BGE 79 II 272
46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Juni 1953 i. S.
Luzerner Kantonalbank gegen Furrer.
Regeste:
Art. 24 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
Rechtsirrtum als unwesentlicher Irrtum im Beweggrund.
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Art. 24 al. 2 CO.
Erreur de droit considérée comme erreur non essentielle sur les motifs.
Art. 24 cp. 2 CO.
Errore di diritto quale errore non essenziale sui motivi del contratto.
Tatbestand:
Die im Jahre 1946 gegründete Holzverwertungs-Genossenschaft Altwis bezweckte
den Betrieb einer Sägerei samt Holzhandlung. Art. 8 ihrer Statuten sah vor,
dass jeder Genossenschafter über seinen Genossenschaftsanteil hinaus mit Fr.
500.- pro Anteilschein persönlich hafte. Vorhanden waren 12 Genossenschafter,
unter ihnen Josef Furrer, der 10 Anteilscheine zu je Fr. 1000.- übernommen
hatte.
In einem Schreiben vom 30. September 1947 teilte die Filiale Hochdorf der
Luzerner Kantonalbank der Genossenschaftsverwaltung mit, der Bankrat habe die
Gewährung bzw. Erneuerung eines Hypothekardarlehens von Fr. 100,000.- und
eines Betriebskredites von Fr. 100,000.--beschlossen. Die Einräumung des
Betriebskredites war u. a. an die Bedingung geknüpft:
«Die 12 Genossenschafter haben sich für den Betrag der statutarischen
Nachschusspflicht auf das Genossenschaftskapital, d.i. Fr. 60,000., als
Solidarschuldner zu verpflichten. Es wird ein diesbezüglicher Kreditvertrag
abgeschlossen.
Die entsprechende Vereinbarung unterzeichneten die Genossenschaft und ihre 12
Genossenschafter am 23. Oktober 1947.
Nachdem die Kantonalbank am 20. März 1950 den Betriebskredit gekündigt und
gegen die Genossenschaft Betreibung eingeleitet hatte, verlangte sie am 23.
Mai 1950 von den einzelnen Genossenschaftern die Zahlung von je Fr. 5000.-
nebst Zins. Dieser Aufforderung kamen die Genossenschafter durch Leistung von
Fr. 62,330.40 nach, was ihnen die Bank am 19. Juni 1950 unter Entlassung aus
der Solidarhaft bestätigte.
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Am 12. Juli 1950 wurde dem Unternehmen die Nachlasstundung bewilligt. Als dann
am 11. Juni 1951 der eingesetzte Sachwalter gemäss Art. 8 der
Genossenschaftsstatuten die zusätzlichen Fr. 60,000.- einrief, liessen die
Genossenschafter am 16. Juli 1951 der Luzerner Kantonalbank eröffnen, dass
gestützt auf Art. 23 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 23 - Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. |
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1 | Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. |
2 | Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 31 - 1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. |
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1 | Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. |
2 | Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit der Entdeckung, in den Fällen der Furcht mit deren Beseitigung. |
3 | Die Genehmigung eines wegen Täuschung oder Furcht unverbindlichen Vertrages schliesst den Anspruch auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus. |
23. Oktober 1947 nicht gehalten und die bereits erlegte Summe von Fr. 60,000.
nebst Zins und Kosten zurückgefordert würden.
Im September 1951 belangte Josef Furrer die Luzerner Kantonalbank und den
Verwalter Robert Frey ihrer Filiale in Hochdorf auf solidarische Bezahlung von
Fr. 5000. mit 5 % Zins ab 10. Juni 1950. Die Klage wurde vom Amtsgericht
Luzern-Stadt abgewiesen, vom Obergericht des Kantons Luzern aber durch Urteil
vom 26. Juni 1952 gegenüber der erstbeklagten Kantonalbank geschützt.
Auf Berufung der Beklagten hin wird vom Bundesgericht der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Klage abgewiesen -
Aus den Erwägungen:
5.- Selbst wenn übrigens die Genossenschafter den Äusserungen der Beklagten
die umstrittene Bedeutung (sc. Befreiung von der statutarischen Haftung durch
Übernahme der Solidarschuld gegenüber der Bank) hätten zumessen können und
dürfen, wäre noch immer abzuklären, ob ihr Irrtum ein wesentlicher sei. Der
Sachlage nach kann es sich nur um einen Irrtum im Beweggrund handeln. Er ist
grundsätzlich unwesentlich (Art. 24 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
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1 | Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher: |
1 | wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat; |
2 | wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat; |
3 | wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war; |
4 | wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. |
2 | Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich. |
3 | Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen. |
Unverbindlichkeit des Vertrages zu rechtfertigen, müsste er besonders
quallfiziert sein (BGE 56 II 427, 53 II 139, 153).
