TPF 2018 38, p.38

7. Auszug aus dem Beschluss der Beschwerdekammer in Sachen Kanton St. Gallen gegen Kanton Zürich vom 26. Februar 2018 (BG.2018.4)

Gerichtsstandskonflikt; Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand
Art. 40 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO

TPF 2018 38, p.39

Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand aufgrund eines «gesamthaft deliktischen Geschäftsbetriebs» in einem anderen Kanton (E. 3).
Conflit de for; dérogation au for ordinaire

Art. 40 al. 3 CPP

Dérogation au for légal dans le cas où l'activité délictueuse dans son ensemble est exercée dans un autre canton (consid. 3).

Conflitto di foro; deroga dal foro ordinario

Art. 40 cpv. 3 CPP

Deroga dal foro ordinario nel caso in cui l'attivita delittuosa nel suo complesso è in un altro Cantone (consid. 3).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Am 14. Dezember 2017 hielt das Grenzwachtkorps in Z./SG A. an, welcher in einem VW Sharan mit Zürcher Kontrollschildern aus Österreich kommend am Grenzübergang 2'190 Hanfstecklinge in die Schweiz transportierte. Im Kofferraum des Fahrzeugs wurde auch eine Wärmeglühlampe gefunden, wie sie üblicherweise für die Aufzucht von Hanfpflanzen benutzt wird. Die Schnellanalyse ergab, dass es sich bei den Stecklingen nicht, wie von A. behauptet, um CBD-Pflanzen, sondern um Drogenhanf handelte. Das Untersuchungsamt Altstätten ordnete in der Folge u.a. eine Hausdurchsuchung am Wohnort des Beschuldigten sowie dessen Lebensgefährtin B., beide in Zürich, und der von A. gemieteten Liegenschaft in Y./ZH an. Mit der Durchführung wurde rechtshilfeweise die Kantonspolizei Zürich beauftragt, zum Teil unter Mitwirkung der Kantonspolizei St. Gallen. Am Wohnort des Beschuldigten wurden Aktenordner mit Buchhaltungsunterlagen, Rechnungen und Belegen für Einkäufe von Geräten, Gegenständen und Pflanzen für die Indoor-Anlage sichergestellt. In dem vom Beschuldigten angemieteten Gebäude in Y./ZH wurde eine komplett eingerichtete Indoor-Anlage mit 3'349 Stecklingen und 66 ausgewachsenen Pflanzen sowie säckeweise getrocknetes Marihuana zum Zweck des Verkaufs und Vermittelns vorgefunden. Gestützt auf die bisherigen Erkenntnisse soll A. mutmasslich seit 2012, eigenen Angaben zufolge seit 2014, in der Stadt Zürich und Umgebung in professionellem Umfang Hanfpflanzen anbauen und mit diesen sowie dem daraus gewonnenen Marihuana Handel betreiben. Das Untersuchungsrichteramt

TPF 2018 38, p.40

Altstätten vermutete, dass die in Z./SG eingeführten 2'190 Stecklinge ebenfalls in Y./ZH aufgezogen werden sollten zum Zweck späteren Verkaufs in der Stadt Zürich und Umgebung. Die Strafverfolgungsbehörden der Kantone St. Gallen und Zürich bemühten sich danach erfolglos um eine Einigung betreffend die Zuständigkeit zur Verfolgung der A. zur Last gelegten Straftaten. Mit Eingabe vom 7. Februar 2018 ersuchte der Kanton St. Gallen diesbezüglich die Beschwerdekammer um Entscheid.
Die Beschwerdekammer erklärte die Strafbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet, die A. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

Aus den Erwägungen:

2.5 Im Hauptpunkt macht der Gesuchsteller geltend, es würden triftige Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand vorliegen. So stehe einem jahrelangen, gewerbsmässigen Anbau, Besitz, Vermitteln von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana ausschliesslich im Kanton Zürich eine einzige Tathandlung (Einfuhr von 2'190 neuen Hanfstecklingen) im Kanton St. Gallen gegenüber, und auch dieser Transport hätte nach Zürich führen sollen. Es sei ein reiner Zufall gewesen, dass der Beschuldigte am 14. Dezember 2017 am Grenzübergang Z./SG angehalten und kontrolliert worden sei. Es könne nicht sein, dass eine Staatsanwaltschaft, in deren örtlichem Zuständigkeitsgebiet sämtliche Grenzübergänge von und nach Osten lägen, gezwungen sei, alle Straftaten, die während einer Grenzkontrolle ans Licht kommen würden, weiterzuführen, wenn ganz klar sämtliche bisherigen Tathandlungen, und dies während mehreren Jahren, in einem anderen Kanton begangen worden seien. [...]

