98 II 15
4. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. März 1972 i.S. Stalder gegen Mathis.
Regeste (de):
- Grundlagenirrtum.
- 1. Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: 1 wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; 2 wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; 3 wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; 4 wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. 2 Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. 3 Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 220 - Ist für die Übernahme des Grundstückes durch den Käufer ein bestimmter Zeitpunkt vertraglich festgestellt, so wird vermutet, dass Nutzen und Gefahr erst mit diesem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen.
- 2. Art. 31
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 31 - 1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt.
1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. 2 Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit der Entdeckung, in den Fällen der Furcht mit deren Beseitigung. 3 Die Genehmigung eines wegen Täuschung oder Furcht unverbindlichen Vertrages schliesst den Anspruch auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus. - 3. Art. 975 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 975 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen.
1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen. 2 Vorbehalten bleiben die von gutgläubigen Dritten durch Eintragung erworbenen dinglichen Rechte und die Ansprüche auf Schadenersatz.
Regeste (fr):
- Erreur sur les éléments nécessaires du contrat.
- 1. Art. 24 al. 1 ch. 4 et 220 CO. Vente d'un terrain à bâtir, frappé après coup d'une interdiction de construire pour cause de danger d'avalanche. Erreur sur des faits futurs? Droits de l'acheteur. Fardeau du risque (consid. 1 et 2).
- 2. Art. 31 CO. Garantieet erreur sur les éléments nécessaires du contrat. Importance du danger d'avalanche. Découverte de l'erreur sur ce danger. Recours abusif à l'erreur nié (consid. 3).
- 3. Art. 975 al. 1 CC. Celui qui est inscrit à tort au registre foncier en tant que propriétaire et qui a un intérêt digne de protection à la suppression de cette inscription peut aussi agir selon cette disposition (consid. 4).
Regesto (it):
- Errore sugli elementi necessari del contratto.
- 1. Art. 24 cpv. 1 num. 4 e 220 CO. Vendita di un terreno da costruzione, che viene successivamente compito da un divieto di costruire a causa del pericolo di valanghe. Errore su fatti futuri? Diritti dell'acquirente. Onere del rischio (consid. 1 e 2).
- 2. Art. 31 CO. Garanzia ed errore sugli elementi necessari del contratto. Importanza del pericolo di valanghe. Scoperta dell'erroresu tale pericolo. Abusivo ricorso all'errore negato (consid. 3).
- 3. Art. 975 cpv. 1 CC. Chi è a torto iscritto nel registro fondiario come proprietario ed ha un interesse degno di protezione alla soppressione di tale iscrizione può pure agire secondo tale norma (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 16
BGE 98 II 15 S. 16
A.- Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 16. März 1964 kaufte Frau Stalder von Arnold Mathis südwestlich von Samedan, im Gebiete von Ariefa, 618 m2 Wiesland zu Fr. 40.- den m2. Sie wollte dort ein Ferienhaus erstellen lassen. Die Parzelle wurde am 23. Juni 1964 als Nr. 1508 auf den Namen der Käuferin im Grundbuch eingetragen. Vorher gehörte sie zu einem Grundstück von 6500 m2, das Mathis 1962 als Bauland erworben hatte. Mathis hatte sich damals bei der Gemeinde nach der Bebaubarkeit des Landes erkundigt und dabei erfahren, dass nach einem Zonenplan, den der Kreisförster Bisaz im November 1960 gestützt auf Erfahrungen erstellt hatte, der grösste Teil des Grundstückes ausserhalb des im Januar 1951 von Lawinen erfassten Gebietes lag. Je eine Parzelle unmittelbar unterhalb derjenigen von Frau Stalder verkaufte Mathis an Lilly Wirth und Julius Rüegger, die im Frühjahr 1964 bzw. 1965 die Baubewilligung erhielten und dann auf ihrem Grundstück ein Ferienhaus errichten liessen. Ein weiteres Nachbargrundstück südwestlich der Parzelle Nr. 1508 wurde ebenfalls überbaut. Im Frühjahr 1965 wandte Frau Stalder