a) Es ging um einen Rechtsirrtum. Die falsche Vorstellung bezog sich auf die
Rechtsfolgen des Kreditvertrages, und zwar auf eine Nebenfolge, nämlich die
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Enthebung von der statutarischen Haftung, deren Verwirklichung damals möglich
aber nicht sicher erschien. Mit der Beisetzung seiner Unterschrift als
Solidarschuldner il her Fr. 60,000. musste dem letzten Genossenschafter
einleuchten (es fanden sich unter ihnen neben Landwirten auch Geschäftsleute
und Amtspersonen), dass er eine unbedingte Schuldverpflichtung im genannten
Betrage eingegangen war. Gleiche Gewissheit bestand hinsichtlich künftiger
Realisierung der statutarischen Haftung nicht, wies doch das Geschäftsergebnis
der Genossenschaft 1947 noch einen Gewinn von Fr. 4423.74 aus. Im Hinblick
darauf war bei Vertragsschluss die spätere Inanspruchnahme der
Genossenschafter gemäss Art. 8 der Statuten noch keineswegs voraussehbar. Gilt
in der Rechtsprechung, dass, um wesentlich zu sein, der Irrtum sich auf
gegenwärtige, vergangene oder voraussehbare Tatsachen beziehen muss (BGE 41 II
365 f), so gehört die Nichtvoraussehbarkeit zu den Merkmalen, welche als Regel
die Unwesentlichkeit begründen. Hieran ändert sich nichts, wenn die Parteien
einen solchen Irrtum sogar ihrem Rechtsgeschäft als Voraussetzung (nicht als
Bedingung) unterstellten. Denn so gedacht kann sich zwar die Erheblichkeit des
sonst unwesentlichen Irrtums ergeben. Doch bezieht sich die Annahme nicht auf
einen zukünftigen Umstand (OSER SCHÖNENBERGER, Kommentar zu Art. 23
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 23 - Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. |
b) Ein anderer Grund der Unwesentlichkeit des Rechtsirrtums liegt in der
Unabhängigkeit gesetzlich geordneter Rechtsfolgen vom Parteiwillen. Die
Gesetzesvorschriften bleiben wie die Motive des Vertragsschlusses - an sich
ausserhalb des Rechtsgeschäftes. Soll eine bestimmte gesetzliche Ordnung nach
dem Parteiwillen über Bestand oder Nicht bestand des Vertrages entscheiden, so
muss sie zum Vertragsbestandteil gemacht, d. h. als Bedingung ausgestaltet
werden. Diese Begrenzung ist geboten, soll praktisch die Zulassung des
Rechtsirrtum nicht zu bedenklichen Konsequenzen führen. Denn allgemein gehört
die Vorstellung über die Rechtsfolgen, mögen diese auf
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Grund zwingender oder ergänzender gesetzlicher Vorschriften eintreten, nicht
zum Geschäftsinhalt.
Vorliegend ist der Kreditvertrag als solcher, d.h. der Geschäftstatbestand,
auch von den Genossenschaftlern durchaus gewollt. Der Irrtum betrifft die
Wirkungen der abgegebenen Erklärung, nicht das Geschäft selber. Und er war
nach dem kantonalen Urteil höchstens mitbestimmend für den Entschluss des
Klägers, den Vertrag zu unterzeichnen. In ihren Untersuchungen hiezu bemerkt
die Vorinstanz, dass sich die Genossenschafter in einer gewissen Zwangslage
befanden, und fährt dann bezüglich der dem Sicherungsbestreben der Beklagten
dienenden Übernahme der Solidarhaftung für den Kreditbetrag von Fr. 60,000.-
fort:
«Ob der Kläger diese Verpflichtung mitunterzeichnet hätte, wenn er darüber im
klaren gewesen wäre, dass seine statutarische Haftung bestehen blieb, ist
schwer zu sagen.»
Nachher bejaht die Vorinstanz trotzdem den Kausalzusammenhang zwischen Irrtum
und Vertragsschluss, weil «es dem Kläger keineswegs gleichgültig war, ob die
statutarische Nachschusspflicht in Wegfall kam oder nicht». Als Feststellung
tatsächlicher Art muss das hingenommen werden. Aber dass ein Irrtum ursächlich
war. schliesst seine Eigenschaft als blosser Irrtum im Motiv nicht aus. Den
hier gegebenen Irrtum als etwas anderes zu behandeln. verbietet sich schon
angesichts der verzeichneten Angabe der Vorinstanz. Ist es sogar für den
anfechtenden Kläger ungewiss, ob er ohne die irrige Vorstellung den Vertrag
nicht doch abgeschlossen hätte so erscheint es als schlechtweg unverträglich
mit dein Begriff, den Gegenstand solcher Vorstellung objektivierend zu einer
nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr notwendigen Grundlage zu erheben.