stellt der Import vom 14. Dezember 2017 einen integrierten Teil eines Ganzen dar, welches sich als mehrjähriger Anbau, Vermitteln und Handeln mit Marihuana und Cannabis erweist.
2.8 Unter diesen Umständen sind in Anwendung von Art. 33 Abs. 2

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 33 For en cas d'implication de plusieurs personnes - 1 Les participants à une infraction sont poursuivis et jugés par l'autorité qui poursuit et juge l'auteur. |

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 34 For en cas d'infractions commises en des lieux différents - 1 Lorsque le prévenu a commis plusieurs infractions en des lieux différents, l'autorité du lieu où a été commise l'infraction punie de la peine la plus grave est compétente pour la poursuite et le jugement de toutes les infractions. Si plusieurs infractions sont punies de la même peine, l'autorité compétente est celle du lieu où les premiers actes de poursuite ont été entrepris. |
3.
3.1 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften untereinander auch) einen andern als den in den Art. 3137 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 40 Conflits de fors - 1 Les conflits de for entre autorités pénales d'un même canton sont tranchés par le premier procureur ou le procureur général, ou, s'ils n'ont pas été institués, par l'autorité de recours de ce canton.18 |
TPF 2018 38, p.42
gesetzlich nicht zuständigen Kanton mit der Verfolgung zu betrauen, setzt triftige Gründe voraus und die Überlegungen, welche den gesetzlichen Gerichtsstand als unzweckmässig erscheinen lassen, müssen sich gebieterisch aufdrängen; die Latte für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand ist entsprechend hoch anzusetzen. Überdies kann ein Kanton entgegen dem gesetzlichen Gerichtsstand nur für zuständig erklärt werden resp. sich selber als zuständig erklären, wenn dort tatsächlich ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht (TPF 2012 66 E. 3.1 S. 67 f.; TPF 2011 178 E. 3.1 S. 180 f.; jeweils m.w.H.).
3.2 Ein triftiger Grund für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann im Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit der Beschuldigten liegen (vgl. Art. 38 Abs. 1

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 38 Fixation d'un autre for - 1 Les ministères publics peuvent convenir d'un autre for que celui prévu aux art. 31 à 37, lorsque la part prépondérante de l'activité délictueuse, la situation personnelle du prévenu ou d'autres motifs pertinents l'exigent. |

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 40 Conflits de fors - 1 Les conflits de for entre autorités pénales d'un même canton sont tranchés par le premier procureur ou le procureur général, ou, s'ils n'ont pas été institués, par l'autorité de recours de ce canton.18 |

SR 312.0 Code de procédure pénale suisse du 5 octobre 2007 (Code de procédure pénale, CPP) - Code de procédure pénale CPP Art. 38 Fixation d'un autre for - 1 Les ministères publics peuvent convenir d'un autre for que celui prévu aux art. 31 à 37, lorsque la part prépondérante de l'activité délictueuse, la situation personnelle du prévenu ou d'autres motifs pertinents l'exigent. |
3.3 Die für ein ausnahmsweises Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand entwickelte Praxis zum «Schwergewicht» betrifft weit überwiegend Fälle von Vermögensdelikten (Einbruchsdiebstähle, Bestellungsbetrug etc.) und orientiert sich am Element der reinen Zahl (der einzelnen Vermögensdelikte) und deren Zuordnung zu einem Kanton. Wie viele der einzelnen Tathandlungen von Art. 19 Abs. 1

SR 812.121 Loi fédérale du 3 octobre 1951 sur les stupéfiants et les substances psychotropes (Loi sur les stupéfiants, LStup) - Loi sur les stupéfiants LStup Art. 19 - 1 Est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire: |
TPF 2018 38, p.43
der Einzelhandlungen über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinaus im Kanton Zürich stattfand. Selbst wenn die auf den Kanton Zürich entfallenden Straftaten sich dabei nicht einzeln zählen lassen, ist doch sowohl die Voraussetzung der grossen Anzahl in Frage stehender Fälle erfüllt als auch die Grenze der zwei Drittel eindeutig überschritten. Ein vom forum praeventionis abweichendes eindeutiges Schwergewicht wäre überdies auch in Konstellationen möglich, die sich nicht einfach mit einem blossen Zählen von Einzelfällen erfassen lassen. Eine solche Konstellation kann wie gerade der vorliegende Fall deutlich macht darin liegen, dass ein im eigentlichen Sinn «gesamthaft deliktischer Geschäftsbetrieb» in einem Kanton zu verorten ist, während eine dazugehörige Einzelhandlung in einem anderen Kanton stattfindet. Es ist offensichtlich, dass gemäss dem aktuellen Ermittlungsstand das eindeutige Schwergewicht der Tathandlungen von A. sich auf den Kanton Zürich konzentriert. Bei dieser Ausgangslage alle weiteren vor Ort vorzunehmenden Untersuchungsschritte rechtshilfeweise vornehmen zu lassen, widerspräche der Prozessökonomie. Vorliegend drängt es sich daher geradezu auf, vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.