sich wegen des geplanten Baues an die Gemeinde Samedan. Diese antwortete ihr am 3. Mai 1965, dass sie im Falle eines Gesuches innert 2-3 Wochen mit einer Baubewilligung rechnen könnte. Frau Stalder sah vom Gesuch jedoch noch ab. Im Herbst 1966 erstellte Kreisförster Bisaz im Auftrage der Gemeinde einen Lawinenzonenplan, der für die Bewilligung von Baugesuchen massgebend sein sollte. Nach diesem Plan erfasste die Zone, für welche Bisaz wegen Lawinengefahr ein gänzliches Bauverbot vorschlug, auch die Parzellen der Frau Stalder, der Lilly Wirth und des Julius Rüegger. Der Kreisförster begründete seinen Vorschlag damit, dass die nächste Umgebung der 1951 von Lawinen erfassten Gebiete ebenfalls als gefährdet zu betrachten sei. Frau Stalder erfuhr davon im Juni 1967 insbesondere durch Mathis, der ihr empfahl, das Baugesuch sogleich einzureichen, was sie am 10. Juli tat. Ihr Gesuch wurde am 11. August 1967 von der Gemeinde jedoch abgelehnt; auf
BGE 98 II 15 S. 17
Beschwerde hin wurde es bis zum Entscheid über den Lawinenzonenplan, gegen den Frau Stalder Einsprache erhob, zurückgestellt. Die Gemeinde und auf Rekurs hin am 14. Juli 1969 auch der Kleine Rat des Kantons Graubünden wiesen die Einsprache ab. Der Kleine Rat stützte sich vor allem auf ein Gutachten des eidgenössischen Institutes für Schnee- und Lawinenforschung Weissfluhjoch-Davos vom 12. September 1968. Über die Lawinengefahr im Gebiet der Ariefa führte das Institut insbesondere aus, die Gefahrenzone erscheine wegen der Seltenheit von Lawinengängen als weit gezogen; gleichwohl sollte das Gebiet nicht zur Bebauung freigegeben werden, da sonst die Gemeinde bei jedem grösseren Schneefall zu Sicherheitsmassnahmen gezwungen wäre. Mit verstärkter Bauweise könnten nur Sachschäden verhütet werden; der Verkehr von und zu den Häusern, auch der öffentliche, bliebe ungeschützt.
B.- Am 11. September 1969 teilte Frau Stalder dem Mathis mit, dass sie den Kaufvertrag vom 16. März 1964 wegen Grundlagenirrtums für unverbindlich halte und den Betrag von Fr. 25'560.-- zurückfordere. Mathis widersetzte sich dem Begehren. Frau Stalder klagte daraufhin die Forderung nebst Zins ein. Sie verlangte zudem, dass der Richter das Grundbuchamt Samedan anweise, den Beklagten als Eigentümer der Parzelle Nr. 1508 einzutragen. Das Kantonsgericht von Graubünden wies die Klage am 15. Juli 1971 ab. Es nahm an, die Klägerin hätte wie ihre Nachbarn Wirth und Rüegger bereits im Sommer 1964 oder 1965 bauen können, denn das Bauverbot sei erst mehrere Jahre nach Abschluss des Vertrages erlassen worden. Gemäss Art. 220
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 220 - Ist für die Übernahme des Grundstückes durch den Käufer ein bestimmter Zeitpunkt vertraglich festgestellt, so wird vermutet, dass Nutzen und Gefahr erst mit diesem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil die Berufung erklärt. Sie wiederholt ihre Klagebegehren, setzt die Forderung aber auf Fr. 25'060.45 herab und verlangt den Zins erst vom 15. September 1969 an. Sie macht geltend, das angefochtene Urteil verkenne das Wesen des Grundlagenirrtums sowie die gesetzliche Regelung über die Gefahrtragung beim Kauf. Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
BGE 98 II 15 S. 18
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin die streitige Parzelle als Bauland erworben. Der Beklagte, der in Chur ein Architekturbüro und Baugeschäft betreibt, hat die Parzelle auch als solches verkauft. Er gab sie schon in seiner Offerte vom 25. November 1963 als Bauland aus und sicherte der Klägerin zu, dass das Grundstück vollständig erschlossen sei. Einer Mitteilung der Brandversicherungsanstalt Graubünden vom 17. Mai 1962 konnte er freilich entnehmen, dass das Grundstück in einer Zone lag, die laut einem Plan der Anstalt vom 16. Dezember 1950 als lawinengefährdet galt und von der Versicherung solange ausgeschlossen werden sollte, bis Schutzbauten gegen Lawinen errichtet würden. Die Gemeinde stellte bei der Erteilung von Baubewilligungen, wie der Beklagte wusste, jedoch nicht auf diesen Plan ab. Der Beklagte war beim Abschluss des Vertrages wie die Klägerin vielmehr überzeugt, dass die Liegenschaft überbaut werden dürfe. Die