Urteilskopf

97 IV 68

17. Urteil des Kassationshofes vom 11. Januar 1971 i.S. Steinegger gegen Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 68

BGE 97 IV 68 S. 68

A.- Gabrielle Steinegger übte seit September 1967 in Samedan bzw. seit Ende 1969 in St. Moritz den Beruf eines Chiropraktors aus, ohne dass sie dazu die erforderliche kantonale Bewilligung besass. Das Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden erklärte deshalb Gabrielle Steinegger durch Strafmandat vom 29. Juni 1970 der Übertretung von Art. 27 bis der kantonalen Sanitätsordung und Art. 1 der kantonalen Verordnung über die Chiropraktik schuldig und verurteilte sie zu einer Busse von Fr. 500.--.
B.- Gegen diese Verfügung erhob die Gebüsste Einsprache mit dem Begehren um Beurteilung des Falles durch den Kleinen Rat des Kantons Graubünden. Dieser wies die Einsprache ab und verurteilte die Angeschuldigte am 19. Oktober 1970 wegen vorsätzlicher Übertretung der Art. 27 bis und 33 der kantonalen Sanitätsordnung zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--. Ferner forderte der Kleine Rat die Gebüsste
BGE 97 IV 68 S. 69

unter Hinweis auf die Strafandrohung des Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB auf, die Tätigkeit als Chiropraktor sofort einzustellen.
C.- Gabrielle Steinegger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kleinen Rates sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung, eventuell zur Beweisergänzung, an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
, Art. 34 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
und Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB sowie den bundesrechtlich anerkannten Grundsatz der Wahrung berechtigter Interessen.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Die Ausübung der Chiropraktik bedarf im Kanton Graubünden einer Bewilligung des Sanitätsdepartements (Art. 27 bis der kantonalen Sanitätsordnung vom 6. September 1953/4. November 1962 und Art. 1 der kantonalen Verordnung über die Chiropraktik vom 9. Dezember 1963). Die Widerhandlung gegen diese Vorschrift wird gemäss Art. 12 der Verordnung über die Chiropraktik auf Grund der Strafbestimmung des Art. 33 der Sanitätsordnung als Übertretung mit Busse geahndet. Der angefochtene Entscheid, durch den die Beschwerdeführerin wegen unerlaubter chiropraktischer Tätigkeit in Anwendung von Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
der kantonalen Sanitätsordnung zu einer Busse von Fr. 500.-- verurteilt wurde, stützt sich somit auf kantonales Recht (Art. 335 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
StGB). Die ausgefällte Strafe kann daher vor dem Kassationshof des Bundesgerichts, der nur die Verletzung von Bundesrecht überprüfen kann, nicht angefochten werden (Art. 269 Abs. 1 und Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
BStP). Ist die Strafe in Anwendung kantonalen Übertretungsstrafrechts ausgefällt worden, so beurteilt sich nach diesem Recht auch, ob die Beschwerdeführerin bei der Widerhandlung in Erfüllung einer Berufspflicht, in einem Notstand oder sonstwie zur Wahrung berechtigter Interessen gehandelt habe. Wenn die Vorinstanz keine Rechtfertigungsgründe im Sinne der Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
und 34 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
StGB in Betracht zog, was übrigens angesichts der groben Missachtung der Vorschriften über die Ausübung der Chiropraktik nahe lag, so kann auch diese Unterlassung nicht als Verletzung von Bundesrecht gerügt werden, denn die Vorinstanz hat die erwähnten eidgenössischen Bestimmungen in ihrer Eigenschaft als stellvertretendes kantonales Recht nicht angewendet (BGE 84 IV 28 Nr. 10).
BGE 97 IV 68 S. 70

2. Die Beschwerdeführerin sieht darin, dass ihr für den Fall der Weiterführung der chiropraktischen Tätigkeit die Bestrafung gemäss Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB mit Haft oder Busse angedroht wird, eine Verletzung von Bundesrecht, weil der Ungehorsam gegen das Verbot der unerlaubten Berufsausübung bereits nach Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
der kantonalen Sanitätsordnung mit Busse bestraft werde und daher für die Anwendung der subsidiären Bestimmung des Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB kein Raum bleibe (BGE 90 IV 207).
Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Die blosse Androhung von Strafe für künftigen Ungehorsam ist kein Urteil im Sinne des Art. 268 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
BStP, da durch die Androhung kein Rechtsnachteil ausgesprochen wird, der die Beschwerdeführerin beschwert (BGE 96 IV 7 Erw. 1 und 67). Nur wenn sie in Anwendung von Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB bestraft worden wäre und wenn der kantonale Richter diese Bestimmung als eidgenössisches Recht angewendet hätte, wäre vom Kassationshof zu prüfen, ob der subsidiäre Charakter, den die Bestimmung im Bundesrecht hat, verkannt worden sei.
Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 97 IV 68
Datum : 11. Januar 1971
Publiziert : 31. Dezember 1971
Quelle : Bundesgericht
Status : 97 IV 68
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Art. 269 Abs. 1 BStP. In einer dem kantonalen Recht unterstellten Strafsache kann die Nichtanwendung der Art. 32 ff. StGB


Gesetzesregister
BStP: 268  269  273
StGB: 32 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
33 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
34 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
292 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
335
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
BGE Register
84-IV-28 • 90-IV-206 • 96-IV-5 • 97-IV-68
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
busse • kassationshof • verurteilter • vorinstanz • kantonales recht • entscheid • verweis • strafsache • kantonales übertretungsstrafrecht • charakter • sachverhalt • weiler • notstand • wiese • berufspflicht • eigenschaft • bundesgericht