Der Gesuchsteller bringt im Eventualstandpunkt vor, dass im Kanton St. Gallen lediglich eine einfache Widerhandlung gegen das BetmG vorliegen würde, wenn man einen Gesamtzusammenhang zwischen der Einfuhr der 2'190 Hanfstecklinge und dem jahrelangen gewerbsmässigen Anbau von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana verneinen wollte. So würden 2'190 Hanfstecklinge für sich allein gesehen keine Gewerbsmässigkeit nach Art. 19 Abs. 2 lit. c
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt;
b  Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt;
c  Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt;
d  Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt;
e  den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert oder seine Finanzierung vermittelt;
f  öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekannt gibt;
g  zu einer Widerhandlung nach den Buchstaben a-f Anstalten trifft.
2    Der Täter wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er:92
a  weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt;
d  in Ausbildungsstätten vorwiegend für Jugendliche oder in ihrer unmittelbaren Umgebung gewerbsmässig Betäubungsmittel anbietet, abgibt oder auf andere Weise zugänglich macht.
3    Das Gericht kann in folgenden Fällen die Strafe nach freiem Ermessen mildern:
a  bei einer Widerhandlung nach Absatz 1 Buchstabe g;
b  bei einer Widerhandlung nach Absatz 2, wenn der Täter von Betäubungsmitteln abhängig ist und diese Widerhandlung zur Finanzierung des eigenen Betäubungsmittelkonsums hätte dienen sollen.
4    Nach den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 ist auch strafbar, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Ist das Gesetz des Begehungsortes für den Täter das mildere, so ist dieses anzuwenden. Artikel 6 des Strafgesetzbuches93 ist anwendbar.
BetmG darstellen. Diesfalls wäre die Zuständigkeit des Kantons Zürich gemäss Art. 34 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 34 - 1 Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
1    Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
2    Ist in einem beteiligten Kanton im Zeitpunkt des Gerichtsstandsverfahrens nach den Artikeln 39-42 wegen einer der Straftaten schon Anklage erhoben worden, so werden die Verfahren getrennt geführt.
3    Ist eine Person von verschiedenen Gerichten zu mehreren gleichartigen Strafen verurteilt worden, so setzt das Gericht, das die schwerste Strafe ausgesprochen hat, auf Gesuch der verurteilten Person eine Gesamtstrafe fest.
erster Satz StPO gegeben.

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2.6 Demgegenüber stellt sich der Gesuchsgegner auf den Standpunkt, dass das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand die Ausnahme sein soll, weshalb vorliegend der Gesuchsteller zuständig sei. Er verwirft des Weiteren die Argumentation des Gesuchstellers, wonach im Kanton St. Gallen das weniger schwere Delikt verübt worden sei, da es sich bei der Einfuhr der 2'190 Hanfstecklinge nur um eine einfache Widerhandlung gegen das BetmG handle, weshalb der Kanton Zürich zuständig sei. Bei der Einfuhr einer solch grossen Menge liege der Verdacht eines gewerbsmässigen Handelns und damit einer mit der gleichen Strafandrohung begangenen Tat nahe.

2.7 Vom Gesuchsgegner wird nicht bestritten, dass von einem jahrelangen, gewerbsmässigen Anbau, Besitz, Vermitteln von sowie Handel mit Cannabis und Marihuana im Kanton Zürich auszugehen ist. Ob der Import der 2'190 Hanfstecklinge mit den jahrelangen Tathandlungen im Kanton Zürich bei natürlicher Betrachtung eine auf einem einheitlichen Willensakt beruhende Einheit im Sinne eines zusammenhängenden Geschehens bildet, kann vorliegend offen gelassen werden. Es liegt jedenfalls auf der Hand, die strafbaren Handlungen im Kanton Zürich und den Import über den Kanton St. Gallen als juristische Handlungseinheit im Sinne eines Kollektivdeliktes zu betrachten. Es liegt ein ausreichend enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Betäubungsmitteldelikten im Kanton Zürich und dem Import vor. In den Akten findet sich nichts, was einen umfassenden Gesamtvorsatz ausschliessen würde. Damit stellt der Import vom 14. Dezember 2017 einen integrierten Teil eines Ganzen dar, welches sich als mehrjähriger Anbau, Vermitteln und Handeln mit Marihuana und Cannabis erweist.