Parteien waren noch 1966 dieser Meinung. Das erhellt daraus, dass der Beklagte im Mai 1966 (umsonst) versuchte, das veräusserte Bauland von der Klägerin zurückzukaufen, aber nicht um sie vor Schaden zu bewahren, wie das Kantonsgericht anzunehmen scheint, sondern um durch Zusammenlegen mehrerer Parzellen selber ein grösseres Bauvorhaben zu verwirklichen. Die Annahme der Vertragsparteien, die Parzelle Nr. 1508 dürfe überbaut werden, erwies sich jedoch als falsch, da die Behörden das Grundstück nach Prüfung der Lawinengefahr durch Sachverständige dem gefährdeten Gebiet zurechneten. Die irrige Vorstellung über die Bebaubarkeit war beiden Parteien gemeinsam. Sie war Voraussetzung dafür, dass die Klägerin sich für das Grundstück interessierte und der Beklagte es als Bauland verkaufte. Die Parteien unterstellten somit einen Sachverhalt, der für sie die Grundlage des Vertrages bildete und von der Klägerin nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr auch als gegeben vorausgesetzt werden durfte. Ein solcher Irrtum ist wesentlich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
2. Das Bundesgericht hat es wiederholt abgelehnt, einen Irrtum über einen künftigen Sachverhalt nach Art. 24 Ziff. 4
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
BGE 98 II 15 S. 19
Unter gewissen Voraussetzungen hat es diese Möglichkeit in anderen Urteilen dagegen bejaht (BGE 79 II 275, BGE 95 II 409), was in der Lehre kritisiert worden ist (MERZ, ZbJV 1967 S. 17, 1971 S. 127). Zu dieser Kritik Stellung zu nehmen, erübrigt sich jedoch im vorliegenden Fall, denn entgegen der Annahme des Kantonsgerichtes ist der Umstand, dessentwegen der Klägerin die Baubewilligung verweigert wurde, nicht nach Abschluss des Vertrages eingetreten. Richtig ist bloss, dass die streitige Parzelle erst nach Vertragsabschluss in die Lawinenzone einbezogen und mit einem Bauverbot belegt worden ist. Der Grund für den Einbezug und das Verbot, nämlich die Lawinengefahr, bestand indes schon vorher. Wegen ihrer Lage im Auslaufgebiet und Wirkungsbereich bekannter Lawinen musste die Parzelle bei grösseren Schneefällen seit jeher als gefährdet gelten. Sie wurde nach den bei den Akten liegenden Zonenplänen, die auf Erfahrungen beruhen, im Januar 1951 denn auch von Lawinen erfasst. Dass die Gemeinde 1967, nach Abgrenzung der Lawinengebiete durch den Kreisförster, die Gefährdung für grösser hielt als in den früheren Jahren und ihre Bauordnung der neuen Erkenntnis anpasste, macht den Irrtum der Klägerin über die Bebaubarkeit der Parzelle daher nicht zu einem solchen über einen künftigen Sachverhalt. In ihren einleitenden Erwägungen ist die Vorinstanz übrigens nicht anderer Meinung, sieht sie den Grund für die Verweigerung der Baubewilligung doch selber darin, dass die Gemeinde die Lawinengefahr 1967 anders beurteilte als früher. Auf die nachträgliche Anpassung des Zonenplanes an die Gefahr kann umsoweniger etwas ankommen, als die Gemeinde schon nach Art. 48 Abs. 1 des bündnerischen Forstgesetzes (FG) vom 6. Oktober 1963 verpflichtet war, den Bau von Wohnhäusern in lawinengefährdeten Gebieten zu verhindern. Daher geht die Vorinstanz auch mit der Annahme fehl, die Klägerin hätte die Baubewilligung erhalten, wenn sie sich wie ihre Nachbarn bereits 1964/65 dafür interessiert hätte. Das Kantonsgericht übersieht, dass die Gemeinde die Baugesuche der Lilly Wirth und des Julius Rüegger zu Unrecht bewilligte, da sich deren Parzellen nachträglich ebenfalls als gefährdet erwiesen. Dass die Klägerin sich Zeit liess und das Baugesuch erst 1967 einreichte, schadet ihr daher nicht. Entscheidend ist, dass die Lawinengefahr im Gebiete der Ariefa schon vor Abschluss des Vertrages bestand, aber erst zwischen 1966 und
BGE 98 II 15 S. 20
1969, als Sachverständige sich dazu äusserten, in ihrem ganzen Ausmass erkannt wurde. Die Sachverständigen weisen mit Recht darauf hin, dass man früher selbst grossen Lawinen wenig Beachtung schenkte, weil das Gebiet nicht überbaut war. Unter diesen Umständen kann der Klägerin auch nicht vorgeworfen werden, sie hätte sich schon vor dem Kauf über eine allfällige Gefahr Rechenschaft geben sollen, zumal ihr das Grundstück von einem Fachmann des Baugewerbes als völlig erschlossenes Bauland angeboten wurde. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall denn auch von dem in BGE 95 II 407 veröffentlichten, wo es um eine an sich überbaubare, aber noch nicht baureife Parzelle ging. Fehl geht die Vorinstanz ferner mit ihrem Hinweis auf Art. 220