2.8 Unter diesen Umständen sind in Anwendung von Art. 33 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 33 Gerichtsstand im Falle mehrerer Beteiligter - 1 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Straftat werden von den gleichen Behörden verfolgt und beurteilt wie die Täterin oder der Täter.
1    Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Straftat werden von den gleichen Behörden verfolgt und beurteilt wie die Täterin oder der Täter.
2    Ist eine Straftat von mehreren Mittäterinnen oder Mittätern verübt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
und Art. 34 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 34 - 1 Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
1    Hat eine beschuldigte Person mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, so sind für die Verfolgung und Beurteilung sämtlicher Taten die Behörden des Ortes zuständig, an dem die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist. Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind.
2    Ist in einem beteiligten Kanton im Zeitpunkt des Gerichtsstandsverfahrens nach den Artikeln 39-42 wegen einer der Straftaten schon Anklage erhoben worden, so werden die Verfahren getrennt geführt.
3    Ist eine Person von verschiedenen Gerichten zu mehreren gleichartigen Strafen verurteilt worden, so setzt das Gericht, das die schwerste Strafe ausgesprochen hat, auf Gesuch der verurteilten Person eine Gesamtstrafe fest.
Satz 2 StPO grundsätzlich die Behörden jenes Ortes zur Verfolgung zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde, d.h. vorliegend der Gesuchsteller.

3.
3.1 Die Beschwerdekammer kann (wie die beteiligten Staatsanwaltschaften untereinander auch) einen andern als den in den Art. 3137 StPO vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen (Art. 40 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO). Ein solches Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand soll indes die Ausnahme bleiben. Eine Vereinbarung bzw. der Beschluss, einen

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gesetzlich nicht zuständigen Kanton mit der Verfolgung zu betrauen, setzt triftige Gründe voraus und die Überlegungen, welche den gesetzlichen Gerichtsstand als unzweckmässig erscheinen lassen, müssen sich gebieterisch aufdrängen; die Latte für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand ist entsprechend hoch anzusetzen. Überdies kann ein Kanton entgegen dem gesetzlichen Gerichtsstand nur für zuständig erklärt werden resp. sich selber als zuständig erklären, wenn dort tatsächlich ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht (TPF 2012 66 E. 3.1 S. 67 f.; TPF 2011 178 E. 3.1 S. 180 f.; jeweils m.w.H.).

3.2 Ein triftiger Grund für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand kann im Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit der Beschuldigten liegen (vgl. Art. 38 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 38 Bestimmung eines abweichenden Gerichtsstands - 1 Die Staatsanwaltschaften können untereinander einen anderen als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand vereinbaren, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
1    Die Staatsanwaltschaften können untereinander einen anderen als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand vereinbaren, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
2    Zur Wahrung der Verfahrensrechte einer Partei kann die Beschwerdeinstanz des Kantons auf Antrag dieser Partei oder von Amtes wegen nach Erhebung der Anklage die Beurteilung in Abweichung der Gerichtsstandsvorschriften dieses Kapitels einem andern sachlich zuständigen erstinstanzlichen Gericht des Kantons zur Beurteilung überweisen.
und Art. 40 Abs. 3
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 40 Gerichtsstandskonflikte - 1 Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
1    Ist der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig, so entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz dieses Kantons.17
2    Können sich die Strafverfolgungsbehörden verschiedener Kantone über den Gerichtsstand nicht einigen, so unterbreitet die Staatsanwaltschaft des Kantons, der zuerst mit der Sache befasst war, die Frage unverzüglich, in jedem Fall vor der Anklageerhebung, dem Bundesstrafgericht zum Entscheid.
3    Die zum Entscheid über den Gerichtsstand zuständige Behörde kann einen andern als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand festlegen, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
StPO; hierzu u.a. TPF 2012 66 E. 3.1 S. 68 m.w.H.). Gemäss konstanter Praxis kann von einem solchen Schwergewicht ausgegangen werden, wenn mehr als zwei Drittel einer grösseren Anzahl von Straftaten auf einen einzigen Kanton entfallen (BGE 129 IV 202 E. 2 S. 203; siehe auch den Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2011.25 vom 28. September 2011 E. 3.1). Das Übergewicht muss dabei so offensichtlich und bedeutsam sein, dass sich das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand geradezu aufdrängt (MOSER/SCHLAPBACH, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 38
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 38 Bestimmung eines abweichenden Gerichtsstands - 1 Die Staatsanwaltschaften können untereinander einen anderen als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand vereinbaren, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
1    Die Staatsanwaltschaften können untereinander einen anderen als den in den Artikeln 31-37 vorgesehenen Gerichtsstand vereinbaren, wenn der Schwerpunkt der deliktischen Tätigkeit oder die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person es erfordern oder andere triftige Gründe vorliegen.
2    Zur Wahrung der Verfahrensrechte einer Partei kann die Beschwerdeinstanz des Kantons auf Antrag dieser Partei oder von Amtes wegen nach Erhebung der Anklage die Beurteilung in Abweichung der Gerichtsstandsvorschriften dieses Kapitels einem andern sachlich zuständigen erstinstanzlichen Gericht des Kantons zur Beurteilung überweisen.
StPO N. 7 f.; GUIDON/BÄNZIGER, Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, Jusletter vom 21. Mai 2007, N. 48 m.w.H.). Fehlt es bereits an einer grösseren Zahl der in Frage stehenden Fälle, so drängt sich ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand sofern nicht weitere triftige prozessökonomische Gesichtspunkte ernsthaft in Betracht gezogen werden müssen nicht auf (siehe hierzu den Beschluss des Bundesstrafgerichts BG.2011.25 vom 28. September 2011 E. 3.2; vgl. auch die Entscheide des Bundesstrafgerichts BG.2009.30 vom 26. Oktober 2009 E. 2.3; BG.2009.23 vom 13. Oktober 2009 E. 2.4; BK_G 038/04 vom 13. Juli 2004 E. 5).