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 220 - Ist für die Übernahme des Grundstückes durch den Käufer ein bestimmter Zeitpunkt vertraglich festgestellt, so wird vermutet, dass Nutzen und Gefahr erst mit diesem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 185 - 1 Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über. |
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1 | Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über. |
2 | Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so muss sie überdies ausgeschieden und, wenn sie versendet werden soll, zur Versendung abgegeben sein. |
3 | Bei Verträgen, die unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen sind, gehen Nutzen und Gefahr der veräusserten Sache erst mit dem Eintritte der Bedingung auf den Erwerber über. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 185 - 1 Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über. |
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1 | Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über. |
2 | Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so muss sie überdies ausgeschieden und, wenn sie versendet werden soll, zur Versendung abgegeben sein. |
3 | Bei Verträgen, die unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen sind, gehen Nutzen und Gefahr der veräusserten Sache erst mit dem Eintritte der Bedingung auf den Erwerber über. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 220 - Ist für die Übernahme des Grundstückes durch den Käufer ein bestimmter Zeitpunkt vertraglich festgestellt, so wird vermutet, dass Nutzen und Gefahr erst mit diesem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen. |
3. Der Beklagte macht unter Hinweis auf MERZ (Sachgewährleistung und Irrtumsanfechtung, in Festschrift für Theo Guhl, S. 86) und VON BÜREN (Schweiz. Obligationenrecht, S. 201) geltend, die Klägerin könne sich nicht auf Grundlagenirrtum, sondern höchstens auf Gewährleistungsrecht berufen; der Gewährleistungsanspruch sei aber schon vor Einleitung der Klage verjährt. Das Bundesgericht hat die Berufung auf Gewährleistung und Grundlagenirrtum indessen während Jahrzehnten
BGE 98 II 15 S. 21
so oft als zulässig bezeichnet (s. insbes. BGE 82 II 420 Erw. 6 und BGE 88 II 412 je mit Zitaten), dass diese Lösung heute eine Norm des Gewohnheitsrechts darstellt (OFTINGER, Bundesgerichtspraxis zum Allg. Teil des OR, S. 103). Hervorzuheben ist bloss, dass das Gewährleistungsrecht und die Irrtumsvorschriften nicht gleiche Tatbestände regeln und Ansprüche gewähren, die auf verschiedenem Rechtsgrund beruhen und unter verschiedenen Voraussetzungen entstehen, mag der Berechtigte mit den beiden Rechtsbehelfen auch den gleichen Zweck verfolgen. Der Beklagte wendet ferner ein, die Lawinengefahr sei unerheblich, der Irrtum über die Gefahr folglich unbeachtlich. Der Einwand scheitert indes an den tatsächlichen Feststellungen des Kantonsgerichtes, das sich der Auffassung des eidg. Institutes für Schnee- und Lawinenforschung angeschlossen hat. Nach den Erhebungen des Institutes ist das Gebiet der Ariefa von drei Lawinenzügen bedroht, wobei die Wirkungsbereiche sich namentlich im Falle von Staublawinen teilweise überschneiden. Mit verstärkter Bauweise könnten höchstens Sachschäden verhütet, nicht aber Menschen auf den Zugängen zu den gefährdeten Grundstücken geschützt werden. Dass Auslaufgebiete und Wirkungsbereiche von Lawinen schwierig abzugrenzen sind, ist dem Institut nicht entgangen; es hat jedoch mit Recht auf die Gefahr bei grösseren Schneefällen abgestellt, mögen solche im obern Engadin auch selten sein. Nicht gefolgt werden kann dem Beklagten auch darin, dass die Klägerin sich zu spät auf Irrtum berufen habe. Gewiss erfuhr sie bereits im Sommer 1967, dass ihr Baugesuch wegen Lawinengefahr abgelehnt werden könnte und die Gemeinde dann wider ihr Erwarten auch so entschied. Wenn die Klägerin daraufhin diesen Entscheid und den Lawinenzonenplan anfocht, bevor sie sich auf Irrtum berief, so gereicht ihr das jedoch nicht zum Nachteil. Eine nähere Abklärung der Lawinengefahr im Rechtsmittelverfahren lag nicht bloss nahe, sondern auch im Interesse beider Vertragsparteien. Die Gefahrenzone war zudem nur mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln. Dies ergibt sich daraus, dass der Kleine Rat ein einlässliches Gutachten für notwendig hielt. Erst als die Klägerin am 24. Juli 1969 von dessen Entscheid Kenntnis erhielt, stand für sie zweifelsfrei fest, dass das Grundstück wegen Lawinengefahr nicht für ein Ferienhaus taugte, mit einer Baubewilligung folglich nicht mehr zu
BGE 98 II 15 S. 22
rechnen war. Den Vertrag schon vorher wegen Irrtums unverbindlich zu erklären, konnte der Klägerin nicht zugemutet werden, zumal sie sich nicht mit einer bedingten Anfechtung begnügen durfte und im Falle einer Änderung des Planes zu ihren Gunsten die Erklärung nicht hätte widerrufen können (BGE 72 II 403Erw. 2). Lief die einjährige Frist des Art. 31
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 31 - 1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. |
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1 | Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. |
2 | Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit der Entdeckung, in den Fällen der Furcht mit deren Beseitigung. |
3 | Die Genehmigung eines wegen Täuschung oder Furcht unverbindlichen Vertrages schliesst den Anspruch auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus. |
4. Die Unverbindlichkeit des Kaufvertrages hat zur Folge, dass der Beklagte das Grundstück zurückzunehmen und der Klägerin den bezahlten Kaufpreis zurückzuerstatten hat. Die Forderung der Klägerin von Fr. 25'060.45 ist der Höhe nach nicht bestritten. Der Beklagte hat sie ab 15. September 1969, als er von der Anfechtungserklärung und der Forderung der Klägerin Kenntnis erhielt, mit 5% zu verzinsen. Das Begehren der Klägerin, die streitige Parzelle im Grundbuch wieder auf den Namen des Beklagten einzutragen, ist der Sache nach eine Berichtigungsklage im Sinne von Art. 975
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 975 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen. |
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1 | Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen. |
2 | Vorbehalten bleiben die von gutgläubigen Dritten durch Eintragung erworbenen dinglichen Rechte und die Ansprüche auf Schadenersatz. |
BGE 98 II 15 S. 23
analoge Anwendung von Art. 975
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 975 - 1 Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen. |
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1 | Ist der Eintrag eines dinglichen Rechtes ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Abänderung des Eintrages klagen. |
2 | Vorbehalten bleiben die von gutgläubigen Dritten durch Eintragung erworbenen dinglichen Rechte und die Ansprüche auf Schadenersatz. |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 965 - 1 Grundbuchliche Verfügungen, wie Eintragung, Änderung, Löschung dürfen in allen Fällen nur auf Grund eines Ausweises über das Verfügungsrecht und den Rechtsgrund vorgenommen werden. |
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1 | Grundbuchliche Verfügungen, wie Eintragung, Änderung, Löschung dürfen in allen Fällen nur auf Grund eines Ausweises über das Verfügungsrecht und den Rechtsgrund vorgenommen werden. |
2 | Der Ausweis über das Verfügungsrecht liegt in dem Nachweise, dass der Gesuchsteller die nach Massgabe des Grundbuches verfügungsberechtigte Person ist oder von dieser eine Vollmacht erhalten hat. |
3 | Der Ausweis über den Rechtsgrund liegt in dem Nachweise, dass die für dessen Gültigkeit erforderliche Form erfüllt ist. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtes Graubünden vom 15. Juli 1971 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin Fr. 25'060.45 nebst 5% Zins seit 15. September 1969 zu bezahlen. 2.- Das Grundbuchamt Samedan in St. Moritz wird angewiesen, den Beklagten Arnold Mathis als Eigentümer der Parzelle Nr. 1508 in Samedan einzutragen.