3.3 Die für ein ausnahmsweises Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand entwickelte Praxis zum «Schwergewicht» betrifft weit überwiegend Fälle von Vermögensdelikten (Einbruchsdiebstähle, Bestellungsbetrug etc.) und orientiert sich am Element der reinen Zahl (der einzelnen Vermögensdelikte) und deren Zuordnung zu einem Kanton. Wie viele der einzelnen Tathandlungen von Art. 19 Abs. 1
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt;
b  Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt;
c  Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt;
d  Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt;
e  den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert oder seine Finanzierung vermittelt;
f  öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekannt gibt;
g  zu einer Widerhandlung nach den Buchstaben a-f Anstalten trifft.
2    Der Täter wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er:92
a  weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt;
d  in Ausbildungsstätten vorwiegend für Jugendliche oder in ihrer unmittelbaren Umgebung gewerbsmässig Betäubungsmittel anbietet, abgibt oder auf andere Weise zugänglich macht.
3    Das Gericht kann in folgenden Fällen die Strafe nach freiem Ermessen mildern:
a  bei einer Widerhandlung nach Absatz 1 Buchstabe g;
b  bei einer Widerhandlung nach Absatz 2, wenn der Täter von Betäubungsmitteln abhängig ist und diese Widerhandlung zur Finanzierung des eigenen Betäubungsmittelkonsums hätte dienen sollen.
4    Nach den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 ist auch strafbar, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Ist das Gesetz des Begehungsortes für den Täter das mildere, so ist dieses anzuwenden. Artikel 6 des Strafgesetzbuches93 ist anwendbar.
BetmG verschiedene Entwicklungsstufen derselben deliktischen Tätigkeit von A. darstellen, lässt sich rein von der Anzahl Einzeltaten nicht exakt beziffern. Auch aufgrund der Aussagen von A. selbst steht aber fest, dass praktisch die Gesamtheit

TPF 2018 38, p.43

der Einzelhandlungen über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinaus im Kanton Zürich stattfand. Selbst wenn die auf den Kanton Zürich entfallenden Straftaten sich dabei nicht einzeln zählen lassen, ist doch sowohl die Voraussetzung der grossen Anzahl in Frage stehender Fälle erfüllt als auch die Grenze der zwei Drittel eindeutig überschritten. Ein vom forum praeventionis abweichendes eindeutiges Schwergewicht wäre überdies auch in Konstellationen möglich, die sich nicht einfach mit einem blossen Zählen von Einzelfällen erfassen lassen. Eine solche Konstellation kann wie gerade der vorliegende Fall deutlich macht darin liegen, dass ein im eigentlichen Sinn «gesamthaft deliktischer Geschäftsbetrieb» in einem Kanton zu verorten ist, während eine dazugehörige Einzelhandlung in einem anderen Kanton stattfindet. Es ist offensichtlich, dass gemäss dem aktuellen Ermittlungsstand das eindeutige Schwergewicht der Tathandlungen von A. sich auf den Kanton Zürich konzentriert. Bei dieser Ausgangslage alle weiteren vor Ort vorzunehmenden Untersuchungsschritte rechtshilfeweise vornehmen zu lassen, widerspräche der Prozessökonomie. Vorliegend drängt es sich daher geradezu auf, vom gesetzlichen Gerichtsstand abzuweichen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : TPF 2018 38
Date : 26. Februar 2018
Published : 20. März 2018
Source : Bundesstrafgericht
Status : TPF 2018 38
Subject area : Art. 40 Abs. 3 StPO Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand aufgrund eines «gesamthaft deliktischen Geschäftsbetriebs»...
Subject : Gerichtsstandskonflikt; Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand


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BetmG: